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Gute Arbeit braucht gutes Arbeitsrecht

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Gute Arbeit braucht gutes Arbeitsrecht

Rede auf der DGB-Pressekonferenz am 19. September 2008 in Berlin Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

die zunehmende Prekarisierung, Flexibilisierung und Globalisierung der Arbeit schafft neue Unsicherheiten für die Beschäftigten. Das geltende Arbeitsrecht reicht nicht aus, die neuen Risiken für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszugleichen.

Ein neues Arbeitsverhältnisgesetz – oder auch Arbeitsvertragsgesetz – könnte ein Schritt sein, neue Unsicherheiten einzugrenzen und die Rechte der Beschäftigten zu verbessern.

Die Herausforderungen der sich wandelnden Arbeitswelt sind vielfältig:

Unternehmen fusionieren, werden umstrukturiert und verlagert. Arbeiten werden ausgelagert. Auch die Einführung neuer Techniken, moderner Kommunikationssysteme oder „flacher Hierarchien“ haben erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigten.

Die aktuelle Betriebsräte-Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung hat ergeben: In den letzten zehn Jahren wurden in jedem Betrieb im Schnitt fünf verschiedene Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt.

Dazu gehört in rund einem Drittel der Betriebe, die Leiharbeit auszuweiten, Gruppenarbeit einzuführen und Hierarchieebenen abzubauen.

Die Hälfte aller Betriebsräte gibt an, dass Auslöser der Rationalisierungsmaßnahmen lediglich pauschale Vorgaben zur Kostensenkung waren. Knapp 50 Prozent berichten von pauschalen Vorgaben zur Personaleinsparung. Unternehmen steigern ihre Gewinne und entlassen dennoch Arbeitskräfte, um ihren Profit noch zu erhöhen.

Immer mehr Arbeitgeber betreiben eine Personalpolitik der „unteren“ Linie:

Sie reduzieren Stammbelegschaften und fangen Schwankungen im Arbeitsaufkommen durch den Einsatz häufig prekär Beschäftigter auf – längst nicht

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mehr nur zur Bewältigung von Auftragsspitzen. Befristet Beschäftigte werden immer häufiger auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt.

Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer verdrängen zunehmend besser bezahlte und gestellte Stammbelegschaften. Immer wieder nutzen Unternehmen eine neue Taktik: Sie entlassen Beschäftigte, um sie kurz drauf in einer neu gegründeten firmeneigenen Leiharbeitsfirma einzustellen und dann als Leiharbeiter an ihrem alten Arbeitsplatz wieder einzusetzen – natürlich schlechter bezahlt als zuvor.

Stammbeschäftigte werden gekündigt und dann oft als freie Mitarbeiter eingesetzt.

Die Folge ist: Immer mehr Beschäftigte können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, selbst wenn sie in Vollzeit arbeiten. Sie können keinerlei Perspektiven aufbauen, weil sie keinen ausreichenden Bestandsschutz genießen. Über ein Viertel aller Beschäftigten hierzulande – 7,7 Millionen Menschen – arbeiten heute in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, so das Statistische Bundesamt: befristet, in Teilzeit, als Freie, Leiharbeitnehmerin oder Praktikant.

Die Zunahme der prekären Beschäftigung setzt auch die Arbeitsbedingungen der so genannten normal Beschäftigten zunehmend unter Druck.

Hinzukommt eine verstärkte Überwachung und Kontrolle aller Beschäftigten – spätestens seit Lidl ist dies wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Tarifpolitik und betriebliche Interessenvertretung wirken diesen Entwicklungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten entgegen.

Doch das allein reicht nicht aus. Auch der Gesetzgeber ist gefordert, den neuen Risiken für die Beschäftigten im Arbeitsrecht entgegenzuwirken und auch jene Beschäftigtengruppen zu berücksichtigen, die derzeit kaum geschützt werden.

Der Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeit des Einzelnen, das Grundrecht der Berufsfreiheit und das Sozialstaatsprinzip verlangen, dass der Gesetzgeber einen Mindeststandard für das Arbeitsverhältnis bereitstellt.

Denn: Der Arbeitnehmer ist abhängig: Er ist auf seine Arbeit angewiesen. Er ist dem Arbeitgeber „strukturell unterlegen“, beschreibt das Bundesverfassungsgericht diese Abhängigkeit. Sie beginnt beim Abschluss des Arbeitsvertrages und setzt sich während des gesamten Beschäftigungsverhältnisses fort.

Das Vorhaben von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, in einem einheitlichen Gesetzeswerk das Individualarbeitsrecht zusammenzufassen, kann für mehr Klarheit und Transparenz im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmern sorgen.

Wir begrüßen das. Allerdings darf es nicht nur darum gehen, alle Einzelregelungen zusammenzufassen. Es gilt auch, die Schutzlücken zu schließen, die in den letzten Jahren entstanden sind: Flexibilität braucht Sicherheit.

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Wir sind überzeugt: Ein klares und transparentes Recht nutzt allen – den Beschäftigten, den Unternehmen, den Gerichten. Klarheit über die die gegenseitigen Rechte und Pflichten hilft, Konflikte zu vermeiden, sie steigert die Arbeitsmotivation und verbessert das Betriebsklima. Gerade auch kleine und mittlere Betriebe können von mehr Transparenz profitieren – führen doch die gesetzlichen Regelungslücken dazu, dass das individuelle Arbeitsverhältnisrecht stark durch die Einzelfall-Rechtsprechung geprägt ist. Gerade Nicht-Juristen sind damit oft überfordert.

Ein einheitliches umfassendes Arbeitsverhältnisgesetz wirkt Arbeitgeberstrategien entgegen, zu Lasten der Beschäftigten Lücken und Schlupflöcher im Gesetz auszunutzen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass Arbeitgeber, um Kosten zu sparen und Schutzbestimmungen zu umgehen, nach Belieben auf prekäre Arbeitsformen ausweichen.

Ein Gesamtentwurf des Arbeitsverhältnisrechts muss zunächst die wichtigsten geltenden gesetzlichen Bestimmungen zusammenführen. Dazu gehören: der Kündigungsschutz

nach dem Kündigungsschutzgesetz, die Kündigungsfristen aus dem BGB,

das Urlaubsrecht nach dem Bundesurlaubsgesetz und die die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Auch die arbeitsrechtlichen Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, des Teilzeit- und Befristungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gehören in dieses Gesamtwerk. Darüber hinaus muss es aber auch Aussagen zu bisher gesetzlich noch ungeregelten Fragen treffen. Dazu zählen beispielsweise die Voraussetzungen und die Höhe einer Haftung eines Arbeitnehmers, wenn er einen Schaden bei der Arbeit verursacht hat. Ebenso muss ein solches Gesetz zum Beispiel festhalten, welche Fragen der Arbeitgeber bei Vorstellungsgesprächen nicht stellen darf, wie etwa die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft oder der weiteren Familienplanung.

Die Initiative für ein solches Werk hat im Frühjahr 2008 der Bundesarbeitsminister ergriffen. Er trat an die Sozialpartner – den DGB und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) mit der Bitte heran, Gespräche über die Zusammenfassung des Individualarbeitsrechtes aufzunehmen. Er versprach, einen

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von BDA und DGB gemeinsam vorgeschlagenen Entwurf noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen.

Wir haben den Arbeitgebern konkrete Gespräche vorgeschlagen.

Voraussetzung war aus unserer Sicht, dass sich mit dem neuen Gesetzbuch die bisherige Rechtslage keinesfalls verschlechtern darf. Die Gespräche sollten in einem zeitlich befristeten Rahmen erfolgen und so rechtzeitig abgeschlossen sein, dass eine Umsetzung in der laufenden Legislaturperiode noch möglich ist.

Das Ergebnis eines solchen Dialogprozesses wäre ein erster Schritt gewesen: eine Zusammenführung der bestehenden Gesetze mit einigen Ergänzungen.

Darauf aufbauend hätte man dann in einem zweiten Schritt Verbesserungen vornehmen und Lücken schließen können.

Doch leider ist dieser Dialog nicht zustande gekommen. Die BDA zeigte sich nicht gesprächsbereit und hat unseren Vorschlag nicht angenommen.

Sie hat damit die Chance ausgeschlagen, mehr Transparenz, Klarheit und Sicherheit im Arbeitsrecht zu schaffen. Gerade für kleine und mittlere Betrieben wäre eine solche Vereinheitlichung eine große Entlastung gewesen, die Arbeit und Konflikte erspart hätte.

Die mangelnde Gesprächsbereitschaft der BDA in dieser Frage verwundert umso mehr, weil es doch vor allem die Arbeitgeber sind, die immer wieder den Abbau von Bürokratie fordern.

Entbürokratisierung und Vereinfachung wären hier möglich gewesen.

Das hat die BDA aber offenbar nicht gewollt.

Als DGB sehen wir deshalb nur einen Weg.

Ein einheitliches neues Arbeitsgesetzbuch muss in einem Schritt sowohl alle bisherigen relevanten Regelungen zusammenführen, als auch die vorhandenen Lücken schließen

und die notwendigen Verbesserungen der Arbeitnehmerrechte vollziehen.

Folgende Eckpunkte sind aus Sicht des DGB bei einem solchen Gesetz wesentlich:

Grundsatz muss sein, dass der Kündigungsschutz dem Beschäftigungserhalt dient.

Bisher sind betriebsbedingte Entlassungen auch dann zulässig, wenn sie nur der Kostenreduzierung dienen – selbst wenn gleichzeitig die Gewinne kräftig steigen.

Das muss sich ändern. Wir fordern, dass betriebsbedingte Kündigungen künftig erst dann zulässig sind, wenn der Arbeitgeber weitere Gründe wie die schlechte Auftragslage oder die wirtschaftliche Situation anführen kann.

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Auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse muss der Erhalt der Beschäftigung schwerer wiegen als reine Kostenreduzierungen.

Zudem sollten gegen eine Kündigung klagende Arbeitnehmer das Recht haben, während des Kündigungsschutzverfahrens weiter beschäftigt zu werden, wenn sie es wollen. So steigen die Chancen der Arbeitnehmer, auch tatsächlich im Betrieb zu bleiben, wenn sie den Prozess gewinnen.

Befristungen und Leiharbeit müssen eingedämmt werden.

Für Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer müssen beim Einsatz im Betrieb die gleichen Arbeitsbedingungen und die gleiche Bezahlung wie von vergleichbaren Stammbeschäftigten gelten. Dumping-Arbeitsbedingungen müssen ausgeschlossen werden.

Leiharbeitnehmer müssen beim Verleiher unbefristet eingestellt werden. Es kann nicht sein, dass das Beschäftigungsrisiko für die verleihfreien Zeiten allein dem Leiharbeitnehmer aufgebürdet wird.

Der Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen muss wirksam bekämpft werden. Das Gesetz sollte deshalb eine maximale Einsatzzeit von Leiharbeitnehmern in einem Betrieb festschreiben.

Die sachgrundlose Befristung muss deutlich zurückgeführt werden. Wenn ein freier Arbeitsplatz beim Arbeitgeber vorhanden ist, sollten befristet Beschäftigte einen Anspruch auf Übernahme erhalten. Das würde befristet Beschäftigten mehr Sicherheit – bei aller Flexibilität – geben.

Festgeschrieben werden sollte in dem Gesetz ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn von zunächst 7,50 Euro pro Stunde, der auch nicht durch tarifvertragliche Regelungen unterschritten werden darf.

Dies ersetzt natürlich nicht die Forderung des DGB, das Arbeitnehmer- Entsendegesetz auf weitere Branchen – wie insbesondere der Leiharbeit – auszuweiten sowie die Allgemeinverbindlicherklärung zu erleichtern.

Die Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz müssen verbessert werden.

Der Schutz vor Überwachung muss gewährleistet werden. Beschäftigte müssen zudem über die Erhebung, Speicherung und Nutzung sowie Übermittlung seiner Daten an Dritte informiert werden muss.

Gentests müssen verboten werden.

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Wirtschaftlich abhängige Personen – wie etwa Soloselbstständige oder Honorarkräfte– müssen künftig in den Schutz des Arbeitsrechts einbezogen werden.

Denn: Soloselbstständige und Honorarkräfte, die nur oder überwiegend für einen Auftraggeber tätig sind, sind ähnlich abhängig von ihrem Auftraggeber wie

Beschäftigte im Arbeitsverhältnis.

Wir brauchen außerdem klare Regelungen für Praktikantenverhältnisse. Um ihren Missbrauch als billige Arbeitskräfte künftig zu unterbinden, dürfen nur die als Praktikanten gelten, die tatsächlich etwas lernen sollen.

Weiterbildung während der Arbeitszeit muss gesetzlich geregelt werden.

Für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Beschäftigungschancen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind mehr Anstrengungen in die berufliche Weiterbildung unverzichtbar. Die Entwicklungschancen der Einzelnen müssen von Arbeitgeber und -nehmer gemeinsam ermittelt werden. Weiterbildung muss während der Arbeitszeit und auf Kosten des Arbeitgebers umgesetzt werden.

Nur Beschäftigte, deren Qualifikation auf dem neuesten Stand ist, sind in der Lage, die erforderlichen Innovationen im Betrieb anzustoßen und ihre Ideen für eine gute wirtschaftliche Entwicklung ihres Unternehmens einzubringen.

Beschäftigte brauchen aber nicht nur ein lernförderliches Arbeitsumfeld, sie brauchen vor allem Gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen.

Gute Arbeit – das ist Arbeit mit Beteiligung und einem gerechten Entgelt, mit Arbeits- und Gesundheitsschutz, sozialer Sicherheit und ohne Diskriminierungen.

Die gesetzlichen Mindeststandards, die wir von einem verbesserten Arbeitsrecht erwarten, sind dafür eine Voraussetzung.

Gute Arbeit braucht gutes Arbeitsrecht. Alle reden von Guter Arbeit – die Regierung, die Parteien, die Arbeitgeber.

Wir meinen: Wer es ernst meint mit der guten Arbeit, kann sich unseren Forderungen nicht verschließen.

Das gilt auch für die Arbeitgeber – schließlich dient Gute Arbeit auch ihren ureigenen Interessen. Das bestätigt eine Studie im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums: Gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen steigern die Arbeitszufriedenheit, erhöhen die Motivation und können die Produktivität um bis zu 30 Prozent verbessern.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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