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Die drei materiellen Ausgangs¬ punkte für das, was im späteren Mittelalter als Htm al-baläga "die Wissenschaft von der Beredsamkeit&#34

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Von Wolfhart Heinrichs, Harvard

"Dichterische Rede" ist hier mit Bedacht anstelle des Begriffs "Dichtung" gewählt

worden. Im folgenden geht es nicht um die rein formalen Merkmale von Dichtung, d.h.

Metrum und Reim, sondem um Äußemngen der Theoretiker, welche der Dichtung

einen spezifischen Inhalt oder eine besondere Aussageweise zuschreiben. Ähnliche

Überlegungen haben schon die arabischen Philosophen veranlaßt, vom qawl si'ri (pl.

aqäwll si'riyya) zu reden, werm es ihnen um das Wesen, nicht um die Form der dichte¬

rischen Aussage zu tim war.' Solche Äußemngen zu den nicht-formalen Aspekten des

Dichtens sind natürhch zu einem beträchthchen Ausmaß prädeterminiert erstens durch

die Dichtung, welche sie charakterisieren sollen, und zweitens durch die Dichtungs¬

theorie, deren Bestandteil sie bilden. Eine kurze Skizze, die den Rahmen der Theorien

dichterischer Rede umreißt, ist damm angebracht. Die drei materiellen Ausgangs¬

punkte für das, was im späteren Mittelalter als Htm al-baläga "die Wissenschaft von der Beredsamkeit" ausformuhert wurde, sind die zwei gmndlegenden Textkorpora der islamischen Kultur, von denen das eine einen doppelten Charakter hat: a) der Koran als

göttliche Botschaft, b) der Koran als prophetenbestätigendes Wunder und c) die vor-

und frühislamische Dichtung, welche zusammen mit dem Koran als Repositorium

korrekter Sprache und zu einem gewissen Grade auch als hterarisches ModeU galt. Im

einzelnen hegen die Dinge so:

a) Die Offenbamng bedurfte der Interpretation, besonders auch im Blick auf ihre

praktische Anwendung. Dafür wurde eine Hermeneutik entwickelt, welche die stilisti¬

schen und idiomatischen Eigentümhchkeiten der arabischen Sprache (magäz im

weitesten Sirme des Wortes) deuten konnte. Viele Werke zur Rechtsmethodologie (usül

al-fiqh) enthalten eigene Kapitel über Hermeneutik unter dem Titel bayän, wörtl.

"klarer Ausdmck".^

' So z.B. schon in al-Färäbi: Risäla fl qawänin sinä'at aS-Su'arä\ Ed. und übers. A. J. ARBERRY u.d.T.

Färäbi's Canons of Poetry. In: Rivista degli Studi Orientali 17 (1938), S. 266-278, hier 267-69 (arab.), 273-75 (engl.). Arberry übersetzt mit "poetical statement". Die Auffassungen der Philosophen über si'r und Ijatäba als logische Disziplinen bleiben im folgenden außer Betracht. Dies gilt auch für solche Autoren (besonders der maghrebinischen "Schule"), die hierin von den Philosophen abhängig sind.

Interessant ist hier die Bemerkung von as-Sigilmäsi, daß die einheimischen Theoretiker poetische und rhetorische Aussagen nicht auseinanderhalten konnten. Siehe al-Manza' al-badi' fi tagnis asälib al- badi'. Ed. "AllAl al-GäzI (Rabat 1401/1980), S. 219.

" Der Begriff bayän bedeutet sowohl "Klarheit" wie auch "Erklärung", wie die verschiedenen Definitionen in den Werken zur Rechtsmethodologie deutlich implizieren. In den meisten Fällen ist es jedoch die zweite Bedeutung, die dem Terminus technicus zugrundeliegt. Zu bemerken ist, daß der Umfang des Begriffes oft weiter ist als der eines simplen magäz-Dekodierers. Im ältesten erhaltenen Werk zur Rechtsmethodologie, der Risäla von aä-§äfi'I, umfaßt bayän alles, was das göttliche Gebot

(2)

b) Einige Korangelehrte machen sich daran, den Wundercharakter (i'§äz) des

Korans, der mit seiner sprachlichen Unnachahmlichkeit gleichgesetzt wird, nach¬

zuweisen.'

c) Die Dichtung wird nicht mehr nur zu nicht-hterarischen Zwecken studiert (Gram¬

matik, Lexikon, Reahen), sondem auch in bezug auf ihre hterarischen Aspekte." Dieser dritte Zweig von Theoriebildung begann erst zu blühen, nachdem in frühabbasidischer Zeit die neue Schule der "Modemen" emporgekommen war. Dies erzeugte eine gewis¬

se Reibung zwischen dem Modellcharakter der alten Dichtimg und den Emeuemngs-

bestrebungen der "modemen" Dichter.

In Anbetracht all dieser verschiedenen Interessen am Studium von Texten - Inter¬

essen, die sich allmählich gegenseitig befmchteten - würde man erwarten, daß es eine

ausgiebige Diskussion der Frage gäbe, was Dichtung von Nicht-Dichtung über das

Formale hinaus unterscheide. Dem ist aber nicht so. Interessante Bemerkungen gibt es hin und wieder, aber sie spielen keine zentrale Rolle.

Ein Gmnd dafür ist der Aussage-Modus der klassisch-arabischen Dichtung selbst,

den Ibn Rasiq, Literaturtheoretiker und -kritiker des 11. Jh.s, an einer bekannten Stelle so beschreibt: "Dichtung kann - mit winzigen Ausnahmen - unter die Kategorie 'Be¬

schreibung' subsumiert werden."' Wenn das zutrifft, kann es keine klare Grenzlinie zwischen Dichtung und (literarischer) Prosa geben. In der Tat lautet die populärste

Defmition der Dichtung, die auf Qudäma (st. wahrsch. 337/948) zurückgeht: qawl

unzweideutig macht, sei es der koranische Text selbst, der koranische Text plus Fixierung durch Prophetische Tradition, die Prophetische Tradition selbst (da Gott Seinem Propheten gegenüber Gehorsam geboten hat) und schließlich das Ergebnis von igtihäd (gleichfalls von Gott geboten). Siehe ar-Risäla. Ed. AHMAD MUHAMMAD §Akir. Kairo 1358/1940, S. 21-22; Trsl. MaJID Khadduri: Islamic Jurisprudence. Shäfi'i's Risäla. Baltimore 1961, S. 67-68. Aber andere Erwägungen, die enger mit dem ma^äz-Begriff zusammenhängen, beeinflussen die ia^ä/i-Diskussion und resultieren in einer Vielzahl von Defiiütionen und Einteilungen. Der Begriff und seine diversen Zusammenhänge bedürfen weiterer Untersuchung. Siehe vorläufig M. Bernand: Bayän selon les usüliyyün. In: Arabica 42 (1995), S. 145- 160.

' Die Literatur hierzu ist recht beträchtlich. In unserem Zusammenhang siehe vor allem A. Neuwirth:

Das islamische Dogma der "Unnachahmlichkeit des Korans" in literaturwissenschaftlicher Sicht. In:

Der Islam 60 (1983), S. 166-183.

'' Unter den Philologen ist es der kufische Grammatiker Ta'lab (st. 291/904), welcher als erster seine und seiner Kollegen Beobachtungen in einer eigenständigen Schrift zu systematisieren trachtet, siehe Qawä'id aS-Si'r. Ed. Ramadän 'Abdattawwäb. Kairo 1966. Aber schon Ibn Salläm al-öumahl (st.

231/845 oder 232/846) und Ibn Qutayba (st. 276/889), beide allerdings keine reinen Philologen, haben Bedeutendes zur Poetik zu vermelden.

' A.i-Si'ru illä aqallahü rägi'un ilä bäbi l-wasft siehe al-'Umda. 2 Bde. Ed. MUHAMMAD MUHYIDDlN 'Abdalhamid. Kairo 1963-64, n, S. 294. Cf auch W. Heinrichs: Arabische Dichtung und griechische Poetik. Wiesbaden 1969, S. 57. Die zugestandenen Ausnahmen dürften sich auf nicht-assertorische Aussagen (Fragen, Befehle, Wünsche u.ä.) beziehen. An andere Aussage-Modi wie Fiktionalität oder Allegorie wird Ibn Raäiq nicht gedacht haben, da sie in seinem Dichtungsuniversum keinen Platz haben.

Auch unabhängig von Ihn Raäiqs Ideen eignen sich diese Aussage-Modi nicht zur Abgrenzung von Dichtung und Prosa, da sie sich über beide Bereiche ersü-ecken; im übrigen sind sie in der arabischen Literatur nicht gerade vorherrschend. Ob Ibn Raälqs "Beschreibungs"-Kategorie der komplizierten manieristischen Dichtung der Abbasidenzeit gerecht wird, ist zweifelhaft; aber man kann immerhin geltend machen, daß die hochgradig phantasmagorischen Gebilde dieser Dichtung ihre eigenüiche Wirkung durch die "Behauptung", Beschreibung zu sein, gewinnen.

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mawzün muqaffa yadull 'alä ma'nä "metrische gereimte Rede, die eine Bedeutung aufzeigt"' - deutlich eine rein formale Defmition. Des weiteren, obwohl es eine Dis¬

kussion über den Rangstreit von Dichtung und Prosa sowie von Dichtem und Schrei¬

bem gibt (hatlb "Redner" gegenüber sä'ir "Dichter" in der älteren Zeit und sä'ir

"Dichter" gegenüber kätib "Schreiber" später), ist doch die Idee, daß beide Träger von baläga und somit wesenthch dasselbe sind, ganz vorherrschend. Die hauptsächhchsten Vertreter dieser Idee waren die kuttäb "Staatsschreiber", die ein offenkundiges Inter¬

esse daran hatten, sie zu propagieren, da die Themen ihrer Schreiben häufig mit denen

der Dichtimg übereinstimmten (Lob, Beileid, Glückwunsch, Ermahnung). Für sie war

es nur natürlich, sich all der Tropen, Figuren und Concetti, die die Dichter im Zu¬

sammenhang mit gewissen Themen und Motiven entwickelt hatten, zu bedienen. Der

Dichter al-'Attäbi (st. 208/823 oder später) prägte eine kurze Formel zum Ausdmck

dieser Auffassung: as-si'ru rasä'ilu ma'qüdatun wa-r-rasä'ilu Si'run mahlül "Dich¬

tung ist gebundene Episteln, und Episteln sind gelöste Dichtung".'

Die rein formale Definition von Dichtung läßt noch ein weiteres Problem ungelöst:

wie unterscheiden wir zwischen eigenthcher Dichtung und Versifiziemng? In der

Praxis wird eine Unterscheidung gemacht, indem alle didaktische und - wo wir viel¬

leicht anders denken würden - sogar mystische Dichtung aus den Werken der Litera¬

turtheoretiker ausgeschlossen bleiben. Aber die theoretische Schwierigkeit einer

Grenzziehung bheb weiterhin bestehen. Dies zeigt sich auch in der Vagheit der Termi¬

nologie: der Begriff nazm wird für Versifizierung im Gegensatz zu Dichtung gebraucht (also nazm gegenüber si'r), aber gleichzeitig auch als allgemeiner Terminus für alle

Arten von metrischer Rede (also naim gegenüber natr). Während wir infolgedessen

einerseits sehen, daß Abü l-'Alä' al-Ma'arri (st. 449/1057) schlechte Dichtung na^m

nennt und gute Dichtung si'r, den Begriff nazm also als kritischen Terminus benutzt,' finden wir auf der anderen Seite, daß as-Safadi die Behauptung von Ibn al-Atir, daß die Araber keine langen Gedichte wie das Sähnäma hervorgebracht hätten, zurückweist, indem er neben anderen Beispielen für das Gegenteil eine Versifiziemng der Geschich¬

te al-Mas'üdis und sogar die Sätibiyya, ein didaktisches Gedicht über die Sieben

Lesungen des Korans, anführt und somit jeghchen Unterschied zwischen Dichtting und

didaktischer Versifiziemng ignoriert.'

' Naqd aS-Si'r. Ed. S. A. BONEBAKKER. Uiden 1956, S. 2, Z. 11-12.

' Ibn Tabätabä: 'lyär aS-Si'r., Ed. TAHÄ AL-HÄÖIRl und MUHAMMAD ZaGlOl SalAM. Kairo 1956, S.

78; Ed. "Abdal'aziz b. Näsir al-Mäni". Riad 1405/1985, S. 127. Es ist nicht ganz deudich, ob der angeführte Ausspruch noch Teil des 'Attäbi-Zitats ist, wie die Herausgeber der editio princeps durch ihre Interpunktion anzudeuten scheinen, oder aber ein Fazit Ibn Tabätabäs, wie es an-Nä$ir durch Einrückung markiert.

' Wie sein Schüler al-IJatlb at-Tibrlzi bei al-Husayni: Nadrat al-igrid. Ed. NUHÄ 'ÄRlF al-Hasan.

Damaskus 1396/1976, S. 11-12, berichtet.

' As-Safadi: Nusrat at-tä'ir Ed. MUHAMMAD 'AlI SultänI. Damaskus o.J. [1972], S. 384-387. Die Äußerung, gegen welche as-Safadl polenusiert, findet sich am Ende von Ibn al-Atlr: al-Matal as-sä'ir.

3 Bde. Edd. AHMAD AL-HClFl & BadawI TabAna. Riad "1404/1984, III, S. 344, und zwar im Zu¬

sammenhang mit Ibn al-Atirs Widerlegung von Ibrähim b. Hiläl as-Säbis Theorie über die Unter-

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Trotz alledem haben die arabischen Literaturtheoretiker, jedenfalls einige von ihnen,

Wege gefunden, Dichtung von Prosa über das Formale hinaus abzugrenzen, und zwar,

wie es scheint, drei verschiedene Wege. Der erste basiert auf der Tatsache, daß es

unterschiedliche Arten gibt, die Wirklichkeit auszudrücken. Zwei Theorien, von

Gelehrten des 13. Jh.s entwickelt, sollen hier vorgestellt werden: die von az-Zangäni (schrieb im Jahre 655/1257) und die von Häzim al-Qartä|anni (st. 684/1285).'°

Az-Zangäni hat ein Buch mit dem Titel Mi'yär an-nu^.är fi 'ulüm al-aS'är "Der Maßstab für Studierende der Dichtimgs-Wissenschaften" hinterlassen." Dieser Text ist

dadurch besonders interessant, daß er einen Zusammenfluß verschiedener Armä¬

herungen an die Grundprobleme der Literaturtheorie darstellt, welche in der früheren

Literatur, wenn auch unverbunden, schon existierten. Der Autor beginnt mit einer

Aufzählung der zwölf philologischen Disziphnen {al-'ulüm al-adabiyya), nämhch

Lexikographie, Morphologie, Etymologie, Syntax, Stihstik, Theorie der Bildersprache,

Prosodie, Reimlehre, Prosaschreibung, Dichtung, Kalligraphie und die Kunst der

Konversation. Dieselbe Liste mit geringfügigen Varianten findet sich zu Anfang von

al-Zamah§aris Buch über Prosodie;'^ die beiden Listen sind so ähnlich, daß man

az-Zangänis Abhängigkeit von az-Zamahsari oder beider von einer gemeinsamen

QueUe annehmen muß. Eine interessante Abweichung in az-Zangäni ist seine Bemer¬

kung, daß Stilistik {'Um al-ma'änl) und Theorie der Bildersprache {'Um al-bayän)

eigentlich ein einziges Gebiet darstellen, nämlich 'Um al-badi' (ansonsten: Wissen¬

schaft von den rhetorischen Figuren). Der Begriff badi', obwohl natürlich zu az-Za- mahäaris Zeiten schon längst eingeführt, kommt in dessen Liste nicht vor. Angesichts

der Tatsache, daß die nur wenig späteren Rhetorik-Handbücher {'Um al-baläga) eine

fixe Dreiteilung in ma'äni, bayän und badi' (Stilistik, Bildersprache und rhetorische Figuren) aufweisen, ist dieser Gebrauch des Begriffs badi' als umfassende Bezeich¬

nung künstlerischer Sprache doch überraschend. Er zeigt, daß selbst zu Beginn der

Verfestigung der rhetorischen Terminologie die Bedeutung eines der grundlegenden

Begriffe noch im Fluß war. Az-Zangäni versichert sodann, daß die meisten dieser

zwölf Disziplinen für das richtige Verständnis des Korans und der Prophetentraditio¬

nen unerläßlich seien - eine übliche Rechtfertigung für rhetorische Studien, selbst

wenn der Nachdruck auf Dichtung und künstlerischer Prosa liegt. In Anbetracht der

Tatsache, daß all diese Disziphnen, insbesondere aber Prosodie, Reimlehre und Poetik

(wie wir 'Um al-badi' hier übersetzen wollen), nunmehr brachlägen, habe er sich

entschlossen, so erzählt uns der Autor, eine kiu^e umfassende Darstellung dieser drei

Scheidung von Dichtung und Prosa (siehe unten). Aä-§ätibls "Gedicht" Hirz al-amäni wa-wagh at- tahäni ist noch heute beliebtes Lehrbuch für die Sieben Lesungen; siehe z.B. den Kommentar von 'Abdalfattäh 'Abdalgani al-QädI: al-Wäfi fi Sarh aS-Sätibiyya. Medina 1404/1984. Eine Versifizie¬

rung der Murüg ad-dahab von al-Mas'üdi scheint anderweitig nicht belegt zu sein.

'° Zu 'Abdalwahhäb b. Ibrähim al-Hazragi az-Zangäni siehe GAL, S 1, 497-98, zu Häzim b. Muhammad al-Qartä|anni siehe EI", s.v.

" Ed. Muhammad'Ali Rizq al-HafäöI. 2 Tie. Kairo 1991.

'- Al-Qustäs al-mustaqim fi 'ilm al-'arüd. Ed. BahIGa BÄQIR al-HasanI. Bagdad 1969, S. 53.

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Wissenschaften zu schreiben. Die ersten beiden Gebiete werden natürlich häufig

zusammen behandelt, wohingegen die Hinzufügung des badi' eine ungewöhnliche

Kombination ist. Ein Präzedenzfall ist allerdings das K. al-Käfi fi l-'arüd wa-l-qawäfi von al-Hatlb at-Tibrizi." In letzterem ist das fcadi'-Kapitel jedoch eine einfache Auf¬

zählung von Termini mit den zugehörigen Definitionen und Beispielen, während

az-Zangäni sich bemüht, eine kohärente Theorie künstlerischer Sprache zu entwickeln,

und zwar auf der Grundlage des Begriffes der daläla, der Bezeichnungskraft, der

Sprache." Indem er sich philosophische Unterscheidungen zunutze macht, was schon in sich selbst einen drastischen Wandel in der Orientierung der Theoretiker zwischen al-Hatib at-Tibrizi und az-Zangäni markiert, erklärt uns az-Zan|äni, daß Wörter Dinge auf folgende drei Weisen bezeichnen können:"

1. durch mutäbaqa (Kongruenz: "Haus" deutet auf Haus), 2. durch tadmin (Implikation: "Haus" deutet auf Dach) oder 3. durch iltizäm (Konkomitanz: "Dach" deutet auf Wand).

In der Sprache der Wissenschaften {al-'ulüm al-'aqliyya) wäre die charakteristische

Weise, auf Dinge Bezug zu nehmen, die mutäbaqa, in eloquenter Sprache {baläga)

dagegen der iltizäm. Da der Konkomitantien {lawäzim) viele sind, gibt es viele Weisen,

dieselbe Idee auszudrücken. Infolgedessen gibt es verschiedene Grade in der Voll¬

kommenheit der Expressivität, je nach dem Grad der Angemessenheit {tanäsuh) und

Ausgewogenheit {i'tidäl) der entsprechenden Wortverbindung {tarkib). Diese daläla-

Theorie findet man in ähnhchen Worten auch im Miftäh al-'ulüm von az-Zangänis

vielleicht etwas älterem Zeitgenossen as-Sakkäki (st. 626/1229),"* wobei sich jedoch as-Sakkäki von az-Zangäni darin unterscheidet, daß ersterer die daläla-Th&one auf die

Explikation des bayän, also der bildlichen Sprache, beschränkt, welche, wie oben

bemerkt, nur einen Teil der i^a/äga-Wissenschaft ausmacht. Es muß allerdings betont

werden, daß as-Sakkäkis Theorie stärker durchgebildet ist, indem er die lawäzim

systematisch klassifiziert und auf diese Weise die tropischen {magäz) und periphrasti¬

schen {kinäya) Aussagen definiert. Az-Zan|äni bietet demgegenüber eine rudimentäre¬

re und wemger integrierte Theorie, die demnach auf einer früheren Stufe der Entwick¬

lung zu stehen scheint.

Obwohl der Titel von az-Zangänis Buch uns ausdrücklich sagt, daß der Autor sich

mit Dichtung befassen will, definiert seine daläla-lh&orie, die baläga (oder, wie er

sagen würde, den badi') aUgemein, nicht jedoch die speziell poetische Sprache. In

" Ed. al-HassänI Hasan'Abdallah. o.O., o.J. [Kairo 1978).

Mi'yär II, 6.

" Die Herkunft dieses tfa/ä/a-Begriffs samt den zugehörigen Typen ist noch größtenteils ungeklärt und auch kaum untersucht. Herleitung aus stoischen Vorstellungen ist nicht unwahrscheinlich, aber unbewiesen, siehe 'ALI SämI an-NaSSäR: Manähig al-baht 'ind mufakkiri l-Isläm. Beimt '1404/1984, S.

46-47, und FEHMI Jadaane: L'influence du sto'icisme sur la pens4e musulmane. Beirut 1968, S. 113- 115. Während die Zeichentheorie als stoische Errungenschaft wohlbekannt ist, scheint eine griechische Entsprechung der Dreiteilung mutäbaqa/tadammun/iltizäm in den Fragmentensammlungen nicht belegt zu sein.

" Miftäh al-'ulüm. Ed. Nu'aym ZarzOr. Beirut 1403/1983, S. 329-330.

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dieser Beziehung ist Häzim al-Qartäganm erfolgreicher." Seine Adaptierung von Begriffen aus der arabischen aristotehschen Tradition (al-Färäbi und Ibn Sinä) wurde

mit der ausdrücklichen Absicht vorgenommen, ein festes Fundament für eine Theorie

der Dichtung zu finden. Die zwei grundlegenden Eigenschaften eines Gedichtes sind,

wie bekannt, erstens muhäkät "Nachahmung", was besagt, daß das Gedicht sein Sujet

nachahmt, d.h. durch Nennung seiner Akzidenzien schildert, und zweitens tafjy'd

"Hervorrufung einer Vorstellung", was bedeutet, daß das Gedicht innere Bilder der geschilderten Objekte im Geiste des Hörers oder Lesers hervoiruft. (Das innere Bild ist entweder anziehend oder abstoßend tmd soll auf diese Weise auf Seiten des Hörers eine

entsprechende Handlung auslösen.) Beide Eigenschaften des Gedichts, welche man

übrigens als die zwei Hälften eines einheitlichen Prozesses auffassen kann, werden

herbeigeführt durch eine Aufzählung und wirksame Anordnung einiger akzidenteller

und essentieller Eigenschaften des beschriebenen Dinges sowie der Zustände und

Umstände, in denen es sich gerade befindet, kurzum aller äußerlichen Aspekte des

Dinges, welche für die Sinneswahmehmung offen sind. Das Gegenteil davon, also

nicht-dichterische Rede, bestünde dann im Benennen des Dinges selbst, welches

gleichbedeutend mit dem Nennen seines Wesens ist, um auf diese Weise ein Verstehen {iftiäm) des Dinges, nicht ein Vorstellimgsbild, welches wahr oder falsch sein kann, zu

schaffen. Indem Häzim dem Begriff tatjyil als dem grandlegenden poetischen Prozeß

diese spezielle Bedeutung unterlegt, entfemt er sich von dessen bei den Philosophen anerkannten Bedeutung; diese folgen nämhch einer vermutlich griechischen Tradition, nach der tahyil soviel wie "Bildersprache" oder, genauer gesagt, die "Hervorbringung eines Vorstellungsbildes durch den Gebrauch von Analoga" bedeutet. Infolgedessen wird auch der Parallelbegriff muhäkät als der Gebrauch von Analoga verstanden, seien

es nun Vergleiche, Gleichnisse oder Metaphem. Offenkundig hat Häzim die Bedeutun¬

gen abgewandelt, um die Begriffe besser auf die arabische Situation anwendbar zu

machen.

Die zweite Weise, in welcher die Kritiker dichterische von nicht-dichterischer Rede unterscheiden, beraht auf der Vorstellung der poetischen "Lüge" {kadib). Der grandle¬

gende wa5/-Charakter der arabischen Dichtung würde normalerweise Wahrhaftigkeit

{sidq) verlangen. Trotzdem gibt es eine Reihe von Erscheinungen in der Dichtung, die

sich mit der Forderang nach Wahrhaftigkeit nicht vertragen, obwohl die Dichter bar

jeder Skrapel eine ausgesprochene Vorliebe dafür zeigen. Die Kritiker dagegen,

zumindest einige von ihnen, geben ihren Bedenken deutlichen Ausdrack. Da dieser

" Häzims Grundlegung der Poetik findet sich in einem längeren Kapitel seines Minhäg al-bulagä' wa- siräg al-udabä\ Ed. MUHAMMAD al-HabIb Ibn al-HOGa. Tunis 1966, S. 62-129, übersetzt in: W.

Heinrichs: Arabische Dichtung und griechische Poetik. Beirut 1969, S. 173-262. Zur philosophischen (logischen) Poetik, durch die Häzim in erster Linie angeregt ist, vergleiche man jetzt insbesondere D. L.

Black: Logic and Aristotle's Rhetoric and Poeücs in Medieval Arabic Philosophy. Leiden 1990, S.

180-241.

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Problembereich schon verhältnismäßig gut aufgearbeitet ist," kann man es mit einer

kurzen Aufzählung der für unser Vorhaben wesenthchen Phänomene sein Bewenden

haben lassen:

1. Die "Unwahrheit" der Hyperbel (gulüw). Wie wohlbekannt, berichtet Qudäma über eine hterarische Fehde seiner Zeit hinsichthch der Legitimität der Hyperbel." Wer sie ablehnte, tat dies, um durch das Einhalten der goldenen Mitte (al-iqtisär 'alä l-hadd

al-awsat) Wahrhaftigkeit zu gewährleisten, während die Verteidiger der Hyperbel -

unter ihnen Qudäma selbst - , auch sie darauf bedacht, die grundlegende Forderung

nach Wahrhaftigkeit nicht zu verletzen, selbst die extreme Hyperbel, die in den Bereich des Nichtexistenten übergeht, als ein "Gleichnis" (mithäl) interpretieren.

2. Die "Unwahrheit" der substratlosen Metapher (isti'ära in seiner ursprünglichen Bedeutung, d.h. der Fall, in dem der Dichter z.B. bei der Konstruktion der Metapher

"Klauen des Todes" die "Klauen" von einem Raubtier borgt [ista'ära] und dem Tod als

Leihgabe anvertraut).^° Manche Kritiker waren über das imaginäre Element in diesen

Bildem beunmhigt, in unserem Fall die "Klauen", die kein eigentliches Substrat in der

Wirklichkeit haben. Dies galt besonders für gewisse weithergeholte Metaphem der

abbasidischen "Modeme". Die Kritiker verlangten hier, daß zwischen den beiden

Elementen der Genitivkonstmktion eine Ähnlichkeit bestehen müsse, wie z.B. beim

"Schwert des Blitzes". Obwohl der Begriff "Unwahrheit" (kadib) in diesem Zusam¬

menhang m.W. nirgends gebraucht wird, erklärt sich die Beunmhigung der Kritiker

auch hier daraus, daß man es mit einer Nichtkongmenz von Sprache und Wirklichkeit zu tun hat.

3. "Unwahrheit" in der Form des taljyil "Vorspiegelung" bei 'Abd al-Qähir

al-öur|äni.^' Die Bedeutung dieses Begriffes weicht von demselben Begriff, wie er

von den Philosophen benutzt wird (siehe oben), deutlich ab. "Phantastische Umdeu¬

tung" wäre eine einigermaßen treffende Übersetzung. Diese manifestiert sich u.a. in der

Form von Pseudo-Analogien und Pseudo-Ätiologien, mit anderen Worten: ein

normales Ereignis wird mit einem seltsamen poetischen Beweis oder Gmnd versehen.

Sehr oft basiert sie auf der Naturalisiemng einer Metapher und/oder der Personifizie¬

mng eines unbelebten oder abstrakten Objekts. Als solche ist sie normalerweise erst in

einem fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung der Bildersprache möglich und ist

infolgedessen ein typisches Merkmal der späteren abbasidischen Dichtung. Al-Gurgäni

'* Siehe HEINRICHS: op. cit. (Anm. 17), S. 58-65; J. CHR. Bürgel: "Die beste Dichtung ist die lügenreichste " - Wesen und Bedeutung eines literarischen Streites des arabischen Mittelalters im Uchte komparatistischer Betrachtung. In: Oriens 23-24 (1974), S. 7-102; R. JaCOBI: Dichtung urul Lüge in der arabischen Literaturtheorie. In: Der Islam 49 (1972), S. 85-99.

" NaqdaS-h'r. Ed. S. A. BONEBAKKER. Leiden 1956, S. 24-27.

™ W. Heinrichs: The Hand ofthe Northwind. Opinions on Metaphor and the Early Meaning of Isti'ära in Arabic Poetics. Wiesbaden 1977 (AKM 44,2); DERS.: Paired Metaphors in Muhdath Poetry. In:

Occasional Papers of the School of Abbasid Studies (University of St. Andrews) 1 (1986), S. 1-22.

-' Asrär al-baläga. Ed. H. RnTER. Istanbul 1954, S. 241-273; (jbers. H. RiTTER u.d.T. Die Geheimnisse der Wortkunst. Wiesbaden 1959, S. 283-320; vgl. HEINRICHS: op cit (Anm.l7), S. 61-65; K. ABU DEEB: Al-Jurjäni's Theory of Poetic Imagery. Warminster, Wilts. 1979, S. 157-164.

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war der erste, der dieses Dichtungs-Phänomen entdeckt und beschrieben hat; er hat

auch versuchsweise den überkommenen aphoristischen Grundsatz, daß "die beste

Dichtung die unwahrste" sei, auf solche Dichtung bezogen. Im übrigen sagt er, daß diese "Vorspiegelung" (taliyll) der Dichtung eigentümhch und niu- in Dichtung mög¬

lich sei. Es ist allerdings nicht die einzige Möghchkeit zu dichten: neben der taljylli- Dichtung gibt es die rechte und schlechte Dichtung des "gesunden Menschenver¬

standes" (aqli), welche fem von allen Imaginationen und Täuschungen die schlichte

Wahrheit sagt. In seiner Bewertung dieser beiden Typen von Dichtung scheint

al-Gurgäni zwischen Vemunft und lAebt hin- und hergerissen zu sein. Zwar verteidigt er die Poesie des gesunden Menschenverstandes als die bessere Art, weil er sonst mit

der Lehre von der Uimachahmlichkeit des Korans in Konflikt geraten wäre, aber dann

läßt er ein wahres Panegyrikum auf die Vorspiegelungs-Dichtung folgen, welches seine Verteidigung der Verstandesdichtung Lügen straft. Es ist kein Zweifel, wo al-öur|äni die wahre Dichtung findet.

Die drei angeführten Fälle poetischer Unwahrheit - irreale Hyperbel, substratlose Metapher und phantastische Umdeutung - können zwar analytisch auseinandergehalten

werden; in der Wirkhchkeit manieristischer Dichtung gehen sie oft zusammen und

werden als essentiell poetisch erachtet. Die Idee der poetischen Unwahrheit im Sinne des phantasmagorischen Concettos wurde in Uterarischen Zirkeln so vorhertschend, daß einige Kritiker kategorisch behaupteten, Dichmng sei Unwahrheit. So sagen es Ibn Färis und Ibn Hazm.^^ Keiner von beiden führt den Gedanken weiter aus, aber da beide

u.a. wohlbekannte Dichter waren, kann man mit einiger Sicherheit annehmen, daß die

Allgegenwärtigkeit von tah^yil in der späteren mM/u/a<-Dichtung sie zu dieser Auf¬

fassung veranlaßte. Im gleichen Sinne sagt Abü l-'Alä' al-Ma'arri, daß er in seinen

Luzümiyyät nach Wahrheit und Erbauung trachte und somit keine echte und kräftige

Dichtung hefere." Dies ist ein Gegenpol zu der von Ibn Raäiq geäußerten Ansicht, daß

Dichtung im wesenthchen Beschreibung sei. Gleichwohl kann man sagen, daß poeti¬

sche "Unwahrheiten" des Vorspiegelung-Typs nur dann ästhetisch angenehm und

wirksam sind, wenn der Beschreibungsanspmch aufrechterhalten wird.

Daß Icadib als konstitutives Element der Dichtung aufgefaßt werden kann, ist ganz

deutlich das Ergebnis einer historischen Entwicklung. Ibn Tabätabä hat uns einen

einsichtsvollen Bericht darüber gegeben, der wie folgt zusammengefaßt werden kann:^

Die alten Dichter sagten die Wahrheit in ihren Gedichten, sei es beim Preisen, Tadeln, Sichrühmen, Beschreiben, Locken und Schrecken. "Die Unwahrheh sagen" {kadib) war nach den Regeln der Dichtung nur bei Hyperbeln möglich, aber auch diese mußten den Anschein von Wahrheit haben. Zu Ibn Tabätabäs Zeiten fanden die Dichter nur dann Billigung, wenn sie Subtilität, Originalität, Eloquenz, Witz und Eleganz zu bieten hatten.

^ Ibn Färis: as-Sähibififiqh al-luga. Ed. AS-S. A. SaQR. Kairo o.J. [1977], S. 466; Ibn Hazm: al-Taqrib li-hadd al-mantiq wad-mad(}al ilayh. Ed. I. 'ABBÄS. Beirut o.J. [1959], S. 206.

Al-Luzümiyyäl aw Luzüm mä lä yalzam. Ed. 'AzIZ AFANDl Zand. Kairo 1891, S. 9 und 42.

-" 'lyär aS-Si'r (wie Anm. 7), Ed. al-HäGirI/SalAM, S. 9; Ed. al-MänI', S. 13.

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all dieses ohne Rücksicht auf die Wirklichkeiten (haqä'iq), die mit ihren Worten korre¬

spondierten. Ihre Gedichte, sagt er, sind "gezwungen und entspringen nicht einem natürli¬

chen Talent" (mutakallafa gayr sädira 'an tab' sahih). Letzteres war das Kennzeichen der alten Dichter. Für sie waren Dichtung und Prosa gleichermaßen leicht hervorzubringen.

Drei grundlegende Elemente des literarischen Manierismus sind hier mit bewun¬

dernswerter Klarheit diagnostiziert: 1. die Abwendung der poetischen Sprache von der

Wirklichkeit und die daraus sich ergebende Inzucht, welche immer kompliziertere

Concetti hervorbringt; 2. der Druck des Publikums, welches vom Dichter erwartet, daß er die Sucht der Hörer nach neuen Concetti befriedigt; und 3. die daraus entstehende

"künsthche" Weise der Produktion solcher Dichtung. Der in unserem Zusammenhang interessanteste dieser Grundzüge des Manierismus ist der Verlust von Wirklichkeit und das damit einhergehende Aufkommen hterarischer "Unwafu-heiten" verschiedener Art, welche sich von der Wahrhaftigkeit der Alten scharf absetzen.^' Ibn Tabätabä benutzt den Begriff "Unwahrheit" (kadib) hier nicht ausdrücklich, aber er ist deutlich im¬

pliziert. Da angesichts des Modellcharakters der alten Dichtung ihre Wahrhaftigkeit ebenfalls Modell sein müßte, war das Problem der "Unwahrhaftigkeit", des Fehlens eines wirkhchen Korrelats, für die Kritiker ein äußerst schwieriges, wie die verschiede¬

nen genannten literarischen Fehden bezeugen. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Frage

nach der Legitimität imaginärer Elemente in der Dichtung.

Ein dritter Weg, dichterische Rede zu definieren, wurde von Ibrähim b. Hiläl

as-Säbi (st. 384/994) vorgeschlagen, einem berühmten Staatsschreiber und Literaten,

welcher es in einem kurzen Sendschreiben untemahm, den Unterschied zwischen

Dichtung und Prosa (insbesondere Epistolographie) so zu definieren, daß er der Dich¬

tung "Dunkelheit" (gumüd) und der Prosa "Klarheit" (wudüh) zuschrieb.^' Seine

Begründung war, daß Dichtung wegen der vielen formalen Beschränkungen wie Reim,

Metmm und Kürze der Verszeile verlangte, daß jeder Vers dergestalt sei, daß die darin

ausgedrückte Idee einen verborgenen Schatz darstelle, den der Hörer heben müsse.

Dahingegen erlaubt es die Prosa dem Schreiber, sich frei zu ergehen und klar zu

sprechen. Er fand damit nicht viele Anhänger, da die meisten Kenner der Ansicht

waren, daß Klarheit eine der Konstituenten der baläga sei und daß dies für beide

Künste zutreffe." Es unterliegt allerdings keinem Zweifel, daß viele abbasidische Dichter Dunkelheit in ihrer Dichtung pflegten, so daß Ibn Hiläl as-Säbi in gewisser Weise recht hatte, wenn er "Dunkelheit" zu einer definitorischen Eigenheit der Dich-

S. Sperl: Mannerism in Arabic Poetry. Cambridge 1989, S. 164, spricht von "the discord it [i.e., mannerist style] creates between language and world".

" A. Arazi: Une Epitre d'Ibrähim b. Hiläl al-Säbi sur les genres littiraires. In: Studies in Islamic History and Civilization in Honour of Professor David Ayalon. Ed. M. SHARON. Jerusalem & Leiden 1986, S. 473-505. Das Sendschreiben wurde von späteren Autoren ausgiebig zitiert, hauptsächlich zum Zwecke der Widerlegung. Aus diesem Grunde ist es teilweise übersetzt bei V. Cantarino: Arabic Poetics in the Golden Age: Selection of Texts Accompanied by a Preliminary Study. Leiden 1975, S. 195.

" So vor allem Ibn al-Atir: Matal (wie Anm. 9), S. 340-341; übers, in Cantarino: op. cit (Anm. 26), S. 196.

(10)

tung erklärte. Auf der anderen Seite muß man betonen, daß die wirklich existierende

Dunkelheit keineswegs allumfassend ist: es besteht keine strikte Korrespondenz

zwischen Dunkelheit und dichterischer Rede.^'

Wenn wir auf die verschiedenen hier im Überbhck gebotenen und meist ziemhch

rudimentären Theorien poetischer Sprache zurückbhcken, so ist zimächst zu sagen, daß der Gegenpol zur Poesie zwar die Prosa, aber keineswegs immer die literarische Prosa

ist. Az-Zangäni und Häzim sagen ausdrücklich, daß die nicht-dichterische Rede die

wissenschaftlich-philosophische ist. Das gleiche gilt, wie es scheint, für die Lügen- Theoretiker. Und bei Ibrähim as-Säbi versteht es sich wohl von selbst, daß die Prosa literarischer Natur ist, aber seine Theorie sagt es nicht klar. Des weiteren kann man

feststellen, daß die philosophisch inspirierten Theorien von az-Zangäni und Häzim

al-Qartäganni logisch gut durchgebildet erscheinen, aber zu wünschen übrig lassen,

wenn man sie auf die stark rhetorisierte manieristische Dichtung anwenden möchte,

welche die Hauptleistung der abbasidischen Dichtung ist. (Häzim funkticmiert in dieser Hinsicht besser als az-Zangäni.) Jene Theoretiker, welche "Unwahrheit" und "Dunkel¬

heit" als ihre zentralen Begriffe haben, besitzen ein deuthcheres Gefühl für das kunst¬

volle Geflecht von Wörtem, Motiven und Figuren, welches die "modemen" Dichter der abbasidischen Ära darbieten. Eine allgemeingültige und allseits befriedigende

deskriptive oder generative Beschreibung dichterischer Rede wird nirgends durch¬

geführt, ist aber vielleicht auch gar nicht möghch oder jedenfalls nicht sinnvoll.

^' Zur Frage der Dunkelheit in der klassisch-arabischen Dichtung siehe W. HEINRICHS: Obscurity in Classical Arabic Poetry. In: Mediaevalia: A Joumal of Medieval Studies 19 (1996 [for 1993]), S. 239- 259.

(11)

Zu einigen Versen al-Mutanabbis und Ibn al-'Arabis

Von Peter Bachmann, Göttingen

I

Die im Diwän des muslimischen Denkers, Mystikers und Dichters Muhyi d-din Ibn al-

'Arabi gesammelten Gedichte stammen zumindest zu einem großen Teil aus der

späteren Lebenszeit des Verfassers, also aus den ersten Jahrzehnten des 13. Jh.s. (Ich spreche hier der Einfachheit halber von Ibn al-'Arabi als dem Verfasser dieser Gedich¬

te, obwohl dieser selbst erklärt, er habe seine Werke imter Diktat geschrieben,' ver¬

mittelt habe ihm solche Gedichte eine Inspirationsquelle, die er wärid al-waqt nennt.^) Es ist sicher nicht überraschend, daß sich der Diwän Muhyi d-din Ibn al-'Arabis als

ein Muster dessen erweist, was heute Intertextualität genannt wird, denn Wörter und

Wendungen aus dem Koran und dem Hadit begegnen in diesen Gedichten - als Zitate

gekennzeichnet oder auch nicht - sehr häufig. Ebensowenig dürfte es verwundern, daß

in diesem Diwän Mystiker wie al-öunaid genannt werden oder daß mehrfach auf Sätze

und Verse, ja zumindest eirunal auf ein ganzes Gedicht von al-Hallä| angespielt wird.'

Nicht unbedingt zu erwarten ist aber, daß wir in dem Diwän des Gottesmannes auch

Wendungen und ganzen Versen al-Mutanabbis begegnen.

So zitiert Ibn al-'Arabi mitten in einer eigenen qasida den ersten Halbvers einer qasida al-Mutanabbis - es ist das berühmte laki yä manäzilu fil-qulübi manäzilü oder er antwortet auf eine qit'a al-Mutanabbls, in der dieser sich zum Standhalten

gegenüber den bösartigen Angriffen der Schicksalszeit mahnt, mit einem eigenen

Gedicht, in dem er dazu aufruft, das Wirken der Zeit gerecht zu beurteilen, ja ihr

Wirken als überwiegend positiv zu befrachten, denn, wie Ibn al-'Arabi unter Ein¬

beziehung eines hadit qudsi in seinem Schlußvers sagt:

"Der, der die (Schicksalszeit) geschaffen hat, hat sie freigekauft, (indem er) sich selbst

' Diwän Ibn 'Arabi .... Büläq 1271/ 1855, hier: S. 339.

^Ibid., S. 179.

'Ibid,S. 2.

* Ibid., S. 244. - Die Texte al-MutanabbTs beziehe ich aus: Diwän Abi t-Taiyib al-Mutanabbl bi-Sarh Abi l-Baqä' al-'Ukbari. 4 Bde. Ed. MUSTAFA as-Saqqä' et alii. Kairo 1376/ 1956 [= al-'Ukbari]. Der hier zitierte Vers steht bei al-'Ukbari, Bd. 3, S. 249.

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