A
llen operierten Patienten mit Tumorerkrankungen wird in der Bundesrepublik Deutsch- land sowohl von ärztlichen Standesorganisationen als auch von den Sozialversicherungsträgern ein aufwendiges postoperatives Nachsor- geprogramm empfohlen (22). Ob ein derartiges Vorgehen aber die Prognose des Tumorleidens verbessert oder ko- sten/nutzeneffektiv ist, bleibt umstrit- ten und wird gelegentlich angezweifelt (23). Ursache für eine derartige Skepsis ist der Mangel an Daten, die beweisen würden, daß Nachsorgeuntersuchun- gen Tumorrezidive in einem behandel- baren Stadium entdecken und damit zu einer entscheidenden Lebensverlänge- rung der betroffenen Patienten führen.Besonders fragwürdig erscheinen da- bei Art und Umfang der bisher emp- fohlenen Nachsorgeprogramme für Tumoren des Gastrointestinaltraktes.
So profitieren beispielsweise weniger als zwei Prozent aller Patienten mit re- zidivierendem Magenkarzinom von ei- ner Reoperation (27), und von keinem der etablierten Nachsorgeprogramme ist bewiesen worden, daß es die Über- lebensrate dieser Patienten verbessert (14). Eine Ausnahme für den Mangel an erwiesener Effektivität postoperati- ver Nachsorgeprogramme scheint das kolorektale Karzinom zu sein. Hier ak- kumulieren zur Zeit Daten, die die Ef- fektivität eines derartigen Programms möglich erscheinen lassen. Die nach- folgende Analyse soll darlegen, mit welchen Fakten diese Effektivität be- legt ist, welche Patienten am ehesten von der postoperativen Nachsorge pro- fitieren und wie die Kosten/Nutzenef- fektivität des zur Zeit empfohlenen Programms (Tabelle 1)verbessert wer- den kann.
Auswirkung des
Nachsorgeprogramms auf die Prognose
Ziel des Nachsorgeprogramms ist es, Tumorrezidive in einem frühen, asymptomatischen Stadium zu ent-
decken und damit die Prognose der betroffenen Patienten zu verbessern.
Ob diese Erwartungen allerdings er- füllt werden, kann nur beurteilt wer- den, wenn man dem klinischen Ver- lauf von Patienten nachgeht, die mit unterschiedlicher Intensität nachbe- obachtet wurden. Leider liegen zu dieser Fragestellung bis heute nur
zwei prospektive und randomisierte Studien vor (31, 44), die infolge ihrer kleinen Fallzahl noch keine endgülti- gen Schlußfolgerungen zulassen. Zu- sätzliche, in ihrer Aussagekraft aber weniger zuverlässige Informationen über die Effektivität von Nachsorge- untersuchungen beim kolorektalen Karzinom lassen sich aus der Vielzahl der bisher publizierten retrospektiven Untersuchungen gewinnen. In einer kürzlich von Bruinvels et al. publizier- ten Metaanalyse (6) sind die Ergeb- nisse von sieben derartigen Studien (1, 16, 20, 35, 46, 48, 59) zusammenge- faßt worden, wobei sich im Mittel für nachbeobachtete Patienten eine Ver- besserung der Fünf-Jahres-Überle- bensrate um neun Prozent ergab. Die Aussage dieser Metaanalyse ist aber infolge der Inhomogenität der unter- suchten Patientenkollektive einge- schränkt. So wurden als Kontroll- gruppe Patienten mit keiner (1, 46, 48) und „minimaler“ Nachsorge (16, 20, 35, 59) definiert, während bei Pati- enten mit intensiver Nachsorge die Frage der Compliance unzureichend beantwortet war. Darüber hinaus war die Aussagekraft einiger Studien durch die Tatsache begrenzt, daß hi- storische Kontrollen verwandt wur- den (16, 20, 59) oder daß Aussagen über die Überlebensraten sich nur auf ein Teilkollektiv bezogen (1).
Seit der von Bruinvels publizier- ten Metaanalyse sind die oben ge- nannten prospektiven (31, 44) Stu- dien sowie zwei weitere retrospektive Untersuchungen erschienen (15, 40).
Wie aus Tabelle 2 ersichtlich, gelten bezüglich der Homogenität der unter- suchten Kollektive auch für diese Stu- dien ähnliche Einschränkungen wie für alle übrigen bis dahin publizierten Untersuchungen. Eine Metaanalyse der bisherigen Daten erscheint daher aus unserer Sicht nicht durchführbar und beinhaltet die Gefahr einer allzu voreiligen und möglicherweise unbe- rechtigten Schlußfolgerung.
Trotz derartiger Bedenken ist aber bei gemeinsamer Betrachtung der Da- ten ein Trend erkennbar, der zu vor-
Nachsorge beim
kolorektalen Karzinom
Volker F. Eckardt Gudrun Bernhard
Die Effektivität eines Nachsorgepro- gramms beim kolorektalen Karzinom erscheint möglich, ist aber nicht endgül- tig bewiesen. Nur eine prospektive ran- domisierte Studie mit ausreichender Pa- tientenzahl, die bis zum heutigen Tag nicht vorliegt, könnte diesen Beweis er- bringen. Bisherige Untersuchungen las- sen lediglich vermuten, daß einige Pati- enten von einem Nachsorgeprogramm profitieren, indem sie durch Früherken- nung von Tumorrezidiven eine Lebens- verlängerung erfahren. Berücksichtigt man aber bisher publizierte Fakten über die Häufigkeit von Tumorrezidiven und die Effektivität einzelner diagnostischer Maßnahmen, dann ist es unwahrschein- lich, daß die augenblicklich in der Bun- desrepublik Deutschland existieren- den Empfehlungen zur Tumornachsorge beim kolorektalen Karzinom kosten/
nutzeneffektiv sind. Durch eine Verein- fachung des Untersuchungsprogramms und seine Beschränkung auf Risikogrup- pen könnten die Kosten mehr als hal- biert werden, ohne daß die Effektivi- tät dieser Maßnahme gemindert wird.
Gastroenterologische Fachpraxis Wiesbaden
Eine Analyse von
Effektivität und Kosten
Tabelle 1
In Deutschland derzeit übliches Nachsorgeprogramm beim kolorektalen Karzinom
Test 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr
Monat 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48 51 54 57 60
Anamnese und
Untersuchung 3 3 3 3 3 3 3 3 3
CEA 3 3 3 3 3 3 3 3 3
„Routinelabor“ 3 3 3 3 3 3 3 3 3
Sonographie 3 3 3 3 3 3 3 3 3
Thoraxaufnahme 3 3 3 3 3
Sigmoidoskopie beim
Rektumkarzinom 3 3 3 3
Hohe Koloskopie 3 3 3 3 3
Tabelle 2
Kontrollierte Studien zur Effektivität der Tumornachsorge
Studie Jahr Nachsorge- Operations- Zahl der „Kurative“ 5-Jahres-
programm zeitpunkt Patienten Reoperationen (%) Überlebensrate (%) Retrospektive Studien mit historischen Kontrollen und/oder Studien mit Analysen von Teilkollektiven
Adloff et al 1989 intensiv 1973–84 322 33 33
minimal 1973–84 587 8 8
Ekman et al. 1977 intensiv 1968–72 158 46
kein 1964–67 124 53
Fucini et al. 1985 intensiv 1979–81 42 29 51*
kein 1976–78 49 0 36*
Müller et al. 1994 intensiv 1977–? 311 25 61
kein vor 1977 311 31 67
Törnqvist et al. 1982 intensiv 1973–77 383 13
Berge et al. 1973 minimal 1958–67 595 17
Retrospektive Studien mit „simultanen“ Kontrollen
Eckardt et al. 1994 intensiv 1978–87 88 46 80
minimal 1978–87 124 7 59
Mentges et al. 1988 intensiv 1970–80 238 37 57
minimal 1970–80 121 17 46
Ovaska et al. 1990 intensiv 1976–85 368 21 72
kein 1976–85 139 7 62
Pugliese et al. 1984 intensiv 1973–79 115 62
kein 1973–79 62 50
Prospektive randomisierte Studien
Mäkelä et al. 1995 intensiv 1988–90 52 22 59
minimal 1988–90 54 14 54
Ohlsson et al. 1995 intensiv 1983–86 53 25 75
kein 1983–86 54 17 67
*) 4-Jahre-Überlebensrate wurde auf 5 Jahre hochgerechnet
sichtigem Optimismus berechtigt. Be- trachtet man beispielsweise die Häufig- keit „kurativer“ Rezidivoperationen, dann läßt sich ein deutlicher Vorteil für nachbeobachtete Pati-
enten erkennen. Etwa ein Drittel aller Patien- ten, bei denen im Zu- sammenhang mit Nach- sorgeuntersuchungen Tumorrezidive erkannt werden, können noch einmal unter kurativen Gesichtspunkten ope- riert werden. Bei Pati- enten mit keiner oder nur unregelmäßiger Nachuntersuchung ist dies deutlich seltener der Fall. In sieben von neun Vergleichsstudien (Grafik 1) war die Re- operationsrate in der letztgenannten Gruppe geringer als bei nachbe- obachteten Patienten
und betrug in der Mehrheit weniger als 20 Prozent.
Den an einem kolorektalen Kar- zinom erkrankten Patienten interes- siert aber weniger die Frage, wie häu- fig und ausgiebig er an einem mögli- chen Rezidiv erneut operiert werden kann, sondern eher, ob sich seine Mit- arbeit am Nachsorgeprogramm in ei- ner Lebensverlängerung auswirkt. Ge- rade aber in dieser Frage ist die Be- weisführung schwierig. Dies liegt nicht nur an dem unzureichenden Studien- aufbau und begrenzten Patientenkol- lektiv bisheriger Studien, sondern vor allen Dingen auch an der Art der mit- geteilten Ergebnisse. So beziehen sich die Aussagen nicht immer auf das gesamte Patientenkollektiv, son- dern gelegentlich nur auf solche Patienten, bei denen Rezidive auftraten (1). In anderen Unter- suchungen wurden wiederum die Überlebensraten nicht nach fünf, sondern nur nach vier Jahren (20) ermittelt. In Grafik 2 sind daher nur jene Studien aufgeführt, die keine historischen Kontrollen verwandten und die sich nicht auf die Darstellung von Teilkollekti- ven beschränkten. Betrachtet man allerdings die Unterschiede in den Überlebensraten unter- schiedlicher Kollektive in diesen
ausgewählten Studien, dann fällt trotz fehlender Signifikanz von Einzeler- gebnissen wiederum ein einheitlicher Trend auf, nämlich, daß nachunter-
suchte Patienten eine geringe Verlän- gerung der Lebenserwartung aufwei- sen. Zwar ist aus den oben genannten Gründen auch aus diesen Daten keine endgültige Schlußfolgerung über die Effektivität von Nachsorgeuntersu- chungen beim kolorektalen Karzinom abzuleiten, eine entsprechende Hypo- these erscheint jedoch gut begründet.
Indikationen für eine Tumornachsorge
Wenn auch die Hoffnung berech- tigt erscheint, daß regelmäßige post- operative Kontrolluntersuchungen die
Prognose von Patienten mit kolorekta- lem Karzinom in begrenztem Maße verbessern, so ist es nicht wahrschein- lich, daß dies für alle operierten Pati- enten zutrifft. Da operative Maß- nahmen die einzige realistische Möglichkeit darstellen, Tumorre- zidive mit kurativer Intention zu behandeln, sollten nur solche Patienten nachuntersucht wer- den, deren Allgemeinzustand und Lebenserwartung einen erneu- ten derartigen Eingriff zulassen würden. Darüber hinaus sind Nachuntersuchungen natürlich auch dann nicht indiziert, wenn der erste operative Eingriff nicht unter kurativen Gesichtspunkten erfolgte oder gar eine unbehan- delbare Metastasierung nachge- wiesen wurde.
Selbst bei Erstoperationen mit kurativer Zielsetzung ist die undifferenzierte Empfehlung zur Durchführung eines Nach- sorgeprogramms beim kolorek- talen Karzinom problematisch und wenig kosten/nutzeneffektiv. So ha- ben beispielsweise Patienten, deren Primärtumoren auf Mukosa und Sub- mukosa beschränkt waren (Dukes’- A-Stadium), eine Fünf-Jahres-Über- lebensrate von über 85 Prozent und damit eine normale Lebenserwar- tung (17, 43).
Es wäre wenig realitätsnah, an- zunehmen, daß eine derartig günsti- ge Prognose durch irgendeine Inter- vention zu verbessern ist. Dement- sprechend haben längerfristige Ver- laufsbeobachtungen bei Patienten mit gesicherten „Dukes’-A“-Tumo- ren nur in Ausnahmefällen Rezidive (9, 37, 44, 50) nachwei- sen können. Damit stellt sich die Indika- tion für Nachsorgeun- tersuchungen zur Zeit in erster Linie bei Patienten mit fortge- schrittenen Tumoren (Dukes’ B und C), und selbst für sie könnte schon bald eine weite- re Eingrenzung erfol- gen, wenn nämlich molekular-genetische Tests Eingang in den klinischen Alltag ge- funden haben. Auf Adloff 1989
Eckardt 1994 Fucini 1985 Mäkelä 1995 Mentges 1987 Müller 1994 Ohlsson 1995 Ovaska 1990 Törnqvist 1982
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
% Patienten mit Rezidiven
nachuntersuchte Patienten Kontrollen Grafik 1
Prozentualer Anteil aller Patienten mit Rezidiven, die noch einer Operation zuge- führt werden können. Patienten, die zu Nachsorgeuntersuchungen erscheinen, können in der Mehrheit aller Studien (1, 15, 20, 31, 34, 44, 46, 59) häufiger er- neut mit kurativer Intention operiert werden.
Eckardt 1994 Mentges 1987 Ovaska 1984 Pugliese 1984 Mäkelä 1995 Ohlsson 1995
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
% 5-Jahres-Überlebensrate
Retrospektiv Prospektiv Grafik 2
Differenz der Fünf-Jahres-Überlebensraten zwischen Patienten, die zu Nachsorge- untersuchungen erschienen und nicht erschienen. Die Angaben beziehen sich aus- schließlich auf retrospektive Untersuchungen mit „simultanen“ Kontrollen sowie prospektive randomisierte Studien.
diese mögliche Entwicklung weist eine kürzlich publizierte Untersu- chung hin, in der Patienten mit
„Dukes’-B“-Tumoren, die keine De- letion des langen Armes von Chro- mosom 18 nachwiesen, ebenfalls eine normale Lebenserwartung aufwie- sen (26, 53).
Dauer und Häufigkeit der Nachbeobachtung
Die Dauer der notwendigen Nachuntersuchungen hat sich nach der Wahrscheinlichkeit
zu richten, mit der Tu- morrezidive in den Jahren nach der Erst- operation auftreten.
Bisher publizierte Da- ten geben diesbezüg- lich ein ungewöhnlich einheitliches Bild (2, 7, 9, 10, 31, 34, 45, 50, 51, 52, 59, 62, 63, 64). Da- nach treten etwa 70 Prozent aller Tumorre- zidive innerhalb der er- sten beiden postopera- tiven Jahre auf, und mehr als 90 Prozent werden bis zum vierten Beobachtungsjahr be- schrieben (Grafik 3).
Derartige Zahlen bele- gen, daß die derzeit geübte Praxis, intensi- ve Verlaufsbeobach- tungen mit dem fünf- ten postoperativen Jahr zu beenden, ge- rechtfertigt ist. Es stellt sich aber die Frage, ob
die bisher empfohlenen häufigen Untersuchungsintervalle im ersten postoperativen Jahr effektiv und realitätsnah sind. In sechs von zehn Studien, die den Zeitpunkt der Er- kennung von Tumorrezidiven be- schrieben, fand sich kein einziges Tumorrezidiv vor dem vierten post- operativen Monat (1, 4, 7, 10, 21, 44, 47, 51, 62, 64). Frührezidive, die durch Verlaufsbeobachtungen zu er- kennen sind, stellen damit eine Ra- rität dar und betreffen offenbar we- niger als ein Prozent aller operierter Patienten (55). Darüber hinaus ist es kaum wahrscheinlich, daß eine Ver-
zögerung der Rezidivdiagnose um wenige Monate die Prognose der be- troffenen Patienten beeinträchtigt.
Rezidive, die noch unter kurativen Gesichtspunkten zu operieren sind, weisen in der Regel ein so langsames Wachstum auf, daß der Zeitfaktor nicht unbedingt für die Prognose entscheidend ist (8).
Die bisher empfohlene viertel- jährliche Untersuchungsfrequenz im ersten Jahr nach der Operation ist daher nicht nur wenig effektiv, son- dern es muß sogar befürchtet wer- den, daß sie einige Patienten davon
abhält, an Nachsorgeuntersuchun- gen überhaupt teilzunehmen. So mußten wir in einer vorausgehenden Untersuchung feststellen, daß vier- teljährliche Untersuchungstermine nur von einer Minderheit der Patien- ten eingehalten wurden, während sich bei größeren Untersuchungsin- tervallen die Compliance deutlich verbesserte (13). Von einer Redukti- on der Untersuchungsfrequenz im ersten postoperativen Jahr ist daher zu erwarten, daß sie die Kosten des Nachsorgeprogramms reduziert, oh- ne seine Effektivität wesentlich zu beeinträchtigen.
Untersuchungsspektrum bei der Tumornachsorge
Anamnese und Untersuchungsbefund
Die Frage nach der Art notwen- diger Nachuntersuchungen beim ko- lorektalen Karzinom läßt sich am be- sten beantworten, wenn man die bis- her publizierten Daten zur Treffsi- cherheit unterschiedlicher Tests be- trachtet. So geben zahlreiche Unter- suchungen darüber Auskunft, mit welcher Häufigkeit bestimmte dia- gnostische Maßnahmen die er- ste Aufmerksamkeit auf das Vorhandensein eines Tumorre- zidivs lenkten (9, 12, 31, 44, 45, 56). Wie die in Tabelle 3zusam- mengefaßten Daten zeigen, gehören zu den wichtigsten Maßnahmen die Anamneseer- hebung und der körperliche Un- tersuchungsbefund, eine Beob- achtung, die die Frage aufwirft, ob nicht in vielen Fällen Hinwei- se aus dem Befinden des Patien- ten und nicht die routinemäßige Untersuchung die Rezidiver- kennung bewirkte. In jedem Fall aber zeigen diese Daten, daß die kostenarme Anamneseerhe- bung für die Tumorfrüherken- nung von außerordentlicher Be- deutung ist.
Laboruntersuchungen Mit ähnlicher Häufigkeit wie der klinische Befund führt die Serum-CEA-Bestimmung zu einer Früherkennung von Tumorrezidiven. Allerdings be- wirkt die eingeschränkte Spezifi- tät dieses Testes auch bei einigen rezidivfreien Patienten eine Fülle von Nachfolgeuntersuchungen, die die Kosten/Nutzeneffektivität eines Nachsorgeprogramms ungünstig be- einflussen können. Auf die Problema- tik der routinemäßigen Serum-CEA- Bestimmung haben kürzlich Moertel et al. hingewiesen (38), indem sie dar- legten, daß durch die regelmäßige Durchführung dieses Tests die Ein- Jahres-Überlebensrate aller operier- ten Patienten mit kolorektalem Kar- zinom nur um 0,3 Prozent verbessert werden kann. Bei dieser Analyse 0 1 2 3 4 5
Jahre 100
80
60
40
20
0
% aller Rezidive Grafik 3
Zeitpunkt des Auftretens von Tumorrezidiven nach der Erstoperation. Jeder Punkt repräsentiert eine in der analysierten Literatur gefundene Angabe (2, 7, 9, 10, 31, 34, 45, 50, 52, 59, 62, 63, 64). Etwa 70 Prozent aller Rezidive treten innerhalb der ersten beiden postoperativen Jahre auf.
blieb allerdings unberücksichtigt, daß gleichzeitig eine Vielzahl anderer Un- tersuchungen erfolgte, so daß unklar ist, welchen Effekt die Serum-CEA- Bestimmung bei einem mehr be- grenzten Nachsorgeprotokoll hätte.
In jedem Fall weisen derartige Unter- suchungen aber darauf hin, wie pro- blematisch sich eine Ausweitung der
Labordiagnostik im Rahmen der Nachsorge gestalten kann. So ist von der häufig geübten Praxis, nicht nur den Serum-CEA-Wert, sondern auch weitaus unspezifischere Tumormar- ker wie CA-19-9 und TPA zu bestim- men, nur eine weitere Verschlechte- rung des Kosten/Nutzen-Verhältnis- ses zu erwarten. Ein isolierter Anstieg des Ca-19-9-Wertes ist beim kolorek- talen Karzinom eine Rarität und fin- det sich mit gleicher Häufigkeit bei Patienten mit und ohne Tumorrezidiv (55). Ähnlich problematisch erscheint die augenblickliche Empfehlung zur regelmäßigen Bestimmung von Le- berfunktionsproben und anderen
„Routine-Laboruntersuchungen“.
Nahezu alle Patienten mit Tumor- rezidiven, bei denen diese Untersu- chungen einen pathologischen Test er- geben, weisen gleichzeitig eine CEA- Wert-Erhöhung oder andere im Routi- neprogramm zu erkennende Patholo- gica auf (5, 50, 63, 65). Die Beibehal- tung dieser Bestimmungsmethoden im Nachsorgeprogramm bewirkt somit Kosten, die nicht durch einen diagno- stischen, geschweige denn durch einen
prognostischen Zugewinn zu rechtfer- tigen sind.
Endoskopische Untersuchungen
Als ein wesentlicher Bestandteil des Nachsorgeprogramms bei Patien- ten mit kolorektalem Karzinom wird
die regelmäßige Durchführung von endoskopischen Untersuchungen eingestuft. Ihr Ziel ist es, intralumi- nale Rezidive und metachrone Tu-
moren frühzeitig zu erkennen. Ge- rechtfertigt wird dieses Vorgehen durch die Beobachtung, daß Anasto- mosenrezidive in fünf bis 15 Prozent aller kurativ operierter Patienten auf-
treten (1, 7, 10, 15, 28, 32, 33, 42, 60, 62, 64) und metachrone Karzinome in zwei bis fünf Prozent (1, 10, 30, 36, 41, 45, 52, 58, 59). Allerdings kann dar- aus nicht die Schlußfolgerung gezo- gen werden, daß jährliche Koloskopi- en ein unabdingbarer Bestandteil des Nachsorgeprogramms sein sollten.
Die große Mehrheit lokoregionärer Rezidive tritt nicht bei Patienten mit operierten Kolonkarzinomen auf, sondern bei Patienten mit operierten Rektumkarzinomen. Darüber hinaus wachsen Lokalrezidive von Kolon- karzinomen zunächst extraluminal, und nur etwa zehn Prozent von ihnen wachsen sekundär in die Kolonmu- kosa ein (7, 59). Dementsprechend führen endoskopische Untersuchun- gen am seltensten als erste diagnosti- sche Maßnahme zur Erkennung eines Tumorrezidivs (Tabelle 3). Es ist da- her wenig verständlich, daß die au- genblicklichen Empfehlungen zur Nachsorge nicht nur häufige Sig- moidoskopien bei operierten Rek- tumkarzinomen beinhalten, sondern auch jährliche Koloskopien.
Natürlich kann eingewandt wer- den, daß die Koloskopie nicht nur die Erkennung von Anastomoserezi- diven bezweckt, sondern auch die von metachronen Tumoren. Deren Wachstumsgeschwindigkeit ist aber so gering, daß jährliche Koloskopien
als Nachsorgemaßnahme schwer zu rechtfertigen sind (66). Empfehlun- gen amerikanischer Gesellschaften, Koloskopien nur nach Ablauf des er- sten Jahres und später in dreijährli- Tabelle 3
Anteil der Tumorrezidive, die durch einzelne diagnostische Maßnahmen identifiziert wurden
Autor Anamnese CEA Sonographie/ Röntgen Endoskopie
und Befund CT des Thorax
Camunas 1991 49 % 29 % 2 % 7 % 2 %
Deveney 1984 48 % 13 % 39 %
Mäkelä 1995 16 % 47 % 14 % 7 % 9 %
Ohlsson 1995 47 % 41 % 0 % 6 %
Ovaska 1989 47 % 24 % 18%
Rocklin 1990 47 % 29 % 18 %
Sugarbaker
1987 21 % 67 % 6 % 3 %
Median 47 % 41 % 10 % 7 % 6 %
Kalkulierte Kosten für das in Deutschland empfohlene
Nachsorgeprogramm Untersuchungskosten
pro Patient
(5 Jahre) 2 700 DM
zirka 35 000 kurativ operierte
Patienten 95 000 000 DM zirka 30 Prozent
Nichtteilnehmer – 28 500 000 DM zirka 10 Prozent
jährlich versterbende
Patienten – 19 000 000 DM Gesamtkosten 47 500 000 DM
Kalkulierte jährliche Kosten eines „rationalisierten“
Nachsorgeprogramms Bisherige
Gesamtkosten 47 500 000 DM zirka 10 Prozent
unnötige Unter-
suchungstermine 2 4 750 000 DM zirka 30 Prozent
ineffektive Unter-
suchungen 214 250 000 DM zirka 20 Prozent
Patienten ohne
Rezidivrisiko 2 9 500 000 DM Gesamtkosten zirka 19 000 000 DM
chen Intervallen durchzuführen (18, 57, 62), sind daher sehr viel besser durch wissenschaftliche Fakten be- legt als das in der Bundesrepublik Deutschland gewählte Vorgehen.
Sonographien und Thorax-Aufnahmen
Etwa 20 Prozent aller unter ku- rativen Gesichtspunkten operierten Patienten mit kolorektalem Karzi- nom entwickeln im weiteren Verlauf
Lebermetastasen (1, 11) und etwa zehn Prozent Lungenmetastasen (1).
Bleiben diese unbehandelt, dann ist die Fünf-Jahres-Überlebensrate der betroffenen Patienten geringer als fünf Prozent (11, 49). Ganz anders stellt sich dagegen die Prognose für Patienten dar, bei denen derartige Metastasen in einem frühen Stadium erkannt und einer Operation zuge- führt werden.
Ein Drittel dieser Patienten überlebt mehr als fünf Jahre (11, 24, 29, 39, 49). Relativiert wird dieses günstige Ergebnis der chirurgischen Therapie allerdings durch die Tatsa- che, daß maximal 30 Prozent aller bei Routineuntersuchungen entdeckten Metastasen noch einer Operation zu- geführt werden können (8). Im gün- stigsten Falle werden daher nur etwa zehn Prozent aller Patienten mit Me- tastasen von einer Nachsorgeunter-
suchung profitieren, indem sie zu Langzeitüberlebenden werden.
Entschließt man sich zur regel- mäßigen Durchführung von Sono- graphien und Thorax-Aufnahmen, dann erscheinen jährliche Untersu- chungsintervalle, anders als bei den Empfehlungen zur Koloskopie, gut durch wissenschaftliche Daten be- gründet zu sein. Sowohl Leber- als auch Lungenmetastasen treten häu- fig später auf als Lokalrezidive (1, 39). Zumindest für Lebermetastasen
ist gezeigt worden, daß der Erfolg ih- rer Therapie sich nicht verschlech- tert, wenn sie erst Jahre nach der Diagnose des Primärtumors erkannt werden (19).
Patienten, bei denen Leberme- tastasen mit mehr als einjähriger Verzögerung nach der Erstoperation auftreten, weisen sogar eine bessere Prognose auf als solche, deren Meta- stasen bereits zum Zeitpunkt der Diagnose des Primärtumors vorhan- den sind (29, 49).
Kosten des
Nachsorgeprogramms
Für den sozialversicherten Pati- enten, der sich strikt an die gegebe- nen Empfehlungen zur Nachsorge hält, betragen die mit einem derarti- gen Programm (Tabelle 1)verbunde-
nen gesamten Untersuchungskosten etwa 2 700 DM.
Geht man von diesen Zahlen und dem publizierten Datenmaterial aus, dann lassen sich die für das Nachsorgeprogramm beim kolorek- talen Karzinom jährlich anfallenden Gesamtkosten wie folgt ermitteln:
Im Bundesgebiet erkranken jährlich etwa 50 000 Personen an einem Ko- lonkarzinom (54), und ungefähr 70 Prozent von ihnen können unter ku- rativen Gesichtspunkten operiert
werden (3). Theoretisch würden da- mit jedes Jahr 35 000 neue Patienten in ein Nachsorgeprogramm eintre- ten, was zu Gesamtkosten von 95 Millionen DM pro Jahr führen könn- te. Diese Zahlen reduzieren sich aber durch die Tatsache, daß nur et- wa 70 Prozent der betroffenen Pati- enten am Nachsorgeprogramm teil- nehmen und daß jedes Jahr ungefähr zehn Prozent von ihnen versterben.
Berücksichtigt man diese Fakten, dann entstehen durch Nachsorgeun- tersuchungen beim kolorektalen Karzinom jedes Jahr Gesamtkosten von zirka 50 Millionen DM (Text- kasten: Empfohlenes Nachsorgepro- gramm).
Derartige Schätzungen sind als konservativ anzusehen, da sie Se- kundärkosten, wie sie beispielsweise durch Arbeitsausfall entstehen, un- berücksichtigt lassen.
Tabelle 4
Modifiziertes Nachsorgeprogramm beim kolorektalen Karzinom
Test 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr
Monat 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48 51 54 57 60
Anamnese und
Untersuchung 3 3 3 3 3 3 3
CEA 3 3 3 3 3 3 3
Sonographie 3 3 3 3 3 3 3
Thoraxaufnahme 3 3 3 3 3
Sigmoidoskopie beim
Rektumkarzinom 3 3 3 3 3
Hohe Koloskopie 3 3
Eliminiert wurden allzu engmaschige Untersuchungsintervalle sowie diagnostische Maßnahmen, die für die Rezidivfrüherkennung keine zusätzliche Information liefern.
Wenn man bedenkt, daß die Ef- fektivität eines derartigen Nachsor- geprogramms zur Zeit nur ungenü- gend erwiesen ist und daß wahr- scheinlich nur wenige Patienten da- von profitieren, dann sollte jede An- strengung unternommen werden, um die ökonomischen Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem so ge- ring wie möglich zu halten. Dies könnte geschehen, indem man das Programm auf jene Untersuchungen reduziert, die erwiesenermaßen zur Tumorfrüherkennung beitragen, und dabei nur solche Patienten berück- sichtigt, die ein Risiko für die Rezidiventstehung aufweisen (Tabel-
le 4).So ließen sich die Kosten des Nachsorgeprogramms durch eine Reduzierung der allzu häufigen Un- tersuchungsfolge im ersten Jahr um zehn Prozent, durch Vermeidung unnötiger Laboruntersuchungen und Endoskopien um ein Drittel und durch Ausschluß von Patienten mit Dukes’-A-Tumoren um weitere 20 Prozent senken (Textkasten: Rationa- lisiertes Nachsorgeprogramm). Ein derartiges Vorgehen würde die Ko- sten des gesamten Untersuchungs- programms mindestens halbieren, ohne daß eine Beeinträchtigung sei- ner Effektivität befürchtet werden muß.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-456–462 [Heft 8]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschriften der Verfasser:
Prof. Dr. med. Volker F. Eckardt Dotzheimer Straße 14–18 65185 Wiesbaden
Dr. rer. physiol. Gudrun Bernhard Le Mêle-Straße 26
61462 Königstein
Im Jahre 1990 gab es eine erste Studie über die Praktizierung von Sterbehilfe in den Niederlanden, und gleichzeitig wurde eine gesetzliche Re- gelung getroffen, die sowohl die passi- ve als auch die aktive Sterbehilfe in ei- nem gewissen Umfang reglementierte und straffrei stellte. Nach fünf Jahren sind nun die Effekte dieser Regelung quantitativ neu erforscht worden.
Im Auftrag des Gesundheits- und des Justizministeriums hat die Auto- rengruppe zum einen eine Interview- studie bei 405 randomisiert ausge- wählten Ärzten (a) durchgeführt. Des weiteren wurde eine Fragebogenstu- die (b) bei denjenigen Ärzten durch- geführt, die ebenfalls randomisiert ausgesuchte Todesfälle (6 060) be- treut hatten.
Beide Studien brachten einiger- maßen gleichmäßige Ergebnisse – nicht alle jedoch hatten auch Vergleichszah- len zu der Studie von 1990, trotz der prinzipiell gleichen Studienanlage.
1995 wurde bei 2,3 Prozent in der Studie (a) aktive Sterbehilfe („Eu- thanasie“) festgestellt, bei 2,4 Prozent in der Studie (b). Fünf Jahre früher waren es 1,9 beziehungsweise 1,7 Pro- zent. Freitod mit ärztlicher Hilfe war in beiden Studien von 0,2 auf 0,4 Pro- zent angestiegen. Bei 0,7 Prozent der Sterbefälle hatte sowohl 1990 wie 1995 keine Einwilligung des Patienten vorgelegen. Bezüglich passiver Ster- behilfe durch Verabreichung hoher Dosen von Opioiden ergaben sich
widersprüchliche Zahlen, wenn auch in geringen Grenzen – die Ärztestudie zeigt einen Rückgang von 16,3 auf 14,7 Prozent, die Todesfall-Dokumen- tation einen Anstieg von 18,8 auf 19,1 Prozent. Nur in der zweiten Studie sind Therapieabbrüche erfaßt: Sie stiegen von 17,9 auf 20,2 Prozent im Fünfjahres-Zeitraum.
In mehr als der Hälfte der Fälle wurde bei allen Kategorien der Ster- behilfe die Verkürzung des Sterbepro- zesses um weniger als eine Woche ein- geschätzt; bei der aktiven Sterbehilfe („Euthanasie“ und ärztlich gestützter Freitod) rechnete man immerhin noch bei 32 Prozent der Fälle mit
„verlorenen“ Überlebenszeiten von bis zu einem Monat, ebenso bei Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen in 15 Prozent der Fälle.
Die Autoren glauben, der Ver- gleich der Untersuchungen von 1990 und 1995 zeige, daß die Regelungen über die Straflosigkeit lebensverkür- zender ärztlicher Maßnahmen nicht zu einem „Rutschbahneffekt“ in dem Sin- ne geführt hätten, daß nun hemmungs- loser als zuvor in den Niederlanden Euthanasie betrieben würde. bt Van der Maas PJ et al.: Euthanasia, phy- sician-assisted suicide, and other medical practices involving the end of life in the Netherlands, 1990–1995. N Eng J Med 1996; 5: 1669–1705
Dr. Paul J van der Maas, Department of Public Health, Erasmus University, PO Box 1738, 3000 DR Rotterdam, Nieder- lande
Sterbehilfe in den Niederlanden
Die meisten Patienten mit kon- genitaler Hypo- oder Agammaglo- bulinämie und fehlenden B-Lym- phozyten sind männlichen Ge- schlechts und zeigen einen X-chro- mosomal rezessiv vererbten Defekt der Tyrosin-Kinase (Brutons Agam- maglobulinämie).
Gelegentlich finden sich jedoch auch Patientinnen mit einem gleich- artigen Syndrom, während sich bei manchen Patienten männlichen Ge- schlechts mit Agammaglobulinämie ein Defekt der Tyrosin-Kinase nicht nachweisen läßt. Immunologen und Pädiater untersuchten zwei Familien dieser Art auf das Vorliegen weiterer Gendefekte. Dabei konnten vier ver- schiedene Mutationen im mu- Schwer-Ketten-Gen auf Chromosom 14 nachgewiesen werden, die bei die- sen Patienten in verschiedener Wei- se für das Fehlen einer Antikörper- produktion verantwortlich waren.
Hieraus läßt sich folgern, daß ei- ne intakte, membrangebundene mu- Kette für die B-Zell-Entwicklung es-
sentiell ist. acc
Yel L et al.: Mutations in the MU heavy- chain gene in patients with agammaglo- bulinemia. N Eng J Med 1996; 335:
1586–1593
Dr. Conley, St. Jude Children Research Hospital, 332 North Lauderdale, Mem- phis, TN 38105, USA