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Archiv "Prionkrankheiten – heutiger Wissensstand" (04.11.1994)

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(1)

Rind Katze Nerz

Erkrankung Wirt

Kuru Mensch

Exotic ungulate encephalopathy (EUE)

Nyala, Kudu, Oryx gazella und anderen

Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) Feline spongiforme Enzephalopathie (FSE) Übertragbare Enzephalopathie der Nerze

(Transmissible mink encephalopathy [TMED

Tabelle 1: Prionkrankheiten bei Mensch und Tier

Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) Mensch Gerstmann-Sträussler-Scheinker-

Syndrom (GSS)

Mensch Fatal Familial Insomnia (FFI) Mensch

Traberkrankheit oder Scrapie Schaf und Ziege

Chronic wasting disease (CWD) Großohrhirsch, Wapiti-Hirsch

MEDIZIN AKTUELL

Prionkrankheiten

heutiger Wissensstand

Thomas Weber' Sigrid Poser 1

Hans A. Kretzschmar 2

Neben der Creutzfeldt-Jakob-Krank- heit zählen noch das erbliche Gerst- mann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS), die familiäre tödliche Insomnie (FFI) und Kuru zu den humanen spon- giformen Enzephalopathien. Im Tier- reich sind sechs übertragbare spongi- forme Enzephalopathien (TSE) be- kannt. Die Besonderheit der TSE liegt darin, daß die Erkrankung nach der- zeitiger Kenntnis allein durch ein in- fektiöses Agens oder Prion (protein- aceous infectious agent) ausgelöst werden kann. Trotz über 30jähriger Suche konnte bisher kein Virus als Ver- ursacher von CJD oder den TSE identi- fiziert werden.

D

as Auftreten des sogenann- ten Rinderwahnsinns oder der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) hat die übertragbaren spongiformen Enzephalopathien (TSE) in den Blickpunkt des öffentlichen Interes- ses gerückt. Um die ungewöhnli- chen chemischen und physikali- schen Eigenschaften des ursächlich verantwortlichen Agens zu be- schreiben, schuf Stanley Prusiner im Jahr 1982 den Begriff Prion (pro- teinaceous infectious agent) (66).

Diese Bezeichnung hat sich mittler- weile weitgehend zur Beschreibung

des übertragbaren Agens durchge- setzt, das eine Gruppe von Erkran- kungen verursacht, die früher als Slow-virus-Erkrankungen oder als übertragbare spongiforme Enze-

phalopathien klassifiziert wurden.

Eindeutige Belege für ein Virus als Ursache von TSE haben sich trotz einer intensiven, langjährigen Suche nicht finden lassen (46).

Bisher bekannte Prionkrankheiten

Neben der Creutzfeldt-Jakob- schen Krankheit (CJD), sind mitt- lerweile drei weitere Prionkrank- heiten beim Menschen und sechs im

Neurologische Klinik und Poliklinik (Direk- tor: Prof. Dr. med. Klaus Felgenhauer) der Universität Göttingen

2 Institut für Neuropathologie (Direktor: Prof.

Dr. med. Hans A. Kretzschmar) der Univer- sität Göttingen

Tierreich bekannt (Tabelle 1). Ins- besondere wegen der in Großbri- tannien weitverbreiteten BSE sind Befürchtungen geäußert worden, daß diese Prionkrankheit auf den Menschen übertragbar sei. Bei der seit Jahrzehnten bekannten Kuru handelte es sich um eine auf Neu- Guinea vorkommende Erkrankung, die durch rituellen Kannibalismus übertragen wurde. Eine bereits in den 20er Jahren von Gerstmann, Sträussler und Scheinker beschrie- bene hereditäre Erkrankung, die heute den Namen der Autoren trägt, konnte im Jahre 1984 auf Na- getiere übertragen werden (81). Die 1986 erstmalig beschriebene tödli- che familiäre Insomnie (FFI) konn- te 1992 als weitere Prionkrankheit identifiziert werden (48, 53).

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994 (51) A-3021

(2)

Normales Protein

Normal: keine Mutationen

Normal: Polymorphismus

Kuru: keine Mutationen

105

51 91 102 1 117 129 145 178 180 200 217 232 253 Octapeptid Pro Ala Met Tyr Asp Val Glu Glu Met

Repeats

129 Val

Spastisch paraparetetische Form von GSS (jap. Fam.) GSS (franz. Fam.)

Val

Arg Fam. CJD-Fälle (US-engl.,

engl.)

16 32 48 64

40 56 72

(modifiziert nach Brown et al. Lancet 1991; 337:1019-22)

105 Leu

117

Familiäre CJD-Fälle (jap. Fam.)

145

Fam. CJD-Fälle (finn., franz., ung., holl., US-amerik., andere europ. Länder)

Stop 178 Asn Spastisch paraparetetische

Form von GSS (jap. Fam.)

180 232

Fam. CJD-Fälle (slaw., sephad. Juden)

GSS (schwed. Fam.)

Met Arg

200 Lys

217

51 67 75 83 91 Sporadische bzw. iatrogene 129

CJD-Fälle: keine Mutationen, aber homozygot GSS (engl., franz., deut., jap., US-amerik., ital., dän. Fam.)

ValNal oder 102 Met/Met Leu MEDIZIN

Abbildung 1: Mutationen im menschlichen PrP-Gen, Ala: Alanin, Asn: Asparaginsäure, Asp: Asparagin, Gln: Glutamin, Glu: Glutaminsäure, Ile: Isoleukin, Leu: Leukin, Lys: Lysin, Met: Methionin, Phe:

Phenylalanin, Pro: Prolin, Tyr: Tyrosin, Val: Valin.

CJD: Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, FFI: fatal familial Insomnia (tödliche familiäre Insowie), GSS: Gerst- mann-Sträussler-Scheinker-Syndrom

Im Tierreich wurde die Traber- krankheit oder Scrapie erstmals um 1730 beschrieben. Die Beobach- tung, daß sich die neuropathologi- schen Befunde bei der Traberkrank- heit und Kuru ähneln, war ein ent- scheidender Anstoß für die moder- ne Forschung (31). Im Jahre 1980 wurde die chronic wasting disease (CWD) pathologisch-anatomisch als sporadisch auftretende spongi- forme Enzephalopathie in Colorado und Wyoming erkannt (89).

Bereits 1969 wurde die über- tragbare Enzephalopathie der Ner- ze (transmissible mink encepha- lopathy) histopathologisch als spon- giforme Enzephalopathie beschrie- ben (50). Im Zusammenhang mit der BSE wurde auch bei verschiede- nen Zootieren eine TSE beobach- tet, die wahrscheinlich durch Ver- fütterung von kontaminiertem Kno- chenmehl verursacht wurde (84).

Epidemiologie

Bei der CJD handelt es sich um eine weltweit vorkommende Er- krankung des Zentralnervensy- stems, die eine Inzidenz von etwa 0,5 bis 0,8 Fälle pro Million Ein- wohner und Jahr aufweist (2, 6, 51, 87). Da die durchschnittliche Über- lebenszeit bei acht Monaten liegt, sind Inzidenz und Prävalenz prak- tisch identisch, 90 Prozent aller Pa- tienten versterben innerhalb eines Jahres. Die mittlerweile für Europa aus dem Jahr 1993 vorliegenden Zahlen lassen eine Inzidenz zwi- schen etwa 0,47 (Deutschland) und 0,68 (Niederlande) erkennen (2).

Eine noch seltenere Erkran- kung ist GSS mit einer Prävalenz von etwa einem Fall pro 10 Millio- nen Einwohner und Jahr (51). An- gaben über Inzidenz und Prävalenz der FFI lassen sich bisher nicht ma- chen, da lediglich eine italienische

AKTUELL

und amerikanische Familie mit die- ser Erkrankung beschrieben wor- den sind (30, 49, 52). Etwa 85 Pro- zent der CJD-Fälle treten spora- disch, ohne nachweisbare Mutatio- nen im PrP-Gen (PRNP) auf (61).

Das Geschlechtsverhältnis beträgt etwa 1,5 zu 1 (Frauen zu Männer) (6, 88, 87). Die Inkubationszeit wird auf weniger als zehn Jahre bis zu mehr als 30 Jahre geschätzt (6, 7). Ia- trogene Fälle einer CJD sind durch stereotaktische Operationen mit schlecht sterilisierten Instrumenten, durch Dura-mater- und Cornea- Transplantate bekannt (51, 73, 86).

Weltweit haben 41 Patienten, die mit menschlichem Wachstums- hormon in den USA, Frankreich und England behandelt worden sind, 5 bis 34 Jahre (Durchschnitt

zwölf Jahre) nach der Behandlung eine Prionkrankheit entwickelt (7, 9, 21, 25). Die Suszeptibilität für die Erkrankung scheint auch von der genetischen Prädisposition des Empfängers abzuhängen, insbeson- dere von dem Polymorphismus im Codon 129 des PRNP (60) (Abbil- dung 1).

Die häufig geäußerte Vermu- tung einer akzidentellen Prion- krankheit durch berufliche Exposi- tion entbehrt bisher statistisch gesi- cherten Grundlagen (3, 56, 82).

Molekularbiologie und Genetik

Im Laufe des letzten Jahr- zehnts verdichteten sich vor allem A-3022 (52) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994

(3)

Exon I Intron Exon 11

ORF rer,--11,1.,

•■■•

ORF

••• 4••

••• ••

A

PrP.

MEDIZIN

Abbildung 2: Organisation des menschlichen PrP- Gens (PRNP), ORF: open reading frame, mRNA:

messenger-Ribonukleinsäure, An: Polyadenosinrest durch die Arbeiten von Stanley Prusiner die Hinweise, daß TSE durch ein Protein ohne nachweisba- re Beteiligung von Nukleinsäuren übertragen werden können (38, 66 bis 69). Damit war die Grundlage für die Prionhypothese gelegt. Eine unerwartete Wendung erfolgte Mit- te der 80er Jahre durch die Charak- terisierung des Gens für dieses Pro- tein, das sich beim Menschen auf dem Chromosom 20 befindet (43, 58, 85) (Abbildung 2). Dieses Pro- tein wird als PrPc bezeichnet und stellt die zelluläre Isoform des pa- thologischen Proteins PrPsc (Schaf) oder PrPQD (Mensch) dar. Im Lau- fe der nächsten Jahre wurde die Nu- kleinsäuresequenz des PRNP bei zahlreichen Tierarten charakteri- siert (45, 79). Die normale Funktion dieses Eiweißes ist nicht bekannt.

Mäuse, die dieses Gen nicht besit- zen, entwickeln und vermehren sich normal (11). Es findet sich in zahl- reichen Geweben, wird aber haupt- sächlich im Gehirn exprimiert. Die Aminosäuresequenz der normalen, zellulären Isoform ist mit der patho- logischen Isoform identisch. Bio- chemische Unterschiede zwischen dem physiologischen und pathologi- schen Protein konnten bisher nicht nachgewiesen werden.

Trotz großer Anstrengungen konnte keine mit der Übertragbar- keit assoziierte Nukleinsäure identi- fiziert werden (38, 66 bis 69). Weite- re Unterstützung erfährt die Prion- hypothese dadurch, daß sich trans- gene Mäuse, die kein PRNP besit- zen („Nullmäuse"), nicht mit PrPsc infizieren lassen (11, 12).

Wie schon erwähnt, sind etwa 15 Prozent der CJD-Fälle familiär und weisen Mutationen im PRNP auf (4, 18, 28, 29, 33, 41, 42, 44, 52, 57, 59, 90), (Abbildung 2, Tabelle 1 bis 3). Nach der gegenwärtig favori- sierten Hypothese kommt es so- wohl bei den sporadischen als auch bei den genetisch bedingten Er- krankungen zu einer Konformati- onsänderung des Prionproteins, die sich dann über bisher noch immer unbekannte Mechanismen auf nicht

AKTUELL

Glossar

BSE = Bovine spongioforme Enzephalopathie CJD = Creutzfeldt-Jakob-

disease (Erkrankung) FAP = familiäre Amyloidose-

polyneuropathie FFI = fatal familial Insomnia GSS = Gerstmann-Sträussler-

Scheinker-Syndrom NFT = neurofibrillary tangles Prion = proteinaceous

infectious agent PrPc = Zelluläre Isoform des

Prionproteins

prpCJD = Pathologische Isoform des menschlichen Prionproteins PRNP = PrP Gen, beim Men-

schen auf Chromosom 20

PSWC = periodic sharp wave complex

TSE = transmissible spongio- form encephalopathy betroffene Neuronen überträgt und zum Zelltod führt.

Alle bisher beschriebenen Mu- tationen des PRNP liegen in Regio- nen, die die statistische Wahrschein- lichkeit für eine Umwandlung der räumlichen Faltung des Proteins von einer ot-Helix in eine [3-Falt- blattstruktur erhöhen (4, 14, 15, 17, 36, 46, 53, 54, 59, 64, 72, 80).

Pathologie

Prionkrankheiten gehen ma- kroskopisch mit einer unterschied- lich stark ausgeprägten Atrophie des Gehirns einher. Anhand des pa- thologischen Verteilungsmusters der spongiformen Veränderungen lassen sich fünf verschiedene For- men dieser Erkrankung beim Men- schen abgrenzen (16, 43, 68, 74).

Die drei wesentlichen histologi- schen Merkmale sind spongiforme Veränderungen, der Untergang von Nervenzellen und eine Vermehrung von Astrozyten (Gliose). Mit Hilfe spezieller immunhistologischer Fär- betechniken (hydrolytisches Auto- klavieren) lassen sich in nahezu al- len Fällen PrP-haltige Ablagerun- gen im Gehirn nachweisen.

Eine Entzündungsreaktion ist im Parenchym oder den Meningen nicht nachweisbar. Ausführliche Darstellung der pathologisch-ana- tomischen Veränderungen im Dt.

Ärzteblatt 88 (1990) A 2797-2802 [Heft 38].

Klinische

Erscheinungsformen humaner

Prionkrankheiten

Die CJD ist durch die Ausbil- dung einer rasch fortschreitenden Demenz, meist in Kombination mit Myoklonien, extrapyramidalen und A-3024 (54) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994

(4)

: I

, i

!-\

I

: I

\

Abbildung 3: Typische elektroenzephalographische Veränderungen bei einem antoptisch gesicherten Fall der Creutzfeldt-.lakob-Krankheit (CJD) mit tri- phasischen periodischen Komplexen (PSWC) pyramidalen Zeichen und charakte- ristischen EEG-Veränderungen (Abbildung 3) gekennzeichnet. Im Verlauf der Erkrankung lassen sich drei Stadien ausmachen. Von den Angehörigen, seltener den Patien- ten, wird häufig eine Prodromalpha- se beschrieben, in der es für wenige Wochen zu subtilen Veränderungen kommt. Für eine oder zwei Wochen bestehen Schlafstörungen, parano- ide Gedankengänge oder Ver- haltensweisen, Verwirrtheitszustän- de, Störungen des Appetits und des Körpergewichts, es treten autono- me Regulationsstörungen, Verstim- mungszustände, meist als Depres- sionen, visuelle, seltener akustische Halluzinationen, Schwindel oder unspezifische Sehstörungen auf.

Bei einem kleinen Teil der Pati- enten bestehen schon zu Beginn der Erkrankung Kleinhirnsymptome.

AKTUELL

Eine in diesem frühen Krankheits- stadium durchgeführte Untersu- chung bleibt in der Regel ergebnis- los. In der zweiten Phase der Er- kankung entwickelt sich rasch eine Demenz. Begleitend kommt es zu neurologischen Ausfällen in Form von positiven Pyramidenbahnzei- chen, erhöhtem Ruhetonus, Apha-

Tabelle 2: Klinische und morphologische Befunde bei familiärer UD

Codon Epidemiologie KJinische Befunde

D178Nl finnische, früher Beginn, relativ langer Verlauf homozygot für französische, (23 vs. 6 Monate bei sporadischer Valin am ungarische und CJD), initial Gedächtnisstörungen, Codon 129 holländisch- Verhaltens- und Stimmungsauffällig-

amerikanische keiten, häufig Myoklonien ohne

Familien PSWCs

E200K2 slowakische, sehr ähnlich der sporadischen CJD, chilenische und beginnt etwas früher (56 vs. 62 Jahre) japanische

Familien, sephadische Juden,

Penetranz etwa 60 Prozent

Octapeptid britische, früher Beginn (23 bis 35 Jahre), anti- repeat amerikanische, soziale Züge, "chronische Schizo- (51 to 91) französische, phrenie", inkohärent~ Sprache, unsi- japanische. cherer Gang, Ataxie, Denkstörun- Familien gen, Dyspraxie. Ähnlich der sporadi- schen CJD aber seltener Myoklonien und PSWCs

sie und Myoklonien. Diese können durch jedes laute Geräusch oder Berührung ausgelöst werden (Schreckreaktion) und lenken den Verdacht häufig erstmals auf die Diagnose CJD. Die Myoklonien können ohne zeitliche Beziehungen zu den typischen periodischen EEG-Komplexen (periodic sharp

Neuropathologie

variabel, zerebraler Kortex und Stammganglien am stärksten betrof- fen, deutliche spongiforme Verände- rungen und Gliose, Verlust von Neu- ronen geringer, keine Plaques

wie bei sporadischer CJD mit spongi- formen Veränderungen, Gliose,Ver- lust von Neuronen, sehr selten amy- loide Plaques

Zunehmen der Schwere der klini-

. I

sehen und neuropathologischen Be- funde mit zunehmender Zahl der re- peats. Familien mit 10 und 11 repeats haben minimale Veränderungen, sol- ehe mit 12 ähnelnde-r'sporadischen CJD und solche mit 13 und 14 GSS.

Punktmutationen werden durch die Wildtyp-Aminosäure vor und die mutierte Aminosäure nach dem Codon bezeichnet.

ID: L-Asparaginsäure; N: L-Asparagin (Ersatz einer sauren durch eine neutrale, nicht-polare Aminosäure) 2E: L-Glutaminsäure; K: L-Lysin (Ersatz einer sauren durch eine basische Aminosäure)

A-3026 (56) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994

(5)

Klinische Befunde

früh zerebelläre Ataxie, Myoklonus, Nystagmus, Aphasie, Agraphie, Agnosie, Pyramidenbahnzeichen, Lähmungen, Faszikulationen und Fibrillationen, Amyotrophie in einer italienischen Familie, später Demenz

Neuropathologie

PrP-Plaques + + + vom Kuru- und multilobulären Typ, geringe spongi- forme Veränderungen, Systematro- phien der spinozerebellären Bahnen, Hinterstränge, Atrophie des Hirn- stamms, subkortikaler Kerne und Fa- sersysteme

Codon P102L1

Epidemiologie Am häufigsten mit GSS assoziiert

Spastische Paraparese mit Beginn in der vierten und fünften Dekade, bila- terale Pyramidenbahnzeichen, Ge- fühlsinkontinenz, im EEG keine PSWC's

PrP-Plaques + + + im zerebralen Kortex, starke Gliose, keine spongi- formen Veränderungen, PrP-Plaques im Kleinhirn selten.

Zahlreiche Plaques in der grauen Substanz einschließlich Thalamus und Stammganglien

P105L1 japanische Form

elsässische Familie, deutsche Familie

Zunehmende Schwere der Ausfälle in sukzessiven Generationen. Erst Demenz, dann Pyramidenbahn- und Pseudobulbärzeichen

PrP-positive uni- und multizentrische Plaques, neuronale Degeneration, mäßig ausgeprägte spongioforme Veränderungen

A117V2

Familie aus Indiana (USA)

Demenz, Ataxie, Parkinsonismus, frühzeitig Blickstörungen

PrP-positive amyloide Plaques weit- verbreitet, zahlreiche NFTs im zere- bralen Kortex, Hippocampus und der Substantia innominata, spongiforme Veränderungen selten und gering ausgeprägt.

F198S3

schwedische Familie

Demenz, später Gangataxie, Dyspha- gie, Verwirrtheitszustände

Zahlreiche NFTs im Neokortex, PrP + Plaques im zerebralen und ze- rebellären Kortex

Q217R4

MEDIZIN AKTUELL

Tabelle 3 Klinische und morphologische Befunde bei GSS

Punktmutationen werden durch die Wildtyp-Aminosäure vor und die mutierte Aminosäure nach dem Codon bezeichnet.

'P: L-Proline; L: L- ucin (Austausch einer neutralen, polaren Aminosäure durch eine andere) 'A: L-Alanin; V: L-Valin (Austausch einer neutralen, polaren Aminosäure durch eine andere)

3F: L-Phenyalanin; S: L-Serin (Austausch einer neutralen, polaren Aminosäure durch eine neutrale, nicht-polare)

4(): L-Glutamin; R: L-Arginin (Austausch einer neutralen, nicht-polaren Aminosäure mit einer basischen)

wave complex, PSWC) auftreten, gelegentlich auch damit gekoppelt.

Weiterhin kommt es zu Störungen der Feinmotorik, der Koordination, die insbesondere beim Gang auf- fällt. Innerhalb weniger Wochen können ein Hemiballismus, eine Choreoathetose und ein Ruhetre- mor auftreten. Im dritten und letz- ten Stadium entwickelt sich ein ex- trapyramidales Syndrom, bei dem Hypokinesien, Akinesien, eine hochgradige Rigidität oder Spastik, Dystonien und das Bild einer schweren Parkinsonschen Erkran- kung auftreten können.

Die zerebellären Symptome können unterschiedlich stark ausge-

prägt sein. Neben einer Rumpf- und Gliedataxie treten ein Intentionstre- mor, Nystagmus und eine Dysarthrie auf. Die Mehrzahl der Patienten hat im Stadium 2 und 3 der Erkrankung vorübergehend Pyramidenbahnzei- chen. Die Patienten entwickeln in- nerhalb weniger Wochen bis Monate einen akinetischen Mutismus und nehmen eine dezerebrierte oder de- kortizierte Haltung ein. Todesursa- chen sind für gewöhnlich hypostati- sehe Pneumonien oder nicht mehr beherrschbare Blutdruckabfälle auf- grund eines autonomen Regulati- onsversagens. Kommt es zu Fieber und laborchemischen Entzündungs- zeichen, ist dies Ausdruck einer se-

kundären Komplikation, wie einer Aspirations- oder hypostatischen Pneumonie.

Mit der Entdeckung von Muta- tionen im PRNP bei familiären CJD-Fällen haben sich bestimmte, charakteristische klinische Verlaufs- formen und pathologisch-anatomi- sche Befunde identifizieren lassen (Tabelle 2).

Die initialen Zeichen einer ia- trogenen CJD (entweder übertra- gen durch chirurgische Instrumente oder Gewebstransplantationen) sind meist eine rasch progrediente Demenz. Die geschätzte mittlere Inkubationszeit ist wesentlich kür- zer als bei sporadischen oder fami- A-3028 (58) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994

(6)

Codon Epidemiologie Klinische Befunde Neuropathologie Früher Beginn mit progredienter

Schlafunfähigkeit, Dysautonomie, endokrine und Gedächtnis-Störun- gen, Dauer 7 bis 36 Monate. Spät zerebelläre Ataxie und Myoklonus

Atrophie der anterior ventralen und mediodorsalen Thalamuskerne, Atrophie der Oliven, unterschiedlich ausgeprägte zerebrale und zerebellä- re kortikale Gliose. Keine Plaques, spongiforme Veränderungen selten.

D178N 1 homozygot für Methionin am Codon 129

italienische, italienisch- amerikanische Familie

MEDIZIN AKTUELL

Tabelle 4: Klinische und morphologische Befunde bei FFI

Punktmutationen werden durch die Wildtyp-Aminosäure vor und die mutierte Aminosäure nach dem Codon bezeichnet.

1D: L-Asparaginsäure; N: L-Asparagin (Ersatz einer sauren durch eine neutrale, nicht-polare Aminosäure)

liären Fällen und liegt bei etwa 18 bis 54 Monaten (Bereich: 16 bis 120 Monate). Iatrogene Fälle, die durch eine Behandlung mit kontaminier- tem menschlichen Wachstumshor- mon oder Gonadotropinen verur- sacht wurden, zeigen initial zere- belläre Syndrome und weisen eine wesentlich längere mittlere Inkuba- tionsperiode von fünf bis 17 Jahren (Bereich vier bis 30 Jahre) auf (7).

Das Gerstmann-Sträussler- Scheinker-Syndrom (GSS) wurde 1928 und 1936 als eine autosomal dominante Erkrankung beschrie- ben (26, 27). Zu Beginn stehen ze- rebelläre Ausfälle und Funktions- störungen im Vordergrund, eine Demenz tritt entweder spät oder überhaupt nicht in Erscheinung (62, 78). Die Patienten bemerken eine Ungeschicklichkeit, klagen über Gang- und Koordinationsschwierig- keiten. Im weiteren Verlauf treten eine zerebelläre Ataxie, Dysarthrie sowie ein Nystagmus auf. Bei eini- gen Familien stehen dann extrapy- ramidale Symptome oder parkin- sonartige Ausfälle im Vordergrund, andere haben vertikale und hori- zontale Blickparesen und ent- wickeln eine nukleäre Taubheit so- wie kortikale Blindheit. Myokloni- en kommen in einigen Fällen vor.

Bei der neurologischen Untersu- chung sind die Muskeleigenreflexe abgeschwächt bis erloschen, wäh- rend Pyramidenbahnzeichen aus- lösbar sind (Tabelle 3).

Als bisher neueste Prionkrank- heit wurde die 1986 erstmalig be- schriebene tödliche familiäre In- somnie (FFI) eingestuft (23, 30, 49, 52). Bei dieser autosomal-dominan- ten Erkrankung kommt es zu einer

unbehandelbaren progredienten In- somnie, Störungen des autonomen Nervensystems aufgrund einer er- höhten sympathischen Aktivität mit Bluthochdruckkrisen, Hyperther- mie, Hyperhidrosis und Tachykar- dien (Tabelle 4). Es finden sich zu- sätzlich Tremor, Ataxie, Hyperre- flexie, spontane und provozierbare Myoklonien. Die Demenz steht nicht im Vordergrund, die Patienten zeigen aber Störungen der Auf- merksamkeit, des Gedächtnisses, Verwirrtheitszustände und komple- xe Halluzinationen. Die zirkadiane Rhythmik der Sekretion von Hor- monen wie Melatonin, Prolaktin und Wachstumshormon ist auf- gehoben. Eine Erklärung für die di- vergierenden klinischen und neuro- pathologischen Befunde bei der fa- miliären CJD mit einer Punktmuta- tion am Codon 178 und der FFI mit der gleichen Punktmutation an die- sem Codon liegt darin, daß die Aus- prägung der Veränderungen offen- sichtlich durch die im Codon 129 codierte Aminosäure bestimmt wird.

Bei FFI findet sich an dieser Stelle Methionin, während bei der fami- liären CJD Valin codiert wird (30).

Diagnose

Bisher hat bei den technischen Zusatzuntersuchungen lediglich die Elektroenzephalographie Bedeu- tung bei der klinischen Diagnose ei- ner Prionkrankheit (8, 13, 47, 65, 78). Bei Ableitung von wenigstens vier EEGs im Verlauf der Erkran- kung beträgt die Wahrscheinlich- keit, die diagnostisch wegweisenden PSWCs (Abbildung 3) zu ent-

decken, etwa 85 bis 95 Prozent (13).

Die Untersuchung des Liquor cere- brospinalis mit konventionellen Methoden zeigt für gewöhnlich eine normale Zellzahl, eine normale oder lediglich leida gestörte Blut- Liquor-Schrankenfunktion ohne ei- ne intrathekale Synthese von Im- munglobulinen. Mit Hilfe von auf- wendigen Untersuchungsverfahren, wie der 2-D-Gelelektrophorese, lassen sich zwei nahezu ausschließ- lich bei CJD vorkommende Prote- ine im Liquor cerebrospinalis nach- weisen (32).

Da bisher keine Nukleinsäuren, die mit der Infektiosität von CJD oder Scrapie assoziiert sind, nach- gewiesen werden konnten und da es keine Antikörper gibt, die die phy- siologische von der pathologischen Isoform des PrP unterscheiden kön- nen, konnten bisher keine Antikör- pertests oder die Genamplifikation erregerspezifischer Nukleinsäuren zur spezifischen Diagnose einer Prionkrankheit entwickelt werden (1, 38, 39, 75, 83).

Computertomographisch fin- den sich lediglich im Spätstadium der Erkrankung unspezifische Zei- chen einer Hirnatrophie (24). Mit Hilfe der Kernspintomographie läßt sich bei einem Teil der Erkrankten eine bilaterale Signalanhebung im Bereich der Stammganglien in der T2- und Protonen-Wichtung darstel- len, die mit den histologisch nach- weisbaren spongiformen Verände- rungen zu korrelieren scheint (77).

Mittels der Kernspinresonanzspek- troskopie läßt sich bei CJD ein Ver- lust von N-Acetyl-Aspartat nach- weisen, der aber unspezifisch ist (10). Mit der Positronen-Emissions- Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994 (61) A-3029

(7)

Verhaltensmaßnahmen im Umgang mit Creutzfeldt-Jakob-Krankheit-Verdachtsfällen

Eine Isolierpflege ist nicht erforderlich!

Bei Umgang mit potentiell kontaminierten Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin und Liquor Handschuhe tragen! Entsorgung von Kanülen und Einweginstrumenten mit dem infektiösen Müll. Bei Verletzungen die Haut mehrere Minuten mit einmolarer Natronlauge behandeln. In- strumente bei 136 Grad Celsius dampfautoklavieren für mindestens zweimal 30 Minuten oder zweimal 30 Minuten in einmolare Natronlau- ge eintauchen.

MEDIZIN

Tomographie (PET) läßt sich ein regionaler Hypometabolismus nachweisen, der ebenfalls in den neuropathologisch am stärksten be- troffenen Regionen zu liegen scheint (34, 63).

Eine wirksame Therapie der Prionkrankheiten ist bisher noch nicht bekannt.

Hygienemaßnahmen

Eine Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt nur durch direkte Inokulation mit infektiösem Gewe- be, zum Beispiel mit Dura-mater- Transplantaten oder Wachstums- hormonextrakten aus menschlichen Hypophysen (7). Beim Umgang mit Blut, Liquor, Urin oder anderen Körperflüssigkeiten am Kranken- bett sollten wie bei jeder Handha- bung von potentiell infektiösem Material Handschuhe getragen werden. Eine Isolierpflege von CJD-Patienten ist nicht erforderlich (22). Kanülen und andere Einwegs- instrumente müssen über den infek- tiösen Müll entsorgt werden. Her- kömmliche Methoden zur Sterilisa- tion oder Desinfektion sind unwirk- sam (5). Bei Verletzungen mit po- tentiell infektiösen Instrumenten sollte die Haut nach Möglichkeit für zehn Minuten mit einmolarer Natriumhydroxidlösung behandelt und anschließend mit laufendem Wasser gründlich gespült werden

Übertragungswege und Infektionsrisiken

Bisher gibt es keine Hinweise für eine Übertragung von CJD durch Bluttransfusionen (19). Die in der Presse aufgeworfene Frage ei- nes Übertragungsrisikos durch den Verzehr von BSE-kontaminiertem Fleisch ist schwer zu beantworten.

Für eine Übertragung durch die Nahrungsaufnahme gilt es zu be- denken, daß beim Vergleich zur in- trazerebralen Inokulation in Ab- hängigkeit von dem Prionspender und Empfänger mindestens 10 9mal mehr an infektiösen Einheiten benötigt wird, als bei direkter, intra- zerebraler Inokulation (20, 68).

AKTUELL

(76). Instrumente können durch Dampfautoklavieren bei 136 °C über eine Stunde bei einem Druck von 2 kg/cm2 oder durch Eintau- chen in einmolare Natronlauge für mindestens zweimal 30 Minuten bei Raumtemperatur desinfiziert wer- den (40). Andere Richtlinien emp- fehlen sogar die Verwendung einer zweimolaren Natronlauge für die Dekontamination von Stahlober- flächen und Instrumenten. Alumi- nium- und Zinkoberflächen können jedoch nicht mit Natronlauge be- handelt werden. Alternativ können Instrumente bei 121 °C für 4,5 Stun- den oder bei 136 °C für zweimal 36 Minuten autoklaviert werden (70).

Glas kann mittels Natriumhypo- chlorid dekontaminiert werden, die benutzten Lösungen sollten 20 000 ppm freies Chlor enthalten und müssen jeweils ganz frisch angesetzt werden (40).

Tierexperimentell konnte keine Übertragung von BSE durch Ver- fütterung von Fleisch an Mäuse be- obachtet werden (55). Eine Über- tragung auf den Menschen durch den Verzehr von Hirngewebe läßt sich allerdings nicht sicher aus- schließen (37).

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Möglichkeit ei- ner Infektion des Menschen durch den Verzehr von BSE-kontaminier- tem Fleisch sich nicht mit 100pro- zentiger Sicherheit ausschließen läßt.

Allerdings scheint die Wahr- scheinlichkeit eines solchen Infekti- onsweges extrem gering zu sein. Ei- ne gewisse geringfügige Gefähr-

dung dürfte jedoch bei dem Verzehr von kontaminiertem Hirngewebe aller Wahrscheinlichkeit nach beste- hen.

Deutsches Ärzteblatt

91 (1994) A-3021-3030 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschriften der Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Weber Neurologische Klinik der

Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen

Prof. Dr. med. Sigrid Poser Ansprechpartnerin

bei Verdachtsfällen einer menschlichen

spongiformen Enzephalopathie Neurologische Klinik

der Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen

Tel 05 51/39 66 36 oder 39 84 01 Fax 05 51/39 70 20 oder 39 84 05 Prof. Dr. med.

Hans A. Kretzschmar Ansprechpartner bei Autopsien von

menschlichen spongiformen Enzephalopathie-Verdachtsfällen Institut für Neuropathologie der Universität Göttingen

Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Tel 05 51/39 27 00 Fax 05 51/39 84 72 A-3030 (62) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994

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