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Archiv "Die Prävention darf den Datenschutz nicht aufweichen" (16.04.1982)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Heft 15 vom 16. April 1982

Die Prävention darf den

Datenschutz nicht aufweichen

Otfrid P. Schaefer

Ansprüche auf die führende Rolle der gesetzlichen Krankenkassen in der präventiven Gesundheitspo- litik sind längst angemeldet. Ein

„Forschungsvorhaben" unter Ein- beziehung gesetzlicher Kranken- kassen, des vertrauensärztlichen Dienstes und der Rentenversiche- rungsträger mit dem Ziel, Patien- tendaten aus allen drei Bereichen zusammenzuführen, ist seit mehr als drei Jahren in Arbeit. Zielvor- stellung ist unter anderem die Er- fassung von Risikogruppen, die Überprüfung der Effektivität von Rehabilitationsmaßnahmen und schließlich eine „sozial-kollegiale Kontrolle des Gesundheitsverhal- tens" der Versicherten.

Dabei stützt man sich rechtlich auf die in der Reichsversicherungs- ordnung (RVO) definierten Aufga- ben der gesetzlichen Krankenver- sicherungen und datenschutz- rechtlich auf das Sozialgesetz- buch (SGB), I. Buch § 14 und die

§§ 69 und 76 des X. Buches.

Moralisch wird der Anspruch auf solcherart umfassende Nutzung von „Gesundheitsdaten" damit begründet, daß derjenige, der für die Folgen von menschlichem Fehlverhalten aufzukommen hat, auch das Recht besitzen muß, auf das Verhalten korrigierend einzu- wirken.

Zur begrifflichen Klärung ist es notwendig, zwischen Primär- und Sekundärprävention, individual- medizinischer und sozial-medizi- nischer Prävention zu unterschei-

den. Wir wollen deren Vorausset- zungen, Möglichkeiten, Grenzen, Ansprüche und Konflikte kurz be- leuchten.

Prävention heißt: Verhütung oddr Zuvorkommen. Die Verhütung von Krankheit oder einer Krankheits- entwicklung zuvorzukommen ist das Ziel der gesundheitlichen Prävention, auch Primärpräven- tion genannt.

Man kann sich durchaus auf den Standpunkt stellen, daß diese Pri- märprävention zunächst mit der Medizin gar nichts zu tun hat, weil es sich ja nicht um Kranke han- delt. Offenbar scheut man sich heute fast, den Zusammenhang zwischen den Begriffen Präven- tion und Medizin herzustellen.

Man möchte dagegen die gesund- heitliche Prävention, ganz losge- löst von der Medizin, betrachten, ja erforschen — also mehr als Auf- gabe der Soziologie, der öffentli- chen Gesundheitsdienste, der Ver- sicherungsträger, ja sogar der Po- litik.

Zum anderen entspricht es wohl durchaus dem gegenwärtigen Wandel unseres gesellschaftli- chen Bewußtseins, angesichts zu- nehmender Umweltgefahren und Umweltbelastungen und ange- sichts des hohen Grades an Tech- nisierung und Verwissenschaftli- chung in unserer arbeitsteiligen Industriegesellschaft das Leben dadurch zu sichern, indem sich der Bürger vom Experten abwen- det und sich auf seine natürlichen Im großen Rahmen der Da-

tenschutzdiskussion wird auch der Schutz der Patien- tendaten bei den Soziallei- stungsträgern, vor allem im Hinblick auf die Nutzung die- ser Daten für die Krankheits- ursachenforschung und Maßnahmen gesundheitli- cher Prävention zu überden- ken sein. Der 85. Deutsche Ärztetag 1982 im Mai in Mün- ster wird bei seinen Beratun- gen zum Stellenwert der

Krankheitsu rsachenfor- schung mit dem Ziel der In- tervention beim Versicher- ten eindeutig Stellung bezie- hen müssen.

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 15 vom 16. April 1982 63

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Datenschutz

Kräfte und Fähigkeiten besinnt.

Wie weit das realistischerweise überhaupt möglich ist, ist offen.

Dieser Entwicklung entspricht je- denfalls eine Abwendung von der sogenannten „experten- und wis- senschaftsorientierten Medizin"

und eine Hinwendung zu einer den Fachmann schließlich erübri- genden gesundheitsbewußteren Lebensweise als Idealziel (1). Die- se „Trendwende" wird symptoma- tisch deutlich an einer Renais- sance von Naturheilverfahren, der zunehmenden Inanspruchnahme nichtärztlicher Heilkundiger, der zunehmenden Zahl der Selbsthil- fegruppen und entspricht damit durchaus einer allgemeinen „Öko- logiebewegung" in breiten Schichten unserer Bevölkerung.

Unter dem Begriff Präventivmedi- zin sind Ärzte aber seit der Antike bemüht, positiv auf das gesund- heitliche Verhalten der Bevölke- rung einzuwirken.

Daß es sich dabei mehrheitlich um Fragen der Sekundärprävention, also der Früherkennung von Krankheiten und um die Krank- heitsvorsorge im weitesten Sinne handelt, liegt daran, daß der Pa- tient den ersten Kontakt mit dem Arzt eben immer dann sucht, wenn sein Wohlbefinden schon gestört ist.

Mißt man die Erfolge der Bemü- hungen der medizinischen Prä- vention an der bisher darauf ver- wendeten Zeit, so sind die Erfolge in den letzten zweieinhalbtausend Jahren sicher bescheiden. Das hat Gründe; der Vergleich mit ande- ren Anstrengungen der Mensch- heit, die Lebensbedingungen durch Verhaltensänderungen der Menschen zu verbessern, so etwa durch die christliche Lehre und andere große Religionen, drängt sich auf.

Die Primärprävention, also das Be- mühen um gesundheitsbewußtes Verhalten, das Verhüten von Krankheiten, das Abwenden von Gefahren aus der Umwelt, hat et- was zu tun mit der Formung des

Menschen, mit Einflußnahme auf seine Lebensweise, mit Einfluß auf die Lebensumstände, die poten- tiellen Gefahren aus der sozialen Umwelt. Insofern ist es sicher statthaft, auch die Einflußnahme der Ideologien auf das menschli- che Grundverhalten in die Be- trachtungen mit einzubeziehen.

All dies verdeutlicht den hohen Anspruch der Primärprävention und die ambivalente Rolle der Me- dizin. Sie liegt wohl darin begrün- det, daß ihre erfolgreichsten Be- mühungen in der medizinischen Prävention immer dann zu erken- nen sind, wenn es sich um die Sekundärprävention gehandelt hat, also um die Früherkennung von Krankheiten, Krankheitszu- ständen und die Ursache erster Befindensstörungen. Denn zeich- net sich erst einmal eine Krankheit ab, so ist der Patient infolge des psychischen und physischen Lei- densdrucks leichter zu überzeu- gen, die Lebensweise zu ändern, als dies beim gesunden, insbeson- dere jungen Menschen der Fall ist.

Für den jungen Menschen sind Krankheit und Tod keine Schrek- ken. Er sieht die Gefahren nicht, die sich aus seiner Lebensweise oder aus seiner Umwelt ergeben, weil er sich stark fühlt. Er betrach- tet Gefahren geradezu als Heraus- forderung, hält sich für unsterb- lich.

Ökonomische

und gesellschaftliche Aspekte Wären wir uns darin einig, daß Verhindern von Krankheiten durch gesundheitsgerechtes Verhalten einerseits und die Abwendung von Gefahren andererseits nicht nur einen Gewinn an Lebensqualität für jedes einzelne Mitglied unserer Gesellschaft bedeuten könnte, sondern möglicherweise auf lange Sicht auch dazu in der Lage wäre, das System unserer sozialen Si- cherung von überflüssigen Kosten und Belastungen zu befreien, so ist es für alle einsichtig, daß das Problem nicht in einer Zustim- mung zu dieser Forderung, son- dern „nur" noch in der Frage ihrer Verwirklichung liegt.

Das setzt voraus, daß wir wissen, welches gesundheitswidrige Ver- halten zu welchen Krankheiten, Störungen oder gar frühem Tod führt. Wir müssen darüber hinaus wissen, welchen Gefahren aus der Umwelt wir mit welchen Mitteln zu begegnen haben.

Es setzt voraus, daß wir aber auch wissen, mit welchen Mitteln wir in der Lage sind, den Menschen um- zustimmen, Fehlverhalten zu kor- rigieren und die Menschen zu mo- tivieren, gesundheitsgerechtes Verhalten beizubehalten, stets und ständig und möglichst aus- nahmslos.

Fritz Hartmann, Hannover, hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der Weg zum Gesundheitsverhal- ten nicht nur eine „Lustpartie" ist, ja daß dieser Weg mit mancherlei Unlustgefühlen und durch Lust- verzicht belastet ist. Das gilt es wohl zu bedenken, wann immer wir uns mit der Durchsetzung ei- ner echten Primärprävention be- fassen, und das mag wohl auch die Erklärung dafür sein, daß die Erfolge der Bemühungen um die Primärprävention bis heute noch so dürftig sind. Sie werden es wohl auch bleiben, wenn wir die Selbstbestimmung des Menschen als ein unveräußerliches Recht des Bürgers anerkennen.

Haben wir es bei der Sekundär- prävention mit der sicher bis heute wirksamsten Form der individual- medizinischen Prävention zu tun, so stellt sich aus dem Vorherge- sagten deutlich heraus, daß die Primärprävention eine Sache der sozial-medizinischen Prävention ist.

Angesichts der Kostensituation im Gesundheitswesen und der jüng- sten epidemiologischen Erkennt- nisse über den Stellenwert chroni- scher Krankheitsverläufe und ihrer Folgen aus humanitärer, soziolo- gischer und ökonomischer Sicht ist es nicht nur verständlich, son- dern sogar unser aller Pflicht, Mit- tel und Wege zu finden, den er- kannten und wissenschaftlich ge- 64 Heft 15 vom 16. April 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Datenschutz

sicherten nachteiligen Auswirkun- gen gesundheitswidriger Verhal- tensweise und den zunehmenden Umweltgefahren energisch zu be- gegnen. Dies haben ja auch die Initiatoren des Vorhabens "Sozial- kollegiale Kontrolle des Gesund- heitsverhaltens" mit ihrem Gut- achten zur "Rolle der Krankenver- sicherung in der präventiven Ge- sundheitspolitik" gesehen. Nur, daß es dazu einer Tendenzwende von einer behaupteten einseitigen

"technisch-pharmazeutisch orien- tierten Kurativmedizin" bedarf, ist eine überzogene, unzutreffende Schlußfolgerung (2).

Die Alternative kann nicht heißen

"Kurativmedizin oder Präventiv- medizin", sondern ständiges Be- mühen in der medizinischen Prä- vention als wesentliche flankieren- de Maßnahme der kurativen Me- dizin.

Um auf diesem Wege zu neuen Erkenntnissen, insbesondere was die Effektivität und Effizienz unse- rer Bemühungen angeht, zu ge- langen, bieten sich nahezu selbst- verständlich die umfangreichen Sammlungen medizinischer oder gesundheitlicher Daten der versi- cherten Person, die bei den Versi- cherungsträgern (Kranken- und Rentenversicherungsträger, so- zialärztliche Dienste) zunächst zweckgebunden erfaßt werden, an.

Datenschutzrechtliche Bezüge Die Frage, die sich aus daten- schutzrechtlicher Sicht ergibt, ist zunächst die, ob die Benutzung dieser Daten, die für ganz andere Zwecke gesammelt und verfügbar gehalten wurden (Einleitung von Heilmaßnahmen, Prüfung der Lei- stungspflicht, Prüfung der Wirt- schaftlichkeit von Therapie und Diagnostik etc.), auch ohne Ein- willigung der Betroffenen zu For- schungszwecken verwendet wer- den dürfen.

Unter Hinweis auf die RVO (§§ 223 und 319a RVO) und auf das X.

Buch des Sozialgesetzbuches,

§§ 76 und 69 erster Abschnitt so- wie§ 14 des I. Buches allgemeiner Teil, wird dies von den an der For- schung mit Hilfe dieser Daten In- teressierten bejaht (3,4).

Sehen wir einmal von der Recht- fertigung einer Offenbarung der gesundheitlichen Daten der Versi- cherten für die Zwecke der For- schung durch die Leistungsträger ab, so ergibt sich für den im kurati- ven Bereich der Medizin tätigen Arzt eine ganz andere Fragestel- lung, nämlich:

~ Inwieweit wird durch Krank- heitsursachenforsch u ng zum Zwecke der gesundheitlichen Prävention und mit dem Ziel einer

"sozial-kollegialen Kontrolle des Gesundheitsverhaltens" in das Pa- tient-Arzt-Verhältnis eingegriffen und wenn ja, mit welchen Folgen?

So, wie das Projekt der "sozial- kollegialen Kontrolle des Gesund- heitsverhaltens" der "Gesellschaft für sozialen Fortschritt", Bonn, vorgestellt wurde, scheint zu- nächst eine Beeinträchtigung des Patienten-Arzt-Verhältnisses nicht befürchtet werden zu müssen, zu- mal eine der Thesen besagt: "ln der Sache ist der Ansatz, um den es hier geht, durchaus ein Weg, der sozial-medizinisch, politisch und rechtlich vertretbar wäre und dessen Realisierung in der Ten- denz auch faktisch nicht utopisch ist. Prämissen sind jedoch der Ver- zicht auf lndividualkontrolle, auf Zwang und auf Sanktionen zur Ge- sundheitsvorsorge."

Der behandelnde Arzt, der in der ersten Reihe der Datenlieferanten steht, also vor dem sozialärztli- chen Dienst, vorden Kranken- und Rentenversicherungsträgern, vor den Krankenhäusern und Kurklini- ken, initiiert mit der eindeutigen Zweckbestimmung der Kranken- behandlung oder der Rehabilita- tion der Patienten das Raster aller

Gesundheitsdaten, das über den Versicherten bei den verschiede- nen Sozialleistungsträgern ange- legt wird. Die Qualität dieser Daten wird durch die Zwecke bestimmt,

zu deren Erfüllung sie erfaßt und weitergegeben werden. Zweck ist hier nicht Forschung mit definier- ter Zielsetzung und Fragestellung, sondern Leistungsabrechnung und Maßnahmeneinleitung.

"Sozial-kollegiale Kontrolle des Gesundheitsverhaltens" setzt In- tervention, wenngleich auch zu- nächst nicht Individual-Interven- tion, aufgrund bekannter Tatbe- stände oder Sachverhalte voraus.

Die in Frage stehenden Sachver- halte können aber nur durch Of- fenbarung durch die Leistungsträ- ger unter Berufung auf das Sozial- gesetzbuch, X. Buch, erfolgen.

Es gilt festzuhalten, daß die dem Arzt anvertrauten Daten und Ge- heimnisse seiner Verfügungsge- walt in dem Augenblick entgleiten, wenn er sie an den Soziallei- stungsträger weitergibt, und daß der Arzt die Einhaltung der Schweigepflicht - die Wahrung des Berufsgeheimnisses - trotz aller gesetzlicher Regelungen nicht mehr persönlich garantieren kann.

Es stellt sich zunächst auch die Frage, inwieweit eine Intervention in die Lebensführung, in das Ge- samtverhalten des Patienten, des Bürgers unseres Landes, mit dem Grundgesetz (GG), nämlich Artikel 1 GG- Schutz der Menschenwür- de -und Artikel 2 GG - Allgemei- nes Persönlichkeitsrecht -, verein- bar ist.

Denn wir dürfen nicht so vertrau- ensselig sein anzunehmen, daß auf lange Sicht der Verzicht auf lndividualkontrolle, auf Zwang und auf Sanktionen nicht doch aus ökonomischen Zwängen auf- gegeben wird. Die Kostenentwick- lung im Gesundheitswesen hat iu Überlegungen geführt, durch Risi- kozuschläge oder Ausschluß der Leistungspflicht bei gesundheits- widrigem Verhalten das System der sozialen Sicherung bezahlbar zu erhalten. Wenn die Daten erst einmal aufbereitet verfügbar sind, ist es nur ein kleiner (Programm-) Schritt zur Individual-Intervention.[>

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Darüber hinaus wäre aber eine schwere Belastung des Patienten- Arzt-Verhältnisses immer dann die unmittelbare Folge, wenn der Arzt in die Rolle des "Verräters vertrau- licher Informationen" - des Pa- tientengeheimnisses - gedrängt oder zum "Gesundheitskontrol- leur" herabgewürdigt würde, denn ohne seine Preisgabe oder Kon- trolle der Effizienz der Bemühun- gen wäre ein solches Verfahren ja wohl kaum denkbar. Die eine Rol- le, nämlich die des Verräters des Patientengeheimnisses, wird ihm schon jetzt abverlangt, die andere ist bei Fortführung der Vorhaben mindestens denkbar. Der Patient muß sich, heute noch auf die ärzt- liche Schweigepflicht vertrauend, getäuscht vorkommen.

Aber nicht nur die Verpflichtung des Arztes zur Verschwiegenheit Dritten gegenüber, die sich aus der Berufsordnung der Ärzte er- gibt, sondern auch der§ 203 Straf- gesetzbuch (StGB) steht einer Of- fenbarung von Gesundheitsdaten, außerhalb eindeutig gesetzlich ge- regelter Bahnen und Meldepflich- ten, unbeschadet der vorhande- nen und geplanten Regelungen des Sozialgeheimnisses im SGB, zu anderen als den ursprüngli- chen Zwecken, entgegen.

Die Autorität des Arztes bei der Sekundärprävention und Kranken- behandlung beruht in erster Linie darauf, daß er verständnisvoll be- ratend tätig ist und nicht seinen

"mündigen Patienten" wie ein Ge- sundheitsingenieur verwaltet oder wie ein Gesundheitspolizist über- wacht und kontrolliert.

Ein Patient, der sich in solcher Weise getäuscht und gegängelt empfinden müßte, würde sich sehr bald der Behandlung dieses Arz- tes entziehen und einem anderen zuwenden.

Wird jedoch eine von der sozial- medizinischen Forschung prakti- zierte Auswertung seiner Intimda- ten zur Grundlage unseres sozial- medizinischen und individual-me- dizinischen Verhaltens, so bliebe

dem Patienten nichts anderes üb- rig, als sich alternativen Beratern zuzuwenden, die diesem System nicht unterworfen sind.

Gesundheitsverhalten:

Motivation, Konflikte

Professor Hartmann hat die Kon- fliktsituation, die sich aus unseren Einsichten um den Wert der ge- sundheitlichen Prävention einer- seits und der freien Entfaltung der Persönlichkeit andererseits ergibt, so formuliert: "Im Sog eines politi- schen Daseinsverständnisses zwi- schen Privatisierung der Rechte des einzelnen und der Sozialisie- rung seiner Pflichten geht der Ge- danke einer Sozialpflichtigkeit des Körpers, der Gesundheit leicht un- ter. Die Sozialpflichtigkeit des ererbten und erworbenen Eigen- tums wird zunehmend anerkannt, denn sie ist im Grundgesetz aus- gesprochen. Der gleiche Gedanke aber ist tabu für das Eigentum, das wir gesunden Menschen nennen und das in Selbstverantwortung diesen Menschen verfügbar ist.

Bedenkt man aber die Bedeutung der Gesundheit des einzelnen für das Gemeinwesen und die Lei- stungen, die die Gemeinschaft für den einzelnen im Krankheitsfall er- bringt, so ist die Überlegung, ob nicht auch der Körper und die Ge- sundheit des einzelnen sozialver- pflichtend sind, nicht abwegig.

Dem Christen ist dieses Eigentum zur Verwahrung und Pflege anver- traut; es wird einmal von ihm zu- rückgefordert. Es ist die Frage, ob die Säkularisierung diese Ver- pflichtung aufgehoben oder so- weit verdrängt hat, daß in bezug auf den eigenen Körper und die eigene Gesundheit nur noch die Verantwortung vor sich selbst üb- riggeblieben ist. Das ist zwar das gegenwärtig laute Wort; ist es aber auch das letzte, endgültig für alle?" Man ist bei solchen Gedan- kengängen, die einer Logik kei- neswegs entbehren, an das Wort von "Gemeinnutz geht vor Eigen- nutz" erinnert.

ln diesem Zusammenhang ist auch ein Gedanke von Friedrich

Spe!p;rum der Woche Aufsätze ·Notizen Datenschutz

Nietzsche hilfreich. Er hat die Auf- merksamkeit darauf gelenkt, daß es so viele Gesundheiten wie Men- schen gibt und daß jeder Mensch viele Gesundheilen durchlebt, daß er in einer Dialektik vom ständigen Abgleiten in Kranksein und ebenso beständigem Gesundwer- den lebt.

Dieser Auffassung ist aus der Sicht des Arztes voll und ganz zu- zust.immen und darauf hinzuwei- sen, daß nicht nur Unlustgefühle oder Lustverzicht vom Bürger, der . ja noch kein Kranker ist, gefordert werden und daß bekanntermaßen Extrempositionen, auch was das gesundheitliche Verhalten anbe- langt, Widerstand hervorrufen. Ha- ben wir schon größte Schwierig- keiten mit der wissenschaftlichen Definition von Krankheit und Ge- sundheit, mit der Abgrenzung zwi- schen noch gesund und schon krank und können sich Wissen- schaftler bis heute kaum einigen, ob Fettleibigkeit einen wirklichen Risikofaktor darstellt, so sind Maß- nahmen unvertretbar, die in die persönliche Lebensgestaltung des Bürgers (z. B. seine Nahrungsge- wohnheit) eingreifen, auch und gerade durch Maßnahmen, die die Vertrauensbasis zwischen Patien- ten und Ärzten stören. Bei aller begründeten Skepsis dürfen wir sicher nicht so weit gehen, all un- sere Bemühungen in Frage zu stellen. Nicht auf das Ob, sondern auf das Wie wird es ankommen, ob wir fortschreiten oder nur Wi- derstände erzeugen.

...,. Der Arzt wird in seinem ethi- schen Bewußtsein immer darum bemüht sein, den Patienten von der Richtigkeit des "vorbeugen ist besser als heilen" zu überzeugen. Die wissenschaftliche Forschung in der Präventivmedizin ein- schließlich der empirischen So- zialforschung kann uns sicher vie- le wertvolle Hinweise und Hilfen dafür geben. Sicher aber ist auch, daß dies nicht um den Preis der Integrität, der Würde des Men- schen und seines Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

gehen darf. I>

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Das Ritual wiederholt sich alle zwei oder drei Tage: Gegen Ende der Sprechstunde — ich habe mit dem Patienten inzwischen über die aktuellen Beschwerden ge- sprochen und die notwendige Be- handlung eingeleitet — druckst Herr Müller oder Frau Meier ein wenig herum, um schließlich ein mehr oder weniger stark zerknit- tertes Stück Papier aus der Tasche zu ziehen. Mit den Worten „Übri- gens, was ich Sie noch fragen wollte, Herr Doktor, was halten Sie denn von dieser Behandlungsme- thode?" beginnt die Überleitung auf ein anderes, vielleicht das ei- gentliche Thema des Besuchs:

Der Patient zeigt mir nun einen oder mehrere Zeitungsausschnit- te, die er in irgendeinem der zahl- reichen DruCkerzeugnisse aus dem Bereich der Regenbogen- presse gefunden hat, die allwö- chentlich den deutschen Medien- markt zu überschwemmen pfle- gen. Meist handelt es sich um Arti- kel zu Themen wie „Neuralthera- pie" und „Akupunktur" oder

„Frischzellentherapie" und

„Ozonbehandlung", manchmal auch ganz einfach um Ernäh- rungsratschläge aus einer der vie- len Rubriken wie „Dr. med... be- antwortet Leserfragen" und nur recht selten um wirklich neue me- dizinwissenschaftliche Erkennt- nisse.

Irgendwann interessiert es mich schließlich selbst, dieses schier unerschöpfliche Reservoir an Zeit- schriften kennenzulernen, aus dem mehr als die Hälfte der Bun- desbürger nicht nur ihre politi- schen, sondern auch und vor al- lem ihre wissenschaftlichen und medizinischen Informationen be- zieht.

Von nun an lese ich zwei Wochen lang an die zwanzig verschiedene Zeitschriften vom „Goldenen Blatt" über „Tina", „Wochenend"

und „Sieben Tage" bis zur „Neuen Post", von der „Praline" zur „Frau mit Herz" und zum „Echo der Frau", nicht zu vergessen die täg- liche „Bild" und die „Bild am Sonntag", Blätter, von denen ich weiß, daß sie von mindestens der Hälfte meiner Patienten mehr oder weniger regelmäßig gelesen wer- den. Zunächst einmal staune ich, als ich sehe, wie breit der Raum ist, der in den (inklusive Werbung) meist 50 bis 60, selten einmal bis 90 Seiten starken Journalen medi- zinischen Fragen gewidmet wird:

Im Durchschnitt sind es drei Sei- ten, die die Rubriken mit Über- schriften wie „Aktuelle Medizin",

„Ihr Hausarzt antwortet", „Aus der Praxis eines Arztes" oder „Schö- ner leben mit Gesundheit" ausma- chen. Wer etwas auf sich hält, kann natürlich auch die Meinun- Da das X. Buch des Sozialgesetz-

buches offensichtlich eine erste Handhabe für die Intervention in eine gedeihliche Patienten-Arzt- Beziehung ermöglicht, sind die entsprechenden Paragraphen der- gestalt zu novellieren, daß auch sozial-medizinische Forschung nicht ohne Einwilligung der Be- troffenen nach entsprechender Aufklärung aus den für andere Zwecke gesammelten Daten er- laubt ist. Eine Ausweitung der Möglichkeiten sozial-medizini- scher Forschung durch den vorge- sehenen Neuentwurf des 3. Kapi- tels des X. Buches ist aus den nämlichen Gründen abzulehnen.

Prospektive medizinische Daten- sammlung, die auch für andere Sozialleistungsträger als die un- mittelbar Zuständigen verfügbar sein soll, ist wegen der Fragwür- digkeit ihrer wissenschaftlichen Qualität und auch aus daten- schutzrechtlichen Gründen ent- schieden zurückzuweisen.

Der Bürger muß vor allen Dingen in die Lage versetzt werden, seine Rechte wahrzunehmen, das heißt, er muß eindeutig und lückenlos über die Vorhaben sozial-medizi- nischer Forschung aufgeklärt wer- den, damit er das Recht des Wi- derspruchs uneingeschränkt wahrnehmen kann. Nur so können wir die Didaktik von Biener auch in der Zukunft befolgen, die besagt:

„Begründen — nicht behaupten."

„Belegen — nicht fanatisieren."

„Nicht negativieren — sondern po- sitivieren."

Dies muß unser Ziel in der Präven- tivmedizin bleiben, und ich möch- te hinzufügen: „Überzeugen — nicht kontrollieren oder gar be- spitzeln."

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Otfrid P. Schaefer Internist

Karthäuserstraße 19 3500 Kassel

Datenschutz

Datenschutzrechtliche Schlußfolgerung

THEMEN DER ZEIT

Köhnlechner, Ozontherapie und eine Portion Sex

Friedrich Hofmann

Köhnlechners medizinische Geschichten sind nur ein kleiner - wenn auch weithin bekannter—Teil des großen Komplexes „Medi- zin", den die "Regenbogenpresse" ihren Lesern vorsetzt. Da gibt es gute und schlechte Beispiele. Der Autor hat sich im bunten Blätterwald umgesehen und beschreibt, was er vorgefunden hat.

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