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Archiv "Elektrokrampftherapie — heutiger Stand" (17.09.1982)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

ÜBERSICHTSAUFSATZ

1. Entwicklung

Die Elektrokrampftherapie wurde 1938 von Cerletti und Bini als Be- handlungsmethode in die Psychia- trie eingeführt. Diesem therapeuti- schen Vorgehen lag die falsche, aber heuristisch fruchtbare Annah- me zugrunde, daß zwischen epilepti- schem Krampfanfall und Schizo- phrenie ein Antagonismus bestehe.

Zunächst hatte man versucht, epi- leptische Anfälle durch verschiede- ne Pharmaka künstlich herbeizufüh- ren. Nach der Arbeit von Cerletti und Bini wurde aber die elektrische Aus- lösung eines Krampfanfalls für 15 Jahre eine der wichtigsten Behand-

lungsmethoden bei endogenen Psy- chosen. Erst durch das Aufkommen der Psychopharmaka in den fünfzi- ger Jahren wurde die Anwendungs- häufigkeit der Krampfbehandlung deutlich eingeschränkt.

Inzwischen sind aber auch die Gren- zen der Pharmakotherapie mit Neu- roleptika und Antidepressiva deut- lich zu erkennen. Daher stellt sich in zunehmender Dringlichkeit die Fra- ge, ob man auf die Elektrokrampf- therapie wirklich ganz verzichten kann, oder ob sie nicht bei bestimm- ten Indikationen auch heute noch angewandt werden sollte. Zu be- rücksichtigen ist dabei, daß die Risi- ken (siehe unten) durch Modifikatio- nen der Elektrokrampfbehandlung (Vollnarkose, Muskelrelaxation, uni- laterale Elektrodenplazierung usw.) erheblich reduziert werden konnten.

Die Elektrokrampfbehandlung be- wirkt Veränderungen im Stoffwech- sel der biogenen Amine (Noradrena- lin, Serotonin, Dopamin). Im einzel- nen sind diese biochemischen Wir- kungen noch nicht vollständig auf- geklärt (was auch für die Behand- lung mit antidepressiven Medika- menten und viele medizinische The- rapien überhaupt gilt). Dennoch kann man bei der Elektrokrampfbe- handlung nicht von einer unbekann- ten Wirkungsweise sprechen. Sie bewirkt nach Fink (1979) eine gestei- gerte Proteinsynthese der biogenen Amine und führt zu einer Permeabili- tätssteigerung der Blut-Hirn-Schran- ke für Noradrenalin und Serotonin, so daß diese vor allem in den für den therapeutischen Effekt sensitiven Hirnregionen (Hypothalamus und Diencephalon) in erhöhter Konzen- tration an ihre Rezeptoren gelangen können. Die als Nebenwirkung be- schriebenen mnestischen Funk- tionseinbußen sollen auf Grund ei- ner verminderten Proteinsynthese auftreten. Topographisch werden diese Störungen dem Hippokampus und dem Corpus-mamillare-System zugeordnet.

2. Indikationen

Die Indikation zur Elektrokrampfbe- handlung wird heute mehr durch die Möglichkeiten beziehungsweise Grenzen anderer Therapieformen (insbesondere Pharmakotherapie) als durch das Behandlungsrisiko be-

Die Elektrokrampftherapie ge- riet in den letzten Jahren zu- nehmend ins Kreuzfeuer der Medienkritik. Radikale Kriti- ker der Psychiatrie fordern ih- re totale Abschaffung. In die- sem Beitrag soll geklärt wer- den, ob und unter welchen Bedingungen eine Elektro- krampfbehandlung doch noch indiziert ist, wie sie heute durchgeführt wird und welche ärztlichen Überlegungen da- bei zu berücksichtigen sind.

stimmt. Letzteres besteht — entge- gen manchen in der Öffentlichkeit geäußerten Meinungen, auf die noch einzugehen sein wird — de fac- to nur noch im allgemein vorhande- nen Narkoserisiko.

Therapeutisch gesehen ist die Krampfbehandlung bei endogenen Psychosen dann indiziert, wenn sie anderen, insbesondere pharmako- therapeutischen Verfahren eindeu- tig überlegen ist.

2.1 Absolute Indikationen

Es gibt in der Psychiatrie mehrere lebensbedrohliche Krankheitszu- stände, bei denen die Elektro- krampfbehandlung (insbesondere bei Neu rolepti karesistenz) lebens- rettend sein kann: Bei der perniziö- sen Katatonie, einem schizophrenen Syndrom mit heftiger Erregung oder Stupor, hohem Fieber und Exsikko- se, Zyanose und Hämorrhagien. Vor der Krampfbehandlung ist eine En- zephalitis, die zu ähnlicher Sympto- matik führen kann, oder eine andere Hirnkrankheit auszuschließen.

Weiterhin ist die Elektrokrampfthe- rapie bei schwersten endogenen De- pressionen (Melancholien) ange- zeigt, wenn wegen hoher Suizidge- fahr eine rasche Hilfe notwendig er- scheint. Bei Melancholien und ande- ren schweren Psychosen ist die Elektrokrampfbehandlung absolut indiziert, wenn sich in früheren

Elektrokrampftherapie — heutiger Stand

Gerhard Buchkremer, Rolf Meermann und Rainer Tölle

Aus der Abteilung Klinik für Psychiatrie der Psychiatrischen und Nervenklinik (Direktor: Professor Dr. med. Rainer Tölle) der Universität Münster

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Elektrokrampftherapie

Krankheitszeiten gezeigt hat, daß die Psychose gegenüber Psycho- pharmaka refraktär ist, durch Krampfbehandlung aber günstig be- einflußt werden kann.

2.2 Relative Indikationen

Der Pharmakotherapie gleichwertig, nach manchen Autoren (Fink 1979) sogar überlegen, ist die Elektro- krampfbehandlung bei den endoge- nen Depressionen (Melancholien) insgesamt (also über die erwähnten schwersten Fälle hinaus) und bei dem Syndrom des Stupors im Rah- men schizophrener und affektiver Psychosen, auch wenn es sich nicht um eine perniziöse Katatonie han- delt. Insbesondere wenn eine De- pression mit vegetativen Sympto- men (Schlafstörungen, Tages- schwankungen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Obstipation, Mund- trockenheit, Libidoverlust) einher- geht oder Stupor, katatone Sympto- me, Suizidgedanken oder -aktivitä- ten sowie melancholische Wahnin- halte (Verschuldungswahn, hypo- chondrischer Wahn, Verarmungs- wahn) aufweist, sollte die Indikation zur Elektrokrampftherapie abgeklärt werden. Auch wenn manche ameri- kanische Psychiater und selbst be- handelte Patienten fordern, die Krampfbehandlung wegen ihrer ra- scheren Wirksamkeit, verglichen mit der antidepressiven Pharmakothera- pie, allgemein zu bevorzugen, sollte die Elektrokrampftherapie unseres Erachtens außer bei den absoluten Indikationen nur dann eingesetzt werden, wenn psychopharmakologi- sche und psychotherapeutische Be- handlungen fehlschlagen und der besondere Schweregrad der Erkran- kung die Elektrokrampfbehandlung erfordert.

Als Alternative zu den Thxmoleptika stehen außer der Krampfbehand- lung auch die antidepressiv wirken- den Monoaminooxydaseinhibitoren und der therapeutische Schlafent- zug (für eine halbe oder eine ganze Nacht) zur Verfügung. Erst wenn diese Maßnahmen unwirksam blei- ben, ist die Indikation zur Elektro- krampfbehandlung zu prüfen.

2.3 Ultima ratio

Bei therapieresistenten chronischen Depressionen mit zum Teil jahrelan- gen Verläufen, bei denen alle übri- gen antidepressiven Maßnahmen ohne überzeugenden Erfolg blieben, spricht nach Meiendorf (1979) noch die Hälfte der Patienten gut auf die Elektrokrampfbehandlung an.

Auch bei schizoaffektiven oder schi- zophrenen Psychosen mit chronisch progredientem Verlauf, die gegen Psychotherapie, Pharmakotherapie und Soziotherapie resistent sind, ist die Elektrokrampftherapie als Ultima ratio zu erwägen (Köhler 1980, Fink 1979).

2.4 Nicht indiziert

Bei allen Formen von Neurosen, Per- sönlichkeitsstörungen, Sucht und Sexualstörungen ist die Elektro- krampfbehandlung nicht indiziert.

Bei Schizophrenien ist, abgesehen von der katatonen Form (siehe oben), nur dann eine Indikation ge- geben, wenn Therapieresistenz ge- gen alle anderen Behandlungsarten besteht und sich ein ungünstiger Krankheitsverlauf angebahnt hat. Es existieren bereits in der Fachlitera- tur ausführliche Erfahrungsberichte darüber, bei welchen psychiatri- schen Syndromen im einzelnen die Elektrokrampfbehandlung beson- ders wirksam ist.

Abstand von einer Elektrokrampf- therapie sollte man vor allem bei Pa- tienten nehmen (Fink 1979), die un- ter 35 Jahre alt sind, neurotische Symptome (z. B. Konversionssym- ptome, hypochondrische Befürch- tungen) oder eine Wahnentwicklung aufweisen.

Allgemein sei einschränkend darauf hingewiesen, daß sich die Wirksam- keit der Elektrokrampftherapie wie fast aller Therapiemethoden nur auf die Dauer der gerade behandelten depressiven Phase beziehungsweise schizophrenen Welle erstreckt. Der weitere Krankheitsverlauf wird durch die Elektrokrampftherapie nicht präventiv beeinflußt.

2.5 Kontraindikationen

Bei allen psychischen Krankheiten, die durch einen Hirnprozeß (Hirn- tumor, Enzephalitis, Gefäßprozesse usw.) bedingt oder mitbedingt sind, ist die Krampfbehandlung kontrain- diziert, desgleichen bei ernsthaften Herzerkrankungen wie Überlei- tungsstörungen, Koronarinsuffi- zienz, Zustand nach Herzinfarkt, bei Herzschrittmacher. Die beobachte- ten Todesfälle (nach Frankel, 1978, etwa drei Patienten pro 10 000 Be- handelte) waren nämlich abgesehen von dem Risikofaktor Narkose hauptsächlich auf akutes Herzversa- gen bei Koronarinsuffizienz, Herzin- farkt und reflektorischen Atemstill- stand zurückzuführen.

Auch bei anderen schweren allge- mein körperlichen Krankheiten ist größte Vorsicht geboten. Die Vorme- dikation ist zu beachten; insbeson- dere nach größeren Dosen zentral wirksamer Medikamente ist die Krampfbehandlung zurückzustellen.

3. Voraussetzungen

Der Psychiater hat den Patienten über die Elektrokrampfbehandlung, der Anästhesist über die Narkose zu informieren. Zu beidem muß der Pa- tient sein Einverständnis erklären.

Wenn er hierzu aus Krankheitsgrün- den nicht in der Lage ist, muß das vom Psychiater festgestellt und im Krankenblatt vermerkt werden. In diesen Fällen ist eine Behandlungs- pflegschaft einzurichten; bei vitaler Bedrohung ist jedoch die sofortige Behandlung statthaft.

Die medizinischen Voraussetzungen sind dem Abschnitt über die Kon- traindikationen zu entnehmen. Je- denfalls müssen eingehende neuro- logische und internistische Untersu- chungen (einschließlich Blutunter- suchungen, EKG, Röntgendiagno- stik des Thorax) vorgenommen wer- den. Glaukom und Stauungspapille sind auszuschließen. Die vorausge- hende Pharmakotherapie ist zu überprüfen: Nach einer (heute nur noch sehr seltenen) Reserpin-Medi- kation ist die sofortige Krampfbe-

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handlung nicht statthaft. Sehr hoch dosierte Phenothiazin- beziehungs- weise Butyrophenon-Behandlungen können eine relative Kontraindika- tion darstellen.

4. Durchführung

Von Kritikern werden auch heute noch Argumente benutzt, die aus weit zurückliegender Zeit stammen, als die Krampfbehandlung noch oh- ne Narkose, ohne Muskelrelaxation und ohne die heutige Druchflu- tungstechnik angewandt wurde. Oh- ne den heutigen Stand der Technik im einzelnen zu beschreiben (siehe hierzu etwa Fink 1979, Kendell 1981), sollen kurz die Maßnahmen erklärt werden, die der Krampfbe- handlung das Unangenehme ge- nommen und die Risiken praktisch aufgehoben haben. Der Patient, der über die in Narkose durchgeführte Krampftherapie richtig informiert ist, hat keine Angst vor der Behandlung.

Die Narkose wird immer durch einen Anästhesisten durchgeführt (Rein- hold, Meermann, Stellpflug 1982).

Eine Intubation ist in der Regel nicht notwendig, muß aber für den Be- darfsfall vorbereitet sein. Nach Ein- leitung der Narkose wird vor der Be- handlung mit reinem Sauerstoff be- handelt. Hierdurch wird die Krampf- schwelle erniedrigt, so daß zur Aus- lösung des Krampfanfalles eine ge- ringere Stromstärke ausreicht.

Durch Muskelrelaxation mit Succi- nylcholin werden anfallsbedingte Muskel- und Knochenverletzungen verhindert.

Die Elektroden werden heute in der Regel unilateral auf der Seite der nicht dominanten Hirnhemisphäre angesetzt. Auch hierdurch werden die Nebenwirkungen (Gedächtnis- störungen) herabgesetzt. Die Einzel- heiten der elektrischen Auslösung des Krampfanfalles gehören zum Spezialwissen des Psychiaters und können hier übergangen werden.

Zur Nachbehandlung bleiben Anäs- thesist und Psychiater beim Patien- ten, bis er zu erwachen beginnt.

Mindestens eine Stunde lang bleibt eine Schwester/Pfleger am Bett des Patienten.

Der therapeutische Effekt der Elek- trokrampftherapie kann bereits nach ein bis zwei Behandlungen eintre- ten, öfter aber nach einigen weiteren Behandlungen. In der Regel genü- gen sechs bis acht Krampfbehand- lungen, die notwendige Anzahl kann aber auch höher liegen. Das Krite- rium ist jeweils die Reduzierung der Zielsymptomatik.

5. Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen

Die Angst des Patienten, die die Elektrokrampfbehandlung in der er- sten Zeit zu einer erschreckenden Therapie werden ließ, kommt heute dank der Vollnarkose und der psy- chologischen Vorbereitung des Pa- tienten nicht mehr auf. Früher be- wirkte der unmitigierte Krampfanfall gelegentlich Frakturen; dieses Risi- ko ist durch die Muskelrelaxation beseitigt.

Psychische Nebenwirkungen der Krampfbehandlung sind Gedächt- nisstörungen, die jedoch nur bei we- nigen Patienten und in der Regel nur für kurze Zeit eintreten. Es handelt sich um eine Merkschwäche in den ersten Tagen und Wochen nach der Krampfbehandlung sowie um eine seltene retrograde Amnesie für die Zeit von einigen Tagen oder Wo- chen, in extrem seltenen Fällen auch bis zu einem Jahr. Die Ursache die- ser weiter zurückreichenden und länger anhaltenden retrograden Am- nesie ist ungeklärt. Die Ansicht von Breggin (1980), es handele sich um eine regelmäßige Störung, ist falsch und entspricht der auch im übrigen tendenziösen Art dieser Publikation.

Da die Amnesie nur bei sehr weni- gen krampfbehandelten Patienten auftritt, muß angenommen werden, daß sie nicht auf die Krampfbehand- lung allein, sondern im wesentlichen auf andere Faktoren zurückzuführen ist, möglicherweise auf vorbeste- hende und unerkannte organische Hirnschäden.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß Gedächtnisstörungen auch durch die Krankheit, zum Beispiel durch die Depression bedingt sein können,

und daß auch andere Behandlungs- verfahren wie Psychopharmaka zu vorübergehenden Gedächtnisstö- rungen führen können. Im Hinblick auf die Krampfbehandlung ist es wichtig zu wissen, daß Gedächtnis- störungen bei der modernen Tech- nik wesentlich seltener geworden sind. Sie treten bei unilateraler Elek- trodenplazierung auf der nicht-do- minanten Hirnseite, Sauerstoffbe- handlung und kurzen modifizierten Reizströmen in weniger als ein Pro- zent auf und sind, wie gesagt, in der Regel reversibel.

Andere Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Nach kritischen wissen- schaftlichen Literaturübersichten sind Hirnsubstanzschädigungen des Patienten bei der hier beschriebe- nen Technik nicht nachgewiesen (Köhler 1980, Meyendorf 1979).

6. Zur aktuellen Diskussion der Nachteile der

Elektrokrampfbehandlung

Das größte Problem der Elektro- krampfbehandlung ist nicht medizi- nischer Art, sondern besteht in den Vorurteilen und Ängsten, die allein schon durch den Gebrauch des fal- schen Wortes „Elektroschock" her- vorgerufen werden (welches heute an Foltermethoden, aber auch an die Behandlung kardialer Notfälle denken läßt). Genährt werden diese Vorbehalte durch unsachliche und polemische Berichterstattungen in den Medien, die zum Teil lauteren Absichten entspringen mögen, je- doch nicht die neuen wissenschaftli- chen Erkenntnisse über den Wert und die Risiken der Elektrokrampf- behandlung bei modifizierter Tech- nik zur Kenntnis nahmen. Patienten und Angehörige werden hierdurch häufig so negativ beeinflußt, daß ei- ne indizierte und vom Psychiater vorgeschlagene Krampfbehandlung abgelehnt wird und allein schon der Vorschlag zu einer ernsten Bela- stung der Patient-Arzt-Beziehung führen kann.

Die Elektrokrampfbehandlung stellt einen erheblichen physikalischen Eingriff in das Zentralnervensystem

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Zur Fortbildung Aktiielle Medizin Elektrokrampftherapie

dar: Zur Linderung eines psychoti- schen Zustandsbildes wird ein epi- leptischer Grand-mal-Anfall hervor- gerufen. Das ist zu berücksichtigen, wenn der Psychiater mit dem Patien- ten die Entscheidung über die An- wendung dieser Behandlung fällt.

Nur durch das Abwägen der Vor- und Nachteile der Durchführung be- ziehungsweise des Verzichtes auf diese Therapie kann der Psychiater zusammen mit dem Patienten die Entscheidung fällen. Es müssen aber die Risiken der Elektrokrampf- therapie mit den Risiken anderer

möglicher Therapien verglichen werden. Die Mortalitätsrate ist bei der Elektrokrampftherapie geringer als bei der Pharmakotherapie oder Psychotherapie der genannten Psy- chosen und auch geringer als ohne Behandlung (Avery et al. 1976). Das ist einerseits auf die kleinere Suicid- rate krampfbehandelter Patienten zurückzuführen, andererseits auf die geringere Kardiotoxizität der Elektrokrampftherapie verglichen mit antidepressiven Pharmaka.

Insgesamt gesehen wird die Elektro- krampftherapie heute sehr selten durchgeführt, in einer Psychiatri- schen Klinik nur bei einigen Patien- ten jährlich (Reimer et al. 1981).

Wenn aber eine der oben dargestell- ten vitalen Gefährdungen vorliegt oder wenn bei schweren Psychosen die Krampfbehandlung einen ra- schen und sicheren Therapieeffekt verspricht, darf der Arzt dem Patien- ten die Möglichkeit einer Heilung durch die Elektrokrampfbehandlung nicht auf Grund ideologischen Den- kens oder einer ablehnenden öffent- lichen Meinung wegen vorenthalten.

(Literatur beim Verfasser)

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Gerhard Buchkremer Dr. med. Diplom-Psychologe Rolf Meermann

Professor Dr. med. Rainer Tölle Abteilung Klinik für Psychiatrie der

Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Münster

Albert-Schweitzer-Straße 11 4400 Münster

FÜR SIE GELESEN

Zystinurietherapie mit Ascorbinsäure

Als hereditärer Defekt im Metabolis- mus ist die Zystinurie bekannt. Auf 10 000 Einwohner kommt es bei ei- nem Patienten zu einer vermehrten Zystinausscheidung. Als Therapie- möglichkeiten kamen bisher neben alkalisierenden Maßnahmen und Harnverdünnung die Gabe von D- Penisillamin oder Mercaptopropio- nylglycin (Thiola®) in Betracht. Die therapeutische Anwendung dieser Präparate kann jedoch wegen ihrer starken Nebenwirkung nicht sehr lange fortgesetzt werden.

Erstmals wurde 1979 von Asper und Mitarbeitern die Möglichkeit erwo- gen, durch eine hochdosierte Ascor- binsäuretherapie die Zystinaus- scheidung zu beeinflussen. Die Vor- stellungen beruhen auf der Tatsa- che, daß die Ascorbinsäure das Zy- stin-Zysteinverhältnis im Urin als Oxydationsmittel verhindert. Die er- sten Ergebnisse dieser Therapie wurden 1980 publiziert.

Langzeitstudien folgten an den Uro- logischen Kliniken in Zürich, Bam- berg, Bonn, Tübingen, Karlsruhe so- wie an der Universität Jena. Die Er- gebnisse zeigen eine deutlich herab- gesetzte Rezidivneigung, so daß die- se Therapie empfehlenswert er- scheint. Wesentlich ist die Verab- reichungsform der Ascorbinsäure:

Die Therapie soll in Form von Brau- setabletten und nicht als reiner Wirkstoff abgegeben werden. Durch die Verabreichung in Form von Brausetabletten wird die gewünsch- te Diureseförderung erreicht und weiter eine Alkalisierung des Harns bewirkt. Das in der Brausetablette enthaltene Natriumhydrogencarbo- nat führt zu einer starken Anhebung des pH im Urin.

Ohne weitere Maßnahmen zur Alka- lisierung des Harns wird durch 5 g Vitamin C in Form von 5 Redoxon- Tabletten ä 100 mg ein mittlerer pH- Wert im 24-Stunden-Urin von 7,3 pH erreicht. Die bis jetzt guten Erfah- rungsberichte gestatten eine weitere

Anwendung dieser Therapieart. Sie besticht durch die gute Verträglich- keit und den relativ geringen Ko- stenaufwand. SkI

Editorial: Zystinurietherapie — Schmucki, 0., Asper, R.: Die Behandlung des Zystin-Steinlei- dens mit Ascorbinsäure, Urologische Klinik des Universitätsspitals, CH-8091 Zürich — Brundig, P., Schneider, H. J., Börner, R.: As- corbinsäuretherapie beim Zystinsteinleiden, Poliklinik der Friedrich-Schilrer-Universität, DDR-6900, alle Arbeiten aus: Aktuelle Urolo- gie, 13 (1982) 81-86

IgE und Ekzeme und/oder

Asthma bei Kindern

250 Kinder mit atopischer Familien- anamnese wurden prospektiv auf die Entwicklung von Asthma und/

oder Ekzemen untersucht. Kriterien für das Vorliegen einer Atopie in der Familie waren Ekzeme oder Asthma bei einem Elternteil oder einem Ge- schwisterkind. Die Kinder wurden im Alter von sechs Monaten, ein und zwei Jahren untersucht; zugleich wurden die Mütter befragt, wie lange sie ihre Kinder gestillt hatten. 44 Kin- der (17,6 Prozent) entwickelten bis zum zweiten Lebensjahr eine Atopie, 60 (24 Prozent) hatten zweifelhafte Symptome, und die restlichen Kin- der waren klinisch unauffällig (146 -_•458,4 Prozent). Die atopischen Kin- der hatten höhere IgE-Werte als die unauffälligen Kinder, aber auch bei ihnen lag der IgE-Wert in 50 Prozent der Fälle im Normbereich. Dagegen wiesen 9 Prozent der klinisch unauf- fälligen Kinder einen erhöhten IgE- Wert auf. In dieser Untersuchung zeigte das Stillen keinen protektiven Effekt gegen die Entwicklung einer Atopie oder eines erhöhten IgE-Wer- tes. Die Ansicht, daß zumindest die Entwicklung von Ekzemen durch frühzeitige Ernährung mit Kuhmilch oder Kuhmilch-Produkten begün- stigt wird, konnte nicht bestätigt werden. Sie

Gordon, R. R.; Ward, A. M.; Noble, D. A.; Allen, R.: Immunglobulin E and the Eczema-Asthma Syndrome in Early Childhood, Lancet I (1982) 72-74, R. R. Gordon, Department of Immuno- logy, Medical School, The University, Sheffield 10, Great Britain

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