A 362 Deutsches Ärzteblatt
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Heft 9|
27. Februar 2015KOMMENTAR
Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Afschin Gandjour, Frankfurt School of Finance & Management
Die Debatte um teure Medikamente in Deutschland reißt nicht ab. Aktuell wird insbesondere Sofosbuvir diskutiert, das in Kombination mit anderen Arzneimit- teln zur Behandlung der chronischen Hepatitis C bei Erwachsenen zugelas- sen ist. In Teilpopulationen sprechen mehr als 90 Prozent der betroffenen Patienten auf die Therapie an; die Kos- ten einer zwölfwöchigen Behandlung ohne Begleitmedikation lagen bisher bei 56 576 Euro. Angesichts dieser
Kosten und der Aussicht auf weitere teure Markteinführungen stellt sich die Frage, wie Preise für neue innovative Arzneimittel, die Hersteller und Versi- cherte gleichermaßen akzeptabel fin- den, festgelegt werden könnten.
Gegenwärtig verhandeln Hersteller und der GKV-Spitzenverband – durch- aus basarähnlich – den Preis eines in- novativen Arzneimittels, das neu auf den Markt kommt. Der Verkäufer hat den Anreiz, den Preis zunächst einmal he- raufzusetzen, bevor er sich dann vom Käufer einen Abschlag einfordern lässt.
Der Abschlag lag im Durchschnitt ver- gangener Preisverhandlungen für Prä- parate mit Zusatznutzen bei circa 20 Prozent, die gerade für Sofosbuvir erziel- te Einigung reduziert die Kosten für eine zwölfwöchige Therapie auf rund 43 500 Euro.
Trotz der wenig nachvollziehbaren Verhandlungen zwischen Herstellern und GKV-Spitzenverband zeigen sich beide Seiten mit dem Verfahren weitest- gehend zufrieden. Alternative Verfahren könnten zu niedrigeren Preisen führen, so die Sorge der Hersteller. Kassenver- treter fürchten einen Machtverlust, wenn sie Preise nicht mehr aktiv am Verhand- lungstisch mitbestimmen können. Aber sind die Preise wirklich optimal dahinge- hend, dass sie Präparate mit erwiese- nen Therapiedurchbrüchen angemessen
belohnen und solche mit geringen Zu- satznutzen knapp über der Vergleichs- therapie vergüten? Dies ist für Versi- cherte gegenwärtig nicht transparent.
Wie könnte man den Preis für ein Arzneimittel alternativ bestimmen?
Stellen wir uns eine Kommune vor, in der die bisher wirksamste Therapie für Hepatitis C (Telaprevir bzw. Boceprevir) zu 1 000 Therapieansprechern führt.
Nun tritt Sofosbuvir auf den Markt. Es erhöht die Zahl der Therapieansprecher
um fünf Prozent (beispielhaft geschätzt auf Basis eines geringen Zusatznutzens gegenüber Telaprevir oder Boceprevir, laut Beschluss des Gemeinsamen Bun- desausschusses), also von 1 000 auf 1 050. Nun scheint es doch plausibel zu sein, für fünf Prozent mehr Thera- pieerfolge auch fünf Prozent mehr zu zahlen. Bei Therapiekosten von circa 30 000 Euro für Telaprevir oder Boce- previr würde die Vergütung für Sofos- buvir also auf 31 500 festgelegt wer- den. Sie läge damit deutlich niedriger als bei der gerade erfolgten Einigung.
Diese logische Vorgehensweise be- ruht auf dem Proportionalitätsprinzip zwischen Kosten und Nutzen. Sie wur- de auch vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswe- sen (IQWiG) in seinem Ansatz der Kos- ten-Nutzen-Bewertung aufgegriffen.
Dieses Verfahren ist bisher nur probe- weise angewandt worden (1, 2), ob- gleich es im Falle einer Nichteinigung von Spitzenverband und Pharmaunter- nehmen in Auftrag gegeben werden könnte. Die bisherige Sorge von Kas- sen oder Politikern, das Verfahren sei nicht schnell genug durchführbar, ist durch eine kürzlich veröffentlichte Kos- ten-Nutzen-Bewertung widerlegt wor- den (1). Sie verwendet ein Schnellver- fahren, das zum selben Ergebnis führt wie eine aufwendigere Analyse (3). In
der Tat zeigt obige Beispielrechnung, dass eine formale Analyse zu schnellen und plausiblen Ergebnissen führen kann. Weitere Vorteile des Verfahrens sind seine Akzeptanz in einer deut- schen Bevölkerungsstichprobe (4) so- wie die simulierte Bremsung des Aus- gabenwachstums im Gesundheitswe- sen (und nicht nur des Arzneimittel- preisanstiegs) (5). Wird hingegen allein auf Verhandlungen gesetzt, ist keines- wegs gesichert, dass das Ausgaben-
wachstum im Gesundheitswesen ge- bremst wird, weil ja, wie erwähnt, die Hersteller dazu tendieren, den Preis bei Markteintritt hoch anzusetzen.
Nun wird es immer schwieriger, noch wirksamere Medikamente zu entwi- ckeln. Der Hersteller von Sofosbuvir wür- de zu Recht einwenden, dass eine Erhö- hung der Zahl an Therapieansprechern von 1 000 auf 1 050 einen höheren For- schungsaufwand bedeutet als eine Er- höhung von 950 auf 1 000. Hier sollte man in der Tat einen Aufschlag diskutie- ren. Doch welche Grundlage sollte die- ser Aufschlag haben – Forschungs- und Entwicklungskosten? Oder eher Wachs- tums- und Beschäftigungseffekte durch Arzneimittelentwicklung, -produktion und -vertrieb? Ist es überhaupt Aufgabe der Kassen, Forschung zu finanzieren und für Wachstum und Beschäftigung zu sorgen? Diese Fragen sind keinesfalls geklärt und müssten Gegenstand weite- rer Forschungsbemühungen zur rationa- len Arzneimittelpreisfestlegung sein.
Doch als Basis jedweden Preisauf- schlags ist das IQWiG-Verfahren weitaus transparenter und logisch konsistenter als Daumenregeln im Rahmen von Preisverhandlungen.
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Literatur im Internet:www.aerzteblatt.de/
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DER FALL SOFOSBUVIR
Zur Logik von Arzneimittelpreisen
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27. Februar 2015T H E M E N D E R Z E I T
LITERATURVERZEICHNIS HEFT 9/2015, ZU:
DER FALL SOFOSBUVIR
Zur Logik von Arzneimittelpreisen
LITERATUR
1. Gandjour A, Gafni A, Schlander M: Deter- mining the price for pharmaceuticals in Germany: comparing a shortcut for IQWiG’s efficiency frontier method with the price set by the manufacturer for ticagrelor. Expert Rev Pharmacoecon Outcomes Res 2014;14(1):123–9.
2. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Kosten-Nutzen-Bewer- tung von Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin im Vergleich zu weiteren verordnungsfähigen medikamentösen Be- handlungen. Köln: Abschlussbericht 2013;
G09–01.
3. Gandjour A, Gafni A: The German method for setting ceiling prices for drugs: in some cases less data are required. Expert Rev Pharmacoecon Outcomes Res. 2011 Aug;
11(4): 403–9.
4. Gandjour A, Chernyak N, Icks A, Gafni A:
Public acceptance of different approaches to determine drug reimbursement prices and whether it is influenced by framing: an empirical evaluation in Germany. Internation- al Journal of Public Sector Management 2014; 27(6): 501–11.
5. Gandjour A: Drug pricing and control of health expenditures: a comparison between a proportional decision rule and a cost-per- QALY rule. Int J Health Plann Manage. Im Druck.