Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 18⏐⏐1. Mai 2009 A865
P O L I T I K
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ie Bayern sind momentan al- les andere als zufrieden mit der bundesweiten Gesundheitspoli- tik. Die jüngste Kritik aus dem Sü- den kam Ende April von den dorti- gen Betriebskrankenkassen: Sieben von ihnen klagen gegen den morbi- ditätsorientierten Risikostrukturaus- gleich (Morbi-RSA). Anlass dazu sind ihrer Meinung nach zu geringe Ausgleichsbeträge, die sie für ihre Krankengeldleistungen aus dem Ge- sundheitsfonds erhalten.Mit ihrer Kritik am Fonds stehen sie nicht allein. Seit er zum 1. Janu- ar 2009 in Kraft getreten ist und auf der Basis des neuen Morbi-RSA die Ausgleichszahlungen zwischen den Krankenkassen verfeinert hat, wird gegen den Fonds gewettert. Bei ei- ner Veranstaltung des Bundesver- bands Medizintechnologie warnten Fachleute nun vor negativen Folgen für das Versorgungsmanagement.
Die Krankenkassen, so ihre Be- fürchtung, werden auch in den nächs- ten Monaten eher abwarten, statt sich einfallsreich um gutes Versor- gungsmanagement zu kümmern, sprich: Verträge abzuschließen, da- mit ihre Versicherten entweder kos- tengünstiger oder besser versorgt werden, im Idealfall beides.
Prof. Dr. Norbert Klusen, Vor- standsvorsitzender der Techniker- Krankenkasse, verwies darauf, dass gute Versorgungsangebote und ein guter Service Geld kosteten. Seiner Ansicht nach schrecken Kranken- kassen aber davor zurück, eine Zu- satzprämie zu fordern und sich of- fensiv als „Premiumkasse“ mit be- stimmten Versorgungsangeboten zu platzieren. Denn die Politik habe die Zusatzprämie diffamiert durch die Behauptung, nur schlecht wirtschaf- tende Kassen müssten sie erheben.
Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsit- zender der KKH-Allianz, begründe-
te die zögerliche Haltung vieler Kassen mit finanziellen Unsicher- heiten: Zwar hat die Bundesregie- rung zugesichert, Einnahmeausfälle der Kassen infolge der Wirtschafts- krise durch Steuerzuschüsse an den Fonds auszugleichen, doch diese müssen zurückgezahlt werden – wobei Boris Velter, Referatsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG), anmerkte, man werde die Rückzahlungen wohl kaum so zeit- nah wie vorgesehen von den Kran- kenkassen fordern, falls die Wirt- schaftskrise anhalte.
Solche Steuerzuschüsse sind nach Ansicht von Daniel Bahr (FDP) kein Schutzschirm für die Beitragszahler, sondern ein Schutz- schirm für die Regierung im Wahl- jahr. „Man will über den Herbst kommen“, kritisierte der Gesund- heitspolitiker. Dass das BMG jahre- lang löblicherweise auf Schulden- abbau der Kassen gedrängt habe und nun Schulden wieder zulassen wolle, sei fatal, befand der Liberale.
Von einem gelungenen Wettbe- werb um gute Verträge kann man seiner Meinung nach auch nicht sprechen. Vielmehr werde politi- scher Druck ausgeübt, damit über- haupt Verträge zustande kämen, die die Bundesregierung für sinnvoll halte. Als Beispiel verwies Bahr auf die Debatten um die Hausarztverträ- ge. Und darauf, dass nun im Rahmen der geplanten Novellierung des Arz- neimittelgesetzes der Abschluss von Sozialpsychiatrie-Vereinbarungen in den Ländern erzwungen werden soll.
Differenziert äußerte sich Prof.
Dr. Jürgen Wasem zu der Frage, ob Fonds und Morbi-RSA ein gutes Versorgungsmanagement befördern oder verhindern. „Die Behauptung, wegen des Morbi-RSA würden sich für die Kassen nur noch Kranke loh- nen, ist entweder dumm oder bös-
willig“, sagte Wasem. Mit den Zu- weisungen sei auszukommen, mehr aber auch nicht. Wenn sich innerhalb eines Jahres der Gesundheitszustand eines Versicherten verbessere, ände- re das zwar erst einmal nichts an der Zuweisung für ihn aus dem Fonds.
Deshalb profitiere möglicherweise die Kasse, die dann geringere Kos- ten habe. Im nächsten Jahr könne das anders aussehen, falls derselbe Versicherte zum Beispiel als besser eingestellter Diabetiker anders ein- gestuft würde als zuvor und die Kas- se deshalb eine geringere Zuwei- sung erhalte. „Nur“, betonte Wasem,
„dann bekomme ich als Kasse zwar weniger Geld, habe aber auch weni- ger Ausgaben.“ Dass sich gutes Ver- sorgungsmanagement generell nicht lohne, sei auf jeden Fall falsch.
Dennoch: Viele Krankenkassen halten sich zurück. Diesen Eindruck hat auch Gerd Gottschalk von der Firma Medtronic GmbH. Er präsen- tierte ein Projekt zur Versorgung von herzinsuffizienten Patienten, das Medtronic mit der Gmünder Ersatzkasse auf den Weg gebracht hatte. Dabei sanken die Kosten bei besserer Versorgung der Patienten.
Dennoch zögerten andere Kranken- kassen, ebenfalls einzusteigen.
Gottschalk führte diese Haltung darauf zurück, dass manche Kassen gar nicht wissen, wie sie geeignete Patienten für ein Projekt identifizie- ren und ansprechen können. Abwar- ten statt Verträge abschließen ist aber langfristig keine Lösung, findet er: „Die Kosten laufen sonst einfach
weiter wie bisher.“ I
Sabine Rieser
VERSORGUNGSMANAGEMENT
Abwarten statt abschließen
Wenn es erst angemessenere Zuweisungen für kranke Versicherte gibt, werden die Kassen bessere Versorgungsverträge aushandeln – hoffte mancher. Doch nun lähmen Geldsorgen und Unsicherheit.
SO FUNKTIONIERT DER FONDS
>Seit 1. Januar 2009 gilt für alle Mitglieder einer gesetzli- chen Krankenkasse ein einheitlicher Beitragssatz: Arbeit- geber und Arbeitnehmer zahlen jeweils 7,3 Prozent, Ar- beitnehmer zusätzlich 0,9 Prozent.
>Im Gesundheitsfonds werden die Beiträge und der Steuer- zuschuss gesammelt.
>Aus dem Fonds erhält jede Krankenkasse eine pauschale Zuweisung je Versicherten, wobei es je nach Alter, Ge- schlecht und Krankheit Zu- oder Abschläge gibt.
>Kern des neuen morbiditätsorientierten Risikostruktur- ausgleichs sind die durchschnittlichen Versorgungskos- ten für 80 sehr teure oder chronische Krankheiten.