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Archiv "Depression bei Parkinson-Patienten: Diagnostische, pharmakologische und psychotherapeutische Aspekte" (04.10.2002)

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epressionen sind die häufigsten psychiatrischen Störungen bei der Parkinson-Krankheit. Sie treten bei circa 40 bis 50 Prozent der Patienten auf und beeinträchtigen, abgesehen von den motorischen Defiziten, die Lebens- qualität (19, 46). Trotz Häufigkeit und Bedeutung sind offenbar Depressionen bei Parkinson-Patienten unterversorgt (42). Im Folgenden wird auf Diagnostik und Therapie depressiver Störungen bei Parkinson-Patienten eingegangen.

Primäre oder sekundäre Depression

James Parkinson schloss in seiner auf Fremdanamnese und visueller Inspekti- on beruhenden Erstbeschreibung der Parkinson-Krankheit die Beeinträchti- gung von Sinnen und Intellekt explizit aus (38), wobei er das Wissen um depres- sive Aspekte möglicherweise als bekannt voraussetzte. Untersuchungen der letz- ten zehn Jahre berichten in Abhängigkeit von der Definition einer Depression

(ICD-10-Kriterien) (Textkasten 1) und der Patientenselektion über eine Häufig- keit zwischen 30 Prozent bis 70 Prozent (10, 52). Es besteht weder mit Dauer (11) noch mit Schwere der Parkinson-Krank- heit (52) eine lineare Beziehung, sodass das Auftreten depressiver Störungen nicht allein als sekundäre Reaktion auf die motorischen Einschränkungen zu werten ist. Bei Parkinson-Patienten überwiegen chronische Verläufe (10). Es gibt Hinweise darauf, dass affektive Sym- ptome viele Jahre vor der Manifestation motorischer Zeichen als Erstmanifestati- on der Parkinson-Krankheit auftreten können (48). Patienten mit Angst- oder depressiven Störungen sollten daher im- mer sorgfältig auf motorische Phänome- ne hin untersucht werden (21, 24, 25, 27).

Differenzialdiagnostik

Zur Abgrenzung einer depressiven Episode von Befindlichkeitsstörungen im Rahmen der Krankheitsverarbei- tung oder anderen psychischen Stö-

Depression bei

Parkinson-Patienten

Diagnostische, pharmakologische und psychotherapeutische Aspekte

Zusammenfassung

Depressionen treten bei circa 40 bis 50 Prozent der Parkinson-Patienten auf, beeinträchtigen deutlich die Lebensqualität und werden nicht immer adäquat versorgt. Daher werden spe- zielle Aspekte der Differenzialdiagnostik und -therapie dargestellt. Zwischen der Depression und dem Stadium oder der Schwere der Parkin- son-Krankheit besteht kein linearer Zusam- menhang. Da Angst und Depression bei Parkin- son-Patienten vor den motorischen Krankheits- zeichen auftreten können, sollte bei depressi- ven Störungen auf subklinische Manifestation motorischer Zeichen geachtet werden. Patho- genetisch wird die Beteiligung serotonerger, noradrenerger und dopaminerger Mechanis- men in frontalen Kortexgebieten diskutiert.

Therapeutisch wirksam sind trizyklische Anti- depressiva, neuere Antidepressiva wie selekti- ve Serotonin- und Noradrenalin-Wiederauf-

nahmehemmer, die ein günstigeres Profil uner- wünschter Wirkungen haben, neuere Dopa- minagonisten und psychoedukative Maßnah- men.

Schlüsselwörter: Depression, Dopaminagonist, Parkinson-Krankheit, Psychopharmakothera- pie, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

Summary

Depression and Parkinson´s Disease – Diagnostic, Pharmacological and Psycho- therapeutic Aspects

Depression occurs in approximately 40 to 50 per cent of Parkinson patients, determines qual- ity of life and seems to be undertreated. There- fore, special aspects of differential diagnosis and therapy are reviewed. Because depression and anxiety can occur as first symptoms of

Parkinson´s disease, patients with depression should be carefully screened for subclinical manifestation of motor signs. Compared to non-depressed Parkinson patients, depressed patients with Parkinson´s disease have greater frontal lobe dysfunction related to serotoner- gic, dopaminergic, and noradrenergic mecha- nisms. Tricyclics and selective serotonin- and norepinephrine reuptake inhibitors appear to ameliorate depressive symptoms in Parkin- son´s disease. Selective reuptake inhibitors seem to present with a more favourable profile of adverse effects. New dopamine agonists seem to have antidepressive properties. In addition, drug treatment needs to be combin- ed with educational and psychosocial pro- grams.

Key words: depression, dopamine antagonists, Parkinson´s disease, psychopharmacotherapy, serotonin reuptake inhibitor

1 Rheinische Kliniken (Ärztlicher Direktor: Priv.-Doz. Dr.

med. Matthias R. Lemke), Bonn

2Neurologische Klinik, Klinikum rechts der Isar (Direktor:

Prof. Dr. med. Bastian Conrad), Technische Universität, München

Matthias R. Lemke

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Andres O.

Ceballos-Baumann

2

Kriterien für das Vorliegen einer mittelschweren depressiven Episode (nach ICD-10: F32.1)

1. Mindestens 2 Wochen anhaltend 2. Mindestens 2 der folgenden Symptome:

niedergeschlagene Stimmung die meiste Zeit des Tages Interessen-/Lustlosigkeit

reduzierter Antrieb, gesteigerte Ermüdbarkeit 3. Mindestens 6 der folgenden Symptome:

reduziertes Selbstwertgefühl unangemessene Schuldgefühle

Appetitreduktion (Gewichtsreduktion) Schlafstörungen

psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit (subjektiv, objektiv)

Konzentrationsstörungen Suizidgedanken Textkasten 1

(2)

rungen sollten die Kriterien der ICD- 10 (Textkasten 1) angewandt werden.

Symptome der Depression wie bei- spielsweise psychomotorische Ver- langsamung, mimische Starre können auch durch die neurologischen Defizi- te der Parkinson-Krankheit bedingt sein.

Diese Symptome bewirken auch, dass der Umgebung Gefühle nicht adäquat vermittelt werden können.

Das Profil depressiver Symptome bei Parkinson-Patienten ist in Tabelle 1 dargestellt (5). Ein erhöhtes Suizid- risiko besteht bei Vorliegen wahn- hafter Depressionen (zum Beispiel Schuldwahn) und quälender Unruhe (Agitiertheit). Bei akuter Eigenge- fährdung muss ein Facharzt zur Einlei- tung von Schutz- und anderen thera- peutischen Maßnahmen hinzugezogen werden.

Praktisch relevant ist, dass sich de- pressive Symptomatik, Verlauf und pharmakologische Wirkungen anderer Parkinson-Syndrome bei zum Beispiel Lewy-Körper-Krankheit oder Nor- maldruck- Hydrozephalus unter ande- rem von der idiopathischen Parkin- son-Krankheit unterscheiden.

Ellgring und Oertel (14, 36) be- schrieben, dass motorische Symptome der Parkinson-Krankheit durch psy- chischen Stress verstärkt werden. Die Autoren konnten zeigen, dass Parkin- son-Patienten besonders in fünf psy- chischen Bereichen Schwierigkeiten angeben (Textkasten 2). Spezielle Be- lastungsfaktoren im Erleben der be-

troffenen Patienten bestehen darin, dass die Symptomatik öffentlich sichtbar und sozial wirksam ist, was zu sozialer Angst, Unsicherheit in der Öffentlichkeit und sozialem Rückzug führen kann, der oft ausgeprägter ist als es auf- grund der Symptomatik ge- rechtfertigt wäre.

Um die Diagnose einer Depression bei Parkinson- Patienten zu stellen, muss der behandelnde Arzt vom Patienten besonders subjek- tiv erlebte Symptome erfra- gen. Hierzu gehören als Kernsymptome Gefühle in- nerer Leere, Hoffnungslosig- keit und insbesondere der Verlust der Fähigkeit, Freude zu erleben (Anhe- donie).

Diese Symptomatik liegt bei etwa 50 Prozent der Parkinson-Patienten vor (Lemke et al., zur Veröffentli- chung eingereicht) und führt zu Mo- tivations- und Antriebsverlust mit Partnerschaftsproblemen. Der Patient fühlt sich abhängiger vom nicht er- krankten Partner, gleichzeitig fällt es schwerer, Gefühle zu zeigen.

Pathophysiologie

Es gibt Hinweise darauf, dass Depres- sionen seltener mit dem tremordomi- nanten, sondern häufiger mit dem aki- netisch rigiden, auf Dopamin anspre- chenden Typ der Parkinson-Krankheit assoziiert sind (51).

Pathophysiologisch ist die Depres- sion bei der Parkinson-Krankheit am ehesten als primäre Konsequenz de- generativer Veränderungen in kate- cholaminergen Neurotransmittersyste- men und frontokortikaler Dysfunktio- nen zu sehen (32). Becker et al. (3) wiesen bei depressiven Parkinson-Pa- tienten morphologische Alterationen des serotonergen Raphe-Kerns im Hirnstamm nach. Auf die Bedeutung serotonerger Dysfunktionen weist auch die ängstlich dysphorische Prä- gung des Syndroms (55) und die er- niedrigten Serotonin-Metaboliten im Liquor depressiver Parkinson-Patien- ten hin (33).

Anti-Parkinson-Therapie

Wichtigstes Standbein der Behand- lung der Parkinson-Krankheit stellt neben Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie die medikamentöse Behandlung dar.

Dopamin

Basis der Pharmakotherapie der Par- kinson-Krankheit ist die Dopamin- Substitution durch L-Dopa oder Do- paminagonisten. Wegen des Risikos motorischer Wirkungsschwankungen und Dyskinesien (39) wird heute be- sonders bei „jüngeren“ Patienten (< 50 Jahre) zunehmend eine initiale Do- paminagonisten-Monotherapie ange- strebt. Bei dementen beziehungsweise polymorbiden Patienten sollten wegen potenzieller psychiatrischer und inter- nistischer Komplikationen „Cocktails“

aus mehreren Parkinson-Mitteln ver- mieden und zunächst das dopaminerge Ansprechen mit L-Dopa untersucht werden. L-Dopa selbst weist keine konsistente antidepressive Wirkung auf (1, 20, 47). Klinisch entsteht gele- gentlich der Eindruck, dass L-Dopa in- itial depressiogen wirkt. Patienten mit motorischen Fluktuationen fürchten die mit den akinetischen (Off-)Phasen assoziierte Angst beziehungsweise De- pression (34, 40), die sogar zeitlich der Akinese vorausgehen können (31).

Entacapon bewirkt über eine Hem- mung der Catechol-O-Methyl-Trans- ferase (COMT) eine signifikante Ver- längerung der On-Phasen und Reduk- tion von Off-Phasen. Selegilin (L-De- prenyl), ein selektiver MAO-B-Inhibi- tor, lässt in der gebräuchlichen Dosie- rung (10 mg/Tag) keine antidepressi- ven Wirkungen erwarten (30).

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A2626 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 404. Oktober 2002

´ Tabelle 1C´

Profil depressiver Symptome bei Parkinson- Patienten im Vergleich zu Depressionen im Rahmen affektiver Störungen (10)

Häufiger Seltener

Dysphorie Schuldgefühle

Gereiztheit Bestrafungsgefühle Irritabilität Versagensgefühle Traurigkeit Inhaltliche Denkstörungen

(Wahn)

Pessimismus Wahrnehmungsstörung (Halluzinationen) Suizidgedanken Suizidhandlungen

Psychische Problembereiche bei Parkinson-Patienten (14)

Psychischer Stress aufgrund körperlicher Einschränkungen

Reduzierter Antrieb und Motivation Ängstlichkeit wegen Hilflosigkeit Unsicherheit im sozialen Umgang Partnerschaftsprobleme Textkasten 2

(3)

Dopaminagonisten

Zugelassenen sind derzeit (Stand Juni 2002) sieben orale Dopaminagonisten, die in Ergot-Alkaloide (Bromocriptin, Lisurid, Pergolid, Dihydroergocryptin, Cabergolin) und Nicht-Ergot-Deriva- te (Ropinirol, Pramipexol) unterschie- den werden. Bromocriptin, Cabergolin, Dihydroergocryptin, Pergolid, Ropini- rol und Pramipexol werden als Mo- notherapie in der Frühphase der Er- krankung angewendet, um den Einsatz von Levodopa hinauszuzögern. Uner- wünschte Effekte sind orthostatische Hypotension, Übelkeit, Erbrechen und medikamentös induzierte Psychosen.

Für den Einsatz von Dopaminagonisten spricht allerdings gerade bei jungen Pa- tienten das Hinauszögern der Entwick- lung von Wirkungsschwankungen und Dyskinesien.

Neben der Pharmakotherapie spielt heute die chronische Hochfrequenz- stimulation mit stereotaktisch implan- tierten Elektroden in der Parkinson- Therapie eine Rolle, bei deren Ein- satz in Fallberichten die Auslösung von Depressionen (4) oder Euphorie bei Steigerung der Stimulationsamplitude berichtet wurde (18). Die Befunde unterstützen die Rolle der Basalgan- glien in der Emotionsregulation. We- gen des negativen Effekts der STN- Stimulation auf frontal exekutive Funk- tionen bei älteren Patienten sind De- pression und Demenz eine Kontraindi- kation (45).

Antidepressive Pharmakotherapie

Bei der Auswahl des Antidepressivums bei Parkinson-Patienten sind drei Aspekte zu berücksichtigen (26):

Wirkung des Antidepressivums auf die Depression,

Wirkung des Antidepressivums auf Motorik und Anti-Parkinson-Medikati- on,

Spezifische und unspezifische uner- wünschte Arzneimittelwirkungen zum Beispiel auf kognitive Funktionen.

Um Therapieresistenzen aufgrund inadäquater Durchführung der Antide- pressiva-Behandlung (zu rasches Um- setzen, zu niedrige Dosierung) zu ver-

meiden, haben sich standardisierte Al- gorithmen (zum Beispiel Stufenplan von Bauer und Helmchen [2]) bewährt.

Unter Einhaltung bestimmter Grund- regeln (Textkasten 3) wird in festgeleg- ten Intervallen anhand definierter Kri- terien (zum Beispiel psychometrische Beurteilungsskalen [43]) das Anspre- chen auf das Antidepressivum und der mögliche Wechsel zur nächsten Be- handlungsstufe festgelegt:

Monotherapie mit Antidepressiva unterschiedlicher Wirkprofile,

Kombination von Antidepressiva, unter anderem Augmentation mit Lithi- um,

kontrollierter Einsatz von Tranylcy- promin (irreversibler MAO-A-Inhibi- tor),

Elektrokrampftherapie als Ultima Ratio.

Trizyklische Antidepressiva

Kontrollierte, doppelblind durchge- führte Studien mit Imipramin, Nortrip- tylin und Desipramin zeigen eine gute antidepressive Wirkung bei Parkinson- Patienten. Einige Studien berichten so- gar über eine Reduktion motorischer Zeichen der Erkrankung (41). Proble- me beim Einsatz dieser klassischen Antidepressiva sind insbesondere ihre anticholinergen Wirkungen, die unter anderem motorische Funktionen posi- tiv, kognitive Funktionen aber negativ beeinflussen können. Auch die Entste- hung deliranter Zustände und orthosta- tischer Probleme sind wichtige Ein- schränkungen der Indikation dieser Substanzen bei Parkinson-Patienten.

Serotonerg wirksame Trizyklika wie zum Beispiel Clomipramin sollten we- gen der Gefahr eines serotonergen Syn- droms nicht mit Selegilin kombiniert werden.

Serotonin- und Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind bei der Behandlung de- pressiver Störungen und verschiede- ner Formen der Angststörungen sehr gut evaluiert. Sie zeigen die gleiche Wirksamkeit wie trizyklische Antide-

pressiva, jedoch ein anderes Profil un- erwünschter Wirkungen, was sich ins- besondere für ältere Patienten als günstig erwiesen hat. Untersuchungen der letzten fünf Jahre sind in Tabelle 2 dargestellt.

Die aufgrund von in Einzelfallbe- richten vermutete Verstärkung moto- rischer Symptome bei der Gabe von SSRI (41) konnte in retrospektiven und offene Studien bei mehreren hun- dert Patienten nicht bestätigt werden (7, 42). Zwei prospektive, offene Stu- dien mit Paroxetin bei fast 100 Parkin- son-Patienten mit Depression zeigten bei guter antidepressiver Wirksamkeit keine signifikante Verschlechterung motorischer Funktionen (8, 54). SSRI

Grundregeln antidepressiver Pharmakotherapie

1. Das Antidepressivum wird nebenwirkungs- geleitet bis in den therapeutisch wirksamen Bereich hochdosiert (häufig zu niedrige Dosie- rungen bei Parkinson-Patienten mit Folge von Pseudo-Therapieresistenz und/oder Polyphar- mazie).

2. Das Antidepressivum wird ausreichend lange gegeben, das heißt mindestens 4 bis 6 Wo- chen, dann Überprüfung der antidepressiven Wirksamkeit (zum Beispiel durch Selbst- oder Fremdbeurteilungsskalen) und gegebenenfalls Umstellung auf ein Präparat einer anderen Substanzgruppe (Stufenplan).

3. Bei nicht ausreichender antidepressiver Wir- kung werden, wenn möglich, Kontrollen des Plasmaspiegels des Antidepressivums durch- geführt, da mangelnde Resorption, schnelle Metabolisierung oder mangelnde Compli- ance eine Therapieresistenz vortäuschen können.

Textkasten 3

Bausteine der Psychoedukation bei Parkinson-Patienten (36) Verständliche Aufklärung (Biochemie,

Anatomie, Verlauf, Medikation) Möglichkeiten einer positiven

Lebensbewältigung

Möglichkeiten der Stressbewältigung Hinweise zur Erhaltung der Selbstständigkeit Einbeziehung von Angehörigen

Notwendigkeit von Freizeitbeschäftigung Hinweise auf Selbsthilfegruppen Textkasten 4

(4)

sollten wegen des Risikos eines sero- tonergen Syndroms nicht mit dem MAO-B-Hemmer Selegilin kombiniert werden. Über eine Reduktion des Tre- mors bei der Gabe von Mirtazapin, ei- nem noradrenerg und serotonerg wirksamen Antidepressivum, wurde in Kasuistiken berichtet.

Der selektive Noradrenalin-Wie- deraufnahmehemmer Reboxetin ist bei depressiven Störungen gut unter- sucht und beeinflusst kognitive und psychomotorische Funktionen in kli- nisch nicht relevanter Weise (6). Da es außerdem Hinweise auf die Betei- ligung noradrenerger Mechanismen bei der Entstehung depressiver Par- kinson-Syndrome gibt, wurde Rebo- xetin bei depressiven Parkinson-Pati- enten untersucht.

Erste Fallbeschreibungen und eine offene, prospektive Studie deuten auf eine antidepressive Wirkung ohne kli- nisch relevante Beeinträchtigung mo- torischer Funktionen bei Parkinson- Patienten (22, 23).

Dopaminagonisten

Für die antidepressive Wirkung von Dopaminagonisten ist wahrscheinlich die spezielle Affinität zu D3-Rezepto- ren im mesolimbischen System be- deutsam. Wichtig sind hier die Nicht- Ergot-Derivate Ropinirol und Prami- pexol. Tierexperimentell wurde eine anxiolytische Wirkung von Ropinirol gezeigt (44). Für Pramipexol konnten in Tiermodellen synergistische Effekte mit SSRI, antidepressive und speziell anti-anhedone Wirkungen nachgewie- sen werden (29).

Es gibt Hinweise darauf, dass Do- paminagonisten als Augmentation bei therapieresistenten Depressionen wirk- sam sind. In einer placebokontrollier- ten Studie war Pramipexol bei Pa- tienten mit schweren depressiven Stö- rungen (9) vergleichbar effektiv wie Fluoxetin. Es gibt viele experimentelle und klinische Hinweise auf anti- depressive Wirkungen von Dopamin- agonisten. Auch wenn derzeit noch keine Ergebnisse aus kontrollierten Studien zu dieser Fragestellung vorlie- gen, wird aus klinischer Sicht zuneh- mend der Einsatz neuerer Dopamin-

agonisten bei depressiven Parkinson- Patienten wegen des gleichzeitigen Ef- fekts auf motorische Symptome emp- fohlen (37).

Andere Substanzen

Moclobemid, ein reversibler MAO-A- Inhibitor, scheint die Wirkdauer von L-Dopa zu verlängern (53), speziell den Effekt auf die Depression bei Morbus Parkinson wurde jedoch nicht unter- sucht. Bupropion, ein Dopamin-selek- tives Antidepressivum, konnte bei de- pressiven Parkinson-Patienten wegen unerwünschter Wirkungen nur begrenzt eingesetzt werden (15). Johanniskraut (Hypericum) ist bei leichten bis mittel- schweren Depressionen wirksam, bei Parkinson-Patienten nicht untersucht und erfreut sich einer hohen Akzeptanz bei den Patienten. Eine Therapie sollte wegen pharmakodynamischer und phar- makokinetischer Interaktionen, zum Beispiel Induktion hepatischer Enzyme mit Reduktion von Antidepressiva-Spie- geln, und Nebenwirkungen wie Photo- sensibilität nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden (16).

Nichtpharmakologische Verfahren

Der Entzug von Schlaf, der bei depres- siven Patienten eine vorübergehende Wirksamkeit zeigt, kann bei Parkin- son-Patienten Tremor und Rigidität reduzieren (12). Empirische Studien bei depressiven Parkinson-Patienten liegen nicht vor. Die Wirksamkeit der Elektrokrampftherapie auf motori- sche und depressive Symptome der Parkinson-Erkrankung wurde in vie- len Veröffentlichungen beschrieben, wobei es sich meist um Kasuistiken oder kleine Patientenkollektive han- delt (13).

Für eine Elektrokrampftherapie bei depressiven Parkinson-Patienten be- steht dann eine Indikation, wenn eine Therapieresistenz, eine Unverträglich- keit der Pharmakotherapie oder aku- te, lebensbedrohliche depressive Sym- ptome (Wahn, Nahrungsverweigerung, Stupor) vorliegen.

Zur transkraniellen Magnetstimula- tion oder Stimulation des Nervus va- gus liegen bis jetzt keine Untersuchun- gen bei depressiven Parkinson-Patien- ten vor (41).

A

A2630 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 404. Oktober 2002

´ Tabelle 2 C´

Publikationen zu selektiven Reuptake-Inhibitoren bei Parkinson-Patienten mit Depressionen

Autor Antidepressivum Design Wirkungen

Shulman et al.(1996) (49) Sertralin Offen, n = 5 Antidepressiv,

keine Effekte auf Motorik

Simon (1996) (50) Fluoxetin Offen, n = 5 Verschlechterung der Motorik (n = 2) Hauser et al. (1997) (17) Sertralin Offen, n = 15 Antidepressiv,

7 Wochen keine motorischen Wirkungen Pact et al. (1999) (37) Mirtazapin Kasuistik Verbesserung von Tremor und

n = 4 Dyskinesien

Linazasoro (2000) (28) Citalopram Kasuistik Verschlechterung der Motorik Lemke (2000) (22) Reboxetin Kasuistik, Antidepressiv,

3 Monate keine motorischen Wirkungen Lemke (2002) (23) Reboxetine Offen, n = 15 Antidepressiv,

4 Wochen keine motorischen Wirkungen Ceravolo et al. (2000) (8) Paroxetin Offen, n =33 Antidepressiv,

6 Monate Tremor: n = 1 Tesei et al. (2000) (54) Paroxetin Offen, n = 65 Antidepressiv,

4 Monate Tremor: n = 2 Prospektive Untersuchungen in den letzten fünf Jahren

(5)

Psychotherapie

Über die Wirksamkeit und Verträg- lichkeit psychotherapeutischer Inter- ventionen im engeren Sinne existieren bei depressiven Parkinson-Patienten keine kontrollierten Untersuchungen.

Bei älteren depressiven Patienten ist eine Kombination von Pharmakothe- rapie und interpersoneller Psychothe- rapie (IPT) wirksamer als beide Be- handlungsformen allein (35). Diese störungsspezifische Behandlungsform zielt auf interpersonelle Aspekte (zum Beispiel Veränderungen sozialer Rol- len), was besonders auch bei Par- kinson-Patienten von Wichtigkeit sein könnte.

Ellgring und Oertel (14, 36) be- schreiben verschiedene Elemente einschließlich Gruppentherapie, Psy- choedukation (Textkasten 4) und indi- vidueller Beratung, durch die die Fähigkeit der Stressbewältigung (Co- ping) bei den Betroffenen verbessert werden soll. Spezielle Untersuchun- gen bei Parkinson-Patienten mit De- pressionen liegen nicht vor. Diese Me- thodik sollte integraler Bestandteil je- der Parkinson-Behandlung sein. Zu dem Umgang mit depressiven Parkin- son-Patienten gehört das geduldige

Anhören oft monotoner Klagen, Rückversichern und Abraten von weitreichenden Entscheidungen sei- tens des Patienten.

Ergebnisse explorativer und kasui- stischer Berichte deuten darauf hin, dass für Parkinson-Patienten eine klassische Psychotherapie (zum Bei- spiel Aufdecken intra- und interindivi- dueller Beziehungsmuster, Konfronta- tion) weniger geeignet erscheint. Eine besondere Rolle könnte der Paarthe- rapie zukommen, was jedoch weiterer Forschung bedarf. Verhaltensthera- peutische Elemente wie Verhaltens- analyse und Entspannungstechniken können auch zur Therapie motori- scher Symptome unterstützend einge- setzt werden.

Fazit für die Praxis

Depressionen im Rahmen von Parkin- son-Erkrankungen sind häufig, unab- hängig von motorischen Symptomen, relevant für die Lebenssituation der betroffenen Patienten. Bei Parkinson- Patienten sind Depressionen offenbar häufig unterversorgt. Angst und De- pression können bei diesen Patienten lange vor den motorischen Krank-

heitszeichen auftreten. Daher sollte bei depressiven Störungen genau auf subklinische Manifestation motori- scher Parkinson-Symptome geachtet werden. Therapeutisch wirksam sind klassische und neuere, selektiv wir- kende Antidepressiva, wobei letztere besonders bei älteren Patienten ein günstigeres Nebenwirkungsprofil zei- gen. Es gibt Hinweise auf eine anti- depressive Wirkung neuerer Dopamin- agonisten bei Parkinson-Patienten.

Psychotherapeutisch werden psycho- edukative Maßnahmen zur Stressbe- wältigung, auf die spezielle Problema- tik fokussierte Interventionen sowie Paar- und Verhaltenstherapie einge- setzt.

Manuskript eingereicht: 4. 5. 2001, revidierte Fassung angenommen: 2. 7. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2625–2631 [Heft 40]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Matthias R. Lemke Rheinische Kliniken Bonn

Kaiser-Karl-Ring 20 53111 Bonn

E-Mail: mr.lemke@lvr.de

Im Tierversuch lässt sich durch Gabe von Colchicin die Faserbildung in der Leber hemmen. Eine klinische Studie an 55 Patienten mit histologisch gesi- cherter alkoholischer Leberzirrhose ergab jedoch bei einer Beobachtungs- zeit von mehr als 40 Monaten gegen- über einer Placebogruppe keine sig- nifikante Besserung, auch wenn die Nebenwirkungen tolerabel erschienen.

Die jährliche Rate an Komplikatio- nen sowie die 3-Jahres-Überlebensrate wiesen keine Unterschiede auf, auch die Anzahl an Varizenblutungen, Aszi-

tesbildung und Enzephalopathie un- terschied sich zwischen beiden Thera- piegruppen nicht. Patienten mit alko- holischer Zirrhose sollten mit S- Adenosylmethionin oder Polyenyl- phophatidylcholin behandelt werden, wenn eine Lebertransplantation nicht zur Debatte steht. Viel versprechende Aussichten bestehen bei Substanzen, die die Apoptose von Sternzellen sti- mulieren, Antagonisten von Zytoki- nen, die bei der Leberschädigung eine Rolle spielen und Substanzen, die Stickoxyd freisetzen. w

Cortez-Pinto H, Alexandrino P, Camilo ME et al.: Lack of effect of colchicine in alcoholic cirrhosis: final results of a double blind randomized trial. Eur J Gastroenterol Hepatol 2002; 14: 377–381.

Dr. Helena Cortez-Pinto, Departamento de Medicina 2, Hospital de Santa Maria, Av. Prof. Egas Moniz 1669, Lis- sabon, Portugal, E-Mail: hlcortezpinto@netcabo.pt.

Lonardo A, Loria P: Of liver, whisky and plants; a requi- em for colchicine in alcoholic cirrhosis? Eur J Gastro- enterol Hepatol 2002; 14: 355–358.

Dr. A. Lonardo, U. O. Medicina Interna e Gastroenterolo- gia, Ospedale Civile, P. le. S. Agostino 2, I-41100 Mode- na, Italien, E-Mail: a.lonardo@libero.it.

Referiert

Colchicin bei Leberzirrhose wirkungslos

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