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Archiv "Seltene Erkrankungen: Schnellere Diagnose – aber wie?" (22.11.2013)

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A 2264 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 47

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22. November 2013

T H E M E N D E R Z E I T

SELTENE ERKRANKUNGEN

Schnellere Diagnose – aber wie?

Die wichtigsten Akteure im Gesundheitssystem haben sich auf 52 Maßnahmen verständigt, durch die die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen besser werden soll. Mit ersten Ergebnissen ist in zwei Jahren zu rechnen.

J

ana Seifried hat früh bemerkt, dass etwas mit ihrem Körper nicht stimmt. Bauchschmerzen plagten sie, Schluckbeschwerden.

Als es schlimmer wurde, stellte sie ihre Ernährung um. Weil sie feste Nahrung erbrechen musste, aß sie nur noch Suppen, Pudding und Eis.

Die Folge: Sie nahm zu. Mit Mitte 30 wog sie 140 Kilogramm. Die Ärzte, die sie aufsuchte, diagnosti- zierten Essstörungen.

2003 erlitt Jana Seifried einen Schlaganfall. Die Schluckstörun- gen, die sie weiterhin plagten, wur- den als Folgeerkrankung eingestuft.

Immer mehr Ärzte suchte die Berli- nerin auf – bis sie in eine psychoso- matische Klinik eingewiesen wur- de. Sie magerte ab; was sie aß, musste sie erbrechen. Ihre Ärzte überwiesen sie an das Zentrum für Schluckbeschwerden und Motili- tätsstörungen in Wiesbaden. Hier erhielt sie ihre Diagnose: Achalasie.

Seit sie zum ersten Mal vermutet hatte, an einer Krankheit zu leiden, waren zehn Jahre vergangen.

Achalasie ist eine von weltweit etwa 8 000 seltenen Erkrankungen, von denen in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen betroffen sind. Als selten gilt eine Krankheit hierzulande, wenn das Krankheits- bild nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen aufweisen. Die Präva- lenz von Achalasie liegt in Deutsch- land bei eins zu 10 000. Die Erkran- kung ist nicht heilbar. Doch recht- zeitig erkannt gibt es gute Behand- lungsmöglichkeiten, um wieder ei- ne normale Nahrungsaufnahme zu ermöglichen.

Ärzte sensibilisieren

Bei Jana Seifried wurde die Erkran- kung nicht rechtzeitig erkannt. So war ihre Speiseröhre, durch den be- ständigen Reflux der Magensäure, bei ihrer ersten Operation bereits schwer geschädigt. Zahlreiche Ope- rationen, Abszesse im Bauchraum und eine schwerwiegende Infektion mit Methicillin-resistentem Staphy- lococcus aureus später wurden ihr die gesamte Speiseröhre, der Ma-

gen und ein Drittel ihres Dünn- darms entfernt. Heute wiegt sie 50 Kilogramm und wird überwie- gend über eine Dünndarmsonde er- nährt. Die Leidensgeschichte von Jana Seifried ist ein extremes Bei- spiel dafür, wie schwer die Diagnose- stellung bei Menschen mit seltenen Erkrankungen sein kann.

Das Dilemma ist offensichtlich.

Kein niedergelassener Arzt kann die Symptome von 8 000 seltenen Erkrankungen im Kopf haben, zu- mal diese selbst innerhalb eines Krankheitsbildes uneinheitlich sein können. Doch niedergelassene Ärz- te sind die ersten Ansprechpartner für die Betroffenen. Nur wenn sie diese nach einem Anfangsverdacht an spezialisierte Zentren überwei- sen, sind eine sichere Diagnose - stellung und ein frühzeitiger Be- handlungsbeginn möglich. Was also tun?

„Sensibilisieren“, sagt Prof. Dr.

med. Ines Gockel, Leiterin des Achalasie-Risiko-Konsortiums, das die molekulargenetischen Ursachen der Erkrankung erforscht. „Nieder- gelassene Ärzte bekommen Men- schen mit seltenen Erkrankungen zwangsläufig nur selten zu sehen“, so Gockel. Deshalb sei es Aufgabe der Zentren, auf sie zuzugehen und sie durch Flyer, Netzwerk- und Fortbildungen oder Internetplatt - formen darauf aufmerksam zu ma- chen, dass eine seltene Erkrankung ursächlich für Beschwerden sein könnte, für die die vorherige Dia - gnostik keine Erklärung erbrachte.

Die Verbesserung der Zusam- menarbeit von niedergelassenen Ärzten und Zentren für seltene Er- krankungen ist auch eines der Ziele, die sich die Partner des Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit seltenen Erkrankungen (NAMSE) gesteckt haben. Zu ihnen gehören unter anderem das Bundesministe- Dramatischer

Gewichtsverlust:

Als Folge ihrer Er- krankung stieg Jana Seifrieds Körperge- wicht zunächst auf 140 Kilogramm an (li), bevor es, nach zahlreichen Opera- tionen, auf 50 Kilo- gramm fiel (re).

Fotos: privat

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T H E M E N D E R Z E I T

rium für Gesundheit (BMG), die Bundesärztekammer und die Kas- senärztliche Bundesvereinigung. 52 in einem Nationalen Aktionsplan zusammengefasste Maßnahmen wollen sie in den kommenden Jah- ren umsetzen, um die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkran- kungen zu verbessern. Im Rahmen eines Pilotprojektes sollen bei- spielsweise die Anforderungen an die Zusammenarbeit von Zentren und Primärversorgern analysiert werden. Zudem empfiehlt NAMSE die Bildung von Typ A-, Typ B- und Typ C-Zentren, die sich in der Art des angebotenen Leistungsspek- trums unterscheiden.

Öffentliche Aufmerksamkeit Die Deutsche Krankenhausgesell- schaft, der GKV-Spitzenverband und der Verband der Universitäts- klinika Deutschlands wollen „kurz- fristig“ die Anforderungen an eine Finanzierung der Zentren klären.

Zudem sollen Sequenzierzentren eingerichtet werden, in denen zur Verbesserung der Diagnostik die genetischen Ursachen von bisher nicht geklärten Erkrankungen er- forscht werden. Auch ist geplant, alle vorhandenen Register, die ei- nen Bezug zu einer seltenen Er- krankung haben, in einem zentralen Web-Portal zusammenzufassen. In Gesprächen zwischen der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) und dem Gesundheits- sowie dem Forschungsministerium will man zudem die Lücken in der Versorgungsforschung benennen.

Der Aktionsplan ist eine Ab-

sichtserklärung der wichtigsten Ak- teure des deutschen Gesundheits- wesens. Welche Ergebnisse er ge- bracht hat, will das BMG in zwei Jahren evaluieren. Manche Ergeb- nisse sind auch erst dann zu erwar- ten. Die Umsetzungsphase habe ge- rade erst begonnen und werde sich über mehrere Jahre hinziehen, heißt es zum Beispiel aus dem GKV- Spitzenverband. Schon jetzt kon- krete Einschätzungen über eventu- elle Ergebnisse, Möglichkeiten oder auch Nichtmachbarkeiten abzuge- ben, sei so kurz nach der Veröffent- lichung des Aktionsplans seriös nicht möglich.

Auch ein Budget zur Umsetzung der Maßnahmen wurde nicht verein- bart. Doch wie sollen die Vorhaben ohne zusätzliches Geld realisiert werden? „Für die beschlossenen Maßnahmen gibt es zum großen Teil bereits Finanzierungsgrundla- gen im Gesundheitssystem“, sagt Christoph Nachtigäller, Vorsitzen- der der ACHSE. „In einigen Fällen“

bedürfe es noch einer „zusätzlichen Finanzierung besonderer Leistun- gen“. Die maßgeblichen Akteure hätten jedoch Signale gegeben, auch in diesen Fällen zu einer Eini- gung kommen zu können. Nachti- gäller weist darauf hin, dass es kei- ne Sanktionsmechanismen gebe, wenn die verabredeten Maßnahmen nicht umgesetzt würden. „Für die einzelnen Akteure wäre dies aber ein erheblicher Gesichtsverlust“, so der ACHSE-Vorsitzende.

Die wichtigsten Maßnahmen, die nun zügig umgesetzt werden müss- ten, sind für Nachtigäller die Erar-

beitung eines Anerkennungsverfah- rens für Zentren sowie die Imple- mentierung der dreistufigen Zen- trumsstruktur. Eine mit dem Akti- onsplan verbundene Hoffnung sei jedoch bereits in Erfüllung gegan- gen, sagt Nachtigäller: „Der Akti- onsplan hat für erhebliche öffentli- che Aufmerksamkeit gesorgt. Die Betroffenen sind etwas weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt – und werden bald keine Waisen der Medizin und keine Waisen der Ge- sellschaft mehr sein.“

Krankenkassen zahlen nicht

„Die Versorgung von Menschen mit Achalasie hat sich in den vergange- nen Jahren verbessert, aber sie ist noch immer nicht gut“, sagt Jana Seifried, die heute als Regionallei- terin Ost der Achalasie-Selbsthilfe andere Betroffene unterstützt. Zwar gebe es heute mehrere Zentren, die sich spezialisiert hätten – in ganz Ostdeutschland jedoch kein einzi- ges. „Und viele Krankenkassen zahlen den Betroffenen die Anfahr- ten zu den Zentren nicht“, so Sei- fried. Aus finanziellen Gründen trä- ten manche die dringend notwendi- ge Reise deshalb nicht an. Die Idee eines Nationalen Aktionsplans hält sie für richtig. Nun komme es aller- dings darauf an, dass die schön klingenden Maßnahmen auch tat- sächlich umgesetzt würden. Noch wichtiger sei es ohnehin, sagt sie abschließend, „das Glück zu haben, auf einen niedergelassenen Arzt zu treffen, der eine seltene Erkrankung überhaupt in Betracht zieht“.

Philipp Ollenschläger, Falk Osterloh

Bereits im frühen Kindesalter machen sich die meisten seltenen Erkrankungen bemerkbar, denn zu 80 Prozent sind sie genetisch bedingt: Josephine leidet am Williams-Beuren-Syndrom und die 12-jährige Selina am CHARGE-Syndrom. Die zweijährige Gesa ist mit Trisomie 18 geboren, und Alex ist an der lysosomalen Speichererkrankung Mukopolysacharidose erkrankt (von links nach rechts).

Fotos: ACHSE e.V.

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