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Archiv "Behandlung von Vergewaltigungsopfern: Moral gegen Patientenwohl?" (08.02.2013)

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A 202 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 6

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8. Februar 2013

D

ie Kritik an katholischen Krankenhäusern und an ih- rem Umgang mit Vergewaltigungs- opfern reißt nicht ab. Auch inner- halb der katholischen Kirche gibt es Diskussionen über Themen wie die

„Pille danach“. Ausgangspunkt der Debatten ist ein Vorfall an zwei Kli- niken der Cellitinnen-Stiftung in Köln. Dort hatten Ärzte unter Hin- weis auf die Ethikrichtlinien ihrer Häuser die Behandlung einer verge- waltigten Frau abgelehnt, weil sie möglicherweise die „Pille danach“

hätten verschreiben müssen.

Was war geschehen? Eine 25-jährige Frau war offenbar mit K.-o.-Tropfen betäubt worden und auf einer Parkbank zu sich gekom- men. Sie ging in die kassenärztliche Notdienstpraxis Köln-Nord in Nip-

pes. Die dortige Allgemeinärztin konnte eine Vergewaltigung nicht ausschließen und wollte eine gynä- kologische Untersuchung zur Be- weissicherung veranlassen. Doch auf telefonische Anfrage der Ärztin verweigerte man diese im benach- barten St.-Vinzenz-Hospital und in einem weiteren katholischen Haus.

Die „Pille danach“ hatte die Allge- meinärztin bereits verordnet.

Am 16. Januar berichtete der

„Kölner Stadt-Anzeiger“ über den Vorgang und löste eine Welle der Empörung aus. Kritik an der Ab- weisung des mutmaßlichen Verge- waltigungsopfers übte auch Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzender des Marburger Bundes. So etwas habe er „noch nicht gehört“, sagte er.

Zwischen dem Klinikträger und den Ärzten müsse ein „schweres Miss- verständnis“ vorliegen, „und das ist ein schweres Kommunikationspro- blem“. „Mindestens die Beratung, und zwar komplett und richtig, hät- te man dieser jungen Frau geschul- det“, betonte Henke.

Die katholischen Krankenhäuser im Verbund der Hospitalvereini- gung St. Marien GmbH kündigten eine interne Prüfung an. Sie beto- nen, dass im Rahmen der Erstver- sorgung alle medizinischen Maß-

nahmen geleistet werden, allerdings keine Abgabe der Notfallkontrazep- tion. Auch der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner ent- schuldigte sich. Es müsse jetzt er- forscht werden, was dazu führte, dass die Frau nicht aufgenommen worden sei. „So etwas darf sich auf keinen Fall wiederholen.“

Staatsanwaltschaft nimmt keine Ermittlungen auf

Der Vorfall rief auch die Politik auf den Plan: Das nordrhein-westfäli- sche Gesundheitsministerium teilte mit, dass aus den Stellungnahmen des Krankenhausträgers nicht er- kennbar sei, dass er sich nach Rechtsprinzipien der Krankenhaus- aufsicht pflichtwidrig verhalten ha- be. Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen) sagte allerdings, sie sehe grundsätz- lichen Klärungsbedarf: „Eine Frau, die nach einer Vergewaltigung in einem Krankenhaus zur stationären Behandlung aufgenommen wird, muss dort die Möglichkeit erhalten, selbstbestimmt über die Einnahme einer ,Pille danach‘ zu entscheiden.“

Mit juristischen Konsequenzen haben die beiden Kölner Kliniken und die Ärzte unterdessen nicht zu rechnen. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wird es in dem Fall

„Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft aus- zuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entge- gengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Sie haben dabei ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Pa- tienten auszurichten. Insbesondere dürfen sie nicht das Interesse Dritter über das Wohl der Patientinnen und Pa- tienten stellen.“

§ 2 Absatz 2 der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte

BERUFSRECHT

BEHANDLUNG VON VERGEWALTIGUNGSOPFERN

Moral gegen Patientenwohl?

Zwei katholische Kölner Krankenhäuser haben eine vergewaltigte Frau abgewiesen.

Ein Missverständnis, sagt der Träger. Die Diskussion um den Vorfall geht trotzdem weiter.

Das St.-Vinzenz- Hospital in Köln- Nippes ist eines der

beiden Häuser, die eine möglicherweise vergewaltigte Frau

abwiesen.

Foto: dpa

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8. Februar 2013 A 203 nicht geben. Der Kölner Ober-

staatsanwalt Ulrich Bremer teilte auf Anfrage mit, es gebe keinen Anfangsverdacht auf eine Straftat.

Weder liege ein Fall von unterlas - sener Hilfeleistung vor noch von Strafvereitelung durch Unterlassen.

Eine unterlassene Hilfeleistung setzt nach Angaben Bremers einen akuten Unglücksfall voraus. Der Patientin sei aber nicht die Behand- lung, zum Beispiel einer Verletzung, verwehrt worden, sondern die Spu- rensicherung. Und sie war schon in ärztlicher Behandlung. Eine Straf- vereitelung würde eine Garanten- stellung des Krankenhauses voraus- setzen. Das sei aber nicht der Fall.

Die Spuren hätten auch an anderer Stelle gesichert werden können.

Fragwürdige oder missverständ - liche Vorgaben des Trägers sind die eine Sache. Doch was ist mit der persönlichen Verantwortung des einzelnen Arztes? Dazu Henke:

Selbstverständlich sei es jetzt auch Aufgabe der Ärztekammer Nord- rhein nachzuprüfen, ob und inwie- weit im konkreten Fall gegen Be- rufsrecht verstoßen worden sei.

„Dazu führen wir Gespräche, um uns über den Ablauf so genau wie möglich klar zu werden“, sagte er.

Ein Treffen mit den verantwortli- chen Chefärzten habe schon stattge-

funden. Gespräche mit den beteilig- ten Ärztinnen in der KV-Notdienst- praxis und im Krankenhaus seien vereinbart.

Last darf nicht auf die Ärzte abgeschoben werden

„Wir sehen es aber auch als unsere Aufgabe als Kammer an, Ärzten zu helfen, wenn sie in Gewissenskon- flikte kommen“, stellte Henke klar.

Die Last könne nicht allein auf die behandelnden Ärzte abgeschoben werden, die am Ende der Kette stünden. Man müsse es den Ärzten ermöglichen, ihren Beruf gewissen- haft auszuüben – ohne Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

„Wir akzeptieren keine Weisungen, die mit der Berufsordnung nicht vereinbar sind“, sagte Henke. Das wäre für ihn zum Beispiel der Fall, wenn ein Träger eine umfassende Aufklärung über die „Pille danach“

untersagt.

Für den Kammerpräsidenten steht außerdem fest, dass katholi- sche Krankenhäuser nach dem Vor- fall in Köln nun in der Pflicht sind, ihre Abläufe verlässlich zu organi- sieren. „Das Vorgehen in katholi- schen Häusern muss klar und trans- parent sein“, sagte Henke. Wenn sich die Patientin nach einer korrekten Beratung für die „Pille danach“ ent-

scheide, müsse gewährleistet wer- den, dass diese auch verordnet wer- de. „Das muss so organisiert wer- den, dass die Patientin nicht zusätz- lich belastet wird“, erklärte Henke.

Krankenhäuser in kirchlicher Trä- gerschaft haben eine Sonderrolle.

Grundlage dafür ist Artikel 137 Ab- satz 3 der Weimarer Reichsverfas- sung. Dieser wurde gemäß Ar tikel 140 des Grundgesetzes Bestandteil der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Der Kölner Kirchen- rechtler, Prof. Dr. Stefan Muckel, betont, dass aufgrund dieser grund- gesetzlichen Regelung die Kirchen

„ihre eigenen Angelegenheiten ord- nen und verwalten dürfen“. Die ka- tholische Kirche beruft sich moral- theologisch unter anderem auf die Enzyklika Humanae vitae. Danach ist nicht nur eine Abtreibung, son- dern auch die „Pille“ als Verhütungs- mittel verboten. Allerdings zeigt sich in der Praxis: Die Vorgaben werden unterschiedlich umgesetzt.

Katholische Kliniken wollen mit den Bischöfen sprechen

Der Geschäftsführer des Ka - tholischen Krankenhausverbandes Deutschland, Thomas Vortkamp, kündigte im WDR-Fernsehen an, sein Verband werde neu über die

„Pille danach“ nachdenken. Es ge- he um die Frage, ob man das Opfer alleinlasse und einer vergewaltigten Frau sage, sie müsse das Kind aus- tragen, oder ob man auch die Rech- te der Frau ernst nehme. „Und das sind Punkte, die wir mit den Bi- schöfen jetzt auch besprechen müs- sen“, erklärte Vortkamp.

Unterdessen hat sich der Kölner Kardinal Meisner erneut in die De- batte eingeschaltet. Er hält nun die Abgabe zeugungshemmender „Pil- len danach“ an Missbrauchsopfer für akzeptabel. Der Einsatz von Präparaten, die eine Einnistung be- reits befruchteter Eizellen verhin- dern sollen, sei hingegen nicht hin- nehmbar. Henke begrüßt die jüngs- te Kurskorrektur des Kölner Kardi- nals, wonach die Verordnung von Levonorgestrel und Ulipristal zur Empfängnisverhütung nach einer Vergewaltigung doch der katholi- schen Lehre entspreche.

Dr. med. Birgit Hibbeler, Gisela Klinkhammer Ist die „Pille danach“ eine

Abtreibungspille?

Toth: Nein. Es handelt sich um eine medikamentöse Ovulati- onshemmung. Sobald der Ei- sprung stattgefunden hat, fin- det keine Unterdrückung der Befruchtung beziehungsweise der Implantation statt. Es gibt derzeit keine Hinweise, dass die „Pille danach“ einen kli- nisch relevanten Einfluss auf das Endometrium hat, der eine Implantation beeinträchtigen könnte. Das gilt sowohl für Le- vonorgestrel als auch Ulipris- talacetat.

Viele katholische Kranken- häuser geben die „Pille da- nach“ nicht aus. Ist es einer Patientin zumutbar, nach ei- ner Vergewaltigung mehrere Kliniken aufzusuchen?

Toth: Ich finde das nicht zu- mutbar. Es könnte sogar dazu führen, dass weniger Frauen derartige Vorfälle anzeigen.

Denken Sie an ländliche Re- gionen, wo nur ein Kranken- haus am Ort ist. Jeder, der mit vergewaltigten Frauen gear- beitet hat, weiß: Das ist ein ganz schwerer Gang für die Betroffenen.

Im konkreten Fall in Köln wurde der Frau nicht nur die

„Pille danach“ verweigert, sondern auch die Untersu- chung zur Beweissicherung.

Wie bewerten sie das?

Toth: Ich denke, das zeigt vor allem: Wir brauchen in Notfall - ambulanzen ein standardisier- tes Vorgehen bei der Behand- lung von Vergewaltigungsopfern – egal, ob katholisches Haus oder nicht. Dann kommt es auch nicht zu Missverständnis- sen, wie es hier möglicherweise passiert ist. Die Frauen brau- chen verlässliche Anlaufstellen.

3 FRAGEN AN . . .

Prof. Dr. med. Bettina Toth, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe

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