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Lexikon der Ethik: Askese

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21 Kompass 03I13

Lexikon der Ethik

Der bekannte TV-Prediger Jürgen Fliege hat in seinem Buch über die Zehn Ge- bote – Die Ordnung des Lebens (2005) – eine neue Lesart des Dekaloges emp- fohlen. Man möge die Zehn Gebote von hinten zu lesen beginnen, denn ein Schluss sei auch ein Höhepunkt. Am Ende des Dekaloges nämlich steht das Doppelverbot über die Gier: „Du sollst nicht das Hab und Gut Deines Nächsten begehren“ (10. Gebot) und „Du sollst nicht die Frau Deines Nächsten begeh- ren“ (9. Gebot).

Medikament gegen die Gier – Übung zur Freiheit

Dieses Doppelverbot hat eine bedeuten- de Stellung in der ‚Lebensordnung‘ des Volkes Israel wie auch in den christlichen Kirchen, weil damit vor einem fundamen- talen Lebensirrtum gewarnt wird: Die Gier wird als die Grundhaltung entlarvt, die Besitzen mit Bei-sich-Sein verwech- selt; oder grundsätzlicher, wie beim Phi- losophen Erich Fromm formuliert: Haben oder Sein (1976), das ist die Frage, an

der sich entscheidet, ob biologisches Funktionieren zu Existenz wird. Ange- sichts des ökologischen Kollapses, den ein unbegrenztes Wachstum für den blauen Planten bedeutet, wird hier die Besinnung auf das Sein auch als globale Überlebensregel relevant.

Im 21. Jahrhundert sind wir sensibler geworden für eine kritische Sichtweise des Prinzips „Haben“; denn wir spüren und wissen, dass eine schrankenlose Bedürfnisbefriedigung, die ‚gut‘ durch

‚mehr‘ ersetzen will, langfristig weder die eigene noch die Freiheit der Nach- kommen mehrt. Nachhaltigkeit leben heißt auch verzichten.

So hat der US-amerikanische Psycho- analytiker Barry Schwartz erforscht, dass Menschen, die permanent mehr Wahlmöglichkeiten in ihren Konsument- scheidungen beanspruchen – ebenso in ihrer Partnerwahl wie in ihren beruf- lichen Optionen – deshalb nicht not- wendig glücklicher sind, vielmehr das

„Paradox der Wahl“ erfahren: Maximale Freiheit führt zu maximalem Frust! Die dritte S-Klasse wird langweilig. Und die vierte Frau zum Sonderangebot.

Brücke zur Transzendenz

Seit der Antike empfehlen die großen Weisen gegen diese ‚Lebensgefahr‘ As- kese. Gemeinhin versteht man darun- ter den Verzicht auf weltliche Genüsse mit dem Ziel, eine höhere spirituelle Erkenntnis- oder Bewusstseinsebene zu erreichen. Im antiken Griechenland bezeichnete der Begriff ursprünglich die Vorbereitung von Athleten auf die Kampf- spiele, später die Übung (griechisch as- kesis) für spirituelle Kräftigung.

Konkret kennen alle Religionen und Weisheitslehren Übungen des Verzich- tens: so das Fasten (Ramadan und

Fastenzeit), die sexuelle Enthaltsamkeit (etwa vor spirituellen Riten), das Ertra- gen von Übungen, die schmerzunemp- findlicher machen (bei den Gurus, auch bei Mönchen), ferner den Besitzverzicht, auch das zeitweise Schweigen, bis hin zum Verzicht auf Heimat (Wandermön- che) und sogar den Verzicht auf jegliche Macht – in Form eines radikalen Gehor- sams gegenüber einer Gemeinschaft.

Entscheidend ist aber, dass diese ‚Imp- fungen gegen die Gier‘, wie man Aske- se auch nennen könnte, stets spiritu- ell begründet werden, auch wenn sie

‚nützlich‘ sein mögen: Fasten macht bekanntlich schlank und wach, Schwei- gen kann die Konzentration steigern, se- xuelle Enthaltsamkeit schützt vor Infekti- onskrankheiten. Heimatlosigkeit erhöht eventuell den Konzerngewinn. Doch sind diese funktionellen Vorteile nicht der ei- gentliche Sinn der Askese.

Von den Wandermönchen (Sannyasin) des Hinduismus über die Stoiker in der Antike bis zum hl. Paulus im Chris- tentum, immer geht es um ein Frei- Werden für das ‚Eigentliche‘: bei den Hindu-Mönchen um die Erfahrung des Brahma gegenüber der ‚Schein-Welt‘, bei den Stoikern um die Ataraxia, die Unerschütterlichkeit gegenüber dem wechselvollen Schicksal, und beim hl.

Paulus um eine Übung in der Nachfolge Christi, beim Völker-Apostel Liebe ge- nannt, „die das Band der Vollkommen- heit ist“ (Kol 3,14).

Dass das 21. Jahrhundert eine neue Kul- tur der Askese braucht, scheint evident.

„Die Welt hat genügend für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“, hat Mahatma Gandhi einmal for- muliert, um anzudeuten, dass wir Aske- se für eine neue Sozialität brauchen.

Vielleicht gilt aber auch spirituell: Wer weniger (ver)braucht, (er)lebt mehr.

Lexikon der Ethik:

Askese

Prof. Dr. Uto Meier, Professor für Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

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