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Lexikon der Ethik: Empathie

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Lexikon der Ethik:

Empathie

Daniel Goleman berichtet in seinem Weltbestseller „Emotionale Intelli- genz“ (dt. 1995) von einer seltsamen Begebenheit aus dem Vietnamkrieg: In einem Gefecht zwischen Marines und Vietcong tauchten mitten in der Front sechs Mönche auf, die seelenruhig auf die Schusslinie zugingen und die- se durchschritten. Ein Zeuge schrieb später dazu: „Es war ganz seltsam, aber keiner schoß auf sie. (…) Ich hat- te keine Lust mehr [zum Kämpfen, U.

M.]. So müssen es alle empfunden haben. (…) Wir stellten einfach den Kampf ein.“ (ebd. 149)

Es wird hier vielleicht deutlich, dass dieser Mut der Mönche zum gewalt- losen Tun anscheinend ansteckend wirkte und die „Rationalität“ beider Kriegsparteien erschütterte. Dieses Einfühlungsvermögen nennt man ge- meinhin Empathie. Der altgriechische Begriff meint Fähigkeit zur „Leiden- schaft“ (Em-patheia), die sich in ein Gegenüber hineinversetzen („Em-pa- theia“) kann. Das Oxford Dictionary of Philosophy definiert daher den Begriff als „The state of being emotionally and cognitively ‚in tune with’ another person, particulary by understanding what their situation is like from the in- side”.

Empathie psychologisch Seit den bahnbrechenden Versuchen von Giacomo Rizzolatti, der 1995 die Spiegelneuronen entdeckte, weiß man aus der Neurologie, dass wir Gefühle anderer (über nonverbale Mimik) zu unseren eigenen machen können: La- chen steckt an! Schon bei Kleinkindern ist das bekannt. Einjährige weinen mit, wenn ein Spielkamerad hingefallen ist.

Später, ab zwei Jahren, können Kinder ihre eigenen Gefühle von denen ande- rer unterscheiden und werden emp- fänglich für das Empfinden mit ande- ren und deren Bedürfnisse: nicht nur mitweinen, sondern ein Pflaster!

In der späten Kindheit kann dann auch über die unmittelbare face-to-face- Empathie hinaus die Welt „mit den

Augen der anderen“ aufgenommen und z. B. über Literatur und Kunst die Wahrnehmung anderer Erfahrungsräu- me mit- und nachempfunden werden.

Man spricht hier von narrativer Empa- thie (Fritz Breithaupt), die über „dritte Blickwinkel“ Bewusstseins erweiterung (und gesellschaftliches Engagement) provozieren kann.

Der Begriff Empathie wird in der Psy- chologie für drei Dimensionen differen- ziert: „Kognitive Empathie lässt uns erkennen, was ein anderer fühlt. Emo- tionale Empathie lässt uns fühlen, was ein anderer fühlt, und das Mitleiden bringt uns dazu, dass wir dem ande- ren helfen wollen …“ (Paul Ekman, Ge- fühle lesen, 2007: 249). Diese Fähig- keit zum Sehen und Fühlen „from the inside of another“ zeigt eine immense Bedeutung in allen Lebenskontexten:

Partnerschaft und Beruf, Erziehung und Menschenführung, ja Ökonomie und Diplomatie können ohne Empa- thie kaum sinnvoll bestehen.

Hierzu wenige Ergebnisse der Em- pathieforschung: Rassisten kennen

kaum (messbare) Empathie, sie ver- weigern Einfühlung in die Gefühlswelt der anderen Hautfarbe/Kultur (Ales- sio Avenanti). Empathische Ärzte be- schleunigen die Genesung (David Ra- kel). In erfolgreichen Therapien mit Schwerkriminellen lernen diese, sich in die Erfahrungen der Opfer nachträg- lich einzufühlen bzw. Opferrollen anzu- nehmen.

Empathie ethisch

Wie alle Fähigkeiten kann auch Empa- thie instrumentalisiert werden. So ist bekannt, dass Diktaturen gerne mit dem Aufbau von Pseudo-Empathien ar- beiten und Vorurteile gegenüber Mino- ritäten „empathisch“ teilen, meist um abzulenken. Und heutiges Marketing arbeitet auch gerne mit Empathie, oft zur Umsatzsteigerung sinnloser Pro- dukte. Es ist daher zwischen authen- tischer und funktionaler Empathie zu unterscheiden.

In allen Religionen und Weisheitslehren kennt man die ethische Grundforde- rung nach einem authentischen Blick auf die Welt mit den Augen der ande- ren. Mit der Goldenen Regel antwortete etwa im Judentum Rabbi Hillel bereits 30 Jahre vor Christus: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora.“

Jede Religion der Welt kennt diese

„Empathie-Präambel“ aller ethischen Verantwortung. Dass auch der christ- liche Glaube zutiefst empathisch ist, zeigt der zweite Teil des Hauptgebo- tes, die Forderung zur Nächstenliebe (schon in Lev 19,18); sie erschließt sich neu in der Buber-Rosenzweig- Übersetzung: „Liebe Deinen Nächs- ten. Er ist wie Du!“

Insofern ist Nächstenliebe kein Gebot mehr, sondern empathische Ich-Erwei- terung.

Prof. Dr. Uto Meier, Professor für Religions pädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

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