Basic Sanskrit?
Von Manfbed Mayehofeb, Graz
Durch die Güte Dr. V. Raghavans (Madras) wurde mir dieser Tage
ein aus seiner Feder stammender Kongreßbericht zugänglich, der im
Westen sonst wenig bekannt sein dürfte und wohl eine kurze Inhalts¬
angabe an dieser Stelle verdient. Es handelt sich um einen Bericht der
,, Classical Sanskrit Section" der ,,15th All-India Oriental Conference",
Bombay 5.—7. November 1949 (unter dem Vorsitz von Dr. Raghavan),
in welcher das Problem eines „Simplified Sanskrit" als Voraussetzung
für eine Einführung des Sanskrit als lingua franca Indiens durch einen
Vortrag des Präsidenten erläutert und im weiteren durch eine Diskus¬
sion erwogen wurde. Das genannte Problem ist für Indien, indem man
um ein sprachliches Fundament des wiedergewonnenen politischen Svaräj
ringt, von brennender tagespolitischer Wichtigkeit, auch heute noch, da
man eine sanskrithafte Hoch-Hindi („an indirect victory for Sanskrit",
Raghavan a. a. 0., S. 30) zur Landessprache von Indien erkoren hat. Es
zeigt sich aber auch jedem europäischen Forscher, der mn die Sprachge¬
schichte des Altindischen bemüht ist, als ein Problem von besonderem Reiz.
Der Gedanke eines solchen „simplified" oder ,, basic" Sanskrit ist
nicht erst heute geboren worden. Die ganze Geschichte des Altindischen
steht naturgemäß unter dem Vorzeichen eines solchen simplifying, das
sich in der Entwicklung vom Vedischen zum Sanskrit, noch mehr in der
vom Sanskrit zum buddhistischen und jinistischen Misch-Sanskrit
kundtut^. S. K. Chätteeji berichtet in einer Broschüre über das In¬
dische Sprachenproblem (Oxford 1945), daß ein gewisses Basic Sanskrit
bereits seine praktische Erprobung bestanden habe^. Und auch innerhalb
der altindischen Literatur kann Raghavan (S. 35) auf solche Verein¬
fachungstendenzen hinweisen : so nennt er den beschränkten Wortschatz
erzählender Werke (wie des Pancatantra), die „basic tongue" einiger
Puränas u. a. m.
Der einzige Versuch, ein solches vereinfachtes Sanskrit systematisch
zu schaffen, rührt jedoch von einem Deutschen her. Otto Scheadbe,
damals Direktor der Adyar-Bibliotbek, hat in einer Vorlesungsreihe
(Madras 1909) konkrete Vorschläge hierzu gegeben, die nun von indischer
1 R. C. Majumdab (bei Raghavan S. 34); Raghavan S. 34—35.
^ . . . I have seen Arya Samaj preachers from the Punjab speaking
simple Sanskrit listened to by Bengal audiences in public squares and
understood generally ...
Basic Sanskrit ? 353
Seite eifrig ausgebaut werden und auch dem europäischen Gelehrten
noch manche Verbesserungen und Korrekturen auf den ersten Blick
ablocken. Schräder bezog sich dabei — und auch diese Erinnerung ist
der Auffrischung wert — auf den Vorgang des Franzosen Eugene
L.ANDA, der seinerzeit ein „Kosmos" genanntes, mit Hilfe von Sanskrit,
Griechisch imd — Urindogermanisch vereinfachtes Latein geschaffen
hatte. Die Hauptschwierigkeit des Sanskrit wurde von Schräders Vor¬
schlag richtig in dem Wort- und Formenreichtum dieser Sprache erkannt.
Darum fordert Schräder die Abschaffung aher überflüssigen Synonyma
— etwa für netram, welches ebenso wie engl, eye, n\id. Auge ohne jedes
Synonym auskommen könne. In der Formenlehre des Nomens wird eine
Überführung aller Nomina in die a-Deklination angestrebt^; wo dies
nicht möglich ist, wie im Falle ketu- „Hehe, Bhd", da es ein keta- „Ver¬
langen, Absicht" bereits gibt, sehe ein a-Stamm angehängt werden, z. B.
ketugrahalf. Die Verbalklassen sind auf die thematischen (1, 4, 6, 10)
zu beschränken; die athematischen Verba müßten durch ein synonymes
thematisches Verb [musnäti „stiehlt" durch comyati) ersetzt oder dürften
jxui in üirer thematischen Nebenform gebraucht werden (z. B. mrjati
statt märsti). Die Endungen des Mediums [Ätmanepada) sind — mit Aus¬
nahme des Passivs* — aufzugeben. Ein Vergangenheitstempus, ein
Futmum müßten genügen. Eine Auflassung des Duals beim Nomen und
Verbum schlägt Raghavan (S. 37) vor. In der Syntax sind überlange
Komposita zu vermeiden; der Sandhi ist aufzulassen.
Die Zusammenfassung des Präsidenten zu diesem seit 40 Jahren
wenig beachteten Vorschlag war im allgemeinen positiv, wie überhaupt
die Idee eines Basic Sanskrit auf indischer wie europäischer Seite viele
Fürsprecher hat*. Ein interessanter Einwand war der, daß dann die
neuindischen Sprachen eine Reihe von Sanskrit-Lehnwörtern aus der
hochkulturellen Sphäre besitzen würden, welche es in diesem neuen
^ Wie es im Mittelindischen in großem Ausmaß geschehen ist. VgL
B. O. Franke, Die Sucht nach a-Stämmen im Päh, BB 22, 1897, 202 ff.
^ Dies ist ohne Zweifel der schwächste und verlegenste Vorschlag
Schräders. Wäre es nicht besser, hier die Vokalstämme beizubehalten,
aber die Endungen der a-Stämme durchzuführen, also statt der Genetive
devasya : agneh : satroh nach mittelindischem Vorbild devasya : agnisya :
satrusya (: päU devassa : aggissa : saitussa) zu bilden (zu diesem systemati¬
schen Ausgleicli im Mi. vgl. mein 1951 erschienenes ,, Handbuch des Päli",
§ 215)? Zu der Notwendigkeit, hier die oft vorbildhchen Vereinfacliungs-
tendenzen des Mi. zu konsultieren, s. auch Raghavan S. 37.
^ Hier zeigt wieder das Vorbild des Mi., daß man ganz ohne Medial -
endimgen auskommen könnte, da das -ya- des Passivs genug ist: Vgl. päli
nlyati, hannati < ai. niyate, hanyate usw.
« Vgl. Raghavan S. 33, der aus der jüngsten Zeit F. W. Thomas und
Louis Renou nennt.
2 3 ZDMG 101
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„Sanskrit" gar nicht mehr geben dürfe^. Doch überwiegt bei Raghavan
die Hoffnung auf eine starke Verbreitung dieses vereinfachten Sanslirit,
die möglichst vielen Menschen der Schlüssel zu einem weiteren Ein¬
dringen in die überquellenden Schönheiten des ,, wirklichen" Sanskrit
sein körme.
Hier schließt das Eingangsreferat und beginnt die Diskussion der
indischen Gelehrten, von welcher wir kein gedrucktes Zeugnis mehr
besitzen. Es wäre schön, wenn sich auch in dem nur wissenschaftlich
interessierten Westen ein ähnlicher fruchtbarer Meinungsaustausch an
diese Mitteilung anschließen könnte.
Nachwort des Herausgebers. Wir brauchen uns nicht auf Jacobi
(Scientia XIV, 274) zu berufen für dio Tatsache, daß das Sanskrit sowohl
eine toto Sprache ist wie eine lebende. Soin Wortschatz ragt tief hinein
in den tägUohen Sprach- und Schriftgebrauoh, und auch der ungelehrte
Hindu, der die Vergangenheit Indiens in sich trägt, ist vom Sanskrit
berührt, ja seiner hervorragend mächtig. Wohlboraton war daher die
Verfassungsgebende Versammlung zu Neu-Delhi, als sie dem Sanskrit die
Bereicherung des Wortschatzes der zur Amtssprache erklärten Hindi
für solche Fälle anvertraute, wo dieser die Ausdrücke des heutigen Staats¬
und Kulturlebens etwa fehlten. Satz und Stil aber sollen, so ist gleich¬
falls festgelegt, aus der natürlichen Weiterbildung der Hindi bestritten
werden. Man weiß in Indien eben genau — und Jawahaelal Nehbu hat
es mit respektvoller Entschiedenheit ausgesprochen (India Record 1948) —,
daß eine organische Sprachentwicklung sich nicht zurückschrauben läßt,
mit anderen Worten : daß das Sanskrit eine lebendige Sprache des täglichen
Gebrauchs für Alle nicht wieder werden kann. Mit dieser Feststellung,
welche die boschriebeno gegenwärtige Rolle des Sanskrit keineswegs
mindern will, ist über jeden Vorsuch in jener Richtung das Urteil gefällt;
ein solcher kann nur noch als das Gedankenspiol von wohlmeinenden, aber
wirklichkeitsfremden Altortümlern bezeichnet werden, von denen einige
materiell in der Lago sind, ihre Ideen im Druck zu verbreiten. Daß der
Vergleich des angestrebton elementaren Sanskrit mit der einfachen (wenn
auoh keineswegs kunstlosen) Sprache alter Werke auf beiden Füßen hinkt,
braucht keinem Indologen erst gesagt zu werden. Aber nicht nur ein solcher
wird den Vorschlag zurückweisen, Synonyma für tot zu erklären, die
Verbformen zu dezimieren oder Organe durch Prothesen zu ersetzen:
unsere indischen Freunde selbst brauchen sich gewiß nicht vom Ausland
her sagen zu lassen, daß sio ihre reiche, nach wie vor ,, heilige" Sprache
nicht entmannen dürfen. Mr„i4-u„-o u ■
Waither öohubring
1 S. 37: Thus a speaker in a mother-tongue uses his mother-tongue
vocabulary for aspects of hackneyed activity, and the moment of higher
ideas is to be expressed, he resorts to a Sanskrit word. If tho greatness
and beauty of Sanskrit are in this richness and speciality of high level
vocabulary, what is to be gained by plucking of all its rich foliage and
exposing a basic form suited for ordinary colloquy 1 In this bare form,
what is the intrinsic virtue in Sanskrit that it should be spoken and not any
vernacular ?
Bücherbesprechungen
Arnold J(osKrH) Toynbee: Der Gang der Weltgeschichte. Aufstieg und
Verfall der Kulturen. 2. orw. Auflage, übersetzt von Jübgen von
Kempski. Stuttgart (1950). W. Kohlhammer-Verlag. XXXI, 565 S.,
2 Tafeln.
Der Betrachter der morgenländischen Geschichte, der stets die Fühlung
mit der allgemeinen Geschichtswissenschaft halten muß, wird auch an den
monumentalen Leistungen einer Zusammenschau des Gesohichtsablaufes,
wie sie nach Jacob Bubckhabdt und Oswald Spenglbb jetzt A. J.
Toynbee in einem groß angelegten Wurfe vornimmt, nicht vorbeigehen
können. Er wird die Thesen, die der Verfasser auf breitester Grundlfige
über das Werden der Kulturen, ihre Ausbreitung durch eine ,, schöpferische Minderheit", deren allmähliches Erstarren zu einer herrschenden Minder¬
heit und das schließlicho Absinken bis zur Zerstörung durch inneren Zer¬
fall und äußere Vernichtung, die don Keim zu Neubildungen in sich tragen
kann, anhand der morgenländischen Geschichte zu verfolgen haben. Da
der Schreibor dieser Zeilen das in größerem Rahmen in der „Festschrift für
Mehmed Fuad KÖPRÜlÜ (Konstantinopel 1951) zu tun versucht hat und
hier koine Wiederholung bieten darf, möge es ihm gestattet sein, wenig¬
stens auf einiges Grundsätzliche hinzuweisen. Toynbee selbst sieht in der
Entwicklung des Nahen Ostens eine Sonderform (S. 423, 485), die sich nicht
in allem mit dem Ablaufe anderer Kulturen vereinbaren läßt. Ohne es
eigentlich auszusprechen, gibt er die Unmöglichkeit, hier einen in seinem
Sinne , .regelmäßigen" Geschiohtsablauf zu konstruieren, dadurch zu. daß
er die Zeit der Hellenisierung (von Alexander zu Muhammad) einfach als
Intermezzo des ..Syrischen Gosellsohaftskörpers" ansieht, wie er die vor¬
derasiatische Kultur einschließlich der iranischen bezeichnet (eine Verwen¬
dung des Wortes ,, syrisch", die m. E. unhaltbar ist). Dadurch schließt er
das abbäsidische Chalifat mit dem omajjadischen Vorläufer einfach an das
Achämenidische und das von diesem in seinen Bestrebungen fortgesetzte
Neubabylonisohe Reiche an : dadurch wird die von ihm geforderte Norma¬
lisierung der großen Entwicklung nach seiner Auffassung erreicht.
Mir scheint diese Betrachtung der morgenländischen Geschichte nicht
wirklich gerecht zu werden. Ich sehe hier vielmehr einen Zyklus der Er¬
neuerung und des Vergehens in kürzeren Zeitabständen, der neben Vorder¬
asien gerade auch Irans Schicksal kennzeichnet: ein stufonweises Er¬
blühen der Kultur, die durch große Umbrüche immer wieder gehemmt
wird, bis eine neue Provinz des iranischen Landes zur Fortführung der
Entwicklung berufen wird. Dabei spielen — wie ich glaube — die Faktoren
der erdräumlichen Lage und des blutsmäßigen Erbes (auch bei der Wand¬
lung der vorderasiatisch-islamischen Kultur) eine wesentlich größere
Rolle, als Toynbee das wahrhaben möchte. Leistungen der Iraner, die
Toynbee als nur in den Randlandschaften durch den Anreiz der feind-
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