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Gibt es Sozialprestige?*Bernd Wegener

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Gibt es Sozialprestige?*

Bernd Wegener

Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) Postfach 59 69 D-6800 Mannheim 1

Z u s a m m e n f a s s u n g : Der Aufsatz verfolgt ein doppeltes Ziel: Es wird der Versuch einer Begriffsexplikation von Sozialprestige unternommen, und es wird eine Prestigeskala beruflicher Tätigkeiten vorgestellt. Prestige ist eine subjektive Variable. Gleichzeitig wird an sie in der Soziologie aber der Anspruch einer objektiven Strukturmetrik gestellt. In diesem Doppelcharakter von Prestige liegt die Schwierigkeit des Begriffs. Es wird der Standpunkt vertreten, daß diese Schwierigkeit nur dann bewältigt werden kann, wenn Sozialprestige nicht auf Individuen, ihre sozialen Rollen und Ausstattungen bezogen wird, sondern auf soziale Formationen, die sich durch Schließungsprakti­

ken identifizieren und von einander abgrenzen. Eine solche Betrachtungsweise berücksichtigt die grundsätzliche Geschlossenheit im Prozeß des sozialen Positionserwerbs und weist subjektiven Prestigeurteilen eine kausale Rolle bei der Schließung und transitiven Hierarchisierung differenzierter sozialer Positionsniveaus zu. In diesem Sinne wird die Prestigeskala beruflicher Tätigkeiten (Magnitude-Prestigeskala, MPS) mit Hilfe einer neuen Skalierungstechnik und auf der Basis exemplarischer, repräsentativ erhobener Berufseinschätzungen als eine „Schließungsordnung“ konstru­

iert. Darüber hinaus wird die Konstruktvalidität der Skala in Statuserwerbsmodellen an zwei unabhängigen Datensät­

zen bestimmt.

1. Einleitung

Der Prestigebegriff ist logisch ein Zwitterwesen.

Er soll eine soziale Strukturmetrik und zugleich eine private Anmutung zum Ausdruck bringen.

Wenn Soziologen von Prestige reden, meinen sie zwar zumeist die Verteilung einer objektiven Res­

source, die - wie die von z. B. Reichtum - in der Gesellschaft ungleich ist. Aber anders als Reich­

tum ist Prestige nicht abzählbar; Prestige wird subjektiv erlebt und zugeschrieben. Aber kann Prestige zugleich objektiv und subjektiv sein? Die Frage findet in diesem Aufsatz eine negative Ant­

wort. Der Anspruch, Prestige operationalisieren und als objektive und subjektive Größe messen zu wollen, richtet sich auf etwas, das es gar nicht gibt.

Außer diesem Negativbeweis verfolgt der Aufsatz freilich noch ein zweites Ziel: die Konstruktion und Validierung einer Berufsprestigeskala. Nach dem Gesagten bedarf dieses Vorhaben offensicht­

lich einer Rechtfertigung. Es muß demonstriert werden, daß es möglich ist, die objektiven und subjektiven Bestandteile des Prestigekonzepts analytisch getrennt zu halten, zugleich aber so aufeinander zu beziehen, daß eine einheitliche Idee des Begriffs verfügbar wird.

* Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags ist als ZU- MA-Arbeitsbericht 84/02 verfügbar. Der Arbeitsbe­

richt enthält die technischen Details des Erhebungs­

vorgehens, der Skalenkonstruktionen und der Modell­

anpassungen, auf die in der vorliegenden straffen Ver­

sion verzichtet werden mußte.

In der Entwicklung der Prestigeforschung ist das Problem nicht unbekannt geblieben (Kluth, 1957;

Eisenstadt, 1968). Man stößt auch auf Versuche, die Trennung zwischen beiden Prestigetypen vor­

zunehmen. Aber wie schwierig das zu sein scheint, belegen die Einseitigkeiten, die aus diesen Versu­

chen hervorgegangen sind. Die Ergebnisse stellen Prestige entweder eingeschränkt als eine objektive Gesellschaftskoordinate dar und vernachlässigen den subjektiven Bedeutungsaspekt (Parsons, 1940;

Davis/Moore, 1945; Shils, 1975); oder sie fassen umgekehrt in erster Linie die subjektive Seite des Phänomens ins Auge und die Rolle, die es bei der Identitätsfindung des Einzelnen und von Gruppen spielt (Weber, 1972; Warner, 1949; Goode, 1978).

Wer von Prestige als von einer Strukturkomponen­

te spricht, spricht offenbar von etwas anderem als der, der sich auf Prestige als auf eine bestimmte Wahrnehmung und Wertschätzung bezieht.

Während wir nun allerdings lebenspraktisch wis­

sen, was es bedeutet, einer Person oder ihrer sozia­

len Rolle Anerkennung und Ehre entgegen zu bringen oder selbst die Erfahrung des Geehrtwer­

dens zu machen, ist die Validitätsfrage in bezug auf die Idee einer objektiven Prestigedimension offen.

Fest steht ja, daß sich diese Validität nicht an die Aspekte der subjektiven Bedeutung von Prestige zurückbinden läßt, soll die Trennung der beiden Prestigeformen gelten. Versuche, dies dennoch zu tun und die strukturelle Prestigereihe etwa mit der Eindrucksstärke von charismatischen Qualitäten (Shils, 1975), Heldentum gar (Goode, 1978), Prä­

ferenz (Goldthorpe/Hope, 1974) oder moralischer

(2)

Bewertung (Hope, 1982) zu identifizieren, bleiben auf ganzer Linie metaphorisch: Wer gibt uns denn die Gewähr dafür, daß das Kriterium der subjekti­

ven Prestigezumessung zugleich auch ein relevan­

tes Gliederungskriterium für den Aufbau der Ge­

sellschaft ist? Wenn jedoch angesichts dieses Be­

deutungsdefizits Validierungsversuche für Prestige an äußerlich beobachtbaren Statusvariablen unter­

nommen werden, fallen die Kriteriumskorrelatio­

nen jedesmal hoch aus. Seit Duncan (1961) wissen wir, daß sich das Prestige von sozialen Positionen mit einem Determinationskoeffizienten von .83 aus der Einkommenslage und dem Schulabschluß Vorhersagen läßt. D. h. auf der Suche nach einer eigenständigen, von subjektiven Bedeutungsresten befreiten Validität für Sozialprestige stößt man auf die nahezu veridikale Abbildung von sozio-ökono- mischen Status und damit auf den Umstand, daß Prestige ein forschungspraktisch überflüssiges Konstrukt ist (Featherman/Hauser, 1976; Moore, 1980).

Prestige ist also weder die subjektive Ordnung und erlebte Ehrung, noch der auf äußere Merkmale reduzierbare soziale Status. Eine dazu alternative Konnotation von Prestige berücksichtigt freilich einen dritten Aspekt am Begriff, den Handlungs­

aspekt. Nicht Erleben oder äußere Ausstattungen, sondern Leistungen stellen danach die Basis für Prestige dar (Parsons, 1940; Davis/Moore, 1945):

Wer ein Mehr an (systemkonformen, u. U. knap­

pen) Leistungen erbringt, wird mit der Münze kollektiver Ehrung entgolten.

Das Bemerkenswerte an dieser Konzeption von Prestige ist die synthetische Absicht, die mit ihr verbunden ist. Als Leistungsbegriff nämlich ist So­

zialprestige eine Gradationsvariable, die die Funk­

tion einer objektiven Gesellschaftskoordinate er­

füllen soll und die zugleich auf subjektiven Akten der Handlungsbewertung basiert. Allerdings wird diese Synthese durch zwei gravierende Konditio­

nen erkauft: Es wird 1. vorausgesetzt, daß die Bewertungsakte täuschungsfrei sind, und 2., daß sie - als Implikation davon - konsensuell erfolgen.

Täuschungsfreiheit heißt, daß die Leistungen, die erbracht werden, tatsächlich Anerkennung erfah­

ren. Der Prestigegewinn mit anderen Worten, wenn auf Leistung aufgebaut, erfolgt niemals „sub­

versiv“ (Goode, 1978). Ebenso sind Situationen ausgeschlossen, in denen erbrachte Leistungen aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer diskriminier­

ten sozialen Gruppe ungewürdigt bleiben. Als Lei­

stungsvariable richtet sich Prestige daher auf eine Gesellschaft, die prinzipiell offen ist (Weber, 1972:

23) und in der Privilegien durch Anstrengung und Wettbewerb erworben und nicht aufgrund z. B.

von Herkunfts- oder Besitzrechten beansprucht werden können. Nur unter Abstraktion von Klas­

sengrenzen, partikularis tischen Abschottungen und Stigmatisierungen ist die Bewertung von Lei­

stungen durch alle - täuschungsfrei und einhellig - möglich.

Als Gesellschaftskoordinate büßt Prestige, wie wir also sehen, entweder ihre subjektiv-symbolische Bedeutung ein und wird identitätsgleich mit merk­

malsbezogenem sozialen Status. Oder wir legen als Basis für die Prestigedimension die individuellen Leistungen zugrunde. Dann allerdings laufen wir Gefahr, Verhältnisse sozialer Geschlossenheit wirklichkeitsfremd als offen abzubilden. Die Lö­

sung des Problems, die in diesem Aufsatz ange­

strebt wird, geht davon aus, daß die gemeinsame Limitation dieser unbefriedigenden Alternativen die Perspektive auf das Individuum ist und daß der Prestigebegriff auf diesem Niveau nicht analysiert werden kann. Die für die Prestigeforschung typi­

sche Annahme, nach der Prestige eine transparen­

te Gradation von Individuen oder ihrer individuel­

len Positionen ist (Ossowski, 1962), muß vielmehr überwunden und durch die Relationierung abge­

grenzter sozialen „Einheiten“ abgelöst werden.

Voraussetzung ist, daß sich in bezug auf diese Einheiten eine Ordnung beweisen läßt, für die die Prestigegesichtspunkte ihrer Mitglieder die Ursa­

che darstellen. In Verallgemeinerung bietet sich Webers Begriff der sozialen Schließung für die Rekonstruktion einer solchen Ordnung an. Eine

„Schließungsordnung“ konstituiert sich aus der gruppenspezifischen Kongenialität von Werthal­

tungen und Lebensstilen, nicht aus der Abbildung von Status- oder Leistungsdifferenzen. Mit einer Prestigekonzeption, die an die Mechanismen so­

zialer Schließung gebunden ist, können wir den Widersprüchen des Prestigebegriffs, der subjektiv und objektiv zugleich sein soll, entgehen. Denn die Wirklichkeit der objektiven Ordnungsvariable Prestige wird jetzt nicht mit den subjektiven Presti­

geerlebnissen identifiziert, sondern an deren sozia­

len Folgen festgemacht.

Die Annäherung an diesen Punkt vollzieht sich in dieser Untersuchung von der Seite der Operatio­

nalisierungsmöglichkeiten her. Auf welchen We­

gen gelingt die Quantifizierung sozialer Ordnungs­

dimensionen und wo auf der Palette der Quantifi­

zierungsangebote finden wir eine Messung, die die angestrebte Prestigeordnung ausdrückt? Der Zu­

gang zur Behandlung eines theoretischen Themas

(3)

von den Operationalisierungen her ist ungewöhn­

lich, er baut sich gewissermaßen von rückwärts auf. Die Operationalisierungsmöglichkeiten für so­

ziale Ordnungsdimensionen sind allerdings prinzi­

piell begrenzt und nur von wenigen Entscheidun­

gen abhängig. Die Diskussion dieser Entscheidun­

gen erlaubt besser als eine theoretische Ableitung die Beurteilung, ob eine der explizierten Dimen­

sionen jene Ordnungsbedingungen erfüllt, die ihre Interpretation als Prestigedimension rechtfertigen.

In diesem Verständnis ist der sich jetzt anschlie­

ßende Abschnitt mit Theorie überschrieben. Der zweite Teil beschreibt die Methode für das Vorge­

hen bei der Konstruktion der Berufsprestigeskala.

Die Ergebnisse von Konstruktvalidierungen dieser Skala im Zusammenhang mit anderen sozialen In­

dikatoren finden sich im Schlußteil referiert.

Theorie

2. Status und Prestige als soziale Ordnungsdimensionen

Es wird also im Folgenden zunächst nicht von Prestige die Rede sein, sondern von sozialen Ord­

nungsdimensionen und ihren Operationalisierun­

gen überhaupt. Diesbezüglich gehe ich davon aus, daß die Operationalisierungswahlen auf nicht mehr als auf drei Entscheidungsebenen zu treffen sind: 1. auf der Ebene der Meßverfahren, 2. auf der der Klassifikation der sozialen Einheiten und 3. auf der der Skaleninterpretationen. Vorstellbar ist, daß diese Ebenen in die Form einer dreidimen­

sionalen Kreuztabelle gebracht werden, so daß die Zellen dieser Tabelle die Gemeinsamkeiten der auf den drei Ebenen getroffenen Entscheidungen ausdrücken: Wenn es x prinzipiell mögliche Mess­

verfahren gibt, y mögliche Klassifikationsstrate­

gien und z unterschiedliche Interpretationen, hat das Entscheidungsraster xyz Eintragungen als Wahlmöglichkeiten. Wir betrachten den Fall xyz = 16, nämlich eine Matrix, die sich aus vier mögli­

chen Meßverfahren, zwei Klassifikationsformen und zwei Skaleninterpretationen zusammensetzt.

Die dreifaktorielle Matrix ist hier als Tabelle 1 wiedergegeben.

2.1 Meßmethoden

Auf ihrem Spaltenfaktor unterscheidet die Tabelle als Meßmethoden die Indexskalierung, die Interak­

tionsskalierung, die Reputationsskalierung und die Strukturskalierung.

(a) Dabei wird unter Indexskalierung die Selektion von metrischen Attributen sozialer Positionen ver­

standen, durch die Inhaber dieser Positionen cha­

rakterisiert und quantifiziert werden. Einkom­

mensniveaus von Berufspositionen oder Ausbil­

dungszeiten ihrer Inhaber sind übliche Beispiele.

Häufig werden die Indikatoren nach Kombina­

tionsregeln zusammengefaßt, um die vielen einzel­

nen Statusmasse auf ein singuläres Maß zu reduzie­

ren (z. B. Duncan, 1961; Hollingshead/Redlich, 1958; Handl, 1977)1.

(b) Beobachtbares Verhalten ist demgegenüber der Ausgangspunkt für eine Interaktionsskalie­

rung. Wer interagiert, hat Kontakt oder tut sich zusammen mit wem? Es läßt sich leicht erraten, vor welchem Hintergrund diese Frage gestellt wird: Interaktionshäufigkeiten nehmen zu, so nimmt man an, mit der Statusähnlichkeit der Be­

teiligten. Die Frequenzen der Begegnungen, des wirtschaftlichen Austauschs, der Freundschafts­

und Heiratswahlen lassen sich unter dieser Prämis­

se als Ähnlichkeitskoeffizienten interpretieren und als Datenbasis für die Skalierung relativer Distan­

zen behandeln. Das Vorgehen hat seine theoreti­

schen Wurzeln in der Warnerschen Forschungstra­

dition einerseits und den Ausführungen Webers zum Standesbegriff andererseits (Laumann, 1973;

Pappi, 1976). Danach ist soziale Hierarchisierung und Gruppenbildung an den inneren Interaktions­

dichten ablesbar, nicht lediglich an der Bestimmt­

heit der psychologischen Identifikation, mit der Betroffene ihre Zugehörigkeit zu sozialen Forma­

tionen kundtun1 2.

(c) Der dritte Ansatz der Sozialskalierung beruft sich auf Reputation. Er überläßt es nicht dem Forscher, die Quantifizierung vorzunehmen, son­

dern gibt diese Aufgabe an die Betroffenen selbst weiter. Dabei wird angenommen, daß wir ohnehin alle den sozialen Rang, den ein Mitglied in unserer

1 Da Indexskalierung in der Regel weder die Auswahl ihrer Indikatoren noch ihre Kombination anders als durch die aposteriori demonstrierte Brauchbarkeit aus- weisen kann, liefert sie das Paradebeispiel für Messun­

gen per fiat (Torgerson, 1958). D. h. Indexbildungen geben Ordnungen normativ vor.

2 Das Resultat von Interaktionsskalierungen ist aller­

dings lediglich ein affirmatives Mittel soziologischer Quantifizierung, weil es die Bedingungen für die Inter­

aktionen - und wichtiger sogar: für die Interaktionen, die aufgrund kontingenter Gelegenheitsstrukturen un­

terbleiben - unberücksichtigt läßt.

(4)

Tabelle 1 Matrix möglicher sozialer Ordnungsdimensionen. Die dreifaktorielle Tabelle setzt sich zusammen aus vier Meßmethoden (Index-, Interaktions-, Reputations- und Strukturskalierung), aus zwei Klassifikationen (berufliche Stellung vs. Tätigkeit) und zwei Skaleninterpretationen (Status vs. Prestige)

Index­

skalierung (a)

Interaktions­

skalierung (b)

Reputations­

skalierung (c)

Struktur­

skalierung (d)

0 ) (2) (3) (4)

Berufliche Status Status Status Status

Stellung

(5) (6) (7) (8)

Prestige Prestige Prestige Prestige

(9) (10) (11) (12)

Berufliche Status Status Status Status

Tätigkeit

(13) (14) (15) (16)

Prestige Prestige Prestige Prestige

Gesellschaft innehat, kennen und einordnen kön­

nen. Methoden der direkten Befragung stellen in diesem Fall das Mittel zur Abbildung der sozialen Hierarchie dar (z. B. North/Hatt, 1947). Beim Reputationsansatz entfallen also die Entscheidun­

gen für bestimmte Statusindikatoren oder Interak­

tionsmilieus. Kritisch ist allerdings die Frage, ob die Leistung der Beurteilung den Betroffenen ei­

gentlich zugetraut werden kann und ob sie zu einem veridikalen Ergebnis führt. Nur Veridikali- tät erlaubt, daß an eine Reputationsskalierung der Anspruch einer strukturellen Interpretation ge­

knüpft wird3 * *.

(d) Als vierten Ansatz führt Tabelle 1 die Struktur­

skalierung auf. Die drei bisherigen Metrisierungs- weisen lassen in gleicher Weise einen wichtigen Aspekt einer Sozialordnung unberücksichtigt: die gesellschaftlichen Struktureinflüsse, die den freien Zugang zu sozialen Positionen einschränken und selektiv verbauen. Der Versuch der Quantifizie­

rung von Positionsstrukturen stellt die Möglichkeit dieser Bedingungen in Rechnung. Der Ansatz richtet sein Augenmerk nicht auf die marktmäßig­

materielle, sondern auf die positioneile Ökonomie einer Gesellschaft (Hirsch, 1976). Er operiert mit der Vorstellung von „Gerüsten“ und „leeren Plät­

zen“, die in Gerüsten fixiert sind, nicht mit der

3 Unproblematisch ist dieser Schritt nur dann, wenn die Beurteilungen konsensuell erfolgen. Die Standortzu­

weisungen bleiben andernfalls singulär und sind ledig­

lich Ausdruck subjektiver Ordnungen.

Vorstellung von Individuen und Attributen, die den Wert von Individuen bestimmen. Das, was Individuen an Qualitäten „anzubieten“ haben, bleibt auf die soziale Struktur, in der sie ihren Platz suchen, relativ einflußlos. Persönliche Leistungen, Anlagen, Herkunftsausstattungen oder das Hu­

mankapital einer Person sind unter strukturalisti- scher Perspektive als Einsatz nur dort effektiv, wo die Dynamik der Struktur das zuläßt. D. h. die strukturelle Rekonstruktion schematisiert soziale Beziehungen prinzipiell als geschlossen.

Wir interessieren uns hier ausschließlich für den Weg, auf dem man auf dieser Basis eine lineare Ordnungsdimension für eine Gesellschaft entwik- keln kann. Wenn man unter „Struktur“ einen be­

stimmten Bewegungsablauf bei der Zuweisung von Individuen zu hierarchisch geordneten Positionen versteht (White, 1970; Spence, 1973; Boudon, 1974; Thurow, 1975; Sörensen, 1977, 1979), ge­

winnt die Vorstellung von „Leerstellenketten“ für die Skalierung Bedeutung. Leerstellenketten sind

„Warteschlangen“, in die sich die potentiellen

„Bewerber“ auf bestimmte soziale Positionen ein­

reihen müssen. Der Erfolg, eine bestimmte Posi­

tion auch tatsächlich einzunehmen, wird dabei be­

stimmt 1. von Annahmen über den Prozeß, nach dem Individuen die Warteschlangen durchlaufen, und 2. durch die Verteilung der Besetzungen auf den unterschiedlichen Positionsniveaus. Das Pro­

dukt dieser Annahmen kann ein unterschiedlich komplex rekonstruierbarer stochastischer Posi­

tionserwerbsprozeß sein, der in seiner Umkehrung die Ableitung einer Metrik für die beobachteten Niveaus, auf denen die Besetzungen der Positio­

(5)

nen stattfinden, erlaubt (Sörensen, 1977, 1979, 1983; S0rensen/Kalleberg, 1981)4.

2.2 Klassifikationen

Der zweite Faktor der Skalierung von sozialen Ordnungsdimensionen in Tabelle 1 betrifft die Klassifikation der sozialen Einheiten, für die eine Quantifizierung angestrebt wird. Wir unterschei­

den diesbezüglich zwei Möglichkeiten, die (zumin­

dest im deutschen Sprachraum) forschungsprak­

tisch im Vordergrund stehen: die Klassifikation nach beruflichen Stellungen und die nach berufli­

chen Tätigkeiten.

Die Wahl von Berufspositionen als Basis steht in Einklang mit der theoretisch und empirisch beleg­

ten Behauptung, daß es an vorderster Stelle die Berufshierarchie ist, die in modernen Industriege­

sellschaften das Schichtungssystem bestimmt (Blau/Duncan, 1967; Parkin, 1971). Berufsklassifi­

kationen werden hier aber aus einem anderen Grund in den Vordergrund gestellt: wegen der unterschiedlichen Differenziertheit der Stellungs- bzw. Tätigkeitsschematisierungen. Die Zahl der beruflichen Kategorien, wenn sie nach Tätigkeits­

merkmalen gebildet werden, ist nämlich erheblich größer, als wenn sich die Kategorien auf Berufs­

stellungen beziehen. Die Internationale Standard­

klassifikation der Berufe (ISCO, 1971) z. B., die im wesentlichen die Ähnlichkeit der verrichteten Tä­

tigkeiten zugrundelegt, unterscheidet 1506 Berufs­

felder, die in 283 Tätigkeitsgattungen zusammen­

faßt werden5. Das Schema der beruflichen Stellun­

gen sieht hingegen im wesentlichen die funktionei­

le Grobklassifikation nach Selbständigen, Ange­

stellten, Beamten und Arbeitern vor, wobei diese Kategorien in sich nach hierarchischen, sozial­

rechtlichen Niveaus - z. B. als einfacher, mittlerer, gehobener und höherer Dienst - gegliedert sind.

Im Standardschema ergibt dies 21 Kategorien be­

ruflicher Stellungen, die unterschieden werden.

4 Strukturskalierungen sind allerdings aufgrund der Be­

liebigkeit der Rangabfolge der positionalen Stufen, die extern vorgegeben werden müssen, ambivalent. Das heißt freilich, daß der rein strukturelle, gewissermaßen subjektfreie Zugang zur Quantifizierung wieder aufge­

hoben wird, wenn sich die Rangordnung der Positions­

niveaus nicht anders als im Rückgriff auf die Ausstat­

tungen der Individuen, die sich auf diesen Niveaus finden, etablieren läßt.

5 In die gleiche Größenordnung stößt die Klassifizierung der Berufe (Statistisches Bundesamt, 1975) mit 1 689 Berufsklassen und 328 sogenannten Berufsordnungen vor.

Das Bemerkenswerte an der Trennung zwischen beruflichen Tätigkeiten und beruflichen Stellungen ist der Umstand, daß im Fall der beruflichen Stel­

lungen eine vorgegebene hierarchische Ordnung durch die Form der Klassifizierung mitgeliefert wird, während dies bei der Tätigkeitsgliederung nicht der Fall ist. Zwar sind nicht alle Berufsstel­

lungen im Schema der amtlichen Statistik von vorneherein hierarchisch einzuordnen (z. B. die Kategorien der landwirtschaftlichen Berufe). Zu­

treffend ist auch, daß das Schema das Nebeneinan­

der mehrerer Hierarchien umfaßt (Mayer, 1979).

Offensichtlich wird aber im Begriff der „Stellung“

ein Niveauelement angesprochen, so daß eine Stel­

lungsklassifikation eine zumindest partielle - tech­

nisch gesprochen: schwache - Ordnung zum Aus­

druck bringt6. Die Differenz der Kategorienzahl in den Klassifikationen nach beruflichen Tätigkeiten bzw. Stellungen ist in dieser Hinsicht offenbar nicht bedeutungslos. Es scheint, daß sich bei der Klassifikation sozialer Positionen in wenige und übersichtlich viele Kategorien eine hierarchische Ordnung der Kategorien mit auf drängt, während sich dieser Ordnungsaspekt in dem Maße verliert, in dem die Zahl der Kategorien größer wird7. Für die beiden Typen von Klassifikationssystemen heißt das, daß wir nicht davon ausgehen können, daß die Einteilungen zu identischen Ergebnissen führen. Es wird nicht einfach in dem einen Fall das

6 Diese Feststellung wird nicht von der Tatsache berührt, daß die Einteilung nach „Stellung im Beruf“ unter­

schiedliche Eigenschaften beruflicher Arbeit vermischt (Herz, 1979: 60). Die Ansicht, daß die Heterogeneität der Aspekte die Brauchbarkeit der Einteilung als Sta­

tusindikator in Frage stellt (Pappi, 1979) und eher eine Abbildung sozialer Klassen liefert (Pappi, 1973), wi­

derspricht der impliziten Ordnungsfunktion der Eintei­

lung ebenfalls nicht.

7 Diese These findet ihren Rückhalt in den anthropologi­

schen Arbeiten von Dürkheim und Mauss (1901), nach denen sich aus der sozialen Herkunft der „primitiven Klassifikationen“ - aus der ursprünglichen Identität dieser Begriffsbildungen mit den Totems der Klans, der Phratrien und Heiratsklassen - ergibt, daß die Klassifi­

kationen essentiell wertbesetzte und geordnete Di­

stinktionen sind. Am stärksten ausgeprägt ist dieser Wertaspekt bei den rudimentären dualen Schematis­

men (Hertz, 1909). Er verliert sich mit der Differenzie­

rung der Begriffswelt, die nach Dürkheim der Differen­

zierung des sozialen Lebens folgt, und macht schließ­

lich einem universalisierten, affektfreien und nicht mehr an kollektive Individualitäten gebundenen Ne­

beneinander Platz (vgl. aus experimentalpsychologi­

scher Sicht z. B. Zajonc, 1980).

(6)

Differenzierte und im anderen das weniger Diffe­

renzierte konstituiert. Vielmehr haben wir es bei den beruflichen Stellungen mit einer nach stel­

lungsrelevanten Merkmalen partiell geordneten Klassifikation zu tun, während für die Fülle der beruflichen Tätigkeiten eine Ordnung erst noch gefunden werden muß.

2.3 Skaleninterpretationen

Für die Interpretation sozialer Ordnungsdimensio­

nen bieten sich zwei grundsätzliche Typen an: die statusbezogene und die prestigebezogene Interpre­

tation. Das führt in der Matrix von Tabelle 1 zu einer Verdoppelung der Einzelzellen und damit zu 16 Formen von dimensionalen Ordnungen.

Grundlegend für die Unterscheidung von Status und Prestige als zwei verschiedene Interpretations­

grundlagen ist ein methodisches Kriterium. Das Kriterium bestimmt den Unterschied in bezug auf die Frage, wer bei der Etablierung der Messung die ausschlaggebende Skalierungsinstanz ist. Zwei mögliche „Akteure“ kommen in Frage: die Mit­

glieder des untersuchten Sozialsystems selbst oder der Forscher. Offensichtlich konfrontiert uns die Bestimmung von Status immer mit einem Aus­

wahlproblem, das vom Sozial Wissenschaftler zu lö­

sen ist. Er muß bestimmen, welches Merkmal oder welche Merkmalskombination bei der Rekon­

struktion sozialer Wirklichkeit als statusrelevant gelten soll und wie die Konstruktion einer Status­

skala vorzunehmen ist. Soll das explizierte Konti­

nuum hingegen ein Prestigekontinuum sein, müs­

sen die Betroffenen selbst zu Wort kommen und als „Skalierer“ aktiv werden.

In Anlehnung an eine Begriffsbestimmung, die sich in der Skalierungstheorie als brauchbar erwie­

sen hat (Wegener, 1983c), soll der hinter einer Statusinterpretation stehende Vorgang als norma­

tives Messen und der hinter einer Prestigeinterpre­

tation stehende Vorgang als deskriptives Messen bezeichnet werden. Normatives und deskriptives Messen validieren sich verschieden. Eine normati­

ve Messung richtet sich zuerst auf die Operationa­

lisierung und erst im zweiten Schritt auf die Vali­

dierung der generierten Skalenwerte. Die Validie­

rung erfolgt also, wenn die Skala schon fertig ist, im Rahmen eines substantiellen Modells. Dabei kann der Validierungsversuch natürlich auch miß­

lingen, die Skala sich als unbrauchbar herausstei­

len. In diesem Fall wissen wir allerdings nicht, ob der Grund dafür das fehlspezifizierte Modell oder die falsche Messung ist.

Beim deskriptiven Messen spielen Validierungen im Gegensatz dazu eine vollständig andere Rolle.

Die Möglichkeit zum deskriptiven Messen besteht immer dann, wenn der Meßvorgang selbst nach Regeln definiert ist, die Bestandteil einer empiri­

schen Theorie über den Zuordnungsprozeß von Zahlen zu Meßobjekten sind. Auf diese Weise stellt sich jede aktuell vorgenommene Messung als potentieller Testfall für die Zuordnungs- oder Meßtheorie dar und bezieht von daher eine Validi­

tät (Krantz, 1974).

Eine soziale Ordnungsdimension in einem Fall als (normativ gemessene) Statusskala, im anderen Fall als (deskriptiv gemessene) Prestigeskala zu inter­

pretieren, begründet sich dann also in der Unter­

schiedlichkeit der Herkunftsdomänen: Im Gegen­

satz zu Status ist Prestige vor allem eine symboli­

sche Größe. Das Konzept kann daher expliziert werden unter Berücksichtigung psychologischer Transformationen, durch die Prestigeurteile ent­

stehen. Dieses Charakteristikum erlaubt die des­

kriptive Messung der Prestigedimension, sofern eine empirisch bewährte Theorie über den psycho­

logischen Prozeß sozialer Urteilsbildung verfügbar ist. D. h. eine Theorie über das subjektive Vorge­

hen bei der Zuordnung von numerischen Größen zu sozialen Stimulusgrößen gestattet, daß die Kon­

struktion einer Prestigevariable zunächst unabhän­

gig von substantiellen Modellen, in denen diese Variable als Indikator auftritt, validiert werden kann. Es scheint sinnvoll, nur dort von Prestige zu sprechen, wo die theoretische Möglichkeit einer solchen Messung gegeben ist. In allen anderen Fällen sind empirisch zu spezifizierende Statusin­

terpretationen angemessen.

2.4 Der Status von Stellungen und das Prestige von Tätigkeiten

Die nähere Betrachtung von Tabelle 1 ergibt eine Interdependenz zwischen den Elementen ihrer drei Faktoren, womit gemeint ist, daß nicht alle Kombinationen von Meßoperationen logisch mög­

lich sind. Es gibt folglich Leerzellen. Der Versuch, sie empirisch ausfüllen zu wollen, würde zu Inkon­

sistenzen in Hinsicht auf die Eigenschaften führen, die wir expliziert haben.

Am deutlichsten treten diese Inkonsistenzen ans Licht, wenn man die „Kreuzung“ zwischen den Klassifikationstypen und den Interpretationsfor­

men betrachtet. Von den hier theoretisch mögli­

chen vier Kombinationen sind nur zwei sinnvoll, nämlich die Kombination Beruf sstellunglStatus und die Kombination Berufstätigkeit/Prestige. Diese

(7)

Reduktion ist auf die Hierarchie- und Bewertungs­

implikation zurückzuführen, die in der Kategori- sierung nach beruflichen Stellungen enthalten ist.

Selbstverständlich kann man versuchen, die Kate­

gorien des Stellungsschemas mit metrischen Scores zu versehen, aber eine solche Skalierung ist nur sinnvoll auf der Basis jenes Hierarchieaspekts, der der Einteilung bereits zugrundeliegt. Bei Berufs­

stellungen ist dies der auf Gehaltsgruppen und Eingangsqualifikationen beruhende formal-juris ti­

sche Statusaspekt. Bei der Stellungsklassifikation wird diese Dimension der Messung im Zuge der Klassifikation selbst normativ vorgegeben, so daß gemäß unserer methodischen Unterscheidung zwi­

schen Status und Prestige für Berufsstellungen im­

mer nur eine Statusinterpretation in Frage kommt.

Wenn umgekehrt richtig ist, daß sich bei der Ver­

feinerung der Positionsklassifizierung der implizite Bewertungsaspekt verliert und einem bloßen Ne­

beneinander der Elemente Platz macht - wie bei der Einteilung nach beruflichen Tätigkeiten -, dann hat hier eine Prestigemessung ihren Ort. In diesem Fall nämlich ist der „Akteur“ der Skalie­

rung derjenige, der Prestige wahrnimmt und beur­

teilt. Die Klassifikation selbst gibt den Ordnungs­

gesichtspunkt hierfür nicht vor, so daß die Mög­

lichkeit einer deskriptiven Rekonstruktion des Ur­

teilsverhaltens gegeben ist8.

Aus diesen Zusammenhängen wird klar, daß die Matrix der sozialen Ordnungsdimensionen, die sich aussichtsreich operationalisieren lassen, zu­

sammenschrumpft. In Tabelle 1 können nur noch die Zellen 1-4 und 13-16 als besetzbar gelten.

Darüber hinaus erwarten wir bei der Klassifikation nach Berufsstellungen Statusskalen, bei der Klassi­

fikation nach beruflichen Tätigkeiten Prestige­

skalen.

Die Berücksichtigung des Methodenfaktors in Ta­

belle 1 führt zu zusätzlichen Restriktionen. Im Zusammenhang mit unseren Festlegungen zeigt sich, daß die Meßmethoden entweder für eine Status- oder für eine Prestigemessung adäquat sind, aber nicht für die gleichzeitige Bestimmung beider Dimensionen.

(a) Offensichtlich ist vor allem, daß eine Indexska­

lierung immer nur eine Statusmetrik zum Resultat haben kann. Die Methode der Indexkonstruktion

8 Natürlich lassen sich berufliche Tätigkeitsgruppen auch mit Hilfe vorgegebener Statusvariablen quantifizieren.

Forschungspraktisch stößt man dabei aber an die Gren­

ze der Kontinuierlichkeit dieser Variablen.

richtet sich definitionshalber auf äußere Status­

merkmale.

(b) Bei der Dimensionierung von Interaktionsma­

trizen ist die Frage „Status oder Prestige?“ vor demselben Hintergrund zu beantworten. Man muß sich vergegenwärtigen, daß bei einer eindimensio­

nalen Rekonstruktion von Assoziationsmatrizen die Gesichtspunkte der sozialen Distanz und der sozialen Hierarchie nicht notwendig zusammenfal­

len. Als Konsequenz „horizontaler“ Segmentie­

rung nämlich wird empirisch zwischen zwei niveau­

gleichen Positionsgruppen eine nur geringe Inter­

aktionsdichte zu beobachten sein, was seinen Nie­

derschlag in einer großen rekonstruierten Inter­

punktdistanz findet. Dieser Umstand führt in dem Maße zu artifiziellen Ergebnissen, indem ange­

nommen werden muß, daß es nicht nur vertikale, sondern auch horizontale Interaktionsbarrieren gibt9. Das heißt aber, daß eine Interaktionsskalie­

rung von sozialen Positionen nur in den Fällen bedeutungsvoll ist, in denen die Klassifikation der Positionen bereits unter dem bestimmten Aspekt der „differentiellen Assoziation“ (Reuband, 1974) vorgenommen wird, der für die untersuchten Interaktionen eine hierarchische Limitierung dar­

stellt (vgl. Anmerkung 2). Eine solche externe Vorgabe ist für die Einteilung nach Berufsstellun­

gen - zumindest partiell - gegeben, nicht aber für berufliche Tätigkeiten. Wir müssen entsprechend als Produkt von Interaktionsskalierungen mit Sta­

tusmessungen rechnen und dafür das Schema be­

ruflicher Stellungen zugrundelegen10.

(c-d) In bezug auf die dritte Meßmethode, die Reputationsskalierung, ist umgekehrt nicht weni­

9 Belegt wird diese Behauptung durch die „hufeisenför­

migen“ zweidimensionalen Konfigurationen, die sich bei der Skalierung von Berufspositionen häufig finden (z. B. Coxon/Jones, 1978). Typisch ist auch, daß sich insbesondere landwirtschaftliche Berufe nicht in ein eindimensionales Konfiguratinsschema einfügen lassen (Mayer, 1977; Featherman/Hauser, 1978), denn für Inhaber dieser Berufe fehlen allein schon aus geogra­

phischen Gründen gleichberechtigte Interaktionschan­

cen mit den Inhabern anderer Berufe.

10 Die empirischen (deutschen) Untersuchungen, die das

„Interaktionsparadigma“ zugrundelegen, nehmen tat­

sächlich in der Regel die beruflichen Stellungskatego­

rien zur Basis (z. B. Mayer, 1977). Dort, wo die Relevanz beruflicher Tätigkeitskategorien propagiert wird (z. B. bei Pappi, 1973), werden diese Kategorien in der Durchführung zu wenigen Kategorien zusam­

mengefaßt, so daß auch in diesen Fällen Grobklassifi­

kationen den Ausgangspunkt bilden.

(8)

ger deutlich, daß sie im Sinne unserer Kriterien Prestigemessungen liefert und sich auf eine positio- nelle Feingliederung beziehen muß, der kein Hier­

archieaspekt immanent ist. In diesem Fall besteht die Möglichkeit einer deskriptiven Messung von Urteilsintensitäten, die sich auf die Klassifikatio­

nen nach Berufstätigkeiten beziehen. Allerdings beruht die Reputationsmessung im Gegensatz zu anderen Formen der Sozialskalierung auf Individu­

alreaktionen. Die Skala erfordert eine Strategie für die Aggregation. Ob das Resultat der Skalen­

konstruktion daher wirklich zur Abbildung einer Prestigeordnung führt, kann nicht im Vorhinein entschieden, sondern muß empirisch überprüft werden. Offensichtlich bedarf es dazu einer Krite­

riumsskala, die unabhängig von der Reputations­

messung ist, in bezug auf die wir aber aufgrund theoretischer Argumente die Überzeugung haben, daß sie Prestige abbildet. Es wird hier der Stand­

punkt vertreten, daß eine solche Kriteriumsskala nur das Resultat von Strukturskalierungen sein kann. D. h. die Behauptung einer Prestigeskala für berufliche Tätigkeiten richtet sich als empirische Hypothese zugleich auf die Reputations- und auf die Strukturskalierung. In dem sich jetzt anschlie­

ßenden Abschnitt wird es darum gehen, diesen Standpunkt zu begründen.

Für den Versuch einer empirischen Validierung wird deutlich, daß die Matrix sozialer Ordnungsdi­

mensionen, die am Anfang stand, klein wird. Sie weist nur noch vier nicht-leere Zellen auf: die Nummern 1, 2, 15 und 16. Zwei markieren eine Status- und zwei eine Prestigemessung.

3. Prestige und die Ordnung sozialer Geschlossenheit

Um die Beziehung des Prestigebegriffs zur Struk­

turskalierung deutlich zu machen, ist an die Dop­

pelnatur von Prestige - als objektive Gesellschafts­

variable und als subjektives Erleben - anzuknüp­

fen. Es ist hilfreich, diese Begriffsdistinktion als Analogie aus einem vollständig anderem Wissen­

schaftsbereich deutlich zu machen: aus dem Be­

reich der philosophischen Zeittheorie (Wegener, 1983a).

3.1 Die A-Reihe und die B-Reihe

In einem Essay mit dem Titel The unreality o f time hat der englische Philosoph J. M. E. McTaggart (1908) darauf hingewiesen, daß wir uns auf die Zeitlichkeit von Ereignissen mit zwei unterschied­

lichen Ausdrucksweisen beziehen können. Mit der einen bringen wir zum Ausdruck, daß sich ein Ereignis X entweder früher oder später als ein Ereignis Y vollzieht, sofern beide Ereignisse nicht gleichzeitig stattfinden. McTaggart nannte diese Form der Zeitlichkeit die B-Reihe der Zeit und unterschied sie von der A-Reihe. Diesen zweiten Typus von Zeitlichkeit drücken wir aus, wenn wir von einem Ereignis sagen, daß es entweder ein vergangenes, ein gegenwärtiges oder ein zukünfti­

ges Ereignis ist. Beide Ausdrucksweisen bezeich­

nen offensichtlich etwas ganz verschiedenes, ob­

wohl sie sich beide auf das Phänomen Zeit bezie­

hen.

Der Unterschied hat mit den relationalen Eigen­

schaften zu tun, die die zwei Formen von Zeitlich­

keit kennzeichnen. Die B-Reihe der Zeit nämlich wird konstituiert durch absolute und einmalige Relationen zwischen Ereignissen: Ein Ereignis X etwa, das früher als Y stattfindet, ist früher als Y ein für allemal, unabhängig davon, ob X oder Y vergangene oder zukünftige Begebenheiten sind.

Die A-Reihe wird im Gegensatz dazu durch relati­

ve Relationen etabliert. Ereignisse der Zukunft werden unweigerlich irgendwann zu Gegenwart­

sereignissen, und diese verändern sich zu vergan­

genen Ereignissen und schließlich zu Ereignissen der „grauen Vorzeit“. Allerdings ist diese Bestim­

mung abhängig von dem Zeitstandpunkt eines Be­

trachters und nur relativ zu diesem vornehmbar.

Diese Begriffsanalyse McTaggarts, die für die Be­

schäftigung mit Zeit auch heute noch eine Heraus­

forderung darstellt (Bieri, 1973), hat zu der Schlußfolgerung geführt, daß Zeit - als Vergan­

genheit, Gegenwart und Zukunft und als Früher bzw. Gleichzeitig - keine Entität mit Wirklich­

keitscharakter ist11. Diese Schlußfolgerung ebenso wie die Trennung der absoluten und relativen Be­

stimmungsrelationen der Zeit haben ihre formale Entsprechung im Prestigebegriff. In bezug auf eine Gesellschaft weist das, was gewöhnlich als die Pre­

stigeordnung dieser Gesellschaft bezeichnet wird, Ordnungsrelationen auf, die der Art nach denen 11

11 Denn die B-Reihe, d. h. die Ordnung nach „früher“

bzw. „gleichzeitig“, setzt logisch die A-Reihe mit ihren Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsdeskrip­

toren voraus, um nicht nur als eine schwache Ord­

nung, sondern spezifisch als eine zeitliche Ordnung verstanden zu werden. Jedoch sind die Deskriptoren der A-Reihe relativ und können in bezug auf ein

„Früher/Gleichzeitig“ gar keine Ordnung etablieren (McTaggart, 1908: Pgrph. 325-333).

(9)

entsprechen, die McTaggart der B-Reihe der Zeit zurechnet. Es sind Relationen der Form „X ist größer (besitzt höheres Prestige) als Y“. Die Vor­

stellung, die wir mit diesen Relationen verbinden, ist, daß sich mit ihrer Hilfe alle Mitglieder einer Gesellschaft auf einer generellen Prestigeskala pla­

zieren lassen. In gleicher Weise wie die Relationen

„früher als“ bzw. „gleichzeitig mit“ eine absolute Zeitordnung etablieren, etablieren die Relationen

„hat höheres Prestige“ bzw. „ist prestigegleich mit“ eine absolute Prestigeordnung. Sie ist unab­

hängig von Standorten und Betrachtungsperspekti­

ven. Es ist aus diesem Grund angebracht, diesen Prestigetypus als die B-Reihe des Sozialprestiges zu bezeichnen und ihn derart mit McTaggarts Begriff- lichkeit in der Zeitdomäne formal in Parallele zu setzen.

Der andere Typus ist relativ zu der Person, die Prestige erlebt, wahrnimmt und beurteilt. Aus die­

ser Perspektive wird Prestige vom Binnenstand­

punkt einer Gesellschaft betrachtet. Es handelt sich um Prestige, das Inhaber sozialer Positionen Inhabern anderer sozialer Positionen zuschreiben, eine kontingente Attribution also, die je nach so­

zialer Lage des Beurteilers anders ausfallen kann.

Die Ordnung, die hier etabliert wird, ist standort­

bezogen und subjektiv. Auch bei der Zeitbeschrei­

bung finden wir Deskriptoren, die relativ sind, insofern es vom zeitlichen Standort eines Betrach­

ters abhängt, ob ein Ereignis als vergangenes, ge­

genwärtiges oder zukünftiges zu bezeichnen ist.

Mit Blick auf McTaggarts Unterscheidung ist es daher naheliegend, dieser Prestigeordnung den Namen A-Reihe des Sozialprestiges zu geben und diese Ordnung strikt von der strukturellen B-Rei­

he getrennt zu halten.

Weil man diese Unterscheidung am Prestigebegriff machen muß, gilt für ihn wie für den Begriff der Zeit, daß er nicht simultan sowohl die A- als auch die B-Reihe umfassen kann. Der Versuch, den Prestigebegriff mit diesem Doppelcharakter zu versehen, würde ihn zu etwas empirisch nicht Exi­

stenzfähigem machen (Wegener, 1983a). Dies ist, was wir von der Analogie mit der Zeitlichkeit lernen können. In der Prestigeforschung allerdings ist der Schritt, Prestige unter den zwei getrennten Aspekten zu konzipieren, noch nicht vollzogen worden. Dies ist um so erstaunlicher als sich leicht demonstrieren läßt, daß die A- und die B-Reihe des Sozialprestiges empirisch durchaus nicht dek- kungsgleich sind. Interindividuelle Differenzen der Prestigebeurteilung sind ein Phänomen, auf das in der Tradition Warners (1949) schon immer hinge­

wiesen wurde (Lewis, 1964; Gerstl/Cohen, 1964;

Alexander, 1972; Stehr, 1974). Fehlender Konsens bedeutet aber, daß dem individuellen Prestigeur­

teil keine strukturelle Relevanz zukommt, d. h. die A-Reihe ist - von Zufallsübereinstimmungen ab­

gesehen - nicht die B-Reihe.

Zwar hat sich die funktionalistische Schichtungs­

forschung immer wieder bemüht, die Behauptung von der gesellschaftlichen Konsensualität der Pre­

stigebeurteilungen zu belegen (Inkeles/Rossi, 1956; Haller/Lewis, 1966; Hodge et al., 1966a, 1966b; Armer, 1968). Es läßt sich aber nachwei- sen, daß die Ergebnisse das Produkt der ange­

wandten Meßmethode sind (Wegener, 1983a)12.

Unabhängig von funktionalistischer Voreingenom­

menheit (Horan, 1978) ist es wichtig, sich klar zu machen, daß Prestige eine Dimension repräsen­

tiert, auf der ein Betrachter je selbst plaziert ist13.

Insofern widerspricht die Annahme homogener Prestigeurteile den oft replizierten Ergebnissen so­

zialpsychologischer Forschungen, nach denen fest­

steht, daß die Position, die eine Person auf irgend­

einer Dimension selbst einnimmt, als ein Anker­

reiz fungiert und die Wahrnehmung in bezug auf diese Dimension beeinflußt (Helson, 1964). Aus diesem Grund ist Konsens - und Veridikalität - von Prestige empirisch unwahrscheinlich. D. h. die A- und die B-Reihe des Sozialprestiges sind nicht nur begrifflich, sondern auch empirisch zwei di- stinkte Erscheinungen.

3.2 Prestige als Kongenialität und Konstruktion Glaubt man den Referenzen des Forschungsge­

biets, dann geht die Vermischung der beiden Pre­

stigeformen auf Max Weber zurück. Die bloßen Zitiergewohnheiten jedoch, so muß mit Nach­

12 Bei Reputationsmessungen mit beliebigen Differen­

zierungsmöglichkeiten (z. B. Magnitude-Messung) stößt man auf systematische interindividuelle Unter­

schiede der Einschätzungen. Diese Unterschiede sind status-abhängig und sie variieren mit den Wertvorstel­

lungen der Beurteiler. Sie lassen sich nicht lediglich auf Skalierungsfaktoren (Stauchungen oder Dehnun­

gen) zurückführen: Auch in bezug auf die Rangord­

nung der Prestigezuweisungen kann man Dissens nachweisen (Wegener, 1983a).

13 Die A-Reihe und die B-Reihe korrespondieren deswe­

gen nicht mit der subjektiven bzw. objektiven Be­

trachtungsweise von z. B. Geld oder anderen Dimen­

sionen, in bezug auf die Nutzenbetrachtungen ange­

stellt werden können. Deutlich dürfte von daher auch sein, daß die Frage der Integration der A- mit der B- Reihe nicht als bloßes Aggregationsproblem aufzufas­

sen ist.

(10)

druck festgestellt werden, vermitteln in dieser Hin­

sicht ein falsches Bild. Hinweise auf jene klassi­

schen Stellen, in denen Weber (1972: 531-540) den Begriff der „sozialen Ehre“ einführt, fehlen zwar nie. Die Bezugnahmen auf Weber verhaken sich jedoch regelmäßig an seiner Feststellung, daß es die Verteilung der sozialen Ehre (oder des Presti­

ges) in einer Gesellschaft sei, die die „soziale Ord­

nung“ dieser Gesellschaft charakterisiere (S. 531).

Aus dieser Behauptung wird geschlossen, daß Pre­

stige ein Strukturmoment einer Gesellschaft ist und gesellschaftsrelevante Qualitäten von Perso­

nen und deren Bewertung widerspiegelt. In Wahr­

heit zeigt sich, daß Webers Konzept von Prestige solche Deutungen gerade ausschließt. Soziale Ehre ist bei ihm eng an die Idee von Ständen und

„ständischem Bewußtsein“ geknüpft und definiert sich nur in Wechselwirkung mit dieser Idee.

„Soziale Ehre (findet) ihren Ausdruck normalerweise vor allem in der Zumutung einer spezifisch gearteten Lebens­

führung an jeden, der dem Kreis angehören will“ (1972:

535). Bzw. umgekehrt: Ständische Lagen „bezeichnen jede typische Komponente des Lebensschicksals von Menschen, welche durch eine spezifisch, positive oder negative, soziale Einschätzung der ,Ehre‘ bedingt ist, die sich an irgendeine gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft“ (1972: 534).

Zwar bringt eine ständische Ordnung danach so­

ziale Ungleichheit zum Ausdruck, nämlich durch die Selektivität von Sozialbeziehungen, die Regu­

lation von Zugangschancen oder die Marktmono­

polisierung in bezug auf materielle oder ideelle Güter. Aber diese Ungleichheiten ergeben sich nicht aus einer Ordnung der Individuen nach un­

terschiedlichen Prestigestufen, die ihren Wert be­

stimmen und sie in eine allgemeine Reihe bringen.

Es sind vielmehr die komplexen Mechanismen

„ständischer Schließung“ - der Sicherung von Ex­

klusivität und der komplementären selektiven Öff­

nung - die die Ungleichheitsstruktur evozieren.

Die Webersche Einführung von Ständen und ins­

besondere der ethnischen Gemeinschaftsbeziehun­

gen (1972: 234-240) als Wert- und Lebensstilge­

meinschaften muß sogar zu der Einsicht führen, daß die Vorstellung einer einheitlichen Verteilung sozialer Ehre unmöglich ist. Die an die Wertmaß­

stäbe, Weltsichten und Sitten von Gruppen gebun­

dene subjektive Ordnung fällt ja von der Warte unterschiedlicher Gruppen anders aus. Sie ist im­

mer so beschaffen, daß sie Gültigkeit und Evidenz für nur jeweils die eigene Gruppe hat. Nicht zu­

letzt sind die Kongenialität von Prestigeurteilen selbst und die Tatsache, daß andere anders urtei­

len, eine der Grundlagen ständischer „Dazugehö­

rigkeit“. Weit davon entfernt also, die empirische Basis einer allgemeinen Prestigeordnung zu sein, ist die soziale Ehre eine mit dieser Ordnung sogar unverträgliche Vorstellung. Kurz: Webers Begriff der Ehre handelt von der A-Reihe des Sozialpre­

stiges, von subjektiven Ordnungen, nicht von Pre­

stige als einer B-Reihe.

Die Konzeption der B-Reihe hingegen hat funktio- nalistische Ursprünge. Nach dem Bauplan funktio- nalistischer Gesellschaften ist Prestige die aus­

schlaggebende Schichtungsvariable. Die Vertei­

lung dieser Größe erfolgt auf der Basis öffentlicher Bewertungsakte. Vermittels eines „unconscien- tiously evolved device“ der Gesellschaft (Davis/

Moore, 1945: 243) werden Individuen in Überein­

stimmung mit den von ihnen gezeigten Leistungen in den Genuß von Prestigezuweisungen gebracht.

Sie werden im Konsens geschätzt und dieserart nicht nur belohnt, sondern zugleich in eine Ord­

nung gestellt. Die Analogie zur Zeitlichkeit macht sofort deutlich, was hier versucht wird: Das Presti­

ge der funktionalistischen Schichtungstheorie soll Strukturmetrik nicht weniger als subjektive Ord­

nung sein.

Diese Denkfigur hat das Muster der Prestigefor­

schung nun allerdings auch dort geprägt, wo diese Forschung den Versuch unternommen hat, sich von den funktionalistischen Vorgaben zu befreien.

Auch dann nämlich, wenn in der theoretischen Exposition nicht mehr von sozial nützlichen Lei­

stungen die Rede ist, die Prestige legitimieren, sondern von anderen Kriterien, bleibt der begriff­

simmanente Widerspruch zwischen „A“ und „B“ . Shils’ (1968, 1975) „charismatische Qualitäten“

und Unterordnungsgesten, Eisenstadts (1968, 1971) Idee der „Wertmanifestation“ als Prestige­

basis und auch die austauschtheoretischen Versu­

che der Prestigeerklärung (Blau, 1964; Homans, 1972; Goode, 1978) präsentieren Prestige immer in seiner Doppelqualität: als objektive Strukturvaria­

ble und als subjektive Bewertung. Selbst Gold- thorpes und Hopes (1974) theoretisch zurückge­

nommener Anspruch, nach dem Prestigezuweisun­

gen lediglich diffuse, mit sozialen Positionen asso­

ziierte „Güte“ darstellen, weist die Variable als einheitliche hierarchische Dimension aus, während diese Güte zugleich aber der Inbegriff alles dessen sein soll, was von Individuen für erstrebenswert und angenehm gehalten wird14.

14 Bei Hopes (1982) Überarbeitung dieser Theorie wird die Gleichsetzung von Struktur und Wertung allemal deutlich, wenn nämlich als Basis für Prestige die mora­

lische Bewertung (der Elite) identifiziert wird.

(11)

Die Spuren, die die enge Verquickung der Presti­

geforschung mit der Soziologie des Funktionalis­

mus - und nicht mit der Max Webers - hinterlassen hat, zeigen sich vor allen Dingen dort, wo diese Forschung empirisch wird. Im Gefolge der Unter­

suchung von North und Hatt (1947) hat die Vor­

stellung, daß individuelle Bewertungsakte die So­

zialstruktur bilden, zu der großen Fülle von Skalie­

rungsvorhaben geführt, in denen Befragte das so­

ziale Ansehen von sozialen Positionsinhabern ein­

schätzen sollen. Das Vorgehen im Rahmen dieses Paradigmas hinterläßt aber immer eine Interpre­

tationslücke: Bei der Skalenkonstruktion aus den einzelnen Prestigeurteilen ist nicht zu vermeiden, daß das individuelle Erleben und Handeln, das als empirische Basis dient, umschlägt in eine bloße Ausstattungsvariable. Wer in dieser Situation die Validierung im Rückgriff auf individuelle Bewer­

tungskriterien sucht (Reiss, 1961; Gusfield/

Schwartz, 1963; Goldthorpe/Hope, 1974), strebt die Interpretation der strukturellen Prestigevaria­

ble mit Mitteln der alltagssprachlichen Assoziatio­

nen von „privaten“ Prestigeanmutungen an. Man verläßt damit die Begriffsebene, für die eine Be­

deutung gesucht wird. Wer daraus freilich die Kon­

sequenz zieht und einer Prestigeskala durch die empirisch gefundenen korrelativen Zusammen­

hänge mit anderen Aggregationsmassen Bedeu­

tung verleihen will (Featherman/Hauser, 1976;

Cullen/Novick, 1979), verliert den Begriff. Er vali­

diert die Skala als Ausstattungs- oder Statusskala.

Die Schlußfolgerung, die dieses Dilemma nahe­

legt, ist, daß die B-Reihe des Sozialprestiges nicht zu validieren ist. Stattdessen ist eine B-Reihe auf­

zufassen als Konstruktion, die - in Anwendung normativen Messens - ihre Interpretation immer erst nachträglich erhält. Die Interpretation als gruppengebundene Kongenialität und subjektive Bewertung, die Interpretation als A-Reihe des So­

zialprestiges also, fällt dabei aus.

3.3 Prestigeordnung als Schließungsordnung Die Interpretationsschwierigkeiten, die sich bei dem Übergang von der A-Reihe des Sozialpresti­

ges zur B-Reihe ergeben, haben ihren Grund auch in dem betrachteten Zuordnungsniveau: Während die Versuche, eine Prestigeskala als allgemeine Ordnung zu konstruieren, sich auf Individuen und auf individuelle Rollen richten, ist die Idee der Kongenialität immer nur auf Gruppen und unter­

scheidbare soziale Formationen anwendbar. We­

bers Begriff der sozialen Ehre ist in diesem Sinne ein Kollektivbegriff. Prestige als (funktionalisti-

sche) Schichtungsvariable hingegen drückt ein Kontinuum in bezug auf die Einzelmitglieder einer Gesellschaft aus. Diese Prestigeform schematisiert Gesellschaft nach Dimensionen und linearen Kon- tinuen. Sie plant keine Brüche und Diskontinuitä­

ten, dafür aber die prinzipielle Offenheit der Zu­

gangschancen ein. Aus der anderen Perspektive hingegen ist Gesellschaft vor allen Dingen eine Verschachtelung von abgegrenzten sozialen Grup­

pen, die nicht über ungestörte Markt- und Wettbe­

werbsbeziehungen in Verbindung stehen, sondern über die Mechanismen sozialer Schließung. In die­

sem letzten Fall wird Ordnung nicht auf Individu­

en, sondern auf Gruppen bezogen konstituiert.

Voraussetzung für die Existenz einer solchen Ord­

nung ist allerdings, daß die vielfältigen Mechanis­

men der sozialen Schließung unter irgendeinem Gesichtspunkt Transitivität hersteilen. Insofern Prestigezuschreibungen als Anerkennung und Kongenialität selbst Mechanismen der sozialen Schließung und Gruppenbildung sind, stellt sich angesichts des Dilemmas zwischen der A- und der B-Reihe die Frage, ob die Prestigeordnung sich nicht als soziale Schließungsordnung rekonstru­

ieren läßt. In diesem Fall würde das Validitätsdi­

lemma nicht auftreten, weil die Ordnung ihre Ur­

sache in Prestigeurteilen hätte, durch die sich so­

ziale Gruppen voneinander abgrenzen. Obwohl sich diese Ordnung nicht mehr auf Individuen, ihre Leistungen und Attribute, sondern auf zusammen­

gesetzte soziale Einheiten bezöge, wäre sie eine Prestigeoxdmmg, da durch Prestigeurteile konstitu­

iert.

Der Begriff der sozialen Ehre bezeichnet zunächst nur eine Facette spezifischen Lebensstils. Die Vor­

stellung einer darüber hinausweisenden Ordnungs­

funktion wurde von Weber nicht ausgearbeitet.

Ein Schritt in diese Richtung wird mit der Genera­

lisierung des Begriffs der sozialen Schließung von Parkin (1974, 1979) unternommen. Parkin geht von den bekannten Anomalien aus, die unver­

meidbar sind, wenn man die Strukturierung einer Gesellschaft in disjunktiven, sich gegenseitig aus­

schließenden Klassen denkt (Ossowski, 1962: 55ff, 114ff). Während eine Schematisierung in Klassen zwar Interklassenbeziehungen auf der Basis des Antagonismus, der die Klassen definiert, rekon­

struieren kann, sind Intraklassenbeziehungen auf die Zuhilfenahme ganz anderer, aus dem Antago­

nismus nicht ohne weiteres ableitbare Prinzipien angewiesen. Mit dem Begriff der sozialen Schlie­

ßung tritt diese Problematik nicht auf, weil der Begriff auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus

(12)

konkretisiert werden kann. Unter Schließung ver­

steht Parkin mit Weber den Prozeß, durch den soziale Gruppen Vorteile zu maximieren suchen, indem sie den Zugang zu Privilegien, Ausstattun­

gen, Erfolgschancen und Wissensmöglichkeiten auf einen bestimmten Kreis von Auserwählten ein­

schränken. Das „Maß“ für die Zulassung stellt sich von Fall zu Fall anders dar, ist aber immer an irgendein äußerliches Merkmal oder ein Bündel solcher Merkmale gebunden, das gewissermaßen als Eintrittskarte (bzw. als Stigma, wenn die Merk­

malskombination fehlt) fungiert. Bei Weber bleibt es bei der konkreten Beschreibung von Schlie­

ßungsprozessen auf den Ebenen ökonomischer Marktbeschränkungen (Weber, 1972: 33ff, 201ff) oder von Lebensstilgemeinschaften (1972: 234ff, 53Iff). Schließung ist dabei in erster Linie Aus­

schließung. Parkin hält dem entgegen, daß jede Form der sozialen Abgrenzung und des Vorenthal- tens von Gütern Gegendruck bei denen erzeugt, die ausgeschlossen werden. Schließungen sind in­

sofern als doppelgerichtete und gegenläufige Handlungsformen zu begreifen: als Exklusion und versuchte Usurpation. Wie Parkin sich ausdrückt:

Exklusion äußert sich in einem Druck „nach un­

ten“ und Usurpation in einem Druck „nach oben“.

Aus formaler Sicht muß die Explikation Parkins durch zwei Prinzipien rekonstruiert werden: durch das Prinzip der inhaltlichen Neutralität und durch das der multiplen Relationierung.

Unter der inhaltlichen Neutralität sozialer Schlie­

ßungsmechanismen wird hier der Umstand ver­

standen, daß die Dynamik der Exklusion bzw.

Usurpation ihre Ursache in vielfältigen konflikter­

zeugenden Interessenlagen haben kann und kei­

neswegs etwa auf die Dichotomie des Besitzes und Nicht-Besitzes von Produktionsmitteln zu be­

schränken ist. Man wird entsprechend von „Aus­

beutung“ allgemein stets dann sprechen können, wenn die Ressourcenausstattung einer sozialen Gruppe kausal bedingt ist durch die Resourcenver- weigerung in bezug auf eine andere Gruppe (Roe- mer, 1982)15. Das Denken in Schließungskatego­

rien stellt für eine solche Generalisierung des Aus­

beutungsbegriffs den übergeordneten Konzep-

15 „Exploitation here defines the nexus between classes or other collectivities that stand in a relationship of dominance or subordination, on whatever social basis.

. . . Relations of dominance and subordination be­

tween bourgeoisie and proletariat, Protestants and Catholics, whites and blacks, men and women, etc., can all be considered as exploitative in the neo-Webe-

tionsrahmen zur Verfügung und ermöglicht die dynamische Rekonstruktion von Klassenstruktu­

ren auf der Basis von Produktionsverhältnissen ebenso wie es die Möglichkeit der Befreiung davon schafft.

Marxistische Theoretiker befinden sich de facto häufig längst auf dem Weg zu dieser Verallgemei­

nerung des Ausbeutungsvokabulars. Die Bedeu­

tung, die Poulantzas (1974) den politischen und ideologischen Kriterien für die Klassenstruktur beimißt, ist nur ein Beispiel. Ein weiteres Beispiel wird durch eine neue Arbeit Wrights (1983) gege­

ben, in der er sich den spieltheoretischen Argu­

menten Roemers (1982) anschließt. Ausbeutungs­

verhältnisse werden danach durch die Rückzugsre­

geln definiert, über die Ausgebeutete theoretisch verfügen. Es gibt ebenso viele typische Ausbeu­

tungsverhältnisse wie Kommoditäten, die Teilneh­

mer theoretisch zurückhalten und einem Zugriff entziehen können16. Es ist leicht einzusehen, daß diese Verhältnisse als konkurrierende Ausbeu­

tungsformen nicht anders als im Rahmen einer übergreifenden Schließungslogik gedacht werden können.

Das zweite formale Prinzip von Schließungsmecha­

nismen, das Beachtung finden muß, ist die multiple Relationierung. Der Begriff der Schließung endet nicht bei Dichotomien. Schließungen setzen sich vielmehr innerhalb der sich reziprok ausschließen­

den sozialen Formationen selbst fort und führen zu einer Vielfältigkeit von Teilungen, parallelen Seg­

mentierungen und Unter- und Überordnungsver­

hältnissen. Der Feinkörnigkeit, mit der man der Realität derartiger Relationierungen nachgehen kann, sind kaum Grenzen gesetzt. Man wird Aus­

schließungspraktiken finden, die Gruppen, die selbst stigmatisiert sind, auf andere anwenden, um sich dadurch eigene Monopolisierungsvorteile zu verschaffen; man wird Gruppen finden, die gleich­

zeitig beide Schließungsformen zu handhaben wis- 16 Wright (1983) sieht vier prinzipielle Güterarten, die

auf gesellschaftlichem Niveau Ausbeutung bestim­

men: den Besitz von Arbeitskraft, von Produktions­

mitteln, von bürokratischer Entscheidungsmacht und von zertifizierten Fähigkeiten.

rian sense“ (Parkin, 1979: 46). Man muß allerdings einräumen, daß Parkin mit dieser Konzeption von Ausbeutung keine vollständige Interpretation Webers liefert. Für Weber sind soziale Ungleichheiten nicht allein das Produkt von Schließungsvorgängen, sondern ebenso von „objektiven“ Besitzdifferenzen.

Abbildung

Tabelle  1  Matrix möglicher sozialer Ordnungsdimensionen.  Die dreifaktorielle Tabelle setzt sich zusammen aus vier  Meßmethoden  (Index-,  Interaktions-,  Reputations-  und  Strukturskalierung),  aus  zwei  Klassifikationen  (berufliche  Stellung  vs
Tabelle 2  Skaleninterkorrelationsmatrix  beruflicher Tätigkeiten  und  beruflicher  Stellungen  (KSD-Datensatz)  Skalen Matrix  A N 1 2 3 4 5 6 1  MPS 4806 _ 2  MAG-50 2096 .965  -3 T R E I 5001 .858 .844  -4 S T A T 4806 .934 .875 .809  -5  SAS 4806 .935
Abbildung  1  Statuserwerbsmodell  mit  latenten  Konstrukten  für  berufliche  Stellungen  und  Tätigkeiten  der  Söhne  (KSD-Datensatz  männlicher  Erwerbstätiger)
Tabelle 3  Modellvergleich  für den  KSD-Datensatz  (oberer Tabellenteil)  und  den  ALLBUS  1982  (unterer  Tabellen­

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