THEMEN DER ZEIT AUFSÄTZE
Umweltschützer und sogenannte Umweltverschmutzer sind oft nicht gut auf- einander zu sprechen. Denn im Eifer, hochgesteckte Ziele zu erreichen, ver- kommt so manche Debatte zur verbalen Schlammschlacht. Anstatt über die Be- wahrung der Natur zu diskutieren, spricht man sich gegenseitig den guten Wil- len ab. Grund genug, über neue Ansätze der Umweltdiskussion nachzudenken.
Die Umweltdiskussion braucht neue Ansätze
Weniger Arroganz, mehr Kompromiß
W
er komplexe Prozesse, auch solche, die zu Um- weltschäden führen kön- nen, beeinflussen will, muß aus den Irrtümern und Fehlein- schätzungen der Vergangenheit ler- nen. Dazu gehört die Bereitschaft, ei- gene Standpunkte zu überdenken und Alternativen ins Kalkül einzube- ziehen.Die friedliche Revolution von Leipzig hatte niemand vorhergese- hen, dabei gab es ein eigenes Mini- sterium für gesamtdeutsche Fragen.
Den unblutigen Untergang des für so mächtig eingeschätzten Sowjetrei- ches haben weder Politiker noch Ost- experten für möglich gehalten. Hätte man zum Zeitpunkt heißester Dis- kussion um die Nutzung der Atom- energie die jetzt bekannten Wirkun- gen von Kohlendioxid auf das Klima der Erde bereits gekannt, hätten Ex- perten für Energiewirtschaft damals völlig anders argumentiert, und es wären ganz andere Entscheidungen getroffen worden.
Diese Beispiele sollen dazu an- regen, über die Gültigkeit heutiger, scheinbar unumstößlicher, wissen- schaftlich belegter und computerge- stützt bewiesener „Wahrheiten" zu reflektieren. Der Hinweis auf so fun- damental falsche Einschätzungen kann allen Beteiligten bei Natur- schutzkonfrontationen helfen, be- scheidener in der Durchsetzung eige- ner, oft enger Standpunkte zu wer- den. Denn:
• Stimmen die Prämissen der Um- weltschutzdebatten?
• Gehen die wirklich relevanten Da- ten in Umweltdiskussionen ein?
• Werden die Bezüge zwischen kon-
trären Disziplinen richtig gewich- tet und korrekt bewertet?
• Reicht die Selbstkontrolle, Vorur- teile aus der Diskussion herauszu- halten?
• Ist die Toleranz groß genug, eige- ne Fehleinschätzungen zuzuge- ben?
Die unaufhaltsame weltweite Destruktion von Natur und Umwelt erfolgt nicht vorsätzlich. Sie hat an- dere Ursachen, wie etwa Gedanken- losigkeit, Unkenntnis biologischer Gesetzmäßigkeiten und Resignation vor der Verflechtung schwer lösbarer Probleme. Hinzu kommt eine geisti- ge Abschottung gegenüber allen Ver- suchen, den Einzelnen mit ungenü- gend begründeten Geboten oder Verboten zu maßregeln.
Große internationale wie kleine örtlich arbeitende Naturschutzorga- nisationen konnten bisher das Fort- schreiten der Umweltverwüstungen nicht entscheidend aufhalten. Dieser Mißerfolg liegt zumindest teilweise an der ungeeigneten Form von Kom- munikation dieser Verbände mit der Öffentlichkeit und den gezielt ausge- wählten Adressaten naturschützeri- scher Aufklärung.
Gravierende Mängel der Sprache
Dabei sind die theoretischen Ansätze der Verbände zur Lösung von Umweltproblemen nach dem je- weiligen Stande der Wissenschaft korrekt und teilweise durchaus krea- tiv. Ihre Umsetzung in eine verständ- liche Sprache zeigt allerdings vielfach gravierende Mängel. Einerseits wer-
den komplexe Zusammenhänge beim Versuch, sie durchschaubar zu ma- chen, bis zur Unkenntlichkeit simpli- fiziert. Andererseits werden banale Gesetzmäßigkeiten im — unnötigen
- Bemühen, sie begreiflich zu ma- chen, verkompliziert.
Falsch verstandene Sachverhalte werden schlagwortartig und falsch weiterbenutzt. Der malträtierte Ter- minus „Ökologie" mit all seinen Ab- leitungen ist dafür ein Beispiel. An- sätze seitens der Umweltschützer, die mißbrauchte Terminologie zurecht- zurücken, erschöpfen sich in lamen- tierender Schuldzuweisung an alle, die wissenschaftlich klar definierte Fachausdrücke falsch anwenden.
Viele Umweltdiskussionen be- schränken sich auf kleinliche Streite- reien um Meßdaten, die aus ihrem Zusammenhang gerissen und als iso- lierte Argumente benutzt werden.
Oft hantieren Umweltschützer wich- tigtuerisch mit Meßeinheiten für energiereiche Strahlen, Mengenan- gaben für krebserzeugende Substan- zen oder Durchmessern von Ozonlö- chern. Dadurch entsteht in der Öf- fentlichkeit von den meisten Umwelt- problemen eine äußerst einseitige und oft verkehrte Sichtweise. Verur- sacher von Umweltgefährdungen werden dann höchstens veranlaßt, Abweichungen von willkürlich festge- setzten Normen durch graduelle Korrekturen in die erlaubten Gren- zen zurückzubringen. Eine prinzipi- elle Änderung wird nicht einmal ins Auge gefaßt, weil bereits der Ansatz, warum das nötig wäre und wie das geschehen könnte, von Datengläu- bigkeit verkleistert wird. Ähnlich ist es, wenn sich globale Umweltthemen
A1-1720 (28) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 23, 11. Juni 1993
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an Detailfragen festfressen. Einbau von Katalysatoren, Verordnungen über Verpackungsstrategien, Ver- zicht auf Tropenholzpaneele in Vor- standsetagen stellen keine Dauerlö- sungen dar. Ein derartige dekorative Kosmetik am Narbengesicht der ge- schundenen Umwelt lenkt von der ei- gentlichen Problematik ab und ver- hindert, langfristige Auswege zu fin- den.
Viele Forderungen des Natur- schutzes prallen wegen ihrer Kom- promißlosigkeit selbst am gutwilligen Bürger ab. Manche Zielvorstellungen der Umweltschützer sind utopisch.
Sie berücksichtigen nicht, daß ein großes Heer von Menschen auf man- che Errungenschaften der Zivilisati- on nie freiwillig verzichten wird und von der Notwendigkeit eines Ver- zichtes nicht zu überzeugen ist. Diese Realität muß zur Kenntnis genom- men werden, wenn Umweltschutz nicht zu verbissenen Aktivitäten welt- fremder Utopisten verkommen soll.
Dem Bürger wird Tag für Tag um die Ohren geschlagen, was er al- les falsch macht, wie viel Schäden er anrichtet, wo er Verzicht leisten müßte. Sein unaufhörlich genährtes schlechtes Gewissen löst in ihm einen Selbstschutz aus: Er kümmert sich nicht mehr um seine Sünden. Die Er- folglosigkeit ihrer Bemühungen ver- stellt den Natur- und Umweltschüt- zern den Blick. Sie fühlen sich als Ökospinner nicht ernst genommen und als Prediger in der Wüste. Das läßt sie im Umgang mit anderen Or- ganisationen und Interessengruppen arrogant erscheinen und leider auch oft tatsächlich überheblich werden.
Leicht verselbständigen sich dann Sachdebatten zu verunglimpfenden, personalisierten, ideologiegeladenen Rede-, Gutachten- oder Leserbrief- schlachten mit anmaßenden Ansprü- chen auf eigene Moral oder Verant- wortung gegenüber der Menschheit.
Das ist oft verbunden mit der wech- selseitigen Aberkennung solcher Handlungen beim Gegner.
Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zum militanten Vorgehen.
Das ruft dann bei der großen Mehr- heit der Menschen Ablehnung her- vor. Nahezu automatisch überträgt sich die Zurückweisung der Methode auf die Thematik des Kampfes für
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die Naturerhaltung. Solche Eskala- tionen stellen für die dringend benö- tigten Lösungen zahlreicher Umwelt- probleme ernste Hindernisse dar.
Zunächst ist es erforderlich, unmiß- verständlich Respekt vor der Red- lichkeit der anderen zu signalisieren.
Dieser Standpunkt muß bis zum schlüssigen Beweis des Gegenteils beibehalten werden. Vorverurteilun- gen sind nicht hilfreich, Vorurteile auch nicht. Weder Turnschuhe noch Krawatten disqualifizieren ihre Trä- ger als redliche diskussionsfähige Bürger.
Gegenseitiger Respekt aller Experten
Naturschützer erwarten — zu Recht — Respekt vor der großen Kompetenz auf ihrem Fachgebiet.
Sie selbst allerdings sprechen — nicht immer zu Recht — allen Nicht- Naturschützern die Kompetenz ab, über Umweltschutz mitzureden. Vie- le Naturschützer reden ohne Hem- mungen in Fachgebiete hinein, auf denen sie selbst Dilettanten sind. Da- bei haben auch die Fachleute für Verkehrsplanung, Marktwirtschaft, Gesundheitswesen, Informatik oder Müllbeseitigung Anspruch auf Aner- kennung als Sachkenner. Auch sie sind Experten.
Die Natur- und Umweltschützer lassen Respekt anderen Fachgebie- ten gegenüber oft vermissen. Daß Fachleute anderer Bereiche sich den Naturschützern gegenüber manch- mal genau so verhalten, ist kein Ent- schuldigungsgrund. Die Methode, daß Experten Feindbilder von allen Leuten aufbauen, die auf Gebieten fachkundig sind, die Umweltschäden bewirken können, muß als falsch er- kannt werden und schnell verlassen werden. Demokratieverständnis muß einfach so weit eingefordert werden, daß auch die Bedürfnisse von Nicht- Umweltschützern und ihren Interes- sengemeinschaften als legitim anzu- sehen sind.
Sachzwänge und Interessenkolli- sionen lassen sich nicht fortreden.
Auch die dialektische Umkehr von Ursache und Wirkung kann sie nicht beseitigen. Es ist unbewiesen, daß der Bau von mehr Straßen die Pro-
duktion von Kraftfahrzeugen oder ih- rer Benutzung fördern würde. Häu- figkeit und Schwere von Krankheiten werden auch nicht durch die Zahl oder Qualität von Ärzten oder Klini- ken beeinflußt.
Nach zehn Jahren des Mißerfol- ges der Umweltschutzbemühungen muß eine neue Methode her, unsere Welt zu bewahren. Synthesen aus un- terschiedlichen Interessen müssen in größerer Bescheidenheit angestrebt werden. Der kultivierte Dialog ist ge- fragt. Er muß absolut frei sein von weltanschaulichen, utopischen oder gar parteipolitischen Beweggründen und — um es zu wiederholen — von Respekt vor dem anderen getragen sein.
Maximale Standpunkte mit aller Gewalt durchsetzen zu wollen, ist nicht mehr aussichtsreich. Vielmehr kann die Reflexion über neue Strate- gien bei der Erarbeitung von bislang nicht gewagten Kompromissen zu ei- ner Annäherung gegensätzlicher Standpunkte führen, die schließlich für die Mehrheit der Menschen kon- sensfähig werden kann. Ziel muß nicht der Sieg für den Naturschutz sein, sondern eine Lösung, die den großen Bevölkerungsgruppen ge- recht wird, denen andere Probleme wichtiger sind als die Bewahrung un- serer Natur.
Diese Menschen sind nicht Geg- ner oder gar Feinde der Naturschüt- zer, sondern Mitbürger, die Respekt verdienen. Sie sind das Potential je- ner Mitmenschen, die künftig eigene Beiträge leisten, unsere Natur, die ja auch ihre ist, mit zu bewahren. Die Zielgruppen für naturschützerische Überzeugungsarbeit sind ungeheuer zahlreich. Vielleicht gibt es unter ih- nen zumindest ein paar, die eine neue Struktur und Kultur der Aus- einandersetzung begrüßen und mit- gestalten werden. Das könnte bei- spielgebend wirken.
Deutsches Arzteblatt
90 (1993) A1-1720-1721 [Heft 23]
Anschrift der Verfasser:
Dr. Horst Hagen Dr. Wally Hagen Strandredder 11a W-2400 Travemünde
Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 23,11. Juni 1993 (29) A1-1721