THEMEN DER ZEIT
S
eit wenigen Wochen steht ein gut verträglicher Typhus-Impf- stoff der neuen Generation zur Verfügung. Er ist chemisch wohldefiniert und enthält keine ganzen Bakterien, sondern nur gerei- nigtes Kapselpolysaccharid (Vi-Anti- gen). Die Schutzraten betragen je nach untersuchtem Studienkollektiv und epidemiologischer Situation auch bei hohem Infektionsdruck 55 bis 82 Pro- zent. Wie Dr. Michael Lafrenz (Ro- stock) auf dem 3. Deutschen Kongreß für Infektions- und Tropenmedizin in Berlin berichtete, kann die neue Vak- zine (Typhim-Vi® von Pasteur Me- rieux MSD) gleichzeitig mit allen an- deren Tot- und Lebendimpfstoffen verabreicht werden — also auch mit dem Gelbfieberimpfstoff. Bei mehr als 90 Prozent der Geimpften sind in-BERICHTE
nerhalb von sieben bis 15 Tagen nach der Infektion schützende Antikörper nachweisbar. Der protektive Effekt hält mindestens drei Jahre an, erst dann wird eine Auffrischimpfung not- wendig. Interaktionen mit Antibioti- ka, Sulfonamiden und Anti-Malaria- Medikamenten sind naturgemäß nicht möglich. Empfehlenswert ist der neue Impfstoff für Personen, die einem er- höhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, wie Abenteuer-Urlauber oder Personen, die in engen Kontakt mit Dauerausscheidern kommen. Welt- weit wird jährlich mit über 12 Millio-
nen Erkrankungen an Typhus abdomi- nalis gerechnet. In Europa und Norda- merika, wo Typhus sporadisch auftritt, spielen aufgrund des steigenden Tou- rismus die importierten Fälle — etwa 70 Prozent der Erkrankungen — eine zu- nehmende Rolle. In Deutschland muß jährlich mit etwas 200 Typhus-Fällen gerechnet werden. Bereits 1896 stand ein hitzeinaktivierter, phenolisierter, parenteral zu applizierender Ganz- keim-Impfstoff zur Verfügung. Orale Tot- und Lebendimpfstoffe waren wei- tere Etappen der Vakzine-Entwick- lung. H. Thiesemann
Neuer Typhus-Impfstoff ist frei kombinierbar
Stationsteam-Supervision
Die Aufgaben und Probleme der Krankenversorgung haben sich in den letzten Jahrzehnten, insbesondere in den Hochschulein- richtungen, grundlegend geändert. Mit der sprunghaften Zunah- me der Hochtechnisierung hat sich das Interesse immer mehr auf die subtile Differentialdiagnose und die Anwendung sehr speziel- ler technisch-therapeutischer Maßnahmen verschoben. In diesem
Spannungsfeld scheint die geduldige und zeitaufwendige Erkun- dung der „Situation" eines Patienten wenig Platz zu finden. — Das vorgestellte Modell aus der Internistischen Klinik der Universität Heidelberg beinhaltet einen an Ressourcen orientierten vorbeu- genden Ansatz (Stichwort: Fortbildung) — im Gegensatz zu einem an Defekten orientierten Ansatz (Stichwort: Krisenintervention).
Die in den letzten Jahren sich zu- nehmend verschlechternde Personal- situation im Bereich der Krankenpfle- ge ist bekannt. Es entsteht ein Circu- lus vitiosus, der bei den Pflegekräften zu immer stärkerer Belastung, somit zu größerer Arbeitsunzufriedenheit und letztlich zu einer kürzeren Ver- weildauer im Beruf führt. Gleichzeitig wächst die Schwierigkeit, die qualita- tiv hochstehende Versorgung weiter- hin zu gewährleisten.
Die im Auftrag des Bundesmini- sters für Arbeit und Sozialordnung durchgeführte Studie „Angebot und Bedarf an Pflegepersonal bis zum Jahr 2010"') kommentiert die Mög- lichkeiten der Reduzierung der Ar- beitsmarktlücke so: „Das zentrale Motiv zur Bewältigung der Arbeits- marktlücke sollten gezielte Problem- lösungsansätze sein, die zur Verbesse- rung der Attraktivität sowie Lei- stungsfähigkeit des Pflegebereichs
einschließlich der Steigerung der Pfle- gequalität beitragen."
Mangelhafte
Kommunikationsstrukturen Mangelnde Kooperation und Ko- ordination der verschiedenen Berufs- gruppen im Rahmen des arbeitsteili- gen Vorgehens der heute gängigen, funktionalen Patientenversorgung sind nicht nur aus betriebswirtschaftli- cher und organisationspsychologi- scher Sicht überholt; sie verhindern auch ein reflektiertes, umfassend ge- plantes patientengerechtes Pflegevor- gehen. Diesbezüglich wird im Rah- men des vom Bundesministerium für Gesundheit herausgegebenen „Leit- fadens zur Neuordnung des Pflege- dienstes"2) die Forderung einer ko- operativen „Reflexion des Pflegehan- delns" besonders im Hinblick auf „die
Gestaltung eines patientenorientier- ten Pflegeprozesses" verankert und hierzu die Etablierung von „pflegein- ternen Teambesprechungen, thera- peutischen Teams, Supervision . . ."
gefordert.
Eine Möglichkeit der prakti- schen Umsetzung dieser Forderun- gen besteht in der Durchführung von Stationsteam-Supervisionen im Krankenhaus, wie sie auf den Inter- nistisch-Psychosomatischen Statio- nen der Medizinischen Klinik Hei- delberg seit 1976 etabliert sind und dort ein anerkanntes Verfahren dar- stellen31.
Ein Schwerpunkt vielfältiger Mißverständnisse. und Reibungs- punkte sind die mangelhaft entwickel- ten Kommunikationsstrukturen, nicht nur im Pflegeteam selbst, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen. Durch Möglichkei- ten, wie sie in der Supervisionsgruppe Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 17, 28. April 1995 (35) A-1231
THEMEN DER ZEIT
Foto: Peter Pietschmann. Universität Ulm
geboten werden, wie zum Beispiel durch verbessertes Zuhören und das Kennenlernen der Lösungswege an- derer Berufsgruppen und Personen, erweitern sich die Problemlösungs- kompetenzen für diagnostische und therapeutische Prozesse. Ein weiteres Entwicklungsziel bedeutet die Fähig- keit zur Bewältigung von psychischen Belastungen, die durch den Umgang mit Patienten entstehen. Mit der Stär- kung dieser Fähigkeit verändert sich auch die Qualität der persönlichen Betreuung des Patienten, die psycho- soziale Kompetenz wird ausgebil- det5). Insgesamt und nicht zuletzt soll mit dieser Gruppenarbeit auch die Bindung des einzelnen Teammitglie- des an seine Station, seine Stations- Identität, entwickelt und stabilisiert werden. Die Stationsteam-Supervisi- on ist im wesentlichen patientenori- entiert und erinnert am meisten an die klassische Balint-Arbeit. Sie wird durch einen ausgebildeten Supervisor (Ausbildung in Balintgruppenlei- tung) durchgeführt, ist jedoch aus- drücklich kein Ort für die direkte Selbsterfahrung 6).
Wöchentlich für eine Stunde
Die Gruppensitzungen finden auf der betreuten Station statt. Die Arbeit bezieht sich im wesentlichen auf (Problem)-Patienten. Die in der Sitzung aufgeworfenen Teamproble- me werden, wenn es möglich ist, in Beziehung zum Patienten geklärt. Die kontinuierliche Anwesenheit des ge- samten Teams, bestehend aus Pflege- team, Krankengymnastikteam, den Stationsärzten/innen und Oberärz- ten/innen, ist erwünscht. Eine gene- relle Verpflichtung ist der Methode aus vielfältigen Gründen nicht ange- messen.
Die Team-Supervision findet wöchentlich für eine Stunde zu einem festen Zeitpunkt statt. Als praktika- bel hat sich die Stunde nach der Mit- tagsübergabe bewährt. Diese wird als Arbeitszeit angerechnet. Eine Aner- kennung der Teilnahme als Fort- und Weiterbildung ist möglich. Es handelt sich also eher um ein an den Ressour- cen und Kompetenzen des jeweiligen Teams orientiertes Weiterbildungs-
BERICHTE
konzept als um eine defektorientierte Kriseninterventionsstrategie.
Erfahrungen
Für den Zeitraum Mai 1992 bis April 1993 wurde für fünf weitete Sta- tionen der Medizinischen Univer- sitätsklinik Heidelberg die Stati- onsteam-Supervision in einem Pilot- projekt angeboten, das mit wissen- schaftlicher Begleitung fortgeführt wird. Betreut wurden neu drei Allge- mein- und zwei Privatstationen. Diese Stationen hatten in unterschiedlicher Intensität Interesse an Supervison an- gemeldet.
Die Erfahrungen zeigen, daß bei allen Berufsgruppen das Interesse und die Bereitschaft teilzunehmen be- steht. Deutliche Unterschiede zeigten sich in den Themenbereichen, wie sie auf den einzelnen Stationen behandelt wurden. Erwartungsgemäß waren auf der onkologischen Station im höhereh Anteil als auf den anderen Stationen Themenkomplexe wie Sterbebeglei- tung oder Depressionsverarbeitung Gegenstand der Supervision. Dane- ben wurden auch Interaktionsthemen jeder Sitzung dokumentiert. Die neu betreuten Stationen waren zu einem höheren Teil mit Teamproblemen be- schäftigt als Stationen mit längerer Su- pervisionserfahrung, die sich mehr mit patientenzentrierten Themen ausein- andersetzten.
Nachdem das Pilotprojekt abge- schlossen war, bemühten sich die be-
Stationsteam-Supervision: Konzeption in der Inneren Medizin/Beispiel Heidelberg
troffenen Stationen durch mehrere schriftliche Eingaben um eine Weiter- betreuung. Auch die Abteilungsleiter sowie die Pflegedienstleiterin der Kli- nik befürworteten ein Anschlußpro- jekt. Weitere Zustimmung auf dem Boden der gemachten Erfahrungen fand die Stationsteam-Supervision durch die Leiterin des Pflegedienstes des Gesamtklinikums und durch den Klinikumsvorstand.
Evaluation
Seit Mitte 1994 wird das Projekt mit wissenschaftlicher Begleitung weitergeführt. Durch eine longitudi- nale Evaluation der Stationsteam-Su- pervision werden im Verlauf von ei- nem Jahr die angestrebten Verände- rungen von Kommunikationsstruktu- ren, psychosozialer Kompetenz, Ar- beitszufriedenheit und anderen Va- riablen mit Hilfe verschiedener Fremd- und Selbstbeurteilungsver- fahren überprüft.
Verantwortlich: Dr. med. An- dreas Werner
Dipl.-Psych.Christoph Hennch, Abteilung Innere Medizin II (Schwer- punkt: Allgemeine Klinische und Psy- chosomatische Medizin), Medizini- sche Klinik der Universität Heidel- berg, Bergheimer Straße 58, 69115 Heidelberg
11 Dornier, Friedrichshafen, Prognos, Köln, im Auftrag des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Forschungsbericht 188:
„Angebot und Bedarf an Pflegepersonal bis zum Jahr 2010" (1989)
2) Bundesminister für Gesundheit (Hrsg.): Leit- faden zur Neuordnung des Pflegedienstes.
Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, Band 31 (1994)
3)Körner, J.: „Supervision", aus Forschungsbe- richt 115: „Von der krankheitsorientierten zur patientenorientierten Krankenpflege" im Auftrag des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (1984)
4) Hahn, P., Petzold, E., Drinkmann, A.: Inter- nistische Psychosomatik. Heidelberg:
Esprint (1991)
5) Herschbach, P.: Streß im Krankenhaus— Die Belastungen von Krankenpflegekräften und Ärzten/Arztinnen, PPmP 41: 176-186 119911
6) Petzold, E.: Die Entwicklung der Balintarbeit in der Inneren Medizin. In: E. Petzold (Hg.):
Klinische Wege zur Balintarbeit. Stuttgart:
G. Fischer (1984)
A-1232 (36) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 17, 28. April 1995