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Archiv "Hirntod und Schwangerschaft: Rettung des Erlanger Babys weder geboten noch verboten" (22.01.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Er war „froh, daß den Erlanger Ärzten, die die Rettung des Kindes einer hirntoten Frau versucht hatten, nicht vor ein Tribunal gestellt worden waren". Das betonte Prof. med. Eduard Seidler, Freiburg i. Br., im Anschluß an eine Diskussion in der Mainzer Akademie der Wis- senschaften und der Literatur. In ruhiger und sachlicher Atmosphäre hatten Ärzte, Juristen, Theologen und Philo- sophen auf der Tagung mit dem Titel „Hirntod und Schwangerschaft" über den Erlanger „Fall" diskutiert.

Z

unächst berichtete Prof. Dr.

med. Johannes Scheele, Er- langen, auf der von der Aka- demie für Ethik in der Medizin ver- anstalteten Tagung über den Ablauf der Ereignisse. Auf dem Weg zur Ar- beit sei im Oktober vergangenen Jahres die in der 13. bis 14. Woche schwangere Marion Ploch mit dem Auto verunglückt. Mit schweren Schädel-Hirn-Verletzungen wurde sie dann in die Erlanger Universitäts- klinik gebracht. Drei Tage später war sie klinisch tot.

Verschiedene Berichte, die Scheele als verantwortlicher Ober- arzt studiert hatte, hätten gezeigt, daß mehrere Kinder erfolgreich von hirntoten Müttern ausgetragen wor- den seien. Aufgrund dieser Litera- turrecherche habe man davon ausge- hen können, daß das Kind „gesund sein kann und auch später keine blei- benden psychischen Schäden haben muß".

Daraufhin tagte ein ad hoc zu- sammengesetztes Konsilium aus Ärzten verschiedener Fachrichtun- gen, einem Gerichtsmediziner und Juristen. Diesem Gremium erschien ein Abbruch der intensivmedizini- schen Maßnahmen ethisch und me- dizinisch nicht gerechtfertigt. Es ent- schied deshalb, die Körperfunktio- nen der hirntoten Frau aufrechtzuer- halten. Frühestens nach 13 Wochen hätte man den Embryo als Frühge- burt per Kaiserschnitt zur Welt brin- gen und im Brutkasten pflegen kön- nen.

Nach einem Gespräch mit Mari- on Plochs Angehörigen seien diese dazu bereit gewesen, ihre Tochter weiter künstlich beatmen und ernäh- ren zu lassen. Beim Amtsgericht Nürnberg wurde für das ungeborene Kind eine Pflegschaft, für die Mutter

Hirntod und Schwangerschaft

Rettung des Erlanger Babys weder geboten noch verboten

des Kindes eine „Betreuung" ange- ordnet.

In der 19. Schwangerschaftswo- che sei ein „Spontanabort" eingetre- ten. Daraufhin habe man die Be- handlung sofort beendet. Marion Plochs Eltern lehnten eine Obdukti- on ihrer Tochter und des Fötus ab.

Prof. Dr. Hans-Bernhard Wuer- meling, Gerichtsmediziner in Erlan- gen, erläuterte die Überlegungen, die zu der Entscheidung geführt hat- ten. Das Einstellen der Beatmung der toten Schwangeren sei zwar kei- ne Tötung, da sie nicht mehr lebte.

Auf der anderen Seite hätte die Fortsetzung der Beatmung nicht ge- gen die Strafvorschrift zum Schutz der Totenruhe verstoßen. Nur bei ei- ner lebenden Mutter seien deren In- teressen zu berücksichtigen gewesen.

Somit könne das Strafrecht den Arzt, wie auch immer er in der Situation gehandelt hätte, weder zwingen noch hindern.

Wichtig bei einer sittlichen Überlegung sei die Abwägung der Pietät der toten Mutter gegenüber

dem Leben des Kindes gewesen. Le- bensrecht sei beim „Erlanger Fall"

zunächst defensiv zu verstehen gewe- sen, niemand hätte das Kind aktiv tö- ten dürfen. Das Sterbenlassen des Kindes wäre allerdings nicht per se schon eine Tötung gewesen, sondern nur dann, wenn die Umstände akti- ves Handeln von dazu verpflichteten Personen ethisch geboten hätten.

Man sei vor die Frage gestellt worden, ob der Aufwand der Beat- mung trotz eventueller Engpässe in einer Intensivstation übernommen werden konnte und ob der finanziel- le Aufwand zumutbar sei, was beim

„Erlanger Baby" der Fall gewesen sei.

Einer der Pfleger, die Marion Ploch betreuten, betonte, daß alle Kollegen hinter der getroffenen Ent- scheidung gestanden hätten. For- schung sei an der hirntoten Frau nicht betrieben worden, die Pflege habe eindeutig im Vordergrund ge- standen. „Wir waren von Anfang an in die Entscheidung eingebunden".

Nur wenige Pfleger und Kranken- schwestern hätten sich geweigert zu Marion Ploch zu gehen, niemand sei dazu gezwungen worden. Auch eine der betreuenden Krankenschwestern empfand die Betreuung der hirnto- ten Frau nicht als belastend. „Wir haben regelmäßig den Bauch von Marion gestreichelt und uns auf das Baby gefreut."

Konfrontation mit

einer Pseudowirklichkeit Prof. Dr. med. Peter Petersen von der Medizinischen Hochschule Hannover begann seine Ausführun- gen damit, daß „es entlastet, daß das Kind gestorben ist". Seiner Ansicht nach habe das Gebot Leben zu er- halten, sich im Erlanger „Fall" zum lebensgefährlichen Dogma verselb- ständigt.

In gesunden Beziehungen pflege die Mutter von Anfang an einen le- bendigen Dialog mit ihrem Kind.

Spätere seelische und körperliche Schäden, Neurosen sowie psychoso- matische Krankheiten würden ver- mutlich auch in Störungen der prä- natalen Mutter-Kind-Beziehung wurzeln. Im Fall der Erlanger Toten habe das Kind einen Leichnam zum Dt. Ärztebl. 90, Heft 3, 22. Januar 1993 (19) A1-91

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Das Plakat für rund 89 000 Arzt- praxen: „Auch jetzt lassen wir keinen im Stich", lautet die Bot- schaft an die Pa- tienten. Zugleich soll aber an das Verständnis und die Bereitschaft zur Mitwirkung appelliert wer- den, um die ne- gativen Auswir- kungen des Ge- sundheits-Struk- turgesetzes auf das Arzt-Patient- Verhältnis so ge- ring wie möglich zu halten. Weitere Informationen enthalten die Faltblätter.

Dialogpartner gehabt. Statt perso- naler Zärtlichkeit durch die Mutter sei das Ungeborene mit einer Pseu- dowirklichkeit konfrontiert worden.

Der pränatale Dialog sei ein Rufen ohne personales Echo gewesen. Vie- le Menschen hätten auf das Vorge- hen der Ärzte in Erlangen mit Ab- wehr reagiert. Doch kluge Argumen- te von Medizinern und Juristen hät- ten diese Gefühle beschwichtigt.

Der Essener Philosoph Dr. phil.

Dieter Birnbacher verteidigte dage- gen die Entscheidung der Erlanger Arzte. Es läge seiner Ansicht nach keine Verletzung der Menschenwür- de vor, wenn ein Mensch zum Mittel gemacht werde, sondern erst dann, wenn er zum bloßen Mittel gemacht werde. Das wäre dann der Fall, wenn elementare Menschenrechte nicht mehr gewahrt wären. Bei einem to- ten Menschen wie Marion Ploch wä- re die Menschenwürde dann gesi- chert, wenn die Pietät gewahrt blie- be. Diese stünde ethisch allerdings unter den Pflichten, die das Prinzip.

der Menschenwürde gegenüber le- benden Menschen fordere. Beden- ken aufgrund eines nicht einzuschät- zenden Risikos für das Kind seien ebenfalls kein Argument gegen das Handeln in Erlangen. Nur wenn eine Wahrscheinlichkeit für einen Scha- den bestanden hätte, so daß im Inter- esse des Kindes ein Schwangerschaft- sabbruch angezeigt gewesen wäre, wä- re die in Erlangen getroffene Ent- scheidung unzulässig gewesen.

Das Vorgehen der Arzte sei also nicht moralisch verboten, allerdings auch keineswegs geboten gewesen.

Birnbacher vertrat die Ansicht, daß weder ein Abtreibungsverbot noch eine Pflicht zur Lebenserhaltung ge- fordert werden sollte. „Ein Lebewe- sen ohne Wissen von sich als zeitlich existierendes Objekt hat auch keinen Begriff von Leben und Tod und kann deshalb auch kein Interesse an sei- nem Leben haben."

Wuermeling betonte abschlie- ßend, daß sich die Erlanger Ärzte die Entscheidung nicht leicht ge- macht hätten. Daß es ihnen nicht um Lebenserhaltung um jeden Preis ge- gangen sei, sei schon daraus ersicht- lich, daß in einem ähnlichen Fall die Schwangerschaft abgebrochen wor- den sei. Gisela Klinkhammer

Die rund 89 000 niedergelasse- nen Kassenärzte erhalten in diesen Tagen einen dicken Umschlag von der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung. Der Inhalt: rund 80 Faltblätter und ein vierfarbiges Plakat zur Infor- mation der Patienten über das Ge- sundheits-Strukturgesetz. Mit dieser Aktion setzt die KBV ihre Aufklä- rungskampagne fort, die mit einer 62 Seiten starken Broschüre zum GSG als Beilage zu einer Teilauflage des Deutschen Ärzteblatts, Heft 1/2, 1993 begonnen hat. Interessierte Krankenhausärzte können sich we- gen dieser Informationsschrift an die jeweiligen Kassenärztlichen Vereini- gungen wenden.

„Für die Kassenärzte kommt es darauf an", so Dr. Ulrich Oesing- mann, Erster Vorsitzender der KBV, und sein Stellvertreter Dr. Otfrid P.

Schaefer im Vorwort der Broschüre,

„gerade im ersten Jahr nach Inkraft- treten dieses Gesetzes im Gestrüpp

der Neuregelungen den Uberblick zu behalten, um sich auch weiterhin ih- rer eigentlichen Aufgabe, nämlich der Patientenversorgung, mit ganzer Kraft widmen zu können."

Die Patienten-Information steht unter dem Leitgedanken „Auch jetzt lassen wir keinen im Stich". Der Textteil des Plakats weist auf die an- stehenden Sparmaßnahmen und die gesetzlich verordneten Einschrän- kungen hin, die durchaus zu einer Belastungsprobe für das Arzt-Pa- tienten-Verhältnis werden können.

Um diese Befürchtung jedoch nicht Realität werden zu lassen, können sich die niedergelassenen Arzte mit Hilfe der Plakate und Faltbätter di- rekt an die Patienten wenden.

Zunächst soll herausgestellt werden, daß der Kassenarzt trotz der gesetzlichen Leistungseinschränkun- gen der erste Ansprechpartner für alle Fragen von Gesundheit und Krankheit bleibt und im Sinne der

Einsparungen in Milliardenhöhe

Die KBV informiert Patienten über die Auswirkungen des GSG

A1 -92 (20) Dt. Ärztebl. 90, Heft 3, 22. Januar 1993

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