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Archiv "Stammzellgesetz: Tauziehen um Definitionen" (22.03.2002)

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er Stammzellgesetz hält nicht, wasEntwurf zum geplanten der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 30. Januar versprach:

„Keine verbrauchende Embryonenfor- schung“. Einige Regelungen im jetzi- gen Entwurf, den 115 Abgeordnete von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen erstellten, weichen die Auf- lagen wieder auf, die das Parlament an einen Import von humanen mensch- lichen Stammzelllinien knüpfte.

Bei der mehr als sechsstündigen An- hörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung im Bundestag am 11. März wies vor

allem die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ wie- derholt auf die eigentliche Intention des Gesetzes hin – nämlich die Forschung an embryonalen Stammzelllinien sowie de- ren Import nur in Ausnahmefällen zuzu- lassen. An dem Gesetzentwurf kritisier- ten die Sachverständigen hauptsächlich, dass nunmehr embryonale Stammzellen statt embryonaler Stammzelllinien ein- geführt werden sollen. Ferner bemängel- ten sie, dass nicht die Eltern der Stamm- zellgewinnung zustimmen müssen, son- dern lediglich „nach dem Recht des Her- kunftslandes dazu berechtigte natürliche

Personen“. Auch dass sich die neu zu schaffende zentrale Ethikkommission der Zulassungsbehörde vorrangig aus Naturwissenschaftlern zusammensetzen soll, lehnen die Sachverständigen ab.

Damit treten Probleme zutage, die mit der Gratwanderung des Bundesta- ges, der sich weder für ein klares Ja noch für ein klares Nein entscheiden konnte, schon programmiert waren.

Der Gesetzestext soll nun bis zum 26. April überarbeitet werden. Die zweite und dritte Lesung im Bundestag ist für den 26. April vorgesehen.

Tatsächlich kommt der Formulierung des Stammzellgesetzes große Bedeu- tung zu. Erst mit ihm werden die Wei- chen gestellt, wie die Forschung an em- bryonalen Stammzellen in Deutschland gehandhabt werden soll. Federführend für die Erarbeitung des Stammzellge- setzes ist das Forschungsministerium.

Von ihm werden der Gesundheits-, der Rechts- und der Familienausschuss so- wie die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ zur Beratung herangezogen.

„Der Import humaner embryonaler Stammzellen wird auf bestehende Stammzelllinien, die zu einem bestimm- ten Stichtag etabliert wurden, be- schränkt“, heißt es in dem von den Bundestagsabgeordneten beschlossenen Antrag. Jetzt ist jedoch nur noch von Stammzellen die Rede. Die Begriffe

„Stammzelllinien“ und „Stammzellen“

würden in der amerikanischen Literatur synonym gebraucht, verteidigte Prof. Dr.

Bärbel Friedrich, Institut für Biologie der Humboldt-Universität Berlin und Präsidiumsmitglied der Deutschen For- schungsgemeinschaft, die jetzige For- mulierung. Prof. Dr. Peter Gruss, Max- Planck-Institut für Biophysikalische Chemie, Göttingen, und designierter Präsident der Max-Planck-Gesellschaft,

gab zu bedenken, dass die Mehrzahl der in den USA registrierten Stammzelllini- en uncharaktisiert sei und damit der bio- logischen Definition von „Linien“ nicht entspreche. Die Formulierung „Stamm- zellen“ müsse unbedingt ins Gesetz, wol- le man die Forschung nicht behindern.

Gegner der Forschung an menschli- chen Embryonen sehen hinter der geän- derten Formulierung jedoch die Gefahr der Ausweitung und des Missbrauchs.

Das „Herstellungsdatum“ sei nicht mehr nachweisbar, wenn Stammzellen importiert werden könnten, aus denen erst später Stammzelllinien gezüchtet würden, befürchtet Dr. Ingrid Schnei- der, Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg. Zudem sollte nach ihrer Ansicht im Gesetz verankert werden, dass nur kryokonservierte Em- bryonen zur Herstellung von Stamm- zelllinien verwendet werden dürfen.

Ansonsten sei nicht gewährleistet, dass diese tatsächlich „überzählig“ seien.

Feilschen um den Stichtag

Ein Streitpunkt war bei der Anhörung erneut die Stichtagsregelung – obwohl sich die Abgeordneten bereits Ende Fe- bruar auf den 1. Januar 2002 als Stichtag geeinigt hatten. Damit waren sie der Vorgabe des Bundestagsbeschlusses nachgekommen, nur den Import von Stammzelllinien zu erlauben, die vor ei- nem bestimmten Stichtag hergestellt wurden. Die Forschungspolitiker um Pe- ter Hintze, Katharina Reiche (beide CDU) und Ulrike Flach (FDP) fordern jedoch eine liberalere Genehmigungs- praxis und einen flexiblen Stichtag. Da- bei soll jeweils zwischen dem Antrag der Forscher auf Import und der Herstel- lung der Stammzellen ein bestimmter Zeitpunkt liegen, beispielsweise sechs Monate, wie Flach meint. Behielte man die vorgesehene Stichtagsregelung bei, würde dies bedeuten, dass sich die For- scher auf wenige Stammzelllinien be- schränken müssten.

Die Naturwissenschaftler unterstüt- zen diesen Vorschlag. Für die Grundla- genforschung reichten die Stammzellli- nien, die den deutschen Forschern durch die bisherige Stichtagsregelung zur Verfügung stünden, zwar aus, die Entwicklung von Therapien wäre je- P O L I T I K

A

A760 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 12½½½½22. März 2002

Die menschliche Stammzellenkolonie wächst auf einer Mauszelle in einem israelischen Labor.

Stammzellgesetz

Tauziehen um Definitionen

Der Entwurf des Stammzellgesetzes weicht vom Beschluss des Deutschen Bundestages vom 30. Januar ab –

zugunsten der Forschung. Er wird jetzt überarbeitet.

Foto: dpa

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doch nicht möglich, erklärte Friedrich.

Als Gründe führte die Biologin einer- seits die geringe Anzahl der Stammzell- linien an, andererseits aber deren Kon- taminierung mit tierischen Zellen und Viren. In der Tat basieren die meisten der etwa 80 weltweit existierenden und in den USA registrierten Stammzelllini- en auf Mausnährzellen und können

„verseucht“ und somit für die Anwen- dung am Menschen ungeeignet sein.

Prof. Dr. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum, Max-Planck-Institut für ausländisches Recht und Völkerrecht, Heidelberg, hat rechtliche Bedenken bezüglich der Stichtagsregelung. Der § 5 des neuen Stammzellgesetzes spreche nicht nur von Grundlagenforschung, sondern nen- ne als Ziel auch die Entwicklung diagno- stischer, präventiver und therapeuti- scher Verfahren zur Anwendung beim Menschen. Dies müsse bei der Stichtags- regelung bedacht werden, wenn das Ge- setz einige Jahre gültig sein solle. Ein weiteres Problem sei die rechtliche Ver- fügbarkeit der Stammzelllinien. Denn auf die amerikanischen Zelllinien sind meist Patente angemeldet. Jede For- schung bedarf der Genehmigung der Verwertungsfirmen. Die Firma Gerold besitze sogar die Lizenz auf die Herstel- lung der Stammzelllinien, argumentiert Schneider. „Alle Forscher müssen somit dieses Patent beachten. Nicht der Stich- tag schreibt das Monopol der Stamm- zellanbieter vor, sondern das internatio- nale Patentrecht.“

Die Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche sind enttäuscht über die Ausgestaltung des Gesetzes.

Besonders beklagen sie die „ungleich- mäßige“ Zusammensetzung der zentra- len Ethikkommission der Zulassungs- behörde, die die Erfüllung der Aufla- gen überprüfen und entscheiden soll, ob die Forschungsprojekte ethisch ver- tretbar sind. Die Kommission soll sich aus fünf Naturwissenschaftlern und Medizinern, aber nur aus vier Ethikern und Theologen zusammensetzen. Juri- sten warnten vor zu einschneidenden Regelungen im Gesetz. Es laufe da- durch Gefahr, verfassungswidrig zu sein. Die Hürden, die es setze, müssten bewältigbar bleiben. Die „Haltbar- keitsdauer“ des Gesetzes ist ihrer Mei- nung nach sowieso bereits eng be- grenzt. Dr. med. Eva A. Richter

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 12½½½½22. März 2002 AA761

KOMMENTAR

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ufgrund des großen Anklangs haben die Studenten der Euro- pean Medical Students’ Asso- ciation (EMSA) an der Universität Je- na einen „Evidence-based Medicine“- (EbM-)Kurs mit 12 Tutoren organi- siert, um ihren Kommilitonen die Dis- kussion dieses aktuellen Themas in Kleingruppen anzubieten.

Die Studenten waren begeistert, ei- nige zudem nachdenklich: „Wir haben viel gelernt, fühlen uns aber unwohl, wenn wir daran denken, dass einige unserer Lehrinhalte einer kritischen Überprüfung nicht standhalten.“

Im traditionellen Medizinunterricht erlernt der Arzt, Entscheidungen im Zustand der Unent- schlossenheit zu tref- fen. Jeder Arzt, der über Jahre Patienten betreut hat, wird be-

stätigen, dass diese Fähigkeit Teil der

„ärztlichen Kunst“ ist und den Behand- lungserfolg wesentlich beeinflusst.

Würden wir eine Generation von Ärzten ausbilden, die alle wenig be- legten Therapien bezweifelt, wäre die messbare Verschlechterung der medi- zinischen Versorgung programmiert.

Wir wagen diese Behauptung, weil die Qualität der Arzt-Patient-Beziehung mehr Einfluss auf das Ergebnis der Versorgung hat, als wir bisher ange- nommen haben.

Würde man darauf verzichten, Ärz- te auszubilden, die Zweifel am Nutzen unzureichend gesicherter Maßnahmen äußern, würde das Angebot an viel ver- sprechenden Gesundheitsleistungen innerhalb kürzester Zeit unüberschau- bar werden. Es scheint, als bräuchten wir beide, den medizinisch orientierten Praktiker, der als Arzt im traditionel- len Sinn sozialisiert ist und Gesund- heitsleistungen erbringt, und den wis- senschaftlich orientierten Arzt, der in der Lage ist, die empirische Basis der Gesundheitsleistungen zu beurteilen.

Die wissenschaftliche Auseinanderset- zung mit der EbM hat gezeigt, dass es unmöglich ist, beide Fähigkeiten, das

Vertrauen in eine Versorgungsleistung und die kritische Beurteilung dieser Versorgungsleistung, in einer Person zu vereinigen.

Wenn man die Zweiteilung der me- dizinischen Versorgung akzeptiert, ist die Kommunikation zwischen dem Praktiker und dem Theoretiker zu garantieren. Wer als Praktiker viele Jahre lang sozialisiert ist, Entscheidun- gen am Patienten aus der Erfahrung zu treffen, wird mit Unverständnis reagie- ren, wenn er jetzt aufgefordert wird, die wissenschaftliche Basis seiner Ent- scheidungen darzulegen. Andererseits wird kein Gesund- heitssystem zu finan- zieren sein, wenn auf die Transparenz der Entscheidung ver- zichtet würde.

Es wird akzep- tiert, wenn zwei Ärz- te die gleiche Er- krankung auf verschiedenen Wegen versorgen, dabei gleichermaßen er- folgreich sind und dafür vergleichbare Ressourcen verbrauchen. Wenn einer aber mehr Ressourcen verbraucht als der andere, ohne das Ergebnis der Versorgung zu verbessern, wird das zu hinterfragen sein.

Die zahlreichen Beteuerungen, bes- sere Ergebnisse als andere zu erzie- len, zwingen zu mehr Transparenz.

Diese Transparenz kann aus zeitlichen Gründen und wegen der unterschied- lichen Sozialisation nicht von den Praktikern hergestellt werden. Sie wird durch die Kooperation mit den Theoretikern zu erbringen sein.

Die Studenten in Jena haben uns in der Annahme bestärkt, dass wir ver- schiedene Wege der Sozialisation des Arztes diskutieren müssen. Die bei- den Wege sind jedoch zu verschieden, als dass sie gekoppelt werden könn- ten. Beide Richtungen sollten realisie- ren, dass sie im Berufsleben aufeinan- der angewiesen sind.

Prof. Dr. med. Franz Porzsolt Universität Ulm

Prof. Dr. med. Bernhard Strauss Universität Jena

Evidenzbasierte Medizin

Konflikt

ist lösbar

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