Neue Aspekte
in der Pathogenese der Fettsucht
Zum Beitrag von Privatdozent Dr. med. Horst Kather und Privatdozent Dr. med. Bernd Sirnon
in Heft 16, Jahrgang 77 (1980)
, Seite 1031 ff.Die Standpunkte der Praxis und der forschenden Klinik scheinen sich zu nähern .. Der Praktiker weiß schon lange, daß es magere Fresser und dicke Hungerer gibt. Wenn auch der anfängliche Enthusiasmus über die Rolle des gestörten Verhaltens in der Pathogenese der Fettsucht zu- nehmend nüchterner eingeschätzt wird, so sollte man doch den Ergeb- nissen des Tierversuchs, die Pudel publiziert hat, mehr Nachdenklich- keit widmen. Pudel hat festgestellt, daß süß aufgezogene Ratten eine nicht nährstoffhaltige süße Nahrung bis zum Tode fressen, obwohl dane- ben eine nicht süße nährstoffhaltige Nahrung aufgestellt ist. Normal auf- gezogene Ratten lassen die nicht nährstoffhaltige süße Nahrung ste- hen und fressen die nährstoffhalti- ge. Die süß aufgezogenen Ratten ha- ben eine Fehlprogrammierung des Appetitverhaltens. Diese Fehlpro- grammierung kann nicht aus Pepti- den mit Opiatwirkung stammen, denn es fehlen ja die Nährstoffe, aus denen diese Peptide hergestellt wer- den könnten.
Steinitz, Jerusalem, stellte in einer Untersuchung fest, daß Choleraen- detoxin die Adenylatzyklase stimu- liert und daß die reiswasserähnli- chen Stühle der Cholerakranken Verbrennungswasserdarstellen, das aus den Fettdepots stammt. Ehe ich mir aber wegen Übergewicht den Darm resezieren ließe, würde ich mir lieber eine kontrollierte Choleraen- dotoxindosis zumuten, um wir- kungsvoll das Adenylatzyklasessy- stem zu stimulieren. Hier ist, so mei- ne ich, Kather der zuständige Wis- senschaftler, der sich um dieses Problem kümmern sollte.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Fettsucht eine Störung des Energiestoffwechsels ist unter ande- rem. infolge Blockierung des Adeny- latzyklasesystems. Die Hemmung des Adenylatzyklasesystems ge- schieht wahrscheinlich über Hap- tenallergien, die aus der Nahrung stammen. Die Patienten werden dick, nicht weil sie viel essen, son- dern weil sie Falsches essen. Wel- che Nahrungsbestandteile für den einzelnen pathogenetisch sind, muß in individuellen Kreuzversuchen her- ausgefunden werden. Auf die patho- genetische Nahrung werden Sucht- äquivalente entwickelt. Die Haupt- schwierigkeit liegt bei der Führungs- aufgabe, sie liegt nicht darin, darauf zu achten, daß der Patient eine be- stimmte Kalorienzahl bei der Nah- rungsaufnahme nicht überschreitet.
II
Dr. med.
Otto Meyer zu Schwabedissen Facharzt für Innere Medizin Hauptstraße 45
7590 Achern
Der Beitrag trägt nach unserer Mei- nung nicht ausreichend zur Fortbil- dung in der aktuellen Medizin bei, da die Autoren
..,.. eine klare Abgrenzung des Krank- heitsbegriffs Adipositas vermissen lassen. Die Diagnose einer Adiposi- tas wird entsprechend den von May- er aufgestellten Kriterien gestellt, wenn der Anteil des Fettgewebesam Gesamtkörpergewicht bei Männern mehr als 20%, bei Frauen mehr als 25% beträgt.
Aktuelle Medizin
AUSSPRACHE
..,.. eine Reihe bisher nicht hinrei- chend gesicherter Hypothesen zu ih- rer Pathogenese anbieten (Rolle der Enterohormone, exogene Opioide) ..,.. den Aspekt der gestörten Futter- verwertung nicht hinreichend dar- stellen.
Gerade die neueren Befunde zum Energiestoffwechsel gesunder und adipöser Menschen geben dem Bio- chemiker sowie dem klinisch und praktisch tätigen Arzt ein experi- mentell hinreichend gesichertes Konzept zur Pathogenese der Fett- sucht in die Hand.
Die pauschale Feststellung: "Die Ur- sache der Fettsucht ist immer noch unklar" erscheint uns deshalb nicht gerechtfertigt.
Der praktisch tätige Arzt fragt weni- ger nach Theorien als nach gesi- chertem Wissen und den sich dar- aus ableitenden Therapiemöglich- keiten.
Dr. med. Manfred James Müller Physiologisch-Chemisches Institut der Universität Harnburg
Abteilung
Biochemische Endokrinologie Universitätskrankenhaus Eppendorf Martinistraße 52
2000 Harnburg 20
Schlußwort
Eine Übersicht über neue Aspekte in der Pathogenese der Fettsucht muß sich notwendigerweise mit allen neuen Entwicklungen beschäftigen, die Einblick in die Pathogenese der Erkrankung zu geben versprechen.
Wir stimmen mit Müller und Mitar- beitern überein, daß die Forschung auf dem Gebiet der Futterverwer- tung in jüngster Zeit erhebliche Fort- schritte erzielt hat. Wegen der gebo- tenen Kürze mußten wir uns jedoch auf wesentliche am Menschen ge- wonnene Ergebnisse beschränken, eine ausführliche Diskussion mögli- cher molekularer Mechanismen hät- te den Rahmen der Arbeit ge- sprengt. Wir hoffen dennoch, daß wir diesen wesentlichen Aspekt in der Pathogenese der Erkrankung, der noch heute umstritten ist und bis