Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 11⏐⏐13. März 2009 A509
T H E M E N D E R Z E I T
bertransplantationen bei Kindern nach. Schließlich musste er tagein, tagsaus zusehen, wie viele kleine Jungen und Mädchen ihrem Nieren- oder Leberleiden erlagen. Nicht ein- mal für ein Dialysegerät hatte sein Krankenhaus Geld. In Momenten der Hilflosigkeit, berichtet Liem, habe er sich immer an Menschen im Ausland gewandt. Er ging seine Vi- sitenkarten durch, las Fachaufsätze und versuchte, wo es nur ging, neue Kontakte zu knüpfen. „Jeden, den ich auf internationalen Kongressen getroffen habe, habe ich nach Viet- nam eingeladen“, erzählt Liem.
Rettende Hilfe aus Südkorea
Prof. Jean J. Conté, einem Arzt aus Frankreich, schrieb Liem 2004 kur- zerhand eine E-Mail, in der er die missliche Lage in Vietnam schilder- te. Der Franzose kam tatsächlich nach Vietnam, lehrte Liem und sei- nen Kollegen am National Hospital of Paediatrics alles Wissenswerte über die Transplantation von Nieren und spendete das erste Dialysegerät.Ein weiterer Kontakt zu Hung Jalee aus Korea verschaffte Liem die not- wendige Expertise, um eine Leber zu transplantieren. „Die Koreaner haben sich sicherlich daran erinnert, wie schlecht es ihrem Land vor nicht einmal 20 Jahren ging“, erklärt sich Liem die Hilfsbereitschaft. Das Samsung Medical Center und Hos- pital in Seoul, an dem der Koreaner Hung arbeitet, spendete dem viet- namesischen Pädiater 200 000 US- Dollar für Geräte. Inzwischen unter- stützen Ärzte aus der ganzen Welt Liems Krankenhaus, neben den Franzosen und Koreanern auch aus- tralische, schwedische und Kolle- gen aus den USA.
Am Ende des Gesprächs klopft ein Kollege Liems an die Tür des Konferenzraums. Er erinnert den Arzt an die bevorstehende Operati- on. Liems Stundenplan ist eng getak- tet. „Zumindest samstagnachmittags und sonntags versuche ich, Zeit für meine Tochter zu finden“, sagt Liem.
Sie sei erst 14. Für seinen Sohn – er sei 24 Jahre alt – sei immer viel zu wenig Zeit geblieben. Denn Liem hat sich um das Überleben vieler Kinder
gekümmert. I
Martina Merten
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sychische Störungen beginnen – im Gegensatz zu fast allen anderen komplexen Erkrankungen – bereits früh im Leben. Zudem impli- zieren sie ein hohes individuelles Leid ebenso wie erhebliche sozio- ökonomische Folgekosten. Dies be- richtete Prof. Dr. med. Johannes Hebebrand, Präsident der Deut- schen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), auf dem diesjährigen Kongress der Ge- sellschaft Anfang März in Ham- burg. „Etwa die Hälfte aller Er- wachsenen datiert den Beginn der ersten Symptome vor das 14. Le- bensjahr“, erklärte Hebebrand. „Psy- chische Störungen stellen den häu- figsten Grund für Arbeitsunfähig- keit vor dem 45. Lebensjahr dar.“Diese Störungen bedingten zudem, dass Kinder oft nicht den Schulab- schluss erreichten, den sie gemäß ihrer kognitiven Fähigkeiten errei- chen könnten – und die Bedeutung psychischer Störungen nehme in Zukunft vermutlich noch weiter zu, so Hebebrand.
ADHS ist eine Modekrankheit
Der 31. Kongress – mit mehr als 1 800 Besuchern und 143 Veranstal- tungen – stellte daher die Prävention psychischer und psychosomatischer Störungen in den Mittelpunkt. Vor allem sei es wichtig, weiter zu for- schen, um die Ursachen psychischer Störungen besser ergründen zu kön- nen. Dies zeige sich unter ande- rem bei dem Aufmerksamkeitsde- fizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). „Das Syndrom ist eine Modekrankheit geworden“, sagte Dr. Myriam Menter, Vorsitzende von ADHS Deutschland. „Selbst Lehrer glauben inzwischen, sie könntendiese Krankheit treffsicher diagnos- tizieren. Dabei brauchen wir hierfür gut ausgebildete Kinder- und Ju- gendpsychiater.“ Das Problem sei allerdings, dass es in Deutschland nicht genügend Experten dafür ge- be. „Die Betroffenen müssen bis zu sechs Monate auf einen Therapie- platz warten“, beklagte sich Menter.
Eine verlässliche Diagnostik und Therapie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter sei darüber hinaus ohne die Einbeziehung von Eltern und Lehrern nicht möglich.
Daher müssten die Kinder und Jugendlichen wohnortnah betreut werden. Leider seien Kinder und Jugendliche mit psychischen und psychosomatischen Störungen aber ambulant dramatisch unterversorgt.
Für 18 Millionen junge Menschen gebe es bundesweit lediglich 700 Praxen, berichtete Hebebrand.
In absehbarer Zeit werde sich die Situation nicht verbessern: Noch im- mer gebe es keine Anschlussregelung der Sozialpsychiatrie-Vereinbarung ab dem 1. April 2009, sagte Dr. Maik Herberhold, Vorsitzender des Bun- desverbandes für Kinder- und Ju- gendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. „Die Gespräche zu einer bundesweiten und kassenüber- greifenden Fortführung der Sozial- psychiatrie-Vereinbarung sind am 11. Februar ergebnislos vertagt wor- den, obwohl die Bundesregierung in einem Gesetzesentwurf die Ver- pflichtung zu einer solchen Verein- barung klargestellt hat.“ Dem Spit- zenverband der Krankenkassen sei es bislang offensichtlich nicht gelungen, Einigkeit unter den Krankenkassen herzustellen. Herberhold befürchtet nun, dass viele Praxismitarbeiter ent- lassen werden müssen. I Sunna Gieseke