DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Notfall-Situationen
im Bereitschaftsdienst
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege!
Bei akuten schweren Krankheitsbildern, gleich welcher Art, wird der erstbehandelnde Arzt, vor allem im Bereitschaftsdienst, mit Situationen konfrontiert, deren Beherrschung von entscheidender Bedeutung für das weitere Schicksal des Kranken sein kann. Er muß beim Hausbesuch schnell entscheiden, ob der Kranke sofort als Notfall in das Krankenhaus eingewiesen werden muß, ob eine Normaleinweisung ohne Zeitzwang ausreicht oder ob die Über- weisung zum Facharzt bzw. die hausärztliche Weiterbehandlung genügen.
Der praktische Arzt ist mit diesen Problemen in seinem beruflichen Alltag vertraut. Dem Facharzt, der am Bereitschaftsdienst teilnimmt, fehlt aber bei einer noch so guten allgemeinmedizinischen Ausbil- dung gelegentlich die Erfahrung, um Krankheitsbilder außerhalb seines Spezialgebietes sofort beurteilen zu können. Eine Analyse gewünschter Schwerpunkte der ärztlichen Fortbildung sowie eine Rückfrage bei der KBV haben ergeben, daß eine gezielte Behand- lung dieses Themas von allen Seiten für zweckmäßig gehalten und begrüßt wird.
Die Medizinisch-wissenschaftliche Redaktion hat daraufhin, mit Be- ginn in diesem Heft, eine Serie geplant, in der die in Frage kom- menden Notfallsituationen aus allen Gebieten der Medizin für den Bereitschaftsdienst in möglichst einfacher, didaktisch klarer Form behandelt werden.
Die Schnelldiagnostik am häuslichen Krankenbett ohne die Hilfs- mittel der Praxis ist oft schwierig oder auch nicht möglich. In Zwei- felsfällen erscheint zwar die Krankenhauseinweisung immer als der sicherste Weg, um dem Patienten schnelle Hilfe zuteil werden zu lassen. Auf der anderen Seite werden erfahrungsgemäß an Wo- chenenden oft Fälle eingewiesen, bei denen mit der möglichen Dia- gnostik und mit einer Interimstherapie die Notfallsituation auch ohne Einweisung beherrscht werden kann.
„Salus aegroti suprema lex." Dies gilt ohne besondere Hinweise für alle Beiträge der auf den folgenden Seiten beginnenden Serie, die nur allgemeine Richtlinien vermitteln kann.
Ihre Medizinisch-wissenschaftliche Redaktion NOTFALL IM
BEREITSCHAFTSDIENST:
Perforierende Augenverletzungen
ARZNEIMITTEL- KOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT:
Berichtsbogen über unerwünschte Arzneimittel- wirkungen
PROGRAMMIERTE FORTBILDUNG:
Die Gastritis
ÜBERSICHTSAUFSÄTZE:
„Selektive Früherkennung"
durch Mammographie und Rektoskopie Glanz und Elend der Medizinsoziologie
FÜR SIE GELESEN
KONGRESS- NACHRICHTEN
BEKANNTGABE DER BUNDESÄRZTEKAMMER:
Aus der Arbeit des
Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer:
Lärm als Umweltproblem
NOTIZEN
1278 Heft 19 vom 6. Mai 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin NOTFALL IM, BEREITSCHAFTSDIENST
Perforierende Augenverletzungen
Perforierende Verletzungen des Bulbus sind meist Schnittverletzungen durch scharfkantige Fremd- körper, wobei diese (zum Beispiel Messer, Draht, Schere) die Verletzung entweder durch einen Stich verursacht haben, ohne daß sie im Augeninnern verblieben sind, oder aber sie sind (zum Beispiel scharfkantiger Metallsplitter nach Schlag mit dem Hammer auf einen Meißel) nach der Perforation von Hornhaut oder Sklera im Bulbusinnern verblieben, Auch Doppelperforationen kom- men vor, das heißt, der Fremdkörper, der unter Umständen eine große Rasanz besaß, durchschlug die vordere und die hintere Bulbuswand und blieb dann in der Orbita liegen. Gröbere Gewebszer- reißungen erfolgen bei Verletzungen mit stumpfen Gegenständen (zum Beispiel Pfählungsverletzun- gen). Von der eigentlichen perforierenden Verletzung durch Eindringen eines Fremdkörpers in den Augapfel ist die Bulbusruptur nach stumpfem Trauma abzugrenzen. Sie kann sich auch bei noch rechtzeitigem Schluß der Lider ereignen (zum Beispiel bei Feuerwerksraketen). Die elastische Bin- dehaut bleibt dabei unter Umständen über der Skleraruptur intakt (gedeckte Ruptur). Perforieren- de Augenverletzungen jeder Art bedrohen akut das Sehvermögen, sie können auf dem Weg ei- ner Infektion, eines Sekundärglaukoms oder einer Netzhautablösung zur Erblindung führen. Über die sympathische Ophthalmie ist in seltenen Fällen darüber hinaus auch eine Miterkrankung und Erblindung des zweiten Auges möglich.
Frische perforierende Hornhautverletzung mit Irispro- laps nach Windschutzscheibenverletzung
Perforierende Hornhautverletzung durch einen Nagel.
(Der Fremdkörper steckt noch in der Hornhaut und hat die Iris durchstoßen)
Symptomatik
Der Grad einer durch eine perforierende Augenverlet- zung verursachten Sehstö- rung hängt von der Art der perforierenden Verletzung, der Größe des Fremdkör- pers, der Schwere der Verlet- zung und der Eindringtiefe ab. Die Skala reicht vom Er- halt der vollen Sehschärfe bis zur völligen Erblindung.
Diagnose
Die Diagnose ist bei entspre- chender Anamnese einfach, wenn sich die Lider zumin- dest passiv öffnen lassen und die Hornhaut beziehungswei- se Sklera zerschnitten oder Gewebe aus dem Augen- innern ausgetreten ist. Auch eine Entrundung der Pupille ist immer als verdächtig an- zusehen.
Therapie
Die Erste Hilfe sollte sich auf die Entfernung einfach zu- gänglicher Fremdkörper und das Anlegen eines sterilen Augenverbandes ohne Kom- pression auf den Bulbus be- schränken. Analgetika nach Bedarf.
Bei verschmutzten Wunden nur Wundreinigung der Lider
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 6. Mai 1976 1279
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
NOTFALL IM BEREITSCHAFTSDIENST
Symptomatik
Oft sind die Lider gleichzeitig mitverletzt und stark ge- schwollen.
..,.. Kleine rasante Metallsplit- ter brauchen vom Patienten nicht bemerkt zu werden.
..,.. Nach der Perforation kann das Auge äußerlich reizfrei erscheinen.
..,.. Die Splittereintrittsstelle ist oft nur an der Spaltlampe zu erkennen.
..,.. Fehlender Schmerz ist kein sicherer Nachweis für das Fehlen einer perforieren- den Verletzung.
Diagnose
Bei Verletzungen der Binde- haut ist die Diagnose einer perforierenden Bulbusverlet- zung oft nur durch operative Revision möglich. Das Ein- dringen eines kleinen, scharf- kantigen Metallsplitters ist in vielen Fällen äußerlich nicht oder nur schwer zu erken- nen. Hier kann erst die in der Klinik erfolgende Röntgenun- tersuchung in zwei Ebenen mit auf die Hornhaut aufge- setzter Comberg-Schale Klar- heit bringen.
Bei stumpfen Augentraumen mit intakter Bindehaut kann eine Skleraruptur vorliegen.
Hier gibt die Palpation des Augendruckes einen ersten Aufschluß, sie sollte aber si- cherheitshalber nur vom Au- genarzt ausgeführt werden. Wichtig ist, daß bei Unfällen, wobei andere schwere Ver- letzungen im Vordergrund stehen, auch an die Möglich- keit einer Augenverletzung gedacht wird. Dies insbeson- dere bei nicht ansprechbaren Patienten, die nach der Ein- lieferung auf einer Intensiv- station ihre Sehstörungen nicht äußern können.
1280 Heft 19 vom 6. Mai 1976 DEUTSCHES ARZTEBLA'IT
Therapie
oder der Umgebung von au- ßen, ohne Druck auf den Bul- bus.
Auch der nicht verletzte Aug- apfel muß verbunden wer- den!
Keine Medikamente ins Auge einträufeln oder einstreichen!
Breitband-Antibiotika i. m. als lnfektionsprophylaxe.
Einweisung auf kürzestem Wege mit normalem Trans- port oder mit Unfallwagen in eine Augenklinik oder -abtei- lung. Auch bei jedem Ver- dacht auf perforierende Ver- letzung ist das unbedingt er- forderlich. Perforierende Au- genverletzungen werden dort als Notfälle jederzeit ohne Voranmeldung versorgt.
Art und Dosierung des Anti- biotikums soll auf dem Ein- weisungsschein
werden.
vermerkt
Dr. Wolfgang Weder Universitäts-Augenklinik (Direktor:
Professor Dr. med. Dr. h. c.
Wolfgang Straub Robert-Koch-Straße 4 3550 Marburg