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Archiv "Einstieg in die „Ellenbogen- Gesellschaft“" (17.12.1982)

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Bericht und Meinung DER KOMMENTAR

O

b die Pläne der neuen Koali- tion, den Mißbrauch des so- zialen Netzes einzudämmen und die Sozialleistungen der Kassenla- ge anzupassen, eine „Ellenbo- gen-Mentalität" verraten, darüber streiten sich die Geister. Was be- deutet dieser neuerdings oft erho- bene Vorwurf eigentlich?

Einzelne oder Gruppen von Men- schen haben bereits seit der zwei- ten Menschheitsgeneration ver- sucht, ihren Bruder mit dem Ellen- bogen, einer Harke oder sonsti- gem Werkzeug aus dem Wege zum eigenen Glück wegzuräumen.

„Einstieg in die Ellenbogengesell- schaft" meint jedoch mehr, näm- lich ein öffentlich sanktioniertes Unsozialverhalten gegenüber dem Mitmenschen.

Der Einstieg der Bundesrepublik Deutschland in eine Gesellschaft, die an Rücksichtslosigkeit weit über die Beschränkung von So- zialausgaben hinausgeht, ist längst erfolgt und läßt sich exakt datieren auf den 18. Juli 1974. An diesem Tage wurde das fünfte Strafrechtsänderungsgesetz ver- kündet. Ein sogenannter Schwan- gerschaftsabbruch, das heißt im Klartext: die Tötung eines ungebo- renen Kindes, innerhalb zwölf Wo- chen seit der Empfängnis sollte straffrei sein.

Nach dem „Willen des Gesetzge- bers", den er sich wohlweislich nicht im Gesetzeswortlaut auszu- drücken getraute, sollte diese

„Straftat gegen das Leben" (so die Überschrift des Abschnittes des Strafgesetzbuches, in dem der Schwangerschaftsabbruch gere- gelt ist) überdies gerechtfertigt sein, also im Einklang mit unserer Rechtsordnung stehen.

Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete — aufgrund einer Kla- ge der CDU — diese „Reform" als verfassungswidrig, da sie der aus der Menschenwürde folgenden völligen Gleichwertigkeit gebore- nen und ungeborenen Lebens wi- derspreche.

Der Fristenlösung folgte die soge- nannte Indikationenlösung, die ebenfalls für das betroffene Kind

„Endlösung" bedeutet. Praktiziert wird in weitem Umfang jedoch seitdem die die Fristenlösung an Unmenschlichkeit noch übertref- fende „Abtreibung auf Wunsch".

Diese war infolge einer unpräzisen Definition der sachlichen Indika- tionsvoraussetzungen (was ist z. B. in unserer pluralistischen Ge- sellschaft „zumutbar"?) und we- gen des Fehlens einer noch vom Bundesverfassungsgericht gefor- derten staatlichen Kontrolle der Indikationsvoraussetzungen vor- programmiert. Dennoch hat bisher

Einstieg in die

„Ellenbogen- Gesellschaft"

kein berufenes Organ den Mut zu einer erneuten Normenkontroll- klage gegen das neue Gesetz ge- funden, das nach Ansicht vieler Fachleute in mehrfacher Hinsicht ebenfalls verfassungswidrig ist.

Das Gesetz legalisiert den Rückfall in die Barbarei, nämlich die Aus- beutung des Schwächeren durch den Stärkeren bis zu seiner physi- schen Vernichtung. Es dient somit nicht dem stärkeren Recht, son- dern dem Recht des Stärkeren, dem es die Entscheidungsfreiheit über Leben und Tod eines Un- schuldigen sowie überdies noch medizinische und finanzielle Hil- fen gewährt.

Über 70 Prozent der amtlich regi- strierten Abtreibungen werden in der Statistik als „soziale Notfälle"

ausgegeben. Eine beschämendere Bilanz „sozial-liberaler Reformpo-

litik" ist kaum denkbar! Zutreffend charakterisierte Adolf Arndt, der verstorbene SPD-„Kronjurist", die Freigabe des Aborts aus sozialen Gründen als eine „Kapitulation des Sozialstaates".

Demgegenüber ist der Vorwurf, andere mit dem Ellenbogen bei- seite zu schubsen, vergleichswei- se harmlos. Soweit im Gesetzge- bungsverfahren das Interesse des betroffenen Kindes überhaupt be- dacht wurde, erfolgte dies unter der Formel: Vermeidung von Ab- treibungen durch Freigabe zur Ab- treibung, wahrhaft eine Perversion des Denkens.

Der zu erwartende Ausbruch eines Entrüstungssturmes in der Bevöl- kerung, wie etwa bei den energi- schen Erhebungen gegen Kern- energie und dem friedlichen Kampf für den Frieden, blieb bis- her aus. Allmählich wird dem Bür- ger im Lande allerdings bewußt, daß er mit 220 Millionen DM und 10 DM pro Kopf jährlich an der Sozialisierung der voraussehba- ren Folgen privaten Intimglücks über die Sozialversicherung betei- ligt ist. Wenn auch die „Abtrei- bungsseuche" (so das Bundesver- fassungsgericht) uns selbst nicht unmittelbar berührt, so könnte doch die Belastung unseres Geld- beutels in Verbindung mit dem durch die Beitragspflicht bewirk- ten Gewissensdruck und Miß- brauch der Solidarität der Versi- cherten zur Lösung eines der wirk- lich bedrückendsten Gegenwarts- probleme führen.

Der neue Bundesminister für Fa- milie und Jugend, Dr. Heiner Geiß- ler (CDU), hat bereits im Herbst 1981 den konkreten Sparvor- schlag gemacht, die Zwangsfinan- zierung der Abtreibung zu strei- chen. Dies könnte der Anfang ei- ner echten Gesetzesreform sein, die zudem dem Bundesverfas- sungsgericht die Entscheidung in dem bereits anhängigen Rechts- streit über die Zwangsfinanzie- rung ersparen würde.

Dr. jur. Werner Esser, Notar, Köln

20 Heft 50 vom 17. Dezember 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B

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