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Archiv "SERIE: MALIGNE TUMOREN UND SYSTEMERKRANKUNGEN - Empfehlungen zur standardisierten Tumortherapie: Wilms-Tumor (Nephroblastom)" (06.11.1985)

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1 Vorbemerkungen

Wilmstumoren sind hochmaligne Mischtumoren der Niere, die sich überwiegend im Vorschulalter kli- nisch manifestieren, bisweilen aber auch bei Erwachsenen vor- kommen können. Jeweils eines von 9000 Kindern erkrankt an ei- nem Wilmstumor, was ungefähr der Häufigkeit anderer embryona- ler Tumoren wie Rhabdomyosar- komen, Neuroblastomen und Me- dulloblastomen des Kleinhirns entspricht. Absolut bedeutet dies eine Zahl von etwa 100 Neuer- krankungen pro Jahr in der Bun- desrepublik; der überwiegende Teil wird im Rahmen einer bun- desweiten kooperativen Therapie- studie betreut.

Wilmstumoren kommen gehäuft bei Kindern mit sporadischer An- iridie und bei Hemihypertrophie vor, was die Bedeutung engma- schiger Vorsorgeuntersuchungen bei solcherart stigmatisierten Kin- dern unterstreicht.

Die chromosomale 11-p-Deletion bei Kindern mit Aniridie und Wilmstumoren weist auf eine ge-

netische Ätiologie hin, jedoch wurden auch exogene Einflüsse mit Wilmstumoren der Kinder as-

soziiert (berufliche Belastung ei- nes Elternteiles durch Hydrokar- bone).

In 5 bis 10 Prozent der Fälle treten Wilmstumoren bilateral auf — Kin- der mit bilateralen Wilmstumoren sind im Durchschnitt jünger (15 Monate) als solche mit unilatera- lem Wilmstumor (Durchschnitt 3 Jahre). Das bilaterale Auftreten kann synchron oder metachron sein, daher ist eine sorgfältige Un- tersuchung der kontralateralen Niere bei der Primärdiagnostik er- forderlich, ebenso aber auch eine intensive Nachsorge zur Früher- kennung eines möglichen meta- chronen kontralateralen Wilmstu- mors.

Die erfreulich günstige Prognose dieses bei Knaben und Mädchen gleich oft vorkommenden embryo- nalen Tumors basiert wesentlich auf der intensiven interdisziplinä- ren Kooperation der an Diagnostik und Therapie Beteiligten im gan- zen Lande.

In der Therapie haben Operation, Radiotherapie und zytostatische Behandlung inzwischen ihre fe- sten Plätze: die Operation als radi- kale Tumornephrektomie, und zwar primär (rund 75 Prozent der

Der Erfolg der Wilmstumorbe- handlung im Kindesalter beruht auf einer engen interdisziplinären Kooperation und auf überregiona- len Therapiestudien. So wurden bei einem seltenen hochmalignen Tumor modellhafte Strategien entwickelt, die mit Operation, Ra- diotherapie und Kombinations- chemotherapie zur Heilung in 80 Prozent der Fälle führen können.

Die subtile Orientierung an den detaillierten Therapie- und Nach- sorgevorschriften vorliegender Protokolle ist Voraussetzung.

Fälle) oder nach präoperativer Chemotherapie (plus gegebenen- falls Radiotherapie) (rund 25 Pro- zent der Fälle). Radio- und Che- motherapie werden in ihrer Ag- gressivität (Höhe der Herddosis beziehungsweise Zahl und Länge der Anwendungsdauer von Zyto- statika) je nach Alter, Stadium der Erkrankung und histologischem Subtyp risikoadaptiert eingesetzt.

Die engmaschigen Nachsorgeun- tersuchungen dienen

• der Früherkennung eines mög- lichen metachronen kontralatera- len Wilmstumors;

• der Früherkennung und -be- handlung eventueller Spätfolgen nach Therapie und von tumor- und therapie-unabhängigen Zweiter- krankungen (zum Beispiel Infektio- nen in der verbliebenen Einzel- niere);

• der Früherkennung und -be- handlung eventueller Metastasen.

2 Diagnostik 2.1 Symptome

Wilmstumoren sind überwiegend symptomarm. In 50 Prozent der Erkrankungen fällt eine tumorbe-

Empfehlungen zur standardisierten Tumortherapie:

Wilms-Tumor

(Nephroblastom)

Peter Gutjahr und Roland Daum

Aus der Kinderklinik und Kinderpoliklinik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Abteilung für Kinderchirurgie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

3358 (68) Heft 45 vom 6. November 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Tabelle 1: Klinische und postoperative/pathohistologische Stadien- einteilung (nach der Nationalen Wilmstumorstudie der USA (NWTS) und der UICC-TNM-Klassifikation sowie histologisches Grading nach Beckwith/Palmer und Schmidt/Harms für die Wilmstumoren)

NWTS- Tumorausdehnung Staging

Tumor auf eine Niere beschränkt und vollständig entfernt (Oberfläche der Kapsel intakt, keine Ruptur bei Entfernung, keine Tumor-Residuen nach Entfernung)

II Tumorausdehnung über die Niere hinaus, aber vollständige Entfernung möglich (zum Beispiel: Ausdehnung durch Pseudokapsel hindurch, Gefäße außerhalb der Niere infil- triert)

a) ohne Lymphknotenbefall paraaortal b) mit Lymphknotenbefall paraaortal

III Nichthämatogener Residualtumor im Abdomen; intraopera- tive oder frühere Tumor-Ruptur, peritoneale Tumor-Zellaus- saat; Lymphknotenketten außerhalb der paraaortalen (Ilb) infiltriert; Tumor nicht komplett entfernt wegen lokaler Aus- dehnung in vital bedeutsame Strukturen

IV Hämatogene Fernmetastasen, vor allem in Lunge, aber auch in Leber, Gehirn, Knochen

V Bilateraler Wilmstumor (synchron oder metachron) TNM-Klassifikation der UICC (postoperativ/pathohistologisch)

pT: Primärtumor

pTO: kein histologischer Nachweis für einen Primärtumor pN1: vollständig abgekapselter intrarenaler Tumor. Komplette

Resektion mit histologisch freien Resektaträndern

pT2: der Tumor überschreitet die Kapsel oder das Nierenparen- chym, kann aber vollständig reseziert werden

pT3: der Tumor überschreitet die Kapsel oder das Nierenparen- chym; die Resektion ist inkomplett oder es kommt zu einer Tumor-Ruptur (zusätzlich ist hier zwischen pT3a, pT3b und pT3c zu unterscheiden)

pT4: Bilaterale Tumoren

pTx: inadäquate Information über pT.

pN: regionale Lymphknoten

pNO: kein Tumornachweis in den nach Protokollvorschrift ent- nommenen und histologisch untersuchten Lymphknoten dingte Abdominalschwellung zu-

fällig auf (den Angehörigen oder dem untersuchenden Arzt), in je 20 Prozent der Fälle werden Ob- stipation oder Hämaturie angege- ben. Bei 10 Prozent wird der Tu- mor anläßlich eines Harnwegin- fektes diagnostiziert.

Erkannt werden hierzulande 10 Prozent der Wilmstumoren anläß- lich einer Vorsorgeuntersuchung (meist U4 bis U7)!

2.2 Basisdiagnostik

• Anamnese

• Palpation (extrem vorsichtig wegen Rupturgefahr!)

• Blutdruck (in 10 Prozent erhöh- te systolische Werte; unspezifi- sche Zeichen)

• Sonogramm (mit gleichzeitiger Beurteilung von Leber, Milz, Pan- kreas und paraaortalen Lymph- knoten; Beschreibung der Echo- genität des Tumors, genaue Ab- grenzung gegen Nachbarorgane;

Größenvermessung).

Wenn das Sonogramm einen ein- deutig intrarenal gelegenen Tu- mor zeigt: sofortige stationäre Einweisung und weiterführende Diagnostik. Andernfalls können folgende Untersuchungen noch prästationär veranlaßt werden:

• Katecholaminbestimmung im Urin (zur Differentialdiagnose Neu roblastom);

• alpha-1-Fetoprotein im Serum (zur Differentialdiagnose des rechtsseitigen Oberbauchtumors Hepatoblastom und eventueller retroperitonealer Teratome [sehr selten]);

• Blutbild einschließlich Throm- bozyten, BSG, GLDH, Kreatinin im Serum;

• Urinstatus (Hämaturie? Der Nachweis von Leukozyten ist dif- ferential-diagnostisch kein Aus- schlußkriterium. Die zytologische

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 45 vom 6. November 1985 (69) 3359

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Fortsetzung Tabelle 1

pT1: Nachweis einer Invasion der regionalen Lymphknoten (zu unterscheiden ist zwischen pN1a und pN1b (vollständige oder unvollständige Entfernung der befallenen Lymphkno- ten)

pNx: Ausmaß der Lymphknoteninvasion nicht festgestellt (zum Beispiel keine adäquate Lymphknotenentnahme durchge- führt oder inadäquate Information über den histologischen Befund)

pM: Fernmetastasen

pMO: kein Nachweis von Fernmetastasen pM1: Nachweis von Fernmetastasen pMx: inadäquate Information

Die Art eventueller Fernmetastasen (einzelne oder multiple) und de- ren Ort (Lunge, Leber, ZNS, Knochen) ist im Klartext anzugeben.

Histologisches Grading nach Beckwith/Palmer

Mischtyp (klassischer triphasischer Wilmstumor):

a) ohne Anaplasie; b) mit fokaler Anaplasie; c) mit diffuser Anaplasie Überwiegend epithelialer Typ (mehr als 65% epithelial):

a) ohne Anaplasie; b) mit fokaler Anaplasie; c) mit diffuser Anaplasie Überwiegend blastemischer Typ (mehr als 65% Blastem):

a) ohne Anaplasie; b) mit fokaler Anaplasie; c) mit diffuser Anaplasie Überwiegend stroma-haltiger Typ (mehr als 65% Stroma):

a) nichtsarkomatös; b) sarkomatös UnklassifizierbareWilmstumoren

Histologisches Grading nach Schmidt/Harms

Mal ig n itätsg rad Nephroblastomtyp

konnatales mesoblastisches Nephrom fetales rhabdomyomatöses Nephroblastom zystisches, partiell differenziertes Nephrom Nephroblastom mit „Standardrisiko" (übliches triphasisches Nephroblastom)

Nephroblastom mit fokaler oder diffuser Anapla- sie; stromareiches sarkomatöses Nephroblastom (klarzelliges Nephroblastom; Rhabdoidtumor);

rhabdomyosarkomatöses Nephroblastom niedrig

mittel

hoch

Untersuchung auf Wilmstumorzel- len im Urin ist in der Regel wenig ergiebig.).

• Rö-Thorax in zwei Ebenen.

2.3 Weiterführende Diagnostik (in der Klinik)

• Labor: Gesamteiweiß, Elektro- phorese, Elektrolyte im Serum, Kreatinin im Serum, Harnsäure im Serum, Bilirubin im Serum, gam- ma-GT, SGPT, CK, CK-MB, Hepati- tis-Serologie, CMV-Serologie, Ge- rinnungsanalysen, Urinstatus, mi- krobiologische Urinuntersu- chung;

• Bei Fieber: Blutkulturen (Aero- bier, Anaerobier, Pilze);

• EKG und Echokardiogramm (vor Adriamycintherapie bezie- hungsweise pulmonaler Ra- diotherapie);

• i. v. Urogramm (einschließlich eventueller Spätaufnahmen).

Fakultative, ergänzende Untersu- chungen:

• CT — Thorax (bei unklarem Be- fund in der Röntgen-Thorax-Über- sicht und bei geplanter pulmona- ler Metastasenresektion);

• CT — Abdomen (bei unklarem Sonographiebefund hinsichtlich Organzuordnung des Tumors; bei unklarem Befund hinsichtlich der paraaortalen Lymphknoten; bei geplanter präoperativer Thera- pie);

• EEG (bei gesicherter rhabdo- ider Variante);

• Skelettszintigraphie (bei gesi- chertem Klarzelltyp);

• Kavographie (bei unsicherer Beurteilung der V. cava inferior im Sonogramm);

• Renovasographie (nur noch selten, zum Beispiel bei geplanter Leberteilresektion infolge Tumor- infiltration);

• Chromosomenanalyse (obligat beim Wilmstumor-Aniridie-Kom- plex).

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Tabelle 2: Abdominale Raumforderungen in der Differentialdiagnose des Wilmstumors (Auswahl der häufigsten Fehldiagnosen)

Maligne Raumforderungen Benigne Raumforderungen Neuroblastom

Rhabdomyosarkom Hepatoblastom Malignes Teratom

Akute lymphoblastische Leukämie Maligne Non-Hodgkin-Lymphome Hypernephrom

Polyzystische Nieren Hydronephrose Dysplastische Nieren Nierenkarbunkel

Retroperitoneale Fibromatose Nebennierenblutung

Nierenvenenthrombose Phäochromozytom

Kongenitales mesoblastisches Nephrom und andere benigne Wilms- tumor-Verwandte im Säuglingsalter

3 Gewebeentnahme

Die Biopsie ist obsolet, auch eine Tumor-Teilresektion sollte immer vermieden werden; die Prognose ist schlechter als nach einer prä- operativen Radio- und Che- motherapie und nachfolgender Operation.

Gewebeentnahme bei Wilmstu- moren soll immer bedeuten, eine radikale en-bloc-Tumor-Resek- tion anzustreben. Ist dies nicht möglich, sollte eine Vorbehand- lung durchgeführt werden. Dabei wird ein geringer Unsicherheits- faktor in Kauf genommen (fehlen- de histologische Diagnose). In der Verdachtsdiagnose „Wilmstu- mor" sollten in diesen Fällen So- nogramm, i. v. Urogramm und CT- Abdomen übereinstimmen. Eine Vorbehandlung bei Kindern unter zwei Jahren sollte nicht erfolgen, und zwar wegen der in dieser Al- tersgruppe vorkommenden und mit den genannten Methoden nicht vom Wilmstumor sicher zu unterscheidenden kongenitalen mesoblastischen Nephrome.

Stellt sich erst intraoperativ die In- operabilität heraus, ist der Eingriff zu beenden, eine Chemo- oder Radio- und Chemotherapie durch- zuführen und die Operation nach Tumor-Regression als „second-

look"-Eingriff zu planen.

4 Klassifizierung und Grading Die Klassifizierung erfolgt zu- nächst klinisch und später zusätz- lich aufgrund der durch Operation und histopathologische Untersu- chung gewonnenen Information.

Die klinische Klassifikation wird derzeit durchgeführt nach

• der Stadieneinteilung der NWTS (Nationale Wilmstumor- Studie der USA),

fe*

• dem TNM-System (präthera- peutisch),

• dem pTNM-System (postopera- tive pathohistologische Klassifika- tion).

Die histologische Klassifikation (grading) erfolgt nach

• Beckwith und Palmer sowie nach

• Schmidt und Harms.

Klinische und postoperative pathohistologische Klassifikation sowie das Grading sind nach allen genannten Systemen durchzufüh- ren (Tabelle 1).

5 Differentialdiagnose

Eine Auswahl aus der Reihe diffe- rentialdiagnostisch beim Wilmstu- mor in Betracht kommender beni- gner und maligner Raumforderun- gen ist in Tabelle 2 wiedergege- ben.

6 Therapie

6.1 Primäre Operation: bei klini- schen Stadien I und II, eventuell III

der NWTS-Klassifikation; bei allen Kindern unter zwei Jahren mit kli- nischen Stadien 1-111;

6.2 Primäre Vorbehandlung: bei primärer Inoperabilität (zum Bei- spiel wegen sicherer Lungenme- tastasen) oder aufgrund besonde- rer Tumorgröße mit Infiltration in Nachbarorgane an verschiedenen Orten bei Kindern über zwei Jah- ren.

6.3 Stadium 1: Operation plus Chemotherapie (kurzfristig) mit Actinomycin D (Lyovac-Cosme- gen®) plus Vincristin.

6.4 Stadium II: Operation (plus gegebenenfalls Radiotherapie) plus Chemotherapie mit Actino- mycin D plus Vincristin.

6.5 Stadium III: Operation oder präoperative Chemotherapie (plus eventuell Radiotherapie), postoperativ Radiotherapie (Dosis altersabhängig) und Chemothera- pie mit Actinomycin D, Vincristin und Adriamycin (Adriblastin®).

6.6 Stadium IV: präoperative Che- motherapie (plus eventuell Ra- diotherapie), Operation, postope-

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16x 12x 2x 2x 16x 12x 16x 12x

16x 6x

6x 4x 2x 1x lx lx lx lx 6x 4x 2x lx 6x 4x 2x lx

6x Eingehende körper- 16x

liche Untersuchung

Labordiagnostik (ein- 4x schließlich Gesamtei- weiß, Gerinnung, Le- berenzyme, Kreatinin, Harnsäure i.S., Elek- trolyte i.S.)

Urinstatus

Kreatininclearance Blutdruck

Sonographie des Ab- domens (Niere, Milz, Leber, Lymphknoten) Röntgen-Thorax (2 Ebenen) Computertomogra- phie

i. v. Urogramm

EKG und Echokardio- 4x gramm (wenn Adria-

mycin angewendet wurde oder Lungen- bestrahlung erfolgte)

rative Radiotherapie, Che- motherapie mit drei Mitteln wie in Stadium III.

6.7 Stadium V (bilaterale synchro- ne Wilmstumoren): individuali- siertes Vorgehen.

6.8 Histologische Varianten: indi- vidualisiertes Vorgehen (zum Bei- spiel: kongenitales mesoblasti- sches Nephrom: nur Operation;

Rhabdoidtumor: aggressivere Ra- dio- und Chemotherapie).

6.9 Metastasen: bei primären pul- monalen Metastasen initiale Che- motherapie (15 Prozent der Kin-

*

12x 6x 4x 2x 1x

4x 2x 2x 2x 1x

4x lx lx

der), Vorgehen wie in Stadium IV unter 6.6 beschrieben. Einzelne pulmonale Metastasen können gegebenenfalls chirurgisch rese- ziert werden. Neue Metastasen unter laufender Therapie: Ände- rung der Chemotherapie. Meta- stasen pulmonal nach Ende der Therapie: individualisiertes Vor- gehen. Ossäre und zentralnervöse Metastasen: gegebenenfalls Ope- ration oder Radiotherapie, wenn vereinzelt.

Der stationäre Aufenthalt dauert im günstigsten Fall 14 Tage (Stadi- um 1, Operation, keine Ra- diotherapie, Einleitung der Che-

, .exi•

Tabelle 3: Standard-Diagnostik in der Nachsorge von Wilmstumorpa- tienten; zusätzliche Untersuchungen je nach klinischer Indikation Untersuchung 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr 6. Jahr

usw.

motherapie), kann sich aber bei erforderlicher präoperativer Be- handlung, Operation, postoperati- ver Großfeldbestrahlung und in- tensivierter Chemotherapie auf 12 bis 16 Wochen ausdehnen.

7 Prognose

Bei der gegenwärtigen günstigen Organisationsform der pädiatri- schen Onkologie in unserem Lan- de können 80 Prozent aller Kinder mit Wilmstumoren dauerhaft ge- heilt werden! In den Stadien 1 und Ila sind es 90 Prozent, in den Sta- dien Ilb und III 70 Prozent, im Sta- dium IV rund 50 Prozent, 50 Pro- zent auch bei bilateralen Wilmstu- moren (Stadium V). Die Stadien I und Ila stellen 60 Prozent der Fälle dar.

Ein wesentlicher Aspekt der mo- dernen Wilmstumorbehandlung

ist die Minimierung der Spätmor- bidität gegenüber früheren Be- handlungskonzepten, die zum Teil erhebliche Weichteildefekte und Skoliosen nach sich zogen.

Auch Strahlennephritiden und Schrumpfblasen sollten nach der gegenwärtigen Therapie nicht mehr vorkommen dürfen.

Das Risiko der Adriamycin-be- dingten Kardiomyopathie bei Kin- dern ist weitgehend kalkulierbar geworden. Die Richtdosen für die pulmonale Bestrahlung bei Lun- genmetastasen erlauben in der Regel ein Leben ohne klinisch si- gnifikante Beeinträchtigung der Lungenfunktion. Ein Risiko für Zweitmalignome besteht in der Größenordnung von zwei Prozent.

Familiäres Wilmstumorvorkom- men ist so selten, daß Fragen in dieser Richtung verneint werden können, vielleicht mit Ausnahme bei bilateraler Erkrankung. Bilate- ral-metachrone Wilmstumoren sind bis zu dreizehn Jahre nach

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dem ersten Wilmstumor beschrie- ben worden. Eine genetische Be- ratung empfiehlt sich in jedem Fall.

8 Grundsätze

ambulanter Therapie

Die Mitbetreuung von Kindern nach Wilmstumoren im ambulan- ten Bereich setzt Kenntnisse über die angewendeten Zytostatika, die Radiotherapie und die Betreuung von Kindern mit nur einer Niere voraus.

Während der zytostatischen Be- handlung ist das Immunsystem kompromittiert. Infektionen mit oft ungewöhnlichen Erregern (gramnegative Bakterien, Pilze wie Candida albicans, Cryptococ- cus neoformans, Viren wie dem Zytomegalie- und dem Varizella- Zoster-Virus) sind zu bedenken.

Antibiotika dürfen nur gezielt ein- gesetzt werden, meist gleichzeitig mit oralen Antimykotika.

Hyperimmunglobuline stehen bei Exposition gegenüber dem Hepa- titis-B-Virus, Zytomegalie und dem Varizella-Zoster-Virus zur Verfügung. Die Transfusion von zytomegaliefreiem Blut ist wün- schenswert, eine aktive Immuni- sierung gegen Hepatitis B kann erwogen werden, jedoch nur sehr früh in der Behandlungszeit.

Zur Beratung bei Komplikationen und unklaren Situationen stehen heute regionale pädiatrisch-onko- logische Zentren jederzeit bereit.

Aktive Immunisierungen sind während der zytostatischen Lang- zeitbehandlung kontraindiziert (Ausnahme: Hepatitis B in der frü- hen Behandlungsphase; Tetanus- und Diphtherie-Vakzinen können unbedenklich Anwendung fin- den). Etwa sechs Monate nach En- de der Langzeit-Chemotherapie

können alle Impfungen wieder un- bedenklich durchgeführt werden (Masern, Mumps, Röteln, Tuber- kulose und Polio).

Die Kinder können meist bereits drei bis sechs Wochen nach Ent- lassung aus stationärer Behand- lung Schule oder Kindergarten wieder besuchen. Eine besondere Umsicht in der Vermeidung von infektiösen Komplikationen muß dabei gewährleistet sein. Die Er- nährung ist nicht eingeschränkt, eine besondere Diät ist nicht er- forderlich. Die Nahrung sollte grundsätzlich vitamin- und eiweiß- reich sein.

Die Erziehung sollte ebenfalls normal sein, das heißt besondere Rücksichten oder Vergünstigun- gen während der akuten Krank- heitsphase sollten nach dem Durchgemachten möglichst bald wieder abgebaut werden, um spätere Verhaltensstörungen zu vermeiden. Das ist auch mit Rück- sicht auf die Geschwister notwen- dig.

Sportliche Aktivitäten sollten durchaus gefördert werden; im Hinblick auf die Verletzungsge- fahr der Einzelniere sind harte Zweikampfsportarten aber zu ver- meiden.

9 Nachsorge

Ein Standard-Diagnoseprogramm für die Nachsorge zeigt Tabelle 3.

In der Nachsorge sollte bei un- kompliziertem Verlauf besonders geachtet werden auf:

• Metastasen, vor allem pulmo- nal;

• die Möglichkeit bilateraler Wilmstumoren;

• Skoliosen nach Radiotherapie;

• Deformität des knöchernen Beckens (vor allem bei Mädchen);

• kardiale Funktionen (nach

Adriamycin-Behandlung und nach Mediastinal-Pulmonal-Bestrah- lung);

• die Funktion der verbliebenen Einzelniere;

• gonadale/reproduktive Funk- tionen;

• Veränderungen an Blase und Magen-Darm-Trakt nach Großfeld- Radiotherapie;

• Zweitmalignome (in rund 2 Prozent der Fälle möglich, Leuk- ämien, Blasentumoren, Kolon-Tu- moren, Osteosarkome);

• Genetische Beratung, die bei allen Überlebenden pädiatrischer maligner Neoplasien zu empfeh- len ist.

Literatur

(1) Beckwith, J. B.; Palmer, N. F.: Histopathol- ogy and prognosis of Wilms' tumor. Results from the First National Wilms' Tumor Study.

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Anschrift für die Verfasser:

Professor Dr. med.

Peter Gutjahr

Universitätskinderklinik Postfach 39 60

6500 Mainz

3364 (74) Heft 45 vom 6. November 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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