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Archiv "Fehlschüsse mit Giftpfeilen: Gegenkommentar" (10.03.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Fehlschüsse mit Giftpfeilen

Zu einem Kommentar in Heft 6/1988

Wie kann man nur so mißverstanden werden — wollen? Die nachstehend unge- kürzt wiedergegebene kritische Zuschrift verkennt, daß der Kommentar "Fehl- schüsse mit Giftpfeilen" in Heft 6/1988 ausschließlich auf die „Bewältigung" ei- nes „Spiegel"-Artikels und nicht unserer Nazi-Vergangenheit zielte, genau wie sie verkennt, daß mit dem seinerzeitigen „Schlußwort" von Dr. Karsten Vilmar in Heft 31/32-1987 lediglich die Diskussion um die Kontroverse Lancet/Deut- sches Ärzteblatt beendet wurde und keineswegs eine sachliche und fachliche Aussprache über ärztliches Verhalten im National-Sozialismus. In der Beurtei- lung des „Spiegel"-Artikels mit seinen Falschaussagen über das Deutsche Ärzteblatt und mit ihm verbundene Personen und Institutionen sind wir indes, so scheint's, einig. Die Redaktion wird die ärztliche Auseinandersetzung mit dem National-Sozialismus mit fundierten Beiträgen fortführen. roe/DÄ

Gegenkommentar

Man mußte sich ob des „roe/DÄ"

gezeichneten Kommentars „Fehlschüs- se mit Giftpfeilen" (Dt. Ärztebl., 11. 2.

1988) als kritischer Leser schon verwun- dert die Augen reiben. Wer geglaubt hatte, die durch den Lancet-Artikel von H. M. Hanauske-Abel und durch das In- terview mit Dr. Karsten Vilmar (Dt.

Ärztebl. 30. 4. 1987) entfachte Debatte über ärztliches Verhalten im Nationalso- zialismus werde — nach ihrem zu frühen Abbruch (Dt. Ärztebl. , 1. 8. 1987) — nun doch fundiert fortgeführt, sah sich ge- täuscht. Statt eine solche Fortführung dringend zu fordern, wozu Anlaß gege- ben war, hielt es der Verfasser für nötig, die Kommentierung eines durchaus schlecht recherchierten und historisch wenig hintergründigen Spiegel-Beitrags („Ärzte unter Hitler: ‚Mission verra- ten') durch unqualifizierte Bemerkun- gen einzuleiten, die in ihrer Gleichgül- tigkeit und Suggestivität erschrecken lie- ßen. Argwohn mußte schon der erste Satz des Kommentars wecken: „Wer"

wolle (!), so glaubte der Verfasser sei- nen Lesern anheim stellen zu dürfen, möge (!) „sich heute ehrlich oder eher scheinheilig darüber aufregen, daß 1933 sechzehn-, siebzehnjährige Schüler in die Marine-SA oder in die Reiter-SS eingetreten" seien, daß „halbwüchsige Angehörige der Zwangsorganisation"

HJ in die NSDAP „überführt" oder

„gar" zu „Sanitäts-Standartenführern"

gemacht worden seien. Welch hohes Maß an Gleichgültigkeit im Umgang mit der Vergangenheit spricht aus einer sol- chen Aussage. Ja, gibt es denn für De- mokraten, so möchte man den Verfasser fragen, tatsächlich Alternativen zu ehr- licher Erregung über diese Vorgänge?

Kann man gelassen bleiben, wenn ein terroristischer Staat „Schüler" verführ- te, seinen brutalsten Kampforganisatio- nen beizutreten? Soll man sich als De- mokrat etwa nicht darüber „aufregen" , wenn Jugendliche aus faschistischen Zwangs-Jugendorganisationen in faschi- stische sog. „Parteien" überführt wur- den? „Wer will, mag . . .?" Noch hof- fend, daß es sich hier lediglich um einen gedanklichen Ausrutscher gehandelt ha- be, sah sich der Leser spätestens beim zweiten Satz des „Kommentars" in die- ser Hoffnung getäuscht, denn auch er hatte es in sich: „Die Jugendlichen von damals" würden „als Sündenböcke ger- ne von denen bemäkelt, die sich selbst- gerecht und selbstrechtfertigend heute von jener Zeit distanzier(t)en".

Wieder Erstaunen beim Leser! Sollte er sich in der Wahrnehmung der bisheri- gen Debatte über „Ärzte im Nationalso- zialismus" wirklich so gründlich ge- täuscht haben? Waren tatsächlich die durch den Nazi-Terror verführten und geistig vergewaltigten „Pimpfe" und

„Hitlerjungen" von „selbstgerechten"

und sich „selbstrechtfertigenden" — vor wem übrigens und für was? — bösen, ver- mutlich linken Historikern als „Sünden- böcke. . . bemäkelt" worden? Nein, Herr Roemer! Es ging und geht bei der begonnenen und bei der noch zu leisten- den Verarbeitung auch der ärztlichen deutschen Vergangenheit zwischen 1933 und 1945 keineswegs um „Pimpfe" und

„Hitlerjungen", um Sport und Spiel, wenn man es denn überhaupt mit Ihnen wagen will, das Tun in der Marine-SA oder der Reiter-SS so zu verniedlichen.

Es ging und wird in der Zukunft aber sehr wohl um die — wohl möglich noch jungen aber doch — erwachsenen und sehr wohl urteils- und entscheidungsfä-

higen Ärzte gehen, die sich und ihre Me- dizin über das Maß ihrer ärztlichen Pflicht hinausgehend dem nationalsozia- listischen Staat und seinen Organisatio- nen bereitwillig zur Verfügung gestellt haben; es ging, und es wird gehen um die historischen Voraussetzungen und totalitären Strukturen, die solche Ent- scheidungen und die ihnen zugrunde lie- gende Korrumpierung tradierter beruf- licher Wertvorstellungen, ärztlicher Ethik schlechthin, bewirken konnten.

Kann denn hier von „Selbstgerechtig- keit" , von „Selbstrechtfertigung", von

„Distanzierung" gar die Rede sein? Ist es nicht vielmehr die tiefe, ehrliche Be- troffenheit über das, was gottlob! nicht alle aber doch leider auch nicht wenige — deutsche Ärzte im deutschen Faschis- mus begangen oder wissend haben ge- schehen lassen, die eine engagierte Be- schäftigung mit dieser Zeit der dritten und vierten Ärztegeneration nach der Befreiung vom Faschismus endlich not- wendig erscheinen läßt?

Nicht „Distanzierung", sondern die erst in der kritischen Distanz sich ent- wickelnde und faßbar werdende Not- wendigkeit einer historischen Annähe- rung und Abneigung zum Zwecke der verstehenden Verarbeitung eigener Ver- gangenheit, gerade nicht zu ihrer distan- zierenden „Entsorgung", dient die neue Beschäftigung mit deutschen Ärzten und ihrer Medizin im Nationalsozialis- mus. Daß der Kommentator die aufrich- tigen Motive dieses engagierten Tuns weder nachzuempfinden noch gar histo- risch sachgemäß einzuordnen in der La- ge ist, zeigt überdeutlich der in seinem Gehalt bestürzend unqualifizierte, in der intendierten Suggestivkraft aber ge- fährliche Vergleich zwischen Angehöri- gen der Marine-SA, der Reiter-SS, der HJ und der NSDAP mit den „jungen Leuten, die seit den siebziger Jahren — zu einer anderen Ideologie verführt — Schlimmeres als Segeln oder Reiten oder Sanitätsdienst" angeblich „unter- nehmen" und „dafür nach 50 Jahren auch nicht gehenkt werden" wollen.

Hier geht es wahrlich um „Schlimmeres als Segeln oder Reiten", Herr Roemer!

Die Sache ist viel zu ernst, als daß man sie mit saloppen Suggestiv-Vergleichen dieser Art abtun dürfte, ohne Roß und Reiter zu nennen.

PD Dr. med. Wolfgang U. Eckart, PD Dr. Johanna Geyer-Kordasch, Ph.

D., Dr. med. Dr. phil. Peter Hucklen- broich, Dr. med. Peter Kröner, Dr.

med. Sebastian Schellong, Marion We- ber, M. A., Karin Welsemann, M. A., Institut für Theorie und Geschichte der Medizin, Waldeyerstraße 27, 4400 Mün- ster.

Dt. Ärztebl. 85, Heft 10, 10. März 1988 (35) A-585

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