treuung. Kurzfristige stationäre psychiatrische Aufnahmen (oft auf der Grundlage des PsychKG) sowie die unzählbaren kurzen Aufenthalte in somatischen Krankenhäusern ha- ben dagegen den Charakter von Kriseninterventionen, die bei akuten somatischen oder psychiatrischen Notfällen indiziert sind.
Kooperation von
psychiatrischer Versorgung und Wohnungslosenhilfe
Mit diesen Untersuchungsergeb- nissen soll nicht einer „Psychiatrisie- rung“ des sozialen Problems Woh- nungslosigkeit das Wort geredet wer- den, noch sollen einfache Scheinlö- sungen wie „Zwangseinweisung“ und
„langfristige stationäre Unterbrin- gung aller Wohnungslosen“ propa- giert werden. Allerdings ist festzuhal- ten, daß auch diese Patienten ein An- recht auf eine qualifizierte und enga- giert durchgeführte Behandlung ha- ben, die in den gesetzlich definierten Krisensituationen manchmal auch ge- gen ihren Willen durchgeführt wer- den muß. In einer derzeit laufenden Untersuchung an stationär aufge- nommenen alkoholkranken Woh- nungslosen zeigt sich, daß die Betrof- fenen von der Behandlung profitieren und sie teilweise auch positiv bewer- ten (12). Angesichts des katastropha- len Spontanverlaufes bieten stationä- re Aufnahmen Chancen, die den Pati-
enten nicht mit dem Hinweis auf die Aussichtslosigkeit vorenthalten wer- den dürfen. Sie stellen besondere An- forderungen an die Krankenhäuser.
Im Mittelpunkt der Bemühungen müssen allerdings ambulante pflege- rische, ärztliche und sozialarbeiteri- sche Hilfen stehen, die direkt vor Ort angeboten werden müssen. Pflegeri- sche Maßnahmen stehen dabei an er- ster Stelle: Sie können der massiven Verwahrlosung entgegenwirken und ermöglichen oft besser als jedes Ge- spräch eine Kontaktaufnahme. In ei- ne ähnliche Richtung wirken haus- wirtschaftliche Bemühungen um die Sicherstellung der Ernährung, Wä- schewechsel und anderem. Auch die ärztlichen Hilfen müssen vor Ort an- geboten werden, da die meisten Be- troffenen keine Praxis aufsuchen wür- den. Kooperationsverträge mit nie- dergelassenen Kollegen, die in den Einrichtungen Sprechstunden abhal- ten, oder die derzeit laufenden Mo- dellprojekte einiger Ärztekammern zur Reintegration sozialer Randgrup- pen in das Gesundheitswesen bieten Möglichkeiten zur Verbesserung der medizinischen Basisversorgung.
Psychiatrische Fachkompetenz kann zum Beispiel über die sozialpsychia- trischen Dienste der Gesundheitsäm- ter in die Einrichtungen geholt wer- den. Ein weiterer, wichtiger Schritt ist die Einbeziehung der Wohnungs- loseneinrichtungen in die kommunale Versorgungsplanung. In Münster ha- ben wir sehr gute Erfahrungen mit ei-
nem Gremium aus Vertretern des Ge- sundheitsamtes, der Wohnungslo- seneinrichtungen und der psychiatri- schen Kliniken gemacht, die für ein- zelne besonders problematische Pati- enten Absprachen bezüglich der Be- handlung und des Managements tref- fen.
Der massiven sozialen und ge- sundheitlichen Problematik Woh- nungsloser kann nur mit einer Koope- ration verschiedener Berufsgruppen, einem kommunalen Konzept und rea- listischen Zielvorstellungen begegnet werden. Es ist Aufgabe der Kommu- nen, für menschenwürdige Bedingun- gen ihrer wohnungslos gewordenen Bürger Sorge zu tragen. Angesichts des hohen Krankheitsstandes dieser Bevölkerungsgruppe ist es die Aufga- be von Ärzten, sich an der Versorgung zu beteiligen und über das individuel- le Engagement hinaus gesundheitspo- litische Initiativen zu ergreifen.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1439–1441 [Heft 21]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser Dr. med. Thomas Reker Klinik für Psychiatrie der Universität Münster
Albert-Schweitzer-Straße 11 48149 Münster
A-1441
M E D I Z I N KURZBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997 (69) Die Kombination mehrerer antivi-
raler Medikamente bei der HIV-Infek- tion ist ein vielversprechender Thera- pieansatz, der zu einem raschen Abfall des Virustiters führt. Acht HIV-1-infi- zierte Patienten, die noch keine antivi- rale Therapie erhalten hatten, wurden mit einer Kombinationstherapie von Nelfinar (2250 mg/die), Zidovudin (600 mg/die) und Lamivudin (300 mg/die) behandelt. Die Virusmenge wurde vor und während der Behand- lung durch den Gehalt an HIV-1-RNA im Serum bestimmt. Nach zweiwöchi- ger Behandlung wurde nur noch ein Prozent der vorher gemessenen Virus-
last nachgewiesen. Diese schnelle Pha- se des Virusabfalls wurde von einer zweiten, langsameren Phase abgelöst.
Anhand dieser Daten haben die Auto- ren ein Modell aufgestellt, aus dem her- vorgeht, daß das Virus bei andauernder und gleichbleibend effektiver Therapie nach 2,3 bis 3 Jahren eliminiert sei.
Der geringere Abfall der HIV-1- Konzentration nach den ersten zwei Wochen kann auf die chronische oder latente Infektion von Immunzellen zurückgeführt werden. Hierzu gehören ruhende und aktivierte CD4+-Zellen sowie in lymphatischem Gewebe vor- kommende Makrophagen. Das Reser-
voir von ruhenden CD4+-Zellen mit replikationsfähigem Provirus ist sehr gering (< 0,05 Prozent). me Chun TW, Carruth L, Finzi D et al.:
Quantification of latent tissue reservoirs and total body viral load in HIV1-infec- tion. Nature 1997; 387: 183-188.
Robert F. Siliciano, Department of Medi- cine, John Hopkins University School of Medicine, Baltimore, Maryland 21205, USA.
Pereison AS, Essunger P, Cao Y et al.:
Decay characteristics of HIV-1-infected compartments during combination therapy. Nature 1997; 387: 188-191.
David D. Ho, Aaron Diamond AIDS Reseach center, Rockefeller University, 455 First Avenue, New York, New York 10016, USA.