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Dresdener Patientin postum von Hamburger Krankenhaus geehrt

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Ärzte und Medizin im Nationalsozialismus

178 Ärzteblatt Sachsen 4/2005

75 Jahre nach ihrer Behandlung in der dama- ligen Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in Hamburg hat der Landesbetrieb Krankenhäuser Hamburg (LBK) den restaurierten Rosen- garten im heutigen Allgemeinen Krankenhaus Eilbek nach der Dresdener Malerin Elfriede Lohse-Wächtler (1899 – 1940) benannt.

„Wir verfolgen damit das Ziel, an eine lange vergessene Künstlerin zu erinnern, die als psychisch kranke Patientin 1929 kurze Zeit hier war, bevor sie von den Nationalsozialisten 1932 in die Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf eingewiesen und 1940 in Pirna-Sonnenstein Opfer der Euthanasie wurde“, sagte LBK- Vorstandssprecher Prof. Heinz Lohmann bei

einer Gedenkfeier. Elfriede Lohse-Wächtler zeichnete in der Friedrichsberger Psychiatrie Kohleporträts ihrer Mitpatientinnen, die spä- ter als „Friedrichsberger Köpfe“ bekannt wur- den. Heute finden ihre Arbeiten nach langer Vergessenheit zunehmend Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Der Leitende Arzt der Abteilung für Psychia- trie des AK Eilbek, Dr. Horst Lorenzen, er- gänzte: „Wir wollen mit der Namensgebung und der Aufstellung einer Gedenktafel an das Einzelschicksal dieser Patientin im Namen all der Patienten erinnern, denen während der Zeit des Nationalsozialismus unendlich viel Leid angetan wurde“.

Die Namensgebung bedeute auch ein Zeichen gegen den Versuch, Menschen aus der Ge- schichte zu löschen, betonte Prof. Lohmann:

„Gerade in Zeiten des Wandels wie jetzt im 21. Jahrhundert, wo es viele Menschen gibt, die auf komplizierte Fragen einfache Lösun- gen suchen, ist es wichtig, Vielschichtigkeit zu akzeptieren, das Fremde zuzulassen und durch Auseinandersetzung Verständnis und damit Bereicherung zu erleben.“

Dr. Horst Kreussler An der Karlshöhe 1 21465 Wentorf bei Hamburg

Dresdener Patientin postum

von Hamburger Krankenhaus geehrt

Rezension

Alexander von Schwerin. Experimentali- sierung des Menschen. Der Genetiker Hans Nachtsheim und die vergleichende Erb- pathologie, 1920 bis 1945. Wallstein Verlag Göttingen, 424 S., 23 Abb., 33 €, ISBN:

3-89244773-X

Im Rahmen eines Forschungsprojektes der Max-Planck-Gesellschaft erschien kürzlich ein weiterer Band zur Geschichte der Kaiser- Wilhelm Gesellschaft im Nationalsozialis- mus, in der die Entwicklung von Genetik und Humangenetik – damals war Deutschland neben den USA in diesen jungen und innova- tiven Wissenschaftsfeldern führend – in der Weimarer Republik und im Nationalsozialis- mus analysiert wird. Im Mittelpunkt steht der Tierzüchter und Erbpathologe Hans Nachts- heim (1890 bis 1979), der als moderner Wis- senschaftler primär eine praktische Anwen- dung seines Wissens zum Ziel hatte.

Im Rahmen der deutschen Autarkiebestrebun- gen zwischen den Weltkriegen bemühte man sich, den landwirtschaftlichen Ertrag (wie Nachtsheim auf dem Gebiet der Kaninchen- züchtung), mit technischen Mitteln und indus- triellen Methoden zu steigern. Dazu brauchte man wissenschaftliche Grundlagen, für die die Genetik geeignet war. Seit Beginn des 20.

Jahrhunderts wollte man außerdem „standar- disierte“ Versuchstierstämme in Experimen- ten einsetzen. Man wollte Tiere mit speziellen Missbildungen, die auch beim Menschen vor- kommen, züchten. Außerdem wurde unter- sucht, inwieweit die erbliche Veranlagung das Auftreten von Krankheiten, zum Beispiel der Volkskrankheit Tuberkulose, beeinflusst.

Nachtsheim war seit 1922 mit dem Aufbau der Tierzucht am Institut für Vererbungs- forschung in Berlin-Dahlem Protagonist die- ser Entwicklung für Deutschland.

Das 1933 verabschiedete Gesetz zur Verhü- tung erbkranken Nachwuchses (GVeN), das die Zwangssterilisation von Menschen mit bestimmten Krankheiten und Anomalien regelte, bedeutete eine verstärkte Förderung von Eugenik und Erbpathologie. Nachtsheim betonte in den dreißiger und vierziger Jahren immer wieder den Vorteil der Tierexperimente für den Erbforscher gegenüber der Human- genetik mit ihrer Beschränkung auf die Zwillingsforschung. 1943 bestieg Nachtsheim jedoch mit mehreren geistig behinderten Kin- dern im Alter von 11 bis 13 Jahren aus der Heil- und Pflegeanstalt Brandenburg-Görden eine Unterdruckkammer der Luftwaffe, um auszutesten, ob Sauerstoffmangel, wie er in einer Höhe von 6000 m herrscht, bei Kindern dieses Alters epileptische Anfälle auslösen kann. Jeder wissenschaftliche Teilnehmer konnte sofort eine Sauerstoffzufuhr veranlas- sen oder den Versuch abbrechen. Krampf- anfälle wurden nicht provoziert. Dieses Expe- riment lässt sich in die Suche nach einem funktionsfähigen experimentellen Modell für die Epilepsie am Menschen einordnen. Epilep- tische Anfälle zu provozieren war in Erman- gelung wirksamer medikamentöser Alternati- ven an psychiatrischen Kliniken bei einer Vielzahl von Erkrankungen in jenen Jahren gängige Praxis, beispielhaft genannt seien die Insulinkomabehandlung (seit 1933), die Car- diazolbehandlung (seit 1934) und die Elektro- krampftherapie (seit 1938). Nachtsheim hatte zuvor bei Weißen Wiener Kaninchen, insbe-

sondere Jungtieren, mit Cardiazol und durch Sauerstoffmangel Krampfanfälle auslösen können, was sich gut in das Konzept der

„unterschiedlichen Krampfschwelle“ einord- nen ließ. Gleichzeitig galt die „Höhenkrampf- schwelle“ als wichtiger Parameter für die Leistungsfähigkeit von Piloten. Nachtsheim bewegte sich mit diesen Experimenten einer- seits im Gebiet gängiger und akzeptierter bio- medizinischer Experimentalpraxis, gleich- wohl im Gefolge schleichender Militarisie- rung der Wissenschaft nach Kriegsbeginn, andererseits war er dabei, eine Grenzzone wissenschaftlich moralischer Maßstäbe zu überschreiten. In dieser Zeit arbeitete er mit der fanatischen Nationalsozialistin Magnussen zusammen, die für Pigmentuntersuchungen Augenpräparate von Mengele aus Auschwitz erhielt – beide nutzen das experimentelle Know how der Kaninchenforschung am Institut. Wie viele Wissenschaftler jener Zeit arbeitete Nachtsheim, der zu keinem Zeit- punkt Mitglied einer Partei war, in einem Umfeld, in der die Grenze der Verfügbarkeit von Menschen für Versuchszwecke ständig ausgeweitet wurde.

Leider findet sich im Buch kein abschließen- des Kapitel, das beleuchtet, welche Positio- nen Nachtsheim als öffentliche Person und Leiter des Max-Planck Institutes für verglei- chende Erbbiologie und Erbpathologie in Berlin in der Zeit der jungen Bundesrepublik zu naturwissenschaftlichen und medizini- schen Fragen einnahm.

Dr. Frank Hanisch, Halle

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