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Pflegestufe zur Anleitung und Beaufsichtigung vs. Pflegestufe zur Unterstützung und Übernahme

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Academic year: 2022

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SG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 15.01.2019 – S 6 P 24/18 Titel:

Pflegestufe zur Anleitung und Beaufsichtigung vs. Pflegestufe zur Unterstützung und Übernahme

Normenkette:

SGB XI § 45a, § 140 Abs. 1 Schlagworte:

Behinderung, Widerspruch, Beaufsichtigung, Gerichtsbescheid, Pflegestufe, An- und Ausziehen Rechtsmittelinstanzen:

LSG München, Urteil vom 10.09.2020 – L 4 P 13/19 BSG Kassel, Beschluss vom 26.11.2020 – B 3 P 23/20 B Fundstelle:

BeckRS 2019, 52328  

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand 1

Streitig sind Leistungen nach dem SGB XI.

2

Der 1980 geborene Kläger ist Versicherter der Beklagten. Am 30.11.2016 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung. Auf Veranlassung durch die Beklagte erfolgte am

10.03.2017 eine sozialmedizinische Untersuchung und Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Wege des Hausbesuchs. Diese ergab einen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 9 Minuten täglich und 45 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Alltagskompetenz sei seit November 2016 in erhöhtem Maße eingeschränkt.

3

Die Beklagte bewilligte daraufhin mit zwei Bescheiden vom 23.03.2017 ab 01.11.2016 Pflegegeld für die Pflegestufe unterhalb I und ab 01.01.2017 Pflegegegeld nach Pflegegrad 2.

4

Dagegen richtete sich der mit Schreiben vom 18.04.2017 - Eingang bei der Beklagten am 24.04.2017 - eingelegte Widerspruch, der nicht näher begründet wurde.

5

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2018 zurück.

6

Hiergegen richtet sich die mit Schreiben vom 24.02.2018 - Eingang bei Gericht am 27.02.2018 - eingelegte Klage. Eine Klagebegründung wurde trotz mehrfacher Aufforderungen nicht vorgelegt.

7

Das Gericht hat die Schwerbehindertenakte, einen Bericht der B.-Werkstatt für behinderte Menschen, eine Leistungsübersicht der Krankenkasse sowie einen Befundbericht des Hausarztes Dr. R. beigezogen sowie mit Beweisanordnung vom 17.07.2018 Herrn Dr. H. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt.

8

Dr. H. erstattete im Anschluss an einen Hausbesuch vom 31.07.2018 am 09.08.2018 ein

sozialmedizinisches Gutachten zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI. Hierzu legte

(2)

der Kläger ein Pflegetagebuch vom 20.07.2018 mit ergänzenden Ausführungen vor. Im Rahmen der Anamnese wurden der Kläger und seine Eltern zum Sachverhalt befragt. Dr. H. führt in seinem Gutachten einen Bedarf an täglicher Grundpflege im Umfang von 11 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten pro Tag an. Die Pflegestufe I werde nicht erreicht.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 23.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2018 zu verurteilen, ab 01.11.2016 ambulante Leistungen der Pflegestufe I und ab 01.01.2017 ambulante Leistungen nach Pflegegrad 3 zu erbringen.

10

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung für den Antrag auf Klageabweisung verweist die Beklagte auf die Gründe der angefochtenen Bescheide.

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Die Beteiligten wurden zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

13

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhaltes wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.

Entscheidungsgründe 14

Die insbesondere form- und fristgerecht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet und daher abzuweisen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten vom 23.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2018 sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht (vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Ein Pflegebedarf im Umfang der Pflegestufe I lässt sich bei dem Kläger zum 31.12.2016 nicht feststellen. Eine Umwertung in einen höheren Pflegegrad als 2 ist daher nicht möglich.

15

Vorliegend finden die Vorschriften des SGB XI in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung Anwendung.

Nach § 140 Abs. 1 SGB XI erfolgt die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung jeweils auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechts. Der Erwerb einer Anspruchsberechtigung auf Leistungen der Pflegeversicherung richtet sich ebenfalls nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht.

16

Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI i.d.F. bis 31.12.2016 sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig

wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße Hilfe bedürfen (§ 14 Abs. 1 SGB XI). Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen in diesem Sinne sind gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI und dort abschließend genannt:

1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung,

2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,

3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,

(3)

4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

17

Zu berücksichtigen sind Hilfeleistungen in Form von Unterstützung (= U), teilweise Übernahme (= TÜ), vollständige Übernahme (= VÜ), Beaufsichtigung (= B), Anleitung (= A).

18

Für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI sind pflegebedürftige Personen einer der folgenden drei Pflegestufen zuzuordnen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI):

1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

3. Pflegebedürftige der Pflegestufe 3 (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

19

Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt

1. in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen,

2. in der Pflegestufe II mindestens 3 Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 2 Stunden entfallen,

3. in der Pflegestufe 3 mindestens 5 Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SGB XI).

20

Die gesetzlichen Vorschriften haben durch die zwischenzeitlich mehrfach geänderten Pflegebedürftigkeits- Richtlinien und Begutachtungs-Richtlinien eine Konkretisierung erfahren. Diese Richtlinien sind zwar für die Gerichte nicht bindend, gleichwohl - schon aus Gründen einer gleichmäßigen Behandlung der Versicherten - anwendbar, soweit sie mit höherrangigem Recht in Einklang stehen. Hinsichtlich der Einzelheiten ist auf die vorstehend genannten umfangreichen Richtlinien zu verweisen.

21

Unter Beachtung dieser Vorgaben liegen bei dem Kläger die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht vor.

Dies hat das Ergebnis der Beweisaufnahme ergeben. Das Gericht hat hierzu die Gutachten das MDK und des vom Gericht bestellten ärztlichen Sachverständigen Dr. H. ausgewertet.

22

Danach ist die Diagnose Minimale Cerebrale Dysfunktion pflegebegründend.

23

Daraus ergibt sich folgender berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf:

(Legende: Unterstützung (= U), teilweise Übernahme (= TÜ), vollständige Übernahme (= VÜ), Beaufsichtigung (= B), Anleitung (= A)).

Im Bereich Körperpflege

(4)

Ganzkörperwäsche in Form B/A im täglichen Durchschnitt 1 Minute Teilwäsche Hände/Gesicht in Form A im täglichen Durchschnitt 1 Minute Duschen in Form B/A im täglichen Durchschnitt 1 Minute

Zahnpflege in Form B/A im täglichen Durchschnitt 1 Minute

Kämmen in Form in Form von A im täglichen Durchschnitt 1 Minute Rasieren im täglichen Durchschnitt 1 Minute

Wasserlassen in Form von A im täglichen Durchschnitt 1 Minute Stuhlgang in Form von A im täglichen Durchschnitt 1 Minute insgesamt 8 Minuten

Im Bereich Ernährung Mundgerechte Zubereitung in Form von B/A im täglichen Durchschnitt 1 Minute Aufnahme der Nahrung oral in Form von B/A im täglichen Durchschnitt 1 Minute

insgesamt 2 Minuten

Im Bereich Mobilität Ankleiden Gesamt in Form von A im täglichen Durchschnitt 1 Minute insgesamt 1 Minuten

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Dies ergibt einen täglichen Gesamtzeitbedarf an Grundpflege im Umfang von 11 Minuten.

25

Die hauswirtschaftliche Versorgung ist erforderlich im Umfang von 45 Minuten täglich.

26

Da das Vorliegen der Pflegestufe I einen berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf von insgesamt mindestens 90 Minuten täglich, davon mehr als 45 Minuten Grundpflege erfordert, wird die Pflegestufe I nicht erreicht.

27

Zur näheren Begründung der Gesamtbeurteilung:

28

Die Hilfebedürftigkeit des Klägers im Hinblick auf Körperpflege, Ernährung, Mobilität und Hauswirtschaft resultiert in erster Linie aus der cerebralen Dysfunktion mit kognitiven Einschränkungen und

Verhaltensauffälligkeiten. Bezüglich der Körperpflege ist bei der Körperwäsche, beim Duschen, bei der Zahnpflege und beim Kämmen Anleitung bzw. teilweise auch Beaufsichtigung erforderlich. Ebenso bedarf es der Anleitung zur Hygiene nach dem Wasserlassen und nach dem Stuhlgang. In diesem Kontext ist auf einen entsprechenden Wechsel der Körperwäsche zu achten. Aufgrund des gierigen und unkontrollierten Essverhaltens des Klägers ist sowohl bei der mundgerechten Nahrungszubereitung als auch bei der Nahrungsaufnahme Beaufsichtigung und Anleitung in der Hinsicht erforderlich, dass die Nahrung entsprechend kleiner proportioniert wird und nicht heruntergeschlungen, sondern gekaut werden soll. Die Kleidung muss witterungsgerecht bereitgelegt werden. Das An- und Ausziehen geschieht selbständig, allerdings kommt es vor, dass Kleidungsstücke verkehrt angezogen werden, dann ist eine Korrektur durchzuführen. Die hauswirtschaftliche Versorgung wird nahezu komplett übernommen, der Kläger hilft nur beim Abtrocknen mit.

29

Das Gericht ist im Ergebnis unter eigener sorgfältiger Prüfung der vorliegenden medizinischen und

sonstigen Unterlagen davon überzeugt, dass die gutachterliche Einschätzung des Dr. H. zutreffend ist. Der Kläger hat hierzu auch nicht konkret vorgetragen, in welchen Punkten das Gutachten unzutreffend sein soll.

Das Pflegetagebuch vom 20.07.2018 lag im Rahmen der Begutachtung bereits vor. Die dortigen

Zeitangaben berücksichtigen nicht, dass der Kläger nur der Anleitung und Beaufsichtigung bedarf und nicht einer Unterstützung oder Übernahme, die wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würden. Das Gericht hat daher im Ergebnis keine Bedenken, sich der Einschätzung des Gutachters, die im Wesentlichen auch mit den Feststellungen des MDK übereinstimmt, anzuschließen.

(5)

30

Versicherte, bei denen eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31.

Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurde, werden bei nicht gleichzeitigem Vorliegen einer Pflegestufe nach den §§ 14 und 15 in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 2 übergeleitet (§ 140 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 Buchst. a SGB XI).

31

Im Ergebnis sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden, die Klage war abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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