655
Beiträge zur altindiscben Eeligions- und Sprach¬
geschichte.
Von P. von Bradke').
3. skr. grh a = germ. Garten.
F. Kluge in seinem vortrefflichen „Etymologischen Wörterbuch
der deutschen Sprache' s. Garten trennt '-) dieses Wort vom Verbum
gürten und stellt Garten zu gr. ;^opros lat. hortus. Die ent¬
sprechenden slav. -lit. Formen glaubt er durch Entlehnung aus
dem Germanischen erklären zu sollen ; gleichzeitig gedenkt er der
Möglichkeit, dass in der „germ. Sippe zwei lautlich verschiedene,
aber bedeutungsverwandte Worte zusammengetlossen" seien. Ich
würde es vorziehen, Garten und seine germ. Verwandten direet
zu ■aslav. gradS etc. und zum Verbum gürten (vgl. Kluge s. Gurt) zu
stellen , dagegen yoQToq — hortus von dieser Gruppe zu trennen,
sofem nicht vielleicht germ. Verwandte dieser Wörter in der Sippe
Garten aufgegangen sind, x'^giog heisst „Gras, Grasplatz, Weide,
Hof": Ilias 11, 774. 24, 640 (cf löl flf.) dürfte sich yogrog am
besten mit „Grasplatz" übersetzen lassen: und der Bedeutungsüber¬
gang von „Grasplatz" zu „Grasplatz am Hause , eingefriedigter be¬
wachsener Platz, Garten" (lat. hortus) ist, wie ich glaube, leichter zu verstehen (vgl. av'Kr,g iv yogi a , "(ogTOtci II.), als es der um¬
gekehrte Entwickelungsgang sein würde ; auch air. gort „seges'
spräche eher für die Grandbedeutung „Gras". Lassen sich hier
nhd. Gras, grün (cf Kluge s. vv.) und lat. grämen (vgl. Leo Meyer,
Vergl. Gramm.- I, 74) anknüpfen ? ^). — Auf eine ganz andere
Grundbedeutung führen die Wörter der germ. Gruppe „Garten" :
„ „Einfriedigung" und „der eingefriedigte Baum" sind die Bedeu-
tungskeme der ganzen Sippe, was auf Verwandtschaft mit gürten,
1) Vgl. oben \>. :J47— 3(14.
2( Zweifelnd? vgl. auch den .\rtikel ..fiurt".
3; Eine andere Zusammenstellung giebt Kröhde BB, 10, 301.
656 "ö" Bradke, Beiträge xur altind. Religiuns- u. Sprachgeschichte.
germ. Wz. gerd, führen könnte', sagt Kluge s. Garten, und er hat
damit augenscheinlich das Richtige getroffen. Dieser germ. Gruppe
sehliessen sich der Form und der Bedeutung nach aslav. gradu, lit.
gardas etc. eng an : auch sie führen auf eine ig. W. gherdh ,um-
schliessen, einhegen' zurück. — Aus dem Begriffe des eingefriedigten
Raumes entwickeln sich die Bedeutungen „Hof, Haus, Familie' (got.
gards), weiter „Stadt" (russ. gorod). Hierher dürfte auch lat. urbs
gehören (cf Bezzenberger, BB. 1, 341 f; aus *horbs? — anders
Ascoli, KZ. 16, 120 ff.); während orbis, wenn es für *horbis steht,
der Bedeutung nach ursprünglich dem nhd. Gurt entsprochen haben
könnte (anders Fröhde, BB. 2, 337): es erschiene ganz wohl mög¬
lich, dass dem Lateiner der Gürtel, wie sonst wohl das Rad (cf
skr. cakra — gl*. y.vxXog) das Prototyp des Kreises geworden wäre
(vgl. aber auch ahd. gart „cyclus , chorus , sepimentum , hortus").
Zu got. gards stelle ich endlich mit Joh. Schmidt (Vocalismus
II, 128. 318, cf KZ. 25, 127) skr. grhä (aus *grdha) „Haus,
Wohnstatt, Familie". Das PW. und Grassmann WB. ziehen grha
zu grah, grabh : das „Haus (als das in sich fassende)" Grassmann s. v.
In der uns überlieferten Sanskrit-Literatur finden wir aber ebenso¬
wohl Beispiele für skr. h = ig. dh, wie für skr. h = ig. l/h;
und die vollkommen gleiche Bedeutung von got. gards und skr.
gi-bä fällt für die Ansetzung der alten Form mit *gvdha schwer
in's Gewicht, grhö' RV. 10, 119, 13, das von dem PW. und Grass¬
mann (WB.. vmd Uebersetzung 945, 13 Anhang) in etymologischer
Anlehnung an grah, grabh mit „Diener (der Handreichung thut PW.)'
wiedergegeben wird , ist wohl besser mit Geldner - Kaegi - Roth,
Siebenzig Lieder des Rigveda p. 83 in „grham u* aufzulösen und
mit „nach Haus' zu übersetzen (ähnlich Ludwig , Der Rigveda,
N. 976 und Bd. V). Weuu aber dieses grhö auch wirklich zu
grabh gehörte und „Diener" bedeutete, so wären wir dadurch doch
keineswegs genöthigt , auch grha „Haus" zu grabh zu stellen : die
Bedeutung beider Worte wäre eine gänzlich verschiedene ; und die
formale Gleichheit zweier Worte iu eiuer gegebenen Sprachperiode
sagt nicht immer über die ursprüngliche Identität derselben etwas
aus. In ähnlicher Weise wären . weun grha = *grdha ist , Deri¬
vate dieses Wortes mit sicheren Derivaten von grabh, grah formell
zusanmiengefallen ; cf 1. 2 grhya. — Einen enisteren Einwand
gegen die Gleichung gj-hä-gards würde allerdings die Form grbhä
RV. 7, 21, 2 au die Hand gebeu. wenn sie mit Grassmann, WB.
- grha zu fasseu wäre. Doch hat Grassmann selbst in seiner
l'ebersetzung 537. 2 Anm. diese Auffassung aufgegeben (vgl. auch
das PW. s. V. uud Ludwig. Der Rigveda, N. 573, dazu Bd. V). Bei
der schon im RV. sehr merkbaren Neigung der Inder zu etymo¬
logischen Wortspielereien diü-fte es überdiess weuig augebracht sein,
auf eine vereinzelte Form wie grbhä gar viel zu bauen. —
Skr. Ii ist der regelrechte Vertreter einer alteu palatalen und guttiu-alen Med. .\sp. ; das.^ aber h im Sauskrit der regelrechte
von Briidke, Beiträge zur altind. Religion«- u. Spracligescliichte. 657
Vertreter von bh, dh sei, werden wir — wenigstens wie die Dinge
gegenwärtig liegen — nieht behaupten dürfen. Einige Bemerkungen
zur Frage, wie die Vertretung von ig. bh, dh durch skr. h auf¬
zufassen sein möchte , werden den Inhalt des folgenden Aufsatzes
bilden.
4. Ueber skr. h = ig. dh, bh und die Stellung des
Vedischen unter den indo-arischen Dialecten.
Es ist frühe bemerkt worden, dass ein skr. h mitunter nicht
auf einen alten Guttural, sondern auf altes dh oder bh zurück¬
geführt werden muss: auf Formen wie hita neben dhä, das Suffix
der 2. sg. imper. -hi neben -dhi , die \W. grah neben grabh weist
denn auch Schleicher, Compendium 'S p^ 169 f hin. Eine Anzahl
derartiger Entsprechungen darf, wie ich^^glaube, als gesichert be¬
trachtet werden ; bei andern könnte man Zweifeln, ob Formen mit
h neben solchen mit dh, bh nicht vielmeh^ aus ig. Doppelformen
mit gh einerseits, dh, bh andrerseits zu erklären seien. Dass solche ig. Doppelformen innerhalb der ai. Ueberheferung ihre regelrechten Vertreter haben, dürfte feststehen ; ich verweise hier nur auf vadhü
neben vah (cf RV. üdha, av. vad-vaz) , da ich später auf diese
Formen näher eingehen will. Im einzelnen Falle ist es allerdings
oft schwer zu bestimmen, ob ein h, welches neben dh, bh steht,
auf alten Guttural zurückgeht, da die massgebenden Formen im
Sanskrit bisweilen fehlen, mitunter , wenn sie überliefert sind , der
Entstehung durch Anlehnung verdächtig erscheinen.
Wenn wir nun an die Frage herantreten, worauf wohl der
Uebergang von dh, bh in h, welcher in unserer Sanskrit-Ueber-
lieferung bisweilen vorliegt, beruhen mag ; so werden wir, wie ich
glaube, gut thun , die erwähnten ig. Doppelformen , die möglichen
ebenso wie die sicheren, zunächst bei Seite zu lassen. Erst wenn
wir diejenigen Fälle, in denen deutlich h auf altes dh, bh zurück¬
geht, nach Möglichkeit isolirt haben, lässt sich ein klareres Bild
von ihrer Beschaffenheit gewinnen und der Versuch wagen, die
Bedingungen zu erforschen, unter denen der scheinbar abnorme
Lautübergang sich vollzogen haben könnte.
Im Folgenden stelle ich diejenigen Formen zusammeu, in denen
ich skr. h nur aus älterem dh, bh herzuleiten vermag. Die Ent¬
sprechungen, welche mir unsicher erscheinen, übergehe ich ; manche
derselben werden später ihre Stelle finden. — Vgl. ausser Schleicher
l. c. auch Hübschmann, KZ. 23, 393 f uud besonders die inte¬
ressanten Bemerkungen Ascoli's, Studj Critici II, 126 flf.
1) Das Suffix der 1 pl. med. -mähe, -mähi (cf 1. du. med.
-vähö , -vahi) , av. gd. -maide , -maidi (vgl. Bartholomae , Handbuch der Altiranischen Dialecte p. 114 ff.), gr. ueßa.
658 Bradke, Beiträge zur altind. ReUgions- u. Sjjrachgeschi^hte.
2) Das Su£Qx der 2. sg. imper. act. -hi neben -dhi , av. gd.
-di (cf. Bartholomae 1. c), gr. -d-i (vgl. dazu das Suffix der 2 pl.
med. -dhve', -dhvam). Im Veda findet sich die Form -hi nur nach
Vocalen, -dhi nach Consonanten und Vocalen (cf Delbrück, Das
Altindische Verbum, p. 32. 37 f.); in der späteren Literatur gilt
die Regel : -hi steht nur nach Vocalen, -dhi nur nach Consonanten ;
eine Ausnahme bildet juhudhi (cf Whitney , Indische Grammatik
§ 652), vgl. jahihi , jahihi (1. c. § 665). Besonders zu beachten
sind die Formen dehi, dhfehi, 6dhi, i^ädhi für *dazdhi, *dhazdhi,
*azdhi, *9äzdhi; bödhi zu bhü (und budh), aber jahi zu ban (cf
Delbrück 1. c).
3) hitä zu dhä, wie sthita zu sthä (cf Pän. 7, 4, 42). Da¬
neben steht'-dhita (-dhiti) als zweites Ghed von Zusammensetzungen;
so im RV. (cf auch Pän. 7, 4, 45): sudhita, durdhita, yuvadhita,
mitradhita (und -dhiti) ; vgl. vasudhiti , n6madhiti, vanadhiti (dazu
nemadhitä, vasudhita nach Pän.). Hingegen sind mit -hita (-hiti)
zusammengesetzt: durhita, ahita, puröhita (und -hiti), d^vahita (und -hiti? cf PW. s. hiti), tiröhita, canöhita, manurhitä, cf. asmehiti(?).
Zu vergleichen wären auch hitävant und dhitävant (PW. s. vv.).
Es lässt sich zwar nicht in jedem einzelnen Falle mit voller Sicher¬
heit bestimmen , ob hita zu dhä oder zu hi , hinöti zu stellen sei ;
doch ist, wie ich glaube, die Differenz im Grundbegriffe beider
Wurzeln zu bedeutend, als dass wir etwa eine directe Beeinflussung
des alten dhita durch das Part Pass, von hi, hinöti mit einiger
Wahrscheinlichkeit annehmen könnten. — Vgl. femer dhita-Hariv.,
dhitvä {'at. Br. im PW. s. 1. dhä, und -dhitum C. bei Whitney,
Roots, Verb-Forms etc. of the Sanskrit Language s. 1. dhä.
4) rö'hita ,roth', ct rohit, neben rudhira AV. ,roth, blutig;
n. Blut', vgl. rudhikrä: gr. tQV&pog, unser ,roth'; vgl. av. 4. rud
„fliessen' (Justi). Bartholomae, Ar. Forsch. I, p. 13, N. 14 f Bugge, KZ. 20. 5 fl-. Fick, WB. 3 I, 200. 414.
■I I rub . röhati „emporsteigen , wachsen' = rudh , rö dhati ;
vgl. virudh, ärödhana, rödhas = röhas (cf Pischel, Z. D. M. G.
35. 717 1: dazu av. 1. rad, raodhenti „wachsen' (Justi). Zu dieser
Sippe vgl. Fick^ I, 413. 200; rudh ist wohl aus vjdh herzuleiten
(cf obeu p. 352 und Bugge KZ. 20, 2). Gegen die Gleichung ruh-
rudh macht Job. iSchmidt. Vocal. II, 296 A. ein zwiefaches Be¬
denkeu geltend: Erstens, das h von ruh werde im Zusammenstoss
mit *• uud / genau so behandelt, wie urspr. gh '. Dieses Bedenken
ist von bedeutendem Gewicht, und ich gestehe, dass ich es nicht
völlig zu beseitigen vermag. Doch hoffe ich . dass die folgenden
Erwägungen es verständlich erscheinen lassen werden , wenu ich
desseu ungeachtet an der Herleitung von rah aus rudh festhalte.
Fttr diese Herleitung spricht, wie ich glaube 1) der Umstand, dass
die Ijeiden Wui-zeln sich, abgesehen von dem fraglichen Laute, in
Form uud Bedeutuug vüUig deckeu . ohue class wir Graud hätten,
sie auf i'r. Doppelformeu zurückzuführen. 2 t rudh. ru dhati .wachsen'
von Bradle, Beiträge zur nltind. Religimu- u. Sprachgeschichte. 659
findet sich als Verbum nur an zwei Stellen des RV. ; sonst wird
es, sowohl im RV. als später, durchaus durch das Verbum ruh
vertreten. Von diesem ruh, das in recht häufigem Gebrauche steht,
finden wir nuu im RV. die Formen auf dh gar nicht, die Formen
mit Jcsh im Ganzen nur zwei Mal (den Aorist ä-arukshat 10, 67, 10
und das Part. Praes. des Desider. ärurukshatah 8, 14, 14); der
einmal belegte Nom. sg. gartäruk 1, 124, 7 hat meiner Meinung
nach gar kein Gewicht, da der Nom. sg. solcher Bildung ungemein
selten ist, und oft genug, wenn nicht immer, der momentanen An¬
lehnung an Formen , die als verwandt empfunden wurden , seinen
Endconsonanten verdanken mag; auch würde von altem -rugh' der
regelrechte Nom. sg. -rut lauten (cf. dazu Whitney, Ind. Gramm.
§ 223 vgl. 151. Weber, Ind. Stud. 13, 110). Im AV. sind die
dh und Icsh-Formen ein wenig häufiger : die rfA-Formen finden sicb
hier 4 Mal (rüdhuä 13, 1, 8. avai-üdhäu 6, 140, 1. ärüdhas 6, 11, 1.
anabhyärüdham 11, 5, 23), die ÄwA-Formen 10 Mal in 7 Liedern
(arukshat 12, 3, 42. adhy- 11, 1, 13. 16. ä rakshas 17, 1, 8.
ä 'rakshas 25. 26. -t 18, 4, 14. ä-arukshat 3, 5, 5. 8, 5, 20.
ä-arakshäma 14, 2, 8, cf. Wliitney's Index). Unter diesen Um¬
ständen liegt die Vermuthung zu nahe, um sich abweisen zu lassen,
dass erst die Form ruh allmählich, nach vöUiger Verdrängung von
rudh , in Anlehnung an Schemata wie vah-vakshat-üdha Bildungen
mit ksh und dh nach sich gezogen habe. Isolirte Pormen wie
virudh konnten diese Entwickelung um so weniger hiadem , als ja
schon von Alters her vadhü-vah etc. (S. u.) neben einander lagen.
Auch würden die lautgesetzlichen Pormen für rüdha, rüdhvä diesen
Bildungen sehr nahe stehen, wenn Bartholomae's Aufstellungen Ar.
Forsch. I, 12 tf. das Richtige getroffen haben (vgl. dazu bödhi für
budh + dhi , mit Anlehnung des Wurzelvocalismus an bödhati,
abödhi etc.; cf bodhi zu bhü neben edhiV). Endlich könnte die
Empfindung , dass ruh „wachsen" von rudh , rundh „zurückhalten,
hemmen" jedenfalls zu trennen sei, ein Uebriges gethan haben. —
Zweitens weist Joh. Schmidt auf die Form visruh „Reis, Schoss"
hin, welche darauf zu führen scheine, dass ruh anlautendes s ver¬
loren hat. Dieses visruh ist nur zwei Mal in der Literatur belegt,
RV. 5, 44, 3 und 6, 7, 6; an letzterer Stelle sehen Grassmann,
Uebersetzung N. 448 (ebenso WB.) und Ludwig, Der Rigveda
N. 373 (cf Bd. IV) wohl mit Becht in sapta visruhah ein Synonym
zu sapta sindhavah ; demnach dürfte es auch 5, 44, 3 mit Grass¬
mann N. 398 Anhang und .Ludwig N. 208 (cf Bd. IV) durch
„Strom" wiederzugeben sein (vgl. ferner zum Wort Naigh. 4, 3.
Nir. 6, 3 sammt Erläuterungen und das PW. s. v.) ; weun dem so
ist , so wäre visruh vielleicht zu dem s. 4 erwähnten av. rud
„fliessen" zu stelleu (cf Bugge, KZ. 20, 5).
6) gvhii = got. gards (S. o. p. 656).
7) grah. grh = grabh, grbh. av. gaiew. Vgl. Fick'' T, 74.
312, cf Ourtius '', p. 478 f „grabh" i.st die älten;. im RV. gewiihn-
liil. XL 44
660 Bradke, Beiträge zur altind. Religionn- n. Sprach^geschichte.
liuhe Fonn, während grah im AV. überwiegt, in den Brähmanas
und der späteren Literatur allein herrschend geworden ist (PW.
s. grabh). Die Bildungen mit Jcsh (vgl. das Desid. jighrkshati Ait.
Up., Göbh., MBh. und den Aor. aghrkshata Schol. zu Pän. im PW.,
sowie Whitney, Roots s. grabh, grah) sind spät imd augenschein¬
lich erst durch die Porm grah veranlasst.
8) kakuha RV. neben kakubh RV., kakubhä VS. ; got. haubij? (?),
cf. Kluge WB. s. Haupt. Vgl. auch Pick " I, 36, 51, der, wie
ich glaube mit Unrecht, die Form kakud, welche ursprünglich wohl
nur vor Consonanten (oder vor bestimmten Consonanten V) gebraucht
wurde , von kakubh trennt , cf apäs-adbhis und Whitney , Ind.
Gramm. § 151. Lanman, Noun-Inflection in the Veda, p. 471.
Weber, Ind. Stud. 13, 108 ff. Osthoff, Perfect p. 600 f — Vgl.
weiter unt. die Herzählung der sicheren oder möglichen ig. Doppel¬
formeu, von denen einige vielleicht besser hierher zu stellen wären.
Nur für zwei unter den soeben behandelten Beispielen für
skr. h = dh, bh ist eine Nebenform mit der alten Aspirata inner¬
halb der ai. Literatur nicht überliefert: für das Suffix der 1. pl.
med. -mähe , -mähi und für das Wort grha „Haus" ; doch lassen
hier, wie ich glaube, Pormen der verwandten Sprachen die urspr.
Bildung mit dh deutlich genug erkennen. Sonst stehen Pormen
mit altem dh , bh neben der neueren Bildung , oft allerdings nur
in der ältesten Literatur; für die spätere Zeit liegen Nebenformen
mit der Aspirata im Suffix der 2. sg. imper. act.-dhi (nach Con¬
sonanten) neben -hi (nach Vocalen) , den übrigen Pormen der W.
dhä neben dem p. p. hita und bei weniger deutlichen Entsprechungen,
wie rudhira-röhita , virudh-ruh vor; kakuha gehört überhaupt nur
der älteren Literatur an.
Obwohl im Sanskrit der Uebergang eines alten dh, bh in h
so überaus selten mit Sicherheit festgestellt werden kann ; obwohl
ferner diese Erscheinung in der jüngeren Literatur augenscheinlich
in weiterem Umfange als in der älteren nachweisbar ist; so legt
doch der Umstand, dass grade vereinzelte Formen, wie -mähe,
-mähi und grha, schon innerhalb unserer ältesten Ueberlieferung
nur die jüngere Bildung mit h zeigen, die Frage nahe, ob wir es
hier nicht trotzdem mit den Ueberresten einer alten vorvedischeu
Lautentwickelung zu thun haben. Erschiene es doch keineswegs
unmöglich, dass im Veda manche dh-bh-Form, ira späteren Sanskrit
wiederum manche Bildung mit h auf Ausgleichung beruhe. Die
beschränkte Wirksamkeit der vermutheten Lautneigung würde darauf
hinweisen, dass sie sich in sehr engen Grenzen bewegt habe. Dem
Eingreifen des Accentes werden wir die Erscheinung kaum zu¬
schreiben dürfen: neben -hi (-dhi), grhä finden wir -mähe, -mähi.
Eine verhältnissmässig grosse Anzahl der in Rede stehenden Formen
zeigen aber das h in intervocalischer Stellung ; sollte also die alte Regel vielleicht gelautet haben : in intervocalischer Stellung werden dh, bh zu. h?
t, i
von Bradke, Beiträge zur altind. Eeligions- u. Sprachgeschichte. 661
Ohne Schwierigkeit erkläri;en sich aus der vermutheten Regel
nur -mähe (-mähi) , grhä und kakuha. grhä würde zeigen , dass
ein Vocal ganz ebenso wie die übrigen Vocale gewirkt habe; für
alte Nasalis Sonans dürften wir die gleiche Wirkung ma so sicherer
voraussetzen , als dieselbe bereits in arischer Zeit zu a geworden
zu sein scheint, während es sich hier um eine speciell indische
Lautneigung handelt (vgl. jahi zu han). In grabh, grab könnten
sich die Formen mit antevocalischem h und anteconsonantischem
bh gegenseitig ausgeglichen haben (vgl. dazu garbha'?). Einige
Schwierigkeit macht bereits -hi, -dhi. Zwar könnten vedische
Formen wie bödhi (zu bhü) , (jrudhi , ^rnudhi an die postconsonan-
tischen Formen angelehnt sein ; aber wie erklärten sich dehi, dhehi
aus *dazdhi, *dhazdhi neben edhi, 9ädhi aus *azdhi, *9äzdhi ? Dass
edhi die lautgesetzliche Form wäre, zeigten medhä, miyedha. Doch
wäre bei der bedeutenden Fähigkeit grade der Wurzehi dä, dhä,
immer neue Praesens-Stämme zu bilden (cf dazu Delbrück , Das
Altindische Verbum p. 106), die MögUchkeit nicht ausgeschlossen,
dass auch de-, dhe- als Praesens-Stämme empfunden avurden (vgl.
ved. dhetana, wo das e wohl kaum lautgesetzlich entwickelt sein
dürfte, cf Roth, Erläuterungen zu Nir. 6, 27. Delbrück 1. c. und
p. 44. E. Kuhn, Beitr. z. Pali-Gramm. p. 98), zu denen dann dehi,
dhehi neu gebüdet wurden. Aber andere Formen sträuben sich
energischer gegen unsere Erklärung. Bei hita lautet das h an:
zwar wäre zu erwägen , dass die meisten Praepositionen vocaUsch
auslauten ; dem Äita gegenüber muss es aber als einigermassen auf¬
fällig bezeichnet werden, dass neben dem regelrechten dadhmasi etc.
nur Formen wie dac^Äämi, dat^Aäu etc. mit intervocaUschem dh
überliefert sind, rudhira neben den regelmässigen Pormen röhita-lö- hita und rödhra-lödhra müsste an die letztgenannten Formen angelehnt
sein — eine Annahme, die nicht sehr einleuchtend wäre. In Be¬
zug auf virudh-, rödhati hätten wir gleichfaUs vorauszusetzen, dass
sie wieder hergestellt seien, obwohl für rödhati das Muster (etwa
*ruddhä?) in der UeberUeferung vöUig fehlt — ein Umstand, der
immerhin auffälUg wäre —, und obwohl für virudh- (statt *viruh-)
vor vocalisch anlautender Endung, wenn die Bildung virudh- aus
den Formen mit consonantisch anlautender Endung herstammte,
vielmehr *vlrut oder *virud erwartet werden müsste (vgl. kakud-,
kakuda- neben kakubh-, kakuha- oben p. 660).
Wenn bereits die soeben behandelten FäUe die für das Alt¬
vedische vorausgesetzte Lautneigung ziemlich zweifelhaft erscheinen
lassen, so wird uns ein kurzer Ueberblick über solche Formen
unserer Ueberheferung, welche neben dh, bh keine Bildung mit h
aufweisen, vollends davon überzeugen, dass die erwähnte Hypothese
den Thatsachen nicht entspreche. In Wurzeln auf -rdh, -rbh, -ndh,
■mbh, welche in den schwachen Pormen )■ oder a haben, könnten
allerdings diejenigen Bildungen, welche vor dh, bh den Consonanten
zeigen, regelmässig überwogen haben. Die folgenden Beispiele ent-
44*
662 Bradke, Beiträge zur altind. Religions- u. Sprachgeschiehte.
nehme icli Whitney's Roots, Verb-Forms etc. , wobei ich bemerke,
dass Whitney die ar-) -Wurzeln regelmässig in der r-Form, die
aw-a-Wurzeln aber wechselnd mit an und a ansetzt; der besseren
Uebersicht halber gebe ich bei den letzteren diejenige Form, welche Whitney voranstellt , in cui'sivem Druck : ardh-rdh , gardh-grdh, mardh-mrdh , vardh-vrdh , 9ardh-9rdh ; bandh • badh , r&ndih-radh [vgl. dazu indh-M^Ä, «jVit^A-vidh (?), 2. rundh- jmö(ä („hemmen"),
9undh-4iWÄJ; ■— darbh-drbh; dambh-daM, rambh-m6/i (lambh-
Labh), (p-ambh-i}ra,h\i, skambh-skahh, stambh-sta.h}i [vgl. dazu umbh-
ubh, 9umbh-(;MÖ/i]. Andere Verba müssten ihr dh, bh dem n- oder
y- Praesens (4. 5. 9. Cl. , zur 7. Cl. S. o.) oder deu Formen mit
einem i-Suffix verdanken ; hierher würden gehören rädh : rädhnöti,
rädliynte, räddha (ob die W. aus *rndh herzuleiten ist oder mcht,
wäre für unsre Untersuchung gleichgültig, cf. o. p. 661; zur W.
vgl. Job. Schmidt, Vocal. 1, 36. Fick' I, 191); sädh, sädhati
RV. 1) — 2. sidh: sidhyati, siddha; krudh: krudhyati, kruddha;
kshudh : kt^hudhyati ; budh : budhyate , bödhati , buddha (cf. dazu
Fick' I, 1-02); yudb: yudhyatß, yödhati, yuddha, vgl. äyudha;
vyadh : vidhyati, viddha ; — kshubh : kshubhyati E., kshöbhate U ',
kshubdha; lubb: lubhyati, löbhase C\ lubdba (cf Fick» I, 201.
Kluge WB. s. lieb). Eine weitere Reihe von Verben müsste ihr
dh, bh aus (zum Theil nicht belegten) Formen mit nicht präsen¬
tischem y- oder mit ^-Suffix (resp. -dhi) bezogen haben ; vgl. bädh :
bädhate, pass, bädhyate E. , bädhita (die Herleitung aus *bndh, cf
Joh. Schmidt, Vocal. 1, 93 f Fick'' 1, 156 käme für uns nicht in
Betracht); vadh: vadheyam, vadhyät, pass, vadhyatö E. ; 1. sidh:
sedhati , pass, sidhyate E. , siddha , seddhum B. ; yabh : yabhati, yabdhum-yabhitum, yapsyati ; ribh : rebhati, pass, ribhyate ; stubh :
stöbhati V., stöbdhi JB., stubhäna RV., stubdha B. Die folgendeu
Verba sind nur mit intervocalischer Aspirata belegt : vrädh RV.,
1. vidh , sridh , dudh (vgl. aber dudhra ; zu dhü ? Wh.) , edh (aus
i'dh, ardh? S. u.). — Weitere Schwierigkeiten raachen die Casus-
Endungen -bhis , -bhyas , bhyäm (ved. auch -bhias , bliiäm , vgl.
Whitney , Ind. Gramm. |^ 308 f ); doch liessen sich auch diese
allenfalls heben , nur ist die grosse Anzahl von Schwierigkeiteu,
die sich keineswegs immer zwanglos beseitigen liessen , an sich
bereits überaus bedenklich. Zuvörderst sind ira Veda die Formen
-bhyas, -bhyäm weit häufiger, als -bhias, -bhiäm: -äbhyäm erscheint im RV. 24, -äbhiära nur 3 Mal (Lanman, Noun-Inttection in the Veda,
p. 343 f 361); -ebhyas 95, -ebbias 72 Mal (davon 20 Mal am
Ende eines Jagati-, 20 Mal a. E. eines Anushtubh-Päda, p. 350 f ;
-äbhyas 12, -äbhias allerdings 14 Mal (p. 364). Sodann geht grade
der Instr. pl. der zahh-eichsten Staramclasse, der Stämme auf kurz
a m. n. , schon in der ältesten Literatur häufiger auf -äis , als auf
1) sadlmuti, saddM JB., welche Whitney, Uuets ?,. sädh stellt, gehören schwerlich zn ilieser \V.; vgl. d.izu :iuch Bi'ilitlingk, Z. II M. G. ;<9, :>'dl .
V071 Bradke, Beiträge zw altind. Religions- n. Spraclif/e.scliichte. QQ'^
-febhis aus (-äis 666 Mal RV., 226 AV.; -ebhis 571 RV., 43 AV.,
cf. Lanman 1. c. p. 577. 349); doch erscheint das bh in -bhis
immerhin häufig genug in intervocalischer Stellung: ausser -ebhis
vgl. z. B. -äbhis RV. 295 (Lanman p. 363 f ), -ibhis, Sbhis 785 Mal
(p. 396); auch die ar-an-Stämme gehörten hierher (-rbhis, -abhis).
Die Möglichkeit wäre demnach nicht ausgeschlossen, dass die Suffixe -bhyas, -bhyäm, sowie der Instr. pl. der allerdings, wenn ich nicht
irre , weit seltneren Stämme mit consonantischem Auslaut auf die
Gestaltung des Suffixes -bhis eingewirkt hätten. — Die grössten
Bedenken gegen die vennuthete Lautneigung ergeben sich aber
aus der Betrachtung isolirter Pormen mit intervocalischem dh, bh :
üdhan , üdhar , üdhas erscheint im RV. (cf Grassmann WB. und
Nachtrag) 49 Mal mit intervocalischem, nur einmal mit nicht inter¬
vocalischem dh : dazu kommen an-üdhäs , rap^ad-üdhabhis , achi-
drödhni , .smad-üdhuis je ein Mal; — der AV. hat 7 ihm eigen¬
thümliche Formen dieser Stämme mit intervocalischem dh, ausserdem
kilälödhni ein Mal. Zu nabhas gr. vtff oc; sammt den zugehörigen
Pomen finden wir ausser 1. nabhya, abhinabhya (PW.) und nam-
bhaya (? die Zugehörigkeit ist nioht sicher, und das m vielleieht
erst secundär), in der Literatur nur Bildungen mit intervocalischem
bh (Whitney , Roots etc. s. nabh ; cf aber ambhas V). vadhü zeigt
im RV. von 11 Formen nur 2, welche kein intervocalisches dh
haben, und zwar in den augenscheinlich jungen Versen 30 und 31
des Liedes 10. 85 (= AV. 14, 1, 27. 2, 10 vadhväs; cf Whitney,
Index, wonach Grassmann WB. zu verbe.ssern ist) ; dazu vadhümant
4. vadhüyu 6, vädhüya 1 Mal; — der AV. hat an 13 ihm eigen¬
thümlichen Stellen die Form mit intervocalischem , nur an einer
(14, 2, 73) eine solche mit nicht intervocalischem dh; ausserdem
vadhü-dar(;a , vadhü-patha, vadhümant, vadhüyu, vädhüya je ein
Mal. Wenn unsre Regel den Thatsachen entspräche , so müssten
wir hier eine Form *vahü um so eher erwarten , als ueben vadh
bereits seit altindogermanischer Zeit eine W. vagh', skr. vah stand
(av. vad-vaz, cf Pick' 1, 206. 209 und weiter unt.): es wäre iu
der That völlig unverständUch, wie die seltne Form vadhv- eine
lautgesetzlich entstandene Form *vahü , die einen starken Halt an
der W. vah gehabt haben würde, hätte verdrängen könuen. — rbhu
und Zubehör zeigt ausser iu rbhva, rbhvan. rbhvas, deren Zugehörig¬
keit nicht ganz sicher ist, im RV. und AV. nur die Form mit
intervocalischer Aspirata, öshadhi, öshadhi und surabhi, -in, -is
haben im RV. und AV. ein stets intervocalisches dh. näbhi zeigt
innerhalb des RV. allein in dem wohl späten Liede 10, 90, V. 14
consonantisches _?/; im AV. nur im entsprechenden Verse 19, 6, 8.
Für sabhä (cf Pick ' I, 227), ibha (dazu smad-ibha) hätten die
zugehörigen Adjectiva sabhya AV. . ibhya RV. den vorausgesetzten
Wandel kaum aufbalten können. Dazu kommen ubha, ubhaya,
av. uba, uva (cf dazu Roth, Ja(;na 31, p. 16 und Geldner, Metrik
p. 21); adhi, abhi fcf av. aibi, aiwi und Gra.ssmann KZ. 23, 575.
i 6 •
(564 ""On Brtodke, Beiträge zur altind. Religions- u. Sprachgeschichte.
Fick ' I, 18. 271), wo allerdings die antevocalische Form fiir das
dh, bh verantwortlich gemacht werden könnte ; femer adhas, adhara,
adhama (Fick' I, 15). —■ Ueberaus deutUch spricht endlich das
Suffix -bha (vgl. Lindner, Altindische Nominalbüdung p. 49. Whitney,
Ind. Gramm. § 1199), welches im Ai. nur postvocalisch belegt ist,
gegen unsere Hypothese. Dieses gemein-indogerm. Suffix '), welches
besonders Thiernamen bildet, findet sich im Skr., soweit ich sehen
kann, nie in der Form -ha ; varäha, woran gedacht werden könnte,
lautet im Avesta varäza. Im RV. erscheinen die folgenden Formen
mit dem Suffix -bha : räsabha , gardabha , rshabha-rshan , vrshabha-
vi'shan (die Enstehung des a aus n ist für unsere Untersuchung
gleichgültig, S. o p. 661); im AV. ausser den drei letztgenannten:
(;arabha (im RV. Nom. propr. ; vgl. auch das spätere (jalabha) , ku-
kürabha, 9erabha; sthülabha (zu sthüla). Vgl. femer im PW.
karabha, kalabha, lushabha.
Es dürfte demnach kaum einem Zweifel unterliegen, dass in
der Sprache , welche wir „Altindisch' zu nennen pfiegen , d. h. im
vedischen und classischen Sanskrit , ein Lautgesetz , nach welchem
intervocalisches dh , bh zn h werden müsste , nicht besteht. Auch
sehe ich nicht, wie sich die zwar seltne, aber in einigen Fällen
gesicherte Vertretung eines alten dh, bh durch skr. h lautlich in
anderer Weise aus dem Sanskrit heraus erklären liesse. So sehr
wir uns nun der Möglichkeit auch bewusst sein können, dass das
negative Resultat der bisher geführten Untersuchung nicht sowobl
den sprachlichen Thatsachen, als etwa der mangelhaften Erkennt¬
niss des Untersuchenden oder dem gegenwärtigen Stande der Wissen¬
schaft überhaupt zuzuschreiben sei ; so werden wir es uns doch
nicht versagen wollen, von einem Standpunkte aus, den wir immer¬
hin erst nach einer, wie ich hoffe, sorgfältigen Erforschung des
Terrain's einnehmen , uns weiter danach umzusehen , ob sich viel¬
leicht auf anderem Wege eine ausreichende Erklärung der in Rede
stehenden Erscheinung eiTeichen lasse. Da tritt uns denn die
bereits im Beginne dieses Aufsatzes erwähnte Thatsache entgegen,
dass im Sanskrit neben Formen mit altem dh, bh in gleicher oder
sehr ähnlicher Bedeutung auch Formen mit altem, d. h. lautgesetz¬
lich aus ig. gh entwickeltem h stehen. Dadurch wird uns die
Frage sehr nahe gelegt, ob nicht solche indogerm. Doppelformen
das Muster für die speciell indischen Doppelformen geworden seien;
mit anderen Worten: ob diese ig. Doppelformeu vieUeicht die
Empfindung für die Differenz zwischen dh-bh-Yormen einerseits und
A-Formen andrerseits dermassen abgeschwächt haben könnten, dass
nun auch zu alten dh - bh-Fomen neue Formen mit h gebildet
wurden, welche dann bisweilen die Formen mit dh, bh vollständig
1) Vgl. gr. ilaipos-ikXoe, epi<pot;, cf. Legerlotz, KZ. 8, 50 ff. Brugmann, MU. 2, 239 f; lat. columba? cf. Fröhde, BB. 8, 167.
4 6*
voll Bradlce, Beiträge zur nltind. Religions- u. Spracligescliichte. 665
verdrängten. Diese Vermuthung würde allerdings nur dann eine
gewisse Wahrscheinlichkeit haben , wenn vvir einerseits annehmen
dürften, dass die alten Doppelformen häufig und ohne sonderlichen
ünterschied der Bedeutung neben einander gebraucht worden seien,
andrerseits eine gewisse Analogie der Bildung die neuen mit den
alten Doppelformen verbände.
Mit vollkommener Sicherheit werden wir alte Doppelformen
nur da ansetzen dürfen , wo schon in der ältesten Literatur die
Behandlung der A-Form, besonders beim Zusammenstoss des h mit
anderen Consonanten , deutlich auf die Entstehung dieses Lautes
aus altem gh hinweist, und die verwandten Sprachen die Ansetzung
der ig. Wurzel mit gh bestätigen. In den anderen Fällen bliebe
die Möglichkeit bestehen , dass die Doppelform auf jene speciell
indische Erscheinung, welche durch den soeben besprochenen üeber¬
gang eines alten dh, bh in skr. h bedingt ist, zurückzufübren sei.
Indem ich im Folgenden eine Reihe solcher Doppelformen,
die indogerm. Ursprunges sein können , aufzeichne , stelle ich die¬
jenigen voran , die ich mit Sicherheit oder wenigstens mit grosser
Wahrscheinlichkeit für indogerm. halten zu dürfen glaube.
1) vah-vadh, cf vadhü [vadhü : vadh = uxor : vehere Vgl.
Fick« I, 207. II, 244; anders Ascoli, KZ. 13, 157 ff. Corssen,
Vocal.* I, 171. 312]; anad-udbhyas AV. , anad-utsu RV. neben
anad-vah (vgl. Whitney, Ind. Gramm. § 404) sind nicht ganz sichere
Beispiele für die ai. W. vadh, da der Nom. anadvän AV. die d-
Formen veranlasst haben könnte (vgl. dazu Lanman, Noun-Inflection
p. 559 f 499); doch wäre auch der umgekehrte Entwickelungs¬
gang immerhin nicht unmöglich, av. vaz-vad ; vgl. Fick ' I, 206.
209. Zu vah finden wir im RV. eine Fülle von dh- und ksh-
Formen : vödham, vödhäm, vödhar-, vödhave, vödhum, üdha ; vakshi,
vakshas, vakshat etc. (cf Grassmann WB.). — Diese ai. Doppelform
ist meines Wissens die einzige , welche wir mit voller Sicherheit
bis in die ig. Urzeit hinein verfolgen können. Bei den übrigen
fehlen im Ai. die für altes h entscheidenden Bildungen, wofern
nicht etwa die Reduphcation mit j als eine solche gelten darf.
2) hvar, hru — dhvar, dhru cf druh ; av. zbar — dvar, dru cf
druj (vgl. Justi s. w. Fick ' I, 468, cf 82(?); 121. 353 und
ob. p. 351 f). cf jihvaras, juhuras, juhuräna RV.
3) har-bhar (vgl. auch dhar); cf Curtius * p. 199. Fick WB»
I, 82, 465 (?) und BB. 1, 57 ; besonders Ascoli, Studj Critici II, 129
Anm. 16. Dass ims in skr. har und bhar, die begriSlich einander
sehr nahe stehen, eine ig. Doppelform überliefert ist, wird wesent¬
lich durch den Umstand wahrscheinlich gemacht, dass har und
bhar sich schon im RV. in einigen Formen gegenseitig beeinflusst
haben: als ihr gemeinsames Perfect fungirt im RV. und AV. regel-
1) uxO)" nach soror wie arisdi naptar neben napät lat. uepöt- nach pitar, bhrätar? Tgl. Waclternagel, KZ. 25, 289 f. Osthoff, Perfect p. 599 ff.
666 ''■'01' Bradke, Beitriifje zur altind. Relir/ionn- u. Sprach fieschichte.
mässig jabhära. bahhära finden wir im RV. nur zwei Mal im
selben Liede (babhre 3, 1, 10; babhräna 8), im AV. gar nicht;
jahära ein Mal im AV. (3, 9, 6 jaharus, 1. jabrus, cf. Whitney, Index),
während im RV. diese Perfect-Form fehlt. Ueberhaupt gewinnt
har bereits im AV. gegenüber dem RV. , wo bhar weit überwiegt,
bedeutend an Terrain. Der Trieb , die verwandten Formen ein¬
ander anzugleichen und Fremdes auch formell zu sondem, besonders
aber wohl die zunehmende gi-ammatische Schulung schied dann die
Perfecta beider Wurzeln reinlicher von einander, und so finden
wir in der späteren Literatur babbära und jahära, während jabhära
schwindet. — Die öfter gebrauchte Form jabhära mag das ein
Mal im RV. belegte Intens, jarbbi-tas neben häufigerem bharibbr-
veranlassti haben (vgl. auch das spätere baribhr- neben fsam-) jarihr-
im PW. s. bhar, sarn-bar und bei Whitney, Roots). — Besondere
Schwierigkeit macht jarbhur- (nur im RV. belegt), das vom PW.,
Grassmann WB. s. v., Fick ' I, 163, Job. Schmidt, Vocal. II, 223
cf 269 f (vgl. auch Curtius ^ , p. 303) zu gr. nogrpvoi» gestellt
wird. Die Beduplicationssilbe in j'ar-bhur köunte derjenigen von
noQ-tfjVQiti keinesfalls genau entsprechen; sollte auch jarbhur (für
*barbhur) an jabhära angelehnt sein?
4j sparh (sprhayati RV. und später) „eifern um, eifrig be¬
gehren nach E., c. Dat.' neben spardh fspardbatf'') „wetteifern ; sich
bewerben, streiten um E. c. Dat. Loc. Acc' (PW. , cf Grassmann
WB.) ; av. sparez-spared (je ein Mal) , gr. anBoyo) ("Fick ' I, 253.
458). sprhayati ist vielleicht Denominativ zu sprhä MBh. und sonst
fcf Delbi-ück, das Altind. Verb. p. 204). Ob wir es bei sparh
(überwiegend mit intervoc. h belegt, cf Whitney, Roots) — spardh
mit einer indogerm. oder speciell indischen Doppelform zu thun
haben, dürfte zweifelhaft erscheinen.
5) nah-nadh. Die entscheidenden Formen weisen sämmtlich
auf nadh; vgl. dazu Pän. 8, 2, 34 f= gr. vrjd'ta'^ 'cf Curtius ^
p. 316): neben nahyati cf nahus steht naddha RV. AV. , cf upä-
nadbhis, upänadyuga zu upänah (Whitney, Ind. Gramm. § 223 E.),
parinat zu parinah (PW. s. v.). Eine sanskritische W. nah = ig.
nagh schwebt völlig in der Luft, wofem nicht an amh, ah (arnhas.
av. ilzaiih. cf Fick' I, 9. 264. Curtiusp. 190 fl erinnert werden
darf. Aehnhch steht es , soweit ich sehen kann . mit der ig. W.
*negb „biAden, knüpfen' (cf dazu Fick' I. 124. 358): ob lat.
necto dahin gehört, oder zu einer W. nek, erscheint zweifelhaft;
im letzteren Falle würde sich germ, nach, Nachbar, nahe (cf Kluge
WB. s. vv.) begriölich dazu verhalten , wie gr. äyyi , dr//oi/ zu
uyyoi, skr. arnb (Curtius''. p. 190f), skr. nahus, nahusha zu na¬
hyati , skr. nedlyams-nedishtha , av. nazdista zu lat. nödus , nhd.
Nestel (vgl. Kluge, WB. s. Nestel, Netz und KZ. 25, 313: über
nazd- anders Bragmanu MU. 2. 156). — Hier befinden wir uns
bereits auf recht schwankendem Boden. Was ich sonst anzuführen
wüsste, dürfte noch weniger besagen, da von den ig. Doppelformen,
von Bradl e, Beiiriiije snr altind. Relir/ioiiJi- ■n. Sprachr/escliiclite. 667
welche weiter in Betracht kämen , einige in ihrer Bedeutung oder
Form einander vielleicht nicht nahe genug stehen , um als zu¬
sammengehörig empfunden werden zu können , andere im Sanskrit
nur noch in der Ä-Form überliefert oder wenigstens in der Literatur
allein in dieser Form belegt sind. Doch dürfte es nicht ganz
überflüssig erscheinen , auch auf ig. Doppelformen dieser Art einen
Blick zu werfen , da ja die speciell indischen Doppelformen in die
voiTedische Zeit zurückreichen , und in dieser noch eine oder die
andere ig. Doppelform bestanden haben könnte , welche in der uns
überlieferten Sprache allein in der Ä-Form weiter lebt.
6) harsh- Ijharsh in bhrshti , Zacke . Spitze" cf nhd. Borste fA. Kuhn in KZ. 11, 372 ff. Kluge WB. s. Borste, Barsch f); bharsh,
bhrsh könnte ursprünglich ganz wohl die Bedeutung „stan-en" ge¬
habt haben, harsh, ved. harshate mag im Sinne „freudig, ungeduldig bereit sein zu E. c. Dat." vielleicht auch als bedeutungsverwandt mit dharsh , dharshati „dreist , muthig , unverzagt sein , sich an J.
wagen' empfunden worden sein.
7) har, hrnitA „grollen" — bhar, bhrnäti ? (Dhätup., cf PW. s.
2. bhar : u. a. auch bhartsane) ; vgl. hrniy, hrnäy RV. neben bhrniy
Naigh. 2, 12 fcf dazu Osthoff, MU. 4. 216 Anm.), und weiter
bhara 2. d. im PW : „Kampf, vgl. yaouri" (dagegen 1. bhar 4).
Pick' I, 159.
8) Neben har , haryati „gern wollen , haben wollen , begehren nach c. Acc." steht PW. dhar 22 b fmed.-pass. , cf dazu Whitney,
Ind. Gramm. § 773) „sich anschicken, unternehmen, beginnen c. Dat.
Acc. Inf". Vgl. gr. yainoj. ßelu fFick ' 1, 80. 116. Curtius 5,
p. 726: dagegen Joh." Schmidt, KZ. 25. 171 f).
Uj guh : güdha, güdhvi, aghukshat, jugiikshatas RV. ; av. guz,
ig. ghugh' oder gugh'. Daneben in einer dem Anscheine nach
sehr ähnlichen Bedeutung ig. kbudh. vgl. Hübschmann, KZ. 24, 412.
Kluge, Wß. S.Hort, Hütte, Haus, und Paul und Braune's Beitr. 9, 153;
gehört hierher auch das der späteren Sanskrit-Literatur angehörige
l'W. 2 kuha, kuhaka (für «kudha: cf. Fick' I, 50. Osthott'. MU.
4, 91. Bartholomae, BB. 10. 290)? gr. xsvifoj könnte zu kbudh,
vielleicht aber auch zu ghugh' gezogen werden (vgl. über diese
Gruppen Joh. Schmidt. KZ. 25, 164 ff.). —
Wenn wir all die soeben betrachteten Doppelformen mit,
Sicherheit aus der ig. Zeit herleiten und zugleich ihre Weiter-
existenz für die älte.ste speciell-indiscbe Zeit voraussetzen dürften, so liessen sich, wie ich glaube, Pormen wie grabh-grah, -dhita-hita
allenfalls als Analogiebildungen nach vadh-vah, bhar-har verstehen :
eine Form wie hita vielleicht um so leichter, als ja nach dem
bekannten Sandhi-Gesetz ein anlautendes h in die dem auslautenden
Explosivlaute des vorhergehenden Woiies entsprechende Med. Asp.
übergehen kann , nachdem event, eine Tenuis vor dem Ä tönend
geworden ist (cf Whitney, Ind. Gramm. § 163; also etwa nach
dem Schema hita: ud-dhita = har: uddhar. vgl. dhar). Aber die
668 Bradli-e, Bdtröge zur altind Religions- u. Sprachgeschichte.
Suffixe -mahe, -hi neben -dhi blieben dabei so räthselhaft wie zuvor:
denn dass diese nach dem Muster von ig. Doppelformen wie vadh-
vah oder bhar-har, mit denen sie durch keinerlei Bande verknüpft
waren, gebildet sein sollten, läge meiner Meinung nach ausser dem
Bereiche aller Wahrscheinlichkeit. Erwägen wir femer , dass die
oben erwähnten Voraussetzungen nur in relativ geringem Masse
zutreffen: so werden wir auch diesen Versuch, zu einem Verständ¬
niss der speciell indischen Formen mit h neben altem dh, bh zu
gelangen, aufgeben müssen.
Wollen wir einen weiteren Erklärangsversuch wagen, so drängt
sich uns fast unwillkürlich die Frage auf, ob eine Erscheinung,
die zwar in einzelnen Fällen als gesichert angesehen werden darf,
aber eben nur in vereinzelten Fällen gegenüber der Fülle von
Formen, welche die altindogerm. Bildung bewabrt haben, — ob
eine solche Erscheinung nicht vielleicht auf dem Einflüsse anderer
indo-arischer Dialecte berahen könne? Treten wir dieser Frage
näher, so dürfte die Beantwortung derselben, wenn ich nicht irre,
wesenthch von der Antwort abhängen, die wir auf drei Vorfragen
erhalten werden:
1) Verbieten allgemeine Gründe, die in der Art unserer ältesten
Ueberlieferang und der dichterischen Production , die ihr vorher¬
gegangen sein mag, liegen könnten, es nicht schon von vornherein,
für eine Zeit, welche jedenfaUs der uns vorUegenden Redaetion der
Rigveda-Hymnen vorhergegangen sein muss '), den Einfluss anderer
indo-arischer Dialecte auf die Sprache der heUigen Lieder — ja
selbst die Existenz solcher Dialecte anzunehmen.
2) Finden mr auch abgesehen von derjenigen Erscheinung,
die uns hier vorzugsweise beschäftigt, in dem überUeferten Rigveda
1) Dass der Redactor oder die Redaetoren des Rigveda Tollisdialectische Bildungen in unsere Sammlung hereingebracht hätten , liesse sich meiner Meinung nach kaum voraussetzen. Sehen wir auch davon ab , dass um die Zeit der Rigveda-Kedaction die heiligen Lieder und die heilige Sprache wohl viel zu heilig gehalten wurden, um sie dureh Einmengung volksdialectischer Bildungen zu profaniren; so scheint sehon die ganze Art der Redaetion. soweit wir sie verstehen, darauf hinzudeuten, dass sie eher bestrebt war, die Sprache der Hymnen in der Riehtung des späteren Sanskrit grammatikalisch gleichsam zu stilisireu: dafür spricht besonders die redactionelle Durchführung der späteren Sandhi-Gesetze. welche die ursprüngliche Gestalt der Hymnen in nieht geringem Grade verändert hat. Als ein hübsches Beispiel für die Strenge, mit der die Kedaction ihre grammatikalischen Grundsätze durchzuführen suchte, erwähne ieh.
dass im Sainhitä- wie im Pada-Text der Regel gemäss (vgl Whitney, Ind. Gramm.
§ 541 das d der \V. iii zwisehen Vocalen stets als l, in idya dagegen als erscheint . obwohl aucb dieses Wort . wie das Metrum zeigt . fast immer mit vocalischem /. also 'ilia. gelesen werden rauss: cf z B, 10. .53. 2 (vgl. Grass¬
mann WB und dazu Rigveda-Prätifäkhya ed. Ma.\ Müller. X. LUD. Vgl. be¬
sonders Roth. KZ, 2ii. 50 ff.
von Bradke, Beiträge zur altind. Religionis- u. Sprachgeschichte. 669
deutliche Spuren anderer indo-arischer Dialecte ? Mit anderen Worten:
finden wir im Rigveda als sporadisch auftretende Erscheinung die¬
selben oder analoge Lautwandlungen , wie sie in uns bekannten
indo-arischen Volksdialecten , die jedenfalls einer viel späteren Zeit angehören, regelrecht einzutreten pflegen?
3) Gehört der üebergang besonders eines intervocaUschen dh,
M in Ä zu denjenigen Lautneigungen , welche den spätereu indo-
arischen Dialecten vorzugsweise geläufig sind ?
Wenn wir die erste dieser Vorfragen vemeinen und die beiden
anderen bejahen dürfen, so werden wir, wie ich glaube, einiges
Recht dazu haben , die in Rede stehende Erscheinung auf uralten
volksdialectischen Einfluss zurückzuführen.
Ad 1. — Im Rigveda ist uns ohne Zweifel das älteste Denkmal
der altindischen Sprache, vielleicht des ganzen indogerm. Sprach¬
stammes überliefert. Auch wird kaum daran gezweifelt werden
dürfen, dass der Rigveda in der Gestalt, wie er uns heute vorliegt,
zum mindesten seit dritthalb Jahrtausenden, durch die sorgsame
Pietät seiner Verehrer selbst dem Wechsel entrückt, Zeuge der
wechselnden Schicksale seines Volkes gewesen ist. Dass er aber
die ganze Entwickelung seines Stammes seit der Trennung der
arischen Völker miterlebt habe , ergiebt sich daraus ebenso wenig,
wie wir etwa aus dem Umstände, dass Homer an der Spitze der
griechischen üeberlieferang steht, folgem dürften, mit Homer be¬
ginne überhaupt erst ein speciell griechisches Volksthum. Die An¬
nahme, der Veda stände gleichsam an der SchweUe des Thores,
welches von der arischen ürzeit zur rein indischen Entwickelung
führt, erhielte, wie ich glaube, auch durch die nahe Verwandtschaft
der vedischen Sprache mit der des Avesta eine nur schwache Stütze.
Denn wollten wir auch von der Frage absehen, wie weit die Sprache
dieser heiligen Bücher der arischen Bruderstämme ihre Altertbüm¬
lichkeit äusseren Gründen, z. B. priesterlicber Fixirang, verdanken mag; so erschiene es immerhin noch zweifelhaft, ob das Altindische
und Alteranische einander wirklich so sehr viel näher stehen , als
etwa das Französische und Italienische; und doch sind seit der
Zeit, da diese ihre eignen Wege zu gehen begannen, an anderthalb
Jahrtausende verflossen. — Wir werden also gut thun, bei Er¬
wägung der Stelle, welche dem RV. in der indischen Gesammt¬
entwickelung zuzuweisen sei, in erster Linie den Rigveda selbst
sprechen zu lassen.
Die Lieder des RV. sind keine Volkslieder, ihre Sprache ist
keine Volkssprache. Diese Hymnen spiegeln kein naives Empfinden
wieder , welches mit einer noch ungebändigten Sprache ringt , sich
den adäquaten Ausdrack Schritt für Schritt erkämpfen muss; sie
sind vielmehr, wenigstens zum weitaus grössten Theil, formelhaft:
der meist nicht gei ade origin eUe Gedanke ist in eine bestimmt
fixirte poetische Ausdrucksweise, die vom Dichter nicht immer aus-
ß70 '"'"!>■Bradlce, Beitriiije znr altind. Relifjinns- u. Sprnehf/eschiehte.
reichend verstanden wird , gleichsam hineingebannt. Die älteste
indische Poesie hat einen weiten Weg zurücklegen müssen, ebe sie
hier anlangte ; wenngleich im RV. auch Fragmente, vielleicht selbst
ganze Lieder aus uralter Zeit überliefert sein mögen : im wesent¬
lichen ist es nicht die Zeit des Beginnes oder der Blüthe, sondern
die des Ausklingens der ältesten indischen Lyrik , welche der uns
erhaltenen Sammlung ihre charakteristische Färbung gegeben hat
Die Heiligkeit von Lied und Spruch reicht gewiss in sehr alte
Zeiten zurück : auch damals , als die Inder noch fröhlich und frei
ihr Lied sangen, und das Dichten zwar das naturgemässe Privilegium
der Gebildeten — wie vrir sie mutatis mutandis vielleicht nennen
dürfen —, vor Allem der Priester, aber noch nicht ein besonderes
priesterliches Gewerbe war, — auch damals vrird der Dichter als
ein Gottbegnadeter gepriesen und verehrt, das Lied als ein Heiliges
und Segenbringendes , ja als ein Zauberhaftes bewundert worden
sein ; aber die ängstliche Verehnmg der Epigonenzeit, die den Sinn
der von den Vätern ererbten Lieder nur unvollkommen verstand
und der desshalb das Heil an jedem Buchstaben, jedem Laute hing,
wird jener alten Zeit durchaus fremd gewesen sein. Auch später,
da der frisch sprudelnde Quell des Gesanges am Versiegen war,
und man begann, mühsam in die Tiefe zu graben oder mehr oder
weniger brauchbare Surrogate zu verwenden; als eine künstliche
Dichtart, nach Neuem begierig, sich an mystischem Spiele mit
Worteu versuchte und aus den alten Liedem noch viel schönere
neue machte : auch damals vrird die unbedingte Heiligkeit des über¬
lieferten Wortes kaum gegolten haben. Das von den Vorfahreu
Ererbte pflegt solchen Zeiten kaum mebr zu sein , als eine schätz¬
bare Fundgrube zur Gewinnung des Robmaterials: die Bearbeitung
und Fassung behält man sich selbst vor. Erst dann , wenn die
heilige Ueberlieferung unverständlich zu werden beginnt und die
Unmöglichkeit eintritt. Neues der gleichen Art zu schaffen oder
auch nur das Gegebene weiter zu variiren, — erst dann tritt das
Bedürfniss nach unbedingter Fixirung des Wortes, ja des Lautes
ein ; erst dann wird jeder Buchstabe ein Heiligthum. — Selbst wenn
aber schon seit den friihesten Zeiten indischer Lyrik das Streben
nach treuer Bewahrung der Hvmnen vorhanden gewesen wäre . so
hätte dasselhe doch nur in sehr beschränktem Masse Aussicht auf
Erfolg haben können. Die alten Lieder dürften sehr lange , wahr¬
scheinlich bis zu ihrer Fixinmg in der Rigveda-Sammlung oder
den Rigveda-Sammlungen auf mündlichem Wege von einer Gene¬
ration der anderen überliefert worden sein. Wenn vrir demnach
nicht etwa die meines Erachtens nahezu unmögliche Vorausspfzunsr
gelten lassen wollen, dass in jener ältesten Zeit die heiligen Lieder
ll Vgl. dazu Kigved« cd Aulreclit II-, ji VI ff XII ff XXXVII ff Unrtli.
Keligions of India. p. XIII ff. und die ..Einleitenden Hemerkuiigen - mi iner Ali- liaudlung ..Dyaus .\siira etc.".
von Bradke, Beiträge zur altind. Religions- u. Sprachgeschichte. 671
unter Anwendimg derselben oder ähnlicher Cautelen gelehrt und
recitirt worden sind, wie später die Hymnen unseres RV. ; so werden
wir annehmen müssen, dass sich bei aller Sorgfalt Aenderungen und
Conuptelen mindestens in demselben, wahrscheinlich aber in erheb¬
lich höherem Grade in den Text der Lieder eingeschlichen haben,
als etwa in unsere Lutherbibel, die durch den Druck immerhin vor
den gröbsten Verunstaltungen einigermassen geschützt war.
Ein Factor verdient aber bei der Frage nach deu Verände¬
rungen, welchen die literarische Ueberlieferung eines Volkes ausge¬
setzt sein kann, besondere Beachtung: ich meine die gesprochene
Sprache. Dem Einflüsse dieses Factors wird sich , wie ich glaube,
die Ueberlieferung literarischer Denkmäler — wofern dieselben noch
im Volke lebendig sind und im Wechsel der Generationen immer
wieder gedruckt und gelesen, gelernt und gesagt werden — fast
niemals völlig entziehen können : ich darf auch hier auf unsre
deutsche Bibel verweisen. Andrerseits wird die Literatursprache
eines Volkes iu höherem oder geringerem Grade so gut wie immer
von der Weiterentwickelung der örtlichen Volksdialccte abhängig
sein ; eine Abhängigkeit , die sich besonders in der Aussprache,
weniger merklich in Abweichungen von dem Wortschatze der
„correcten" Sprache äussern düi-fte. Solchen Einflüssen hätten sich
sowohl bei der Uebeilieferung alter wie bei der Verfertigung neuer
Hymnen die alten Rishis ebenso wenig entziehen können, wie andere
Menschenkinder ; ja vielleicht noch weniger, da — wie wir sahen —
die älteste indische Lyrik bis zu ihrer Fixirung in den Rigveda-
iSaminlungen die conservirende Macht der Schrift nicht gekannt
haben dürfte. — Nun wäre doch wohl anzunehmen, dass die alten
Rishis — so heilig sie immer waren — neben der Literatursprache,
in der sie saugen und unter einander redeten , auch den örtlichen
Volksdialect gesprochen hätten ; wobei wu- uns vielleicht die sprach¬
lichen Verhältnisse etwa in der Weise denken düriten , wie das
spätere Drama sie gleichsam in künstlerischer Stilisirung abspiegelt.
Uuter solchen Umständen hätte sich ein Eindringen volksdialectischer
Lautueigungeu in die heilige Sprache — besonders bei isolirten
Formen und bei Wörtern des täglichen Lebens — kaum vermeiden
lassen; uud zwar um so weniger, je näher der Volksdialect noch
der Literatursprache stand. Sprach der Mann mit seiner Frau von
seinem yrha oder sagte zu seiner Tochter cJU Jx omm so musste
es ihm leicht zustossen, dieselben Formen auch in der „coiTecten"
Rede zu gebrauchen, — und sein Sohn wird sich dann gewiss nicht
mehr gescheut haben , diese allmählich correct gewordenen Formeu
iu die Dichtung selbst einzuführen — wenn er die alten Formeu
überhaupt uoch kannte. Dass solche Formen dann — besonders
bei der mündlichen Tradition — auch in die älteren Lieder eiu¬
drangen, wäre iäst selbstverständlich und bedarf kaum der Er¬
wähnung. Weuu wir somit Formen, die wir volksdialectischen! Ein¬
flüsse /.uschreiben möchten , selbst in sicher uralten Liedern oder
672 BracU-e, Beiträge znr altind. Religions- u. Sprachgeschichte.
Formeln fiinden, so würde eine solche Wahrnehmung ebenso wenig
gegen das hohe Alter des Liedes oder gegen den jüngeren Ursprung
der betreffenden Form aussagen , wie uns etwa der Umstand, dass
sich in einem Bibeldrucke unseres Jahrhunderts ganz junge Sprach¬
formen fänden , an dem Alter der Luther'schen Uebersetzung oder
an der Jugend dieser Sprachformen irre machen dürfte.
Wenn wir demnach zur Annahme berechtigt wären, dass sich
bereits zur Zeit vor unserer Rigveda-Sammlung indo-arische Volks-
dialecte neben der vedischen Literatursprache entwickelt hatten ; so
läge, wofern unsre Auffassung des RV. den Thatsachen entspricht,
kein Grund vor, die Möglichkeit zu bestreiten, dass diese Volks-
dialecte die Sprache unserer Rigveda - Hymnen beeinflusst haben
könnten. Andrerseits würde der Nachweis eines solchen Einflusses
eine erwünschte Bestätigung der soeben dargelegten Anschauung
über die Art und Stellung des RV. sein.
Sind wir aber in der That berechtigt, die Existenz indo-arischer
Volksdialecte für eine so frühe Zeit vorauszusetzen ?
Wenn unsere Rigveda - Sammlung einer späten Periode der
ältesten indischen Lyrik angehört, wie ich im Vorhergehenden glaub¬
haft zu machen versucht habe ; so ergäbe sich schon daraus , dass
sie weit vou jener Zeit abliege , da die beideu arischen Stämme
noch ein Volk bildeten. Diese Annahme würde weiter auch durch
den Umstand bekräftigt werden, dass in unserer Hymnen-Sammlung
die alten Gottheiten in weitem Umfange vor neu auftretenden Göttem
zurücktreten : eine Thatsache, welche durch die endgültige Ver¬
drängung des alten Göttervaters Dyäus aus dem indischen Pantheon
für unsere Auffassung der religiösen Verhältnisse jeuer Zeit be¬
sondere Bedeutung gewinnt. Wenn wir aber annehmen dürfen,
dass zwischen der Trennung der arischen Braderstämme und der
Sammlung unserer Rigveda-Hymnen ein bedeutender Zeitraum liege ;
so wäre a priori die Vermuthung nicht abzuweisen , dass sich im
Laufe dieser Zeit Dialecte ausgebildet hätten, welche der Literatur¬
sprache zwar noch nahe stehen mochten , aber immerhin eine von
dieser deutlich gesonderte Existenz hatteu. Von einer anderen Seite
aus wird uns die gleiche Vermuthung nahe gelegt. Wenn wir be¬
reits aus dem 6. Jahrh. von Dialecten Kunde haben, die allem An¬
scheine uach dem Sanskrit nicht mehr ganz nahe standen ; so dürfte
die Voraussetzimg, dass die Anlange dieser Entwickelung selbst
um 500—1000 Jahre zuriickliegen mögen, nicht allzu gewagt er¬
scheinen ').
Die Möglichkeit, dass vor der Scldussredaction unseres
Rigveda deutlich vou der vedischen Sprache gesonderte Volks¬
dialecte bestanden hätten , wäre demuach unbedingt zuzugestehen.
Aber auch nur die Möglichkeit : erst dann . weun im RV. deutliche
11 Vgl. dazu die geistvollen Bemerkungen Benfey s. Geschichte der Sprach¬
wissenschaft p 50 tf. ef 48 ft'
von Bradke, Beiträge zur altind. Religions- u. Spraehgeschichte. 673
Spuren volksdialectischen Einflusses festgestellt, oder in den späteren
indo-arischen Dialecten solche Pormen indogerm. Ursprunges nach¬
gewiesen sind, welche mit Nothwendigkeit über den RV. hinaus¬
weisen; erst dann werden wü- ein gleichzeitiges Bestehen der ve¬
dischen Sprache imd anderer indo-arischer Dialecte für gesichert
halten dürfen. Denn ist die vedische Sprache gleich als eine aus¬
gebildete Literatursprache anzusehen, so läge doch wenigstens die
Möglichkeit vor, dass sie sich nicht so sehr in ihrem Lautbestaude,
in der Plexion oder im Voeabular, als vielmehr durch ihre Pormel-
haftigkeit und Verknöcherung von der gleichzeitigen Volkssprache
unterschieden habe.
Damit treten wir an unsere zweite Vorfrage heran: Finden
wir in dem uns überlieferten Rigveda deutliche Spuren eines Ein¬
flusses anderer indo-arischer Dialecte ? Oder in anderer Formulirung :
Lassen sich an einzelnen Formen des Rigveda Lautneigungen er¬
kennen , welche den sonstigen Lautgesetzen der vedischen Sprache
entschieden widersprechen und gleichzeitig mit den Lautneigungen späterer indo-arischer Dialecte übereinstimmen oder sich wenigstens iu derselben Richtung wie diese bewegen?
Bevor wir uns der Beantwortung dieser Prage zuwenden, sei
es mir gestattet, einige allgemeine Bemerkungen über das Verhält¬
niss der mittel- und neuindischen Dialecte zum classischen und ve¬
dischen Sanskrit vorauszuschicken.
Zunächst kann es, wie ich glaube, kaum einem Zweifel unter¬
liegen, dass das Päli in manchen und wichtigen Dingen dem Veda
näher steht, als dem classischen Sanskrit; und ähnlich scheint es
sich mit anderen mittel- und neuindischen Sprachen — womit in
diesem Aufsatze natürlich nur die indo-arischen Sprachen gemeint
sind — zu verhalten. Schon die Art , wie hier die Worte inner=
halb des Satzes behandelt werden, dürfte sich aus den Sandhi-Ge-
setzen des classischen Sanskrit kaum erklären lassen. Perner stimmen
Päli und Präkrit in einer Reihe vou Laut- und Plexionsformen mit
der vedischen Sprache überein , wäbrend sie vom class. Skr. ab¬
weichen : vgl. im Päli den Uebergang eines intervocalischen d, dh
in /, Ih (E. Kuhn, Beitr. z. Pali-Gramm. p. 36 f ; cf dazu p. 668,
Anm. dieser Abhandlung) ; die Aor.-Porm akä = ved. akar (Kuhn
p. III); den Inf auf -tave nebeu -tum (p. 119); den Nom. pl.
der a-Stämme auf -äs6 (Oldenberg, KZ. 25, 316) neben ved. -äsas;
das präkr. Abstr.-Suffix -ttana = ved. -tvana (Lassen , Inst. Ling.
Präcrit. p. 288. Hemacandra (ed. Pischel) 2, 154. 4, 437. Trumpp,
Grammar of the Sindhi Language p. 60 und Whitney, Ind. Gramm.
§ 1240) u. A. (vgl. dazu Aufrecht bei Muir, S.T. II, 72). — Wenn
wir ausserdem erwägen, dass das classische Sanskrit als Sprache
der Gebildeten und der Literatur xar' i^. die übrigen indischen
Dialecte fort und fort beeinflusst haben wird, dass also in diesen
Dialecten Formen, die dem class. Skr. ganz besonders nahe stehen,
674 ^on Bradke, Beiträge zur altind. Religions- u. Sprachgeschichte.
auch sanskritische Lehnworte sein könnten ; so werden wir kaum
geneigt sein, das classische Sanskrit als Mutter der mittel- und
neuindischen Dialecte zu betrachten. — Folgt aber daraus, dass
diese Sprachen aus dem vedischen Sanskrit herzuleiten sind?
Gleichwie damals , als die ältesten uns erhaltenen literarischen
Denkmäler der Griechen, der Deutschen u. s w. entstanden, die
Sprache dieser Völker in mehrere deutlich gesonderte Dialecte zer-
Hel ; so könnte, wie wir a priori vermuthen dürfen , auch das Alt¬
indische in dem Zeitraum, aus welchem die vedischen Lieder stam¬
men, verschiedene Dialecte gekannt haben. Einige Spuren im Rigveda
scheinen weiter darauf hinzuführen, dass in der Sprache der alten
Lyrik, wie sie uns jetzt vorliegt, mehrere Dialecte, die sich aller¬
dings nur wenig von einander unterschieden haben mögen, zusam¬
mengeflossen seien : so liessen sich Doppelformen wie -ebhis neben
-äis, -äsas neben -äs vielleicht besser aus dialectischer Verschieden¬
heit, als aus einer Altersdifferenz erklären. Wie weit es allerdings
der philologischen Forschung gelingen wird, auf Grundlage solcher
Formen die einzelnen Hymnen uach Alter und Dialect zu sondem,
muss die Zukunft lehren; die sorgfältigen und verdienstlicheu Unter-
suchuugen, welche bisher über den Gebrauch grammatischer Doppel¬
formen gleicher Function in den einzelnen Abschnitteu des RV. au¬
gestellt worden sind, haben zu keinem irgend sicheren Resultate
geführt (vgl. Lanman, Noun-lntlection p. 576 ff., besonders p. 581.
Brunnhofer, KZ. 25, 329 fi.). Die Schwierigkeit, welche sich solchen Versuchen entgegeustellt , besteht , wenn ich nicht irre , wesentlich
darin, dass die Sprache des Rigveda, wenigstens in der Form, wie
sie uus überliefert ist , im Ganzeu und Grossen die iu einer be-
stimmteu Periode conventionell ausgeprägte Sprache der altindischen
Lyrik darstellt: eiu jedenfalls sehr bedeutender, wenn nicht der
grösste Theil unserer Hymnen dürfte bereits von Anfang an in
jeuer lyrischen Sprache gedichtet sein ; und auch solche Lieder,
welche ursprünglich vielleicht in reinerem Dialecte abgefasst waren,
werden sich dem Einfiuss dieser Literatursprache kaum vöUig ent¬
zogen habeu. — Der Sprache des Rigveda steht die der übrigen
vedischeu Schriften sehr nahe. Gewisse dialeetische Besonderheiten, die eiuige derselben zeigen, dürften uicbt erheblicher sein, als etwa
solche Eigeuheiten , wie sie uusre nhd. Schriftsprache in deu ver¬
schiedeueu Gegenden Deutschlands aufweist. Die Sprache der
jüngeren vedischeu Schiifteu nähert sich allmählich dem classischen
Sanskrit, iu welchem die altindische Literatursprache ihre end¬
gültige Fassung bis auf den heutigeu Tag erhalteu hat.
Nuu dürfte die Annahme, dass sich die mittel- uud neu-
indischen Dialecte aus der vedischeu Literatursprache entwickelt
hätten, a priori kaum eine grössere Wahrscheiulichkeit in Auspruch
nehmen könueu . ids etwa die Verumthuug , alle griechischen Dia¬
lecte stammteu vou der Homerischen Sprache her. Sehr viel näher
lüge es. in denjenigen Dialecten. aus welchen die vedische Literatur-
von Drn dice, Beitr ä<ie znr nltind. Religionn- u. Spracligenchiclite. 675
Sprache hervorgegangen sein mag, die älteren Stadien der späteren
indo-arischen Dialecte zu suchen. Doch wäre auch eine solche An¬
nahme keineswegs nothwendig, sondern bedürfte erst des Nach¬
weises : neben den erwähnten alten Dialecten könnte ganz wohl
eine Beihe anderer indo-arischer Dialecte hergegangen sein ; und
die Möglichkeit liesse sich wenigstens a priori nicht von der Hand
weisen, dass diese die Väter einiger oder gar aller mittel- und neu¬
indischer Dialecte gewordeu seien, während diejenigen Dialecte, aus
denen sich die vedische Literatursprache herausgestaltet hatte, oder
wenigstens einige unter ihnen schon früh ausstarben. —
Die soeben entwickelte Ansicht stimmt im Wesentlichen mit
der Auffassung dieser Verhältnisse überein , welcher E. Kuhn in
seinen „Beiträgen zur Pali-Grammatik" (Berlin 1875), p. 10 folgen¬
dermassen Ausdruck geliehen hat : „Bei dieser Gelegenheit mag
noch darauf hingewiesen werden, dass der Werth der oft geäusserten
Ansicht, das Päli stamme nicht vom classischen Sanskrit, sondem
vom Vedadialecte ab , in keiner Weise überschätzt werden darf.
Unzweifelhaft richtig ist es, dass das PäH von einem Dialecte der
alten Volkssprache des arischen Indiens abstammt und somit zum
vedischen Sanskrit in einem viel engeren Verhältnisse steht, als zu
der späteren, dem allgemeinen Volksbewusstsein fremd gewordenen
Literatursprache. Aber es ist voreilig von einem Vedadialect zu
reden, ehe alle sprachlichen Besonderheiten der einzelnen vedischen Schriften eingehend erörtert sind. Bei einer solchen Untersuchung
werden sich jedenfalls Spuren mehrerer Dialecte herausstellen und
dann wird es an der Zeit sein, die Frage aufzuwerfen, welcher der¬
selben besoudere Berührungen mit dem Päli an den Tag legt".
(Vgl. dazu Muir, S. T. II, 05 ff. 128 ff.) — E. Kuhn fährt danr.
fort: „Für jetzt können wir nur sagen, dass das Päli einige Wörter
und Formen kennt, die entschieden alterthümlicher sind als das
classische, ja selbst als das geläufige vedische Sanskrit: dieselben
setzen also einen der Veda-Sprache coordinirten alterthümlicheu
Dialect voraus, den wir aber nur in seiner späteren Fortbildung
noch besitzen. Diese Formen, sowie besondere lautliche uud lexi¬
calische Uebereinstimmungen mit einzelnen vedischen Schriften,
namentlich aus dem Literaturkreise des Yajurveda, werden im
weitei'en Verlaufe dieser Arbeit zur Erwähnung kommen".
Es wäre nicht nur iu hohem Grade interessant, sondern würde
auch unsre Ansicht über die Stelluug der vedischen Sprache zu den
indo-arischen Volksdialecten in erwünschter Weise bestätigen, wenn
sich im Päli oder anderen mittel- oder neuindischen Sprachen For¬
men nachweisen liessen, die uur aus solchen indo-arischen Dialecten
hergeleitet werden könnten , welche gleichzeitig mit der vedischen
Sprache blühten. Leider finden sich meines Wissens Formen dieser
Art bisher nirgends übersichtlich zusammengestellt : und für mehrere derjenigen Bildungen, welche E. Kuhn in seinen „Beiträgen" (passim)
hierherzieht, würde der ausgezeichnete Kenner des Päli jetzt viel-
Bd. XL. 4S
4 7
676 ""^ Bradke, Beiträge mir altind. Religions- n Sprachgeschichte.
leicht selbst nicht mehr mit Sicherheit eine Altertbümlichkeit in
Anspruch nehmen, die über den Veda hinauswiese. Beispielsweise
dürfte sich , wenn ich nicht irre , wenigstens die Möglichkeit nicht bestreiten lassen, dass das Suffix der 1. pl. med. auf -mase (p. 101 f
110) oder der Acc. pl. der a-Stämme auf -e (p. 72) spätere
Analogiebildungen sein könnten (vgl. dazu Oldenberg KZ. 25, 316);
ob feruer eine Form wie päli garu (cf gärava: Kuhn p. 26; vgl.
dazu Hem. 1, 107. 109) als alte Nebenform zu skr. guru, oder als
frühe Analogiebildung nach verwandten Formeu (etwa nach dem
Compar. skr. garlyams, der den Superl. auch im Skr. beeinflusst
haben mag, cf Hübschmann, Vocalsystem p. 121. 123) aufzufassen
ist, erschiene zweifelbaft. rukkha geht allerdings dem Anscheine
nach auf eine ig. Nebenform zu skr. vrksha zurück (S. ob. p. 352);
auch päli sunoti, sunäti (cf Kuhn p. 15. Childers, Dictionary of
the Pali Language s. sunoti) könnte auf ein *9runöti hinweisen, das
älter wie skr. 9rnöti wäre '). Doch liesse sich, wie ich glaube, erst
aus einer grösseren Anzahl solcher Bildungen, welche auf die uns
überlieferten Formen der alten Literatursprache nicht zurückgeführt
werden können , ein einigermassen sicherer Schluss ziehen , da im
einzelnen Falle die Erklärung doch nicht über eine gewisse Wahr¬
scheinlichkeit hinausgehen dürfte. — Ich glaube demnach bis zu
einer erneuten Prüfung derjenigen Formen, welche hier in Betracbt
kämen, vorerst in raeiner Deduction vou ihnen absehen zu sollen.
Es ist bereits mehrfach und von verschiedenen Gelehrten da¬
rauf hingewiesen worden , dass schon die vedische Sprache präkrit-
artige Bildungen zeige ; eine systematische Darstellung und metho¬
dische Behandlung solcher Formen ist aber meines Wissens bisher
nicht versucht worden. Die Schwierigkeiten, mit denen ein Unter¬
nehmen dieser Art zu kämpfen hätte, wäreu in der That sehr be¬
deutend: einerseits dürften diejenigen Volksdialecte, welchen die
vedische Sprache eine Reihe von Formen entlehnt haben könnte,
im Allgemeinen einer älteren Sprachstufe angehören , als die uns
überlieferten indo-arischen Dialecte ; andrerseits scheinen die letzteren
fort uud fort unter dera Einflüsse der alten Literatursprache ge¬
standen zu haben, in ähnlicher Weise, wie die romanischen Sprachen durch die Jahrhunderte hindurch vom Lateinischen beeinflusst worden
sind. Auch läge die Vermuthung nahe , dass besonders kräftige
Dialecte, z. B. solche, welche sich zu Literatui-sprachen ausgebildet
hatten oder die officielle Sprache grösserer Gemeinwesen wurdeu,
auf andere Dialecte eingewirkt, dass die Literatursprachen hin¬
wiederam den Volksdialecten manches entnommen oder sonst die
]) Zur 5. Praesens Classe gehören ziemlich viele y-Stämme, darunter das in der alten Sprache sehr hiiufige kiiiömi; cf. Whitney, Ind. Gramm. § 708.
Vgl. aber zu (;rnöti auch Osthott'. MU. 4, 215 Anm. und de Saussure, Systeme Primitif des Voyelles, p. 244.
h 7