Von Paul Kunitzsch, Köln
Auf DüEEEs Karte des nördlichen Sternhimmels von 1515' sind in
den Ecken symbolisch hervorragende Astronomen aus vier Nationen
abgebildet : Aratus Cilix, Ptolemeus Aegyptius, M. Maiülius Romanus und
„Azophi Arabus". Diese Huldigung vom Anfang des 16. Jahrhunderts
bezeugt, daß der persisch-arabische Astronom Abü 1-Husayn 'Abd
ar-Rahmän ibn 'Umar as- Süfi (gest. 370 h = 986; bei Düeee ,, Azophi")
aueh im Abendland beträchtliches Ansehen genoß.
Von ihm stammt ein Werk, das die gesamte islamisch-orientalische
Pixsternastronomie beeinflußte und in Terminologie und Formgebung
der Bilder für immer festlegte: das „Fixsternbuch" Kitäb suwar al-
kawäkib vom Jahre 964*, worin altgriechisch-ptolemäische und alt¬
arabische Überlieferung vereinigt sind. Hiervon haben sich zahlreiche
arabische Handschriften erhalten, von denen viele bereits zu Exzerpten*
und Editionen* herangezogen wurden.
Angesichts der großen Zahl astronomischer Texte, die im mittel¬
alterlichen Abendland ins Lateinische sowie in emige Nationalsprachen
übersetzt wurden, möchte man erwarten, daß auch das wichtigste Werk
zur Fixstern- und Sternbilderkunde, eben Süfis ,,Fixsternbueh", damals
übertragen wurde. Nachweise aus der alten und neuesten Literatur
deuten darauf hin, daß dies tatsächlich der Fall war.
1 Cf. die ausführliche historische und kunstgeschichtliche Analyse von
W. Voss, Eine Himmelskarte vom. Jahre 150,3 mit den Wahrzeichen des Wiener
Poetenkollegiums als Vorlage Albrecht Dürers, Jahrbuch der preuß. Kunst¬
sammlungen 64 (1943), p. 89—150.
2 Cf. Bbockelmann, GAL 1 223; Suppl. I 398, 11 (Nachtrag p. 960);
A. Haübbb, Die Verbreitung des Astronomen Süß, Dor Islam 8 (1918), 48—54;
H. J. J. WrNTER, in Archives Internationales d'Histoire des Sciences 8, 31
(1955), 126—133; P. Kunitzsch, Arabische Sternnamen in Europa, Wies¬
baden 1959, p. 17, 25f. ; id., UiUersuchungen zur Sternnomenklatur der Araber, Wiesbaden 1961, p. 9f., 15f., 31.
ä Bei Th. Hyde, Tabulae Longitudinis et Latitudinis stellarum fixarum ex
observatione Ulugh Beighi, Oxford 1665, durchlaufend im Kommentar. Daraus
manches bei L. Idbleb, Untersuchungen üher den Ursprung und die Bedeutung
der Sternnamen, Berlin 1809.
* H. C. f. C. Schjelleeup, Description des itoiles fixes . . . par Abd-al-
Rahman Al-Sufi, St. Petersburg 1874; französische Übersetzung und aus¬
zugsweise Edition nach einer Kopenhagener imd einer Petersbruger Hand¬
schrift. — Kitäb suwar aldcawäkib, Edition der Dä'irat al-Ma'ärif al-'Utmä-
niya aus fünf Handschriften (cf. ebda. p. 1 der Edition), Hyderabad 1954,
mit Vorwort von H. J. J. Winter.
5 ZDMG 115/1
Das altspanische astronomische Sammelwerk Alfons X „Libros del
Saber de Astronomia" enthält in Bueh I eine Beschreibung der achtund¬
vierzig ptolemäischen Sternbilder. Dieser Text stellt eine freie Über¬
setzung oder Bearbeitung von Süfis „Fixsternbuch" dar, die durch
verschiedene Gelehrte in zwei Etappen, 1252—56 und bei der end¬
gültigen Redaktion des Gesamtwerks 1276, erfolgte. Es gibt davon eine
Edition*, die jedoch textkritisch nicht zuverlässig ist. Der finnische
Romanist und Orientalist 0. J. Tallgeen (seit 1933 mit finnischem
Namen : TuuLio) hat daher die Nomenklatur der Sternbildbeschreibung separat ediert*.
Tallgeen hat für die Edition auch eine italienische Übersetzung von
1341 mit herangezogen, die aus dem altspanischen Text gemacht ist'.
Wenn nun von lateinischen Süfi-Übersetzungen gesprochen
werden soll, so muß zunächst folgendes festgestellt werden:
Gelegentlich heißt es in der Literatur, es gebe von Süfi eine lateinische
Übersetzung, die aus der altspanischen Version abgeleitet sei — also
nicht unmittelbar aus dem arabischen Originaltext selbst*. Diese Angabe
bezieht sich offenbar auf die obengenannte italienische (!) Übersetzung,
die, wie die edierten Namenformen bezeugen, aus der altspanischen
Version stammt.
Von dieser vermeintlichen lateinischen Übersetzung sind zu unter¬
scheiden gewisse andere Handschriften, die nach Katalogangaben einen
lateinischen Süfi-Text enthalten: die eigentliche lateinische Süfi-
Übersetzung. Haubee* nennt vier'" solche Handschriften:
A — Catania, ms Catin. 85, s. XV",
B — Paris, ms Arsenal 1036, s. XIV'*,
* Rico y Sinobas, Libros del Saher de Astronomia, I — V, Madrid 1863—67.
' Los nomhres arabes de las estrellas y la transcripciön alfonsina, in Homenaje
a R. Menöndez Pidal, II p. 633—717 (Madrid 1925); dazu Correcciones y
Addiciones in Revista de filologia espanola 12 (1925), 400 f.
'Bei Tallgben ms V (Vaticanus 8174; cf. die Literatur bei Haubeb
p. 48, Anm.).
' .1. MiLLAS Vallicbosa in Isis 48 (1957), 364; M. Destombes spricht in
Isis 49 (1958), 458 von einer weiteren eigenen Übersetzung, die um 1224 unter Friedrich II, wahrscheinlich in Palermo, entstanden sei ; ob er damit auf die
hier besprochenen lateinischen Süf i-Handschriften anspielt ?
* a.a.O. p. 50f
" Hierzu erwähnt er noch eine fünfte, die von I. Bullialdus in seiner
Astronomia Philolaica, Paris 1645, p. 224 f, angeführt wird, von deren
späterem Verbleib jedoch nichts Näheres bekannt ist.
" Cf. M. Fava in Studi italiani di filologia classica 5 (1897), 432.
'2 Cf. H. Mabtin, Catalogue des Manuscrits de la Bibliotheque de VArsenal, 2 (Paris 1886), 247 f.
C — Kues, ms Cus. 207, s. XIV",
D — Wien, ms 5318, s. XV'*.
Die letzteren beiden erscheinen auch bei Zinnbk'*, der noch eine
fünfte Handschrift anführt :
E — München, Cim 826, s. XIV".
Durch Zufall war ich in der Lage, noeh eine sechste Handschrift
kennenzulernen, die mit E ganz eng verwandt ist :
F — Prag, Strahov-Bibliothek, ms D. A. II, 13, s. XV".
Eine nähere Prüfung der sechs Handschriften'* ergibt zunächst
folgendes Bild vom Inhalt der Stellen :
A: fol. 7''—19^ Sternbilderbeschreibung, Incipit und Explicit bei Fava
stimmen überein mit D, fol. 17^—36^ bei Saxl" p. 133—138; fol.
21''—35' Tabellarisches Stemverzeichnis (Ilbermosophim), Incipit
und Explicit bei Fava stimmen überein mit D, fol. 2''—16'' bei Saxl
p. 133.
B:fol. 1''—50^ Tabellarisches Sternverzeichnis (Ebennesophy), aimo
arabum 272, mit einer Zeichnung zu jedem Sternbild (fol. 49r-v und
50r sind leer, auf 50^ Abbüdung „Südlicher Fisch"); fol. 51^-70 v
Verzeichnis der gleichen Sterne, naeh den zwölf Tierkreiszeichen
geordnet, angeblich für die Epoche 1210, mit Längenwert Süfi + 4"
(= Ptolemäus + 16042').
C: fol. 116^—121^ Tabellarisches Sternverzeichnis (Ebennesophus) ; fol.
122'"—124'" Astrologischer Text (über die in den zwölf Zeichen
Geborenen); fol. 124^-—135' Rein lineare Zeichnungen der Stem-
" Cf. J. Habtmann, Die astronomischen Instrumente des Kardinals
Nikolaus Cusanus, Abh. Kgl. Ges. Wiss. Göttingen, Math. Phys. Kl., N. F. X,
Nr. 6, Berlm 1919, p. 48f.
'* Cf. F. Saxl, Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters, S. B. Heidelberger Ak. Wiss., II
(1927), p. 133fr.; Tafel VII, Abb. 14; Tafel VIH, Abb. 15.
16 Verzeichnis der astronomischen Handschriften des deutschen Kulturgebiets,
München 1925: C: Nr. 2335; D: Nr. 7373; E: Nr. 2502a.
" Cf. F. Boll, Sphaera, Leipzig 1903, p. 420ff. Boll nennt in seiner Auf¬
zählung und Beschreibung der hier gebotenen Sternbilder und ihrer Figuren
(p. 422, Anm.) nur 18; er hat vor „Delphin" das Bild „Pfeil" (Sagitta) über¬
gangen.
" Im handschriftlichen Katalog der Strahov-Bibliothek unerkannt als
,, Astronomischer Kalender" geführt. Ein Artikel über die Handschrift von Dr. Fischer soll in einer polnischen Zeitschrift erschienen sein.
'ä Für A beziehe ich mich auf die Angaben von Fava a.a.O. ; von BODE
standen mir Fotokopien bzw. Mikrofihno zur Verfügung; F konnte ich in
Prag selbst einsehen, wofür dem Leiter der Abteilrmg, Herrn Dr. Hrubeä,
auch an dieser Stelle freundlichst gedankt sei.
1» Verzeichnis II, a.a.O.
5«
bilder mit kurzen Überschriften, aber ohne Text; die einzelnen
Sterne mit laufenden Nummern gemäß dem Verzeichnis versehen.
D: fol. 2""—16'' Tabellarisches Sternveraeichnis (Jeher Mosphim); fol. IQv
Ursprünglich leer; von späterer Hand astronomische Bemerkungen
über Sternörter und Präzession; 17'' leer; 17^—36^ Beschreibung der
Sternbilder, kurze Texte mit Abbildungen.
E: fol. 34''— 4F Tabellarisches Stern Verzeichnis, darin zu jedem Stern¬
bild eine farbige Abbildung (also kein eigener Abschnitt mit Stern¬
bildbeschreibungen) ; unvollständig: enthält nur 19 nördliche Stern¬
bilder, die Überschriften fehlen durchgehend, ebenso bei den meisten
der 19 Sternbilder die Längen.
F : Schrift mid Abbildungen entsprechen genau dem Stil von E ; beide
Handschriften sind in der gleichen Prager Schule entstanden. P ist
jedoch im Gegensatz zu E glücklicherweise vollständig, fol. F — 48v
Tabellarisches Stern Verzeichnis, zu jedem Sternbild eine farbige
Abbildung, wie in E ; Überschrift (mit Nennung des arabischen Autors)
und Explicit fehlen; ab fol. 49' folgen Texte astrologischer Natur.
Das kleine Corpus ist also durch drei Grundelemente bestimmt: ein
tabellarisches Sternverzeichnis und Abbildungen der Sternbilder, die
allen Handschriften gemeinsam sind, und eine Sternbilderbeschreibimg,
die nur in D (und offenbar auch in dem gleichartig aufgebauten A)
erscheint.
Das tabellarische Sternverzeichnis umfaßt, wie sich sofort erweist, die
bekannte ptolemäische Aufzählung von 1025 Sternen in 48 Sternbildern.
Der Text sowohl der Sternbildübersehriften wie der Beschreibungen
der einzelnen Sterne ist wörtlich gleichlautend mit dem der arabisch¬
lateinischen Almagest-Übersetzung von Gerhard von Cremona
(Toledo, 1175)2', der übrigens auch für das Sternverzeichnis der ,,Alphon- sinischen Tafeln" verwendet worden ist. Es liegt also hier keine eigene
Süfl-Übersetzung vor.
Eine Beziehung zu Süfi offenbart sich dabei jedoch in zwei Punkten :
Erstens wird er in allen Texten (außer EF) in der Überschrift namentlich
als Autor genannt^'. Die hier benutzten Namenformen (Ebennesophy,
Ilbermosophim bzw. Jeher Mosphim) sind offensichtlich abzuleiten aus
Ib7i as-Süji. Ibn as- Süfi ist freilieh ein vermutlich zweihundert Jahre
^ Vorhanden in zahlreichen Handschriften; gedruckt Venedig 1515.
^' Der Astronom Süfi wird hier als „Philosophus" bezeichnet. Dieser Aus¬
druck — in der Bedeutung ,, Gelehrtor, Wissenschaftler" — für einen
Astronomen bzw. Astrologen ist in der mittelalterlichen Literatur nicht selten ; u.a. worden der bisher nicht näher identifizierte Alhandreus (Alchandrinus)
und Hermes so genannt. Für die Beschäftigung mit diesen Gegenständen
wird analog das Verb philosophari benutzt (in manchen Astrolabtexten, in
Übersetzungen von al-Kindl, öäbir ibn Aflah, bei Michael Scotus, usw.).
jüngerer Autor^^ und nicht mit unserem Abü I-Husayn as- Süfi identisch.
Eine Verwechslung der beiden (Ibn as- Süfi statt as- Süfi) ist in arabischen
Schriften nicht selten^^. Die von Dürer gebrauchte Namenform „Azo¬
phi" erscheint in unseren Texten nicht-*. Zu beachten ist, daß die auf
Süfi bezügliche Überschrift nur über dem Sternverzeichnis erscheint,
nicht aber aueh über der Sternbilderbeschreibung. Das fällt besonders
in A auf, wo die Beschreibung dem Verzeichnis vorangeht. Die Jahres¬
zahl 325 h (= 936/7)2* der Epoche stimmt nicht überein mit der Epoche
in Süfis Fixsternbuch (Anfang 1276 Ära Alexander = 1. X. 964; dagegen
dauerte das Higra-Jahr 352 vom 30.1.963—18.1.964; es war also
vielleicht ursprünglich 352 gemeint statt 325, als schlecht berechnete
Higra-Entsprechung zu Süfis Epoche^«).
Der zweite Bezug auf Süfi steckt in den Längenangaben. Süfi benutzt
im Sternverzeichnis des Fixsternbuches für die Epoche Herbst 964 den
Längenwert Ptolemäus + 12''42', der auch hier in den lateinischen
Handschriften verwendet ist. Einige Handschriften enthalten daneben
spätere Zusätze für die Weiterdatierung^'.
22 Brookelmann, GAL Suppl. I 863, 4 a.
23 Cf. z.B. ms Vat. ar. 761, fol. 188^— ISO'', az-Zlg as-Sangari: Helligkeits¬
angaben nach Ptolemäus und as-Süfi (ms : Ibn as-Süfi) ; al-Birüni, al-Qänün
al-Mas'üdl, ed. Hyderabad I—III, 1954—56, p! 1012, 6: Abü 1-Husayn
Ibn as-Süfi (sie statt Abü 1-Husayn a,s-Süfi); so auch Kitäb at-Tafhlm. . .,
ms Kairo, Mlqät 848, p. 59. Die Identität von „Bbennesophim" mit unserem
Süfi (Azophi) hat auch bereits Bullialdus erkannt.
2^ Anfang des 16. Jahrhunderts schreibt Leo Africanus in Rom: Abul-
husein Esuphi (bei Haubbb a.a.O. p. 48, Anm. 1). ,, Azophi" übrigens auch bei Bullialdus a.a.O.
25 B hat 272h (18. VI. 885—7. VI. 886), was ebenfalls nicht zu Süfi paßt.
28 Ähnlich bereits Hartmann a.a.O. p. 49 (zu C).
2' B: für 1210 hinzugefügt 4" (fol. Sl^ff.). C, fol. 116 unten: für Anfang
1427 sind hinzuzufügen 6°16' (cf. Hartmann a.a.O. p. 48). D: Durchgehend
ist dem Verzeichnis am Außenrand später eine zweite Längenkolumne bei¬
gefügt, deren Wert 6°14' größer ist als bei Süfi; am Ende, fol. 16'', Umrech¬
nungsangabe für Ende 1424 (Zinnbr a.a.O. Nr. 7373, Anm., falsch: 1428),
beträgt der Längonwert Ptolemäus -|- 18°56', was mit dem Wert der zM'eiten
Längenkolumne übereinstimmt. Zu beachten ist, daß das gleiche Jahr 1424
sowie der gleiche Längenwort Ptolemäus + 18"56' auch Epoche und Bestim¬
mungswort des Sternverzoichnisses in ms Vindob. 5415, s. XV, fol. 217—251
sind (ZiNNER, Verz. Nr. 10238; Saxl, Verzeichnis II p. 152f.), wo jedoch
weder Süfi als Autor genannt ist noch der Süfischo Längenwert Ptolemäus
_]_ 12°42' Erwähnung oder Verwendung findet. Auch die Sternbilderzeioh-
nungen in Vindob. 5415 weichen im Stil von denen dor Süfi-Handschriften ab
und zeigen vielmehr alio Elemente der rein abendländischen Tradition. E ist
unvollständig und enthält Längenangaben nur bei Dra (auf dem Foto fast
total unleserlich, verblichen), Cyg (dto.), Oph (dto.), Sor (normal lesbar), Sge (verblichen), Dol (lesbar) und Aql (nur bei den sechs externen Sternen, lesbar). Die lesbaren Werte sind die Süfi-Werte, d.h. Ptolemäus -f 12"'42'.
Die Beschreibung der Sternbilder in D (und wohl auch A) enthält zu
jeder Abbildung ebenfalls einen Text. Dieser ist grundsätzlich in zwei
Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt stellt eine knappe Beschrei¬
bung der Sternbilder dar, wobei wieder die Formulierungen der Über¬
schriften aus Gerhard von Cremonas Almagest-Übersetzung verwendet
sind; verschiedene Namen, meist aus antiken Quellen, werden aufge¬
zählt, gelegentlich sind mythologische Identifizierungen hinzugefügt.
Der zweite Abschnitt gibt kurze astrologische Hinweise über die Natur
der in den jeweiligen Bildern Geborenen. Er schließt in den meisten
Fällen mit der auf die Abbildung verweisenden Formel „Et hec est
forma sui aspectus in celo".
Die Formulienmgen imd Angaben des ersten Abschnitts stellen keine
Übersetzung aus dem entsprechenden arabischen Süfi-Text dar. Nach
Saxls Beobachtungen^* herrscht weitgehende Übereinstimmung zwi¬
schen diesen lateinischen Beschreibungen und denjenigen in der ,, Astro¬
nomie" des Michael Scotus. Als Beispiel sei hier, aus Saxl, die Be¬
schreibung der Cassiopeia zitiert :
(A fol. 8^:) (ScOTUS, Vind. 2352, fol. 14^:)
Cassiopia est ut mulier plenissima Casepia est ut mulier pulcherrima
et bene induta sedens super sedem et bene induta sedens^» super sedem
honoris braehijs nudis extensis honoris, brachiis nudis et extensis
habens et pectus dextrum nudum ut tenet sacerdos ad altare habens
et in manu dextra fortiter perfo- etiam pectus dextrum nudum et
rata de cuius stigmate currit sit^" in manu dextra fortiter per-
grandis sangwis. forata, de cuius stigmate currit
grandis rivus sanguinis. Cum vero
sit imago cell habet Stellas parisi-
miles 14. Disposicio quarum sie
certificatur.
Dagegen lautet die Beschreibung bei Süf i^' :
kawkabat dät al-kursi wa-hiya sürat ,, Sternbild der 'Frau auf dem
imra'a qäHda 'alä kursi lahu qffima Thron' ; es ist das Bild einer Frau,
28 Verzeichnis II p. 16, Anm. 5. Der hier von Saxl angeregte Vergleich
der Scotus-Sphära mit der vom lateinischen Süfi-Text überlieferten Sphära
erübrigt sich aus zwei Gründen : Für den Scotus-Text an sich hat Boll die
Abhängigkeit von den Germanicus-Texten nachgewiesen (Sphaera p. 445),
und die wenigen offensichtlich arabischen Elemente sind aus der Kermtnis
der arabisch-lateinischen Almagest-Übersetzung von Gebhard von Ceemona
erklärbar.
2° Das Zitat gleichfalls, ab „sedens", aus ms München, Cim 10268, fol.81rt>,
bei Saxl, Planetenkinderbilder und Sternbilder, Straßburg 1916, p. 163; zu
dieser Handschrift cf. Boll, Sphaera p. 439 ff.
Chn 10268: sie. " Ed. Hyderabad p. 76.
die auf einem Thron [oder:
Stuhl] sitzt, der einen Fuß hat
ähnlich dem Fuß einer Kanzel [in
der Moschee] und auf dem ein
Stützkissen liegt ; sie läßt die Beine
herabhängen. Es befindet sich un¬
mittelbar in der Milchstraße, hinter
den Sternen, die auf dem Kopf des
Kepheus stehen, und umfaßt drei¬
zehn Sterne. Der erste davon ..."
Die lateinische Version stimmt also, wie die Gegenüberstellung deut¬
lich macht, in den Einzelheiten der Beschreibung nicht zu dem arabischen
Süfi-Text.
BoLL»2 seinerseits hat festgestellt, daß die ,, Astronomie" des Scotus
— Text und Abbildungen — aus antiken Vorlagen, aus der Germanicus-
Überlieferung entnommen ist. Daneben finden sich bei Scotus auch
vereinzelt Elemente aus der arabisch interpretierten griechischen Tradi¬
tion»», die ihm von Gerhard von Cremonas Almagest-Übersetzung her
bekannt gewesen sein dürfte, aus der sogar ganze Passagen übernommen
sind. Damit wird Saxls Vermutung, daß Scotus den Süfi gekannt oder
benutzt haben könnte»*, weniger wahrscheinlich ; als Voraussetzung zur
Erklärimg des ScoTus-Textes ist sie auch nicht länger erforderlich.
Der astrologische Teil der Bildbeischriften, einsetzend mit ,,Natus sub
hoc signo ...", kann ebenfalls nicht aus Süfi stammen, da dieser in
seinem Fixsternbuch eine rein astronomische Darstellung des Stern¬
himmels gibt und alles Astrologische völlig ausschließt. Lediglich in der
abschließenden Formel ,,Et hec est forma sui aspectus in celo" ließe sich
eine Reminiszenz an Süfi erblicken: Bei ihm trägt die Abbildung jedes
Sternbilds nach seiner Erscheinung am Himmel die stets gleiche Uber¬
schrift sürat X 'alä mä turä fi s-sama' ,,[Stern-]Bild x, wie es am Himmel
zu sehen ist". Doch treten auch diese beiden Elemente, die astrologische Erklärung ,,Natus sub hoc signo ..." und der Verweis auf die Abbildtmg ,,Et hec est ..." gleicherweise bei Scotus auf. Dabei ist zu beobachten,
daß der astrologische Text der angeblichen lateinischen Süfi-Hand¬
schriften im Wortlaut gelegentlich von dem des Scotus leicht abweicht»^.
Sphaera p. 44,5.
»» Saxl, Verzeichnis II p. 16: Cassiopeia = „gefärbte Hand" ; Andromeda;
Medusenhaupt. Boll, SpJiaera p. 445: Leier = Vultur cadens (nur der
Name ! Die bildliche Darstellung entstammt dom Titelbild einer von Scotus
benutzten Germanicus-Handschrift). ^* Verzeichnis II p. 16, Anm. 5.
36 Cf. den astrologischen Text zmn Bild Cassiopeia (nicht im obigen Zitat
enthalten) bei Saxl, Verzeichnis II, Tafel VTI, Abb. 13 (aus ms Vindob.
2352, fol. 15f, Scotus) und Abb. 14 (aus D, fol. 22'').
ka-qä^imat al-miribar wa-'alayhi
misnad qad adlat ri^layhä wa-hiya
fi nafs al-ma^arra halfa l-kawäkib
allati 'alä ra's al-multahib wa-
kawäkibuhä talätata 'aSara kawka-
ban wa-l-awwal minhä ...
An eine Lösung des kunstgeschichtlichen Problems heranzugeben,
würde den Rahmen dieses kurzen Berichts weit überschreiten. Boll»«
urteilt über die Abbildungen in E, daß sie „mit aller Sicherheit" nach
arabischen Vorlagen gefertigt sind — was auf den völlig gleichartigen
Codex F auszudehnen wäre. Die Illustrationen in C nennt Saxl»' „voll-
kommen lineare Kopien nach einem Süfi-Codex"; und über die Figuren
von D schreibt er»», sie seien , .getreue Kopien jener Zeichnungen, mit
denen die orientalischen Süfi-Handschriften versehen sind".
Vergleicht man die Abbildungen in B C D E F mit Reproduktionen
aus den Süfi-Handschriften, so scheint C der Süfi-Überlieferung am
nächsten zu stehen. Auch D und B sowie E F können ebenfalls nur aus
einer arabischen Vorlage erklärt werden, da aueh hier Andromeda zu¬
sammen mit dem ,, Großen Fisch" dargestellt ist, wie man es zuerst bei
Süfi sieht»». E F scheinen sich im Stil der Ausführung an die Sternbild¬
wiedergaben rein abendländischer Tradition anzulehnen, wie sie etwa in
der „Astronomie" des Michael Scotus erscheinen*«, für die Boll als
unmittelbares Vorbild mit Sicherheit Germanicus-Handsehriften vmd
-Scholien festgestellt hat.
Die Zeichnungen der fünf Handschriften B—F weichen im Stil nicht
unerheblich voneinander ab. Sie setzen, wie das Andromeda-Pisch-
Beispiel zeigt, selbstverständlich alle eme arabisehe Vorlage voraus. In
arabischen Quellen treten solche Zeichnungen der Sternbilder haupt¬
sächlich bei Süfi und später in der Kosmographie des Qazwini auf, der
den Süfi exzerpiert hat. Natürlich werden Stilunterschiede bereits inner¬
halb der arabischen Handschriften sichtbar. Man könnte versucht sein
anzunehmen, daß die Zeichnungen der lateinischen Handschriften nach
verschiedenen arabischen Süfi- (bzw. Qazwini-)Handschriften angefer¬
tigt wurden. B scheint die Gesichter eines mongoloiden Typs wiederzu¬
geben ; die Zeichnungen sind nicht rein linear, sondern in Schattierungen,
Gewändern, Faltenwurf usf. weiter ausgeführt. C bietet dagegen rein
lineare Umrißzeiehnungen ; die Gesichter zeigen klar einen lieblichen
westlichen Typus. D hat vollständig ausgeführte Bilder von eher abend¬
ländischem Typus sowohl nach Kleidung wie nach Gesichtszügen. Am
stärksten ausgeprägt sind die westlichen Stilelcmente in den meister¬
haften farbigen Miniaturen von E rmd F, die sich vom arabischen Vor¬
bild wie auch von dem eigentlichen astronomischen Darstellungszweck
am weitesten entfernt haben.
'« iSpÄaemp. 420ff., besonders p. 422 Anm., im Anschluß an G. Thiele, .4n- tikeHimmelsbilder,'Berlml898. =" Verzeichnisllp.39. ^« VerzeichnisUp. 19ff.
Zum „Großen Fisch" cf. Kunitzsch, Untersuchungen p. 68, Nr. 126a.
" Bildbeschreibungen: Boll, Sphaera p. 441fr.; Abbildungen p. 102, 115, 145, 541.
Eine vollständige Würdigung dieser Zeichnungen und Bilder hätte im
Rahmen einer vi^eitgespannten Untersuchung zur Geschichte der figür¬
lichen Sternbilddarstellungen zu geschehen.
Dabei wäre stets zu berücksichtigen, daß der Überlieferungsvorgang
sich nicht ausschließlich im künstlerisch-graphischen Bereich abgespielt
hat. Primärer Ausgangspunkt der bildlichen Darstellungen waren in
jedem Fall gewisse Texte; man denke an Arat und Germanicus, vor allem
aber an Ptolemäus, der mit seinem Verzeichnis von 1025 Sternen,
angeordnet in 48 Sternbildern, im ,, Almagest" die Haupttradition
begründete. Darin sind Lage, Abgrenzung, Form und Ausstattung aller
Figuren bis ins einzelne genau festgelegt. Süfi folgt in seiner Sternbilder¬
beschreibung genau den ptolemäischen Definitionen. Parallel zu der rein
astronomischen Überlieferung verlief seit der Antike eine astrologische
Tradition, die die Tendenz hatte, durch Kompilation und Kontamination
sehr viel reichhaltiger und umfangreicher zu werden als jene*'. Im späten
Mittelalter zirkulierten alle diese Texte in buntester Form, oft nicht
streng nach Autoren oder Sachgebieten getrennt. So ist es naheliegend,
daß mancher Illustrator seine Zeichnungen nun ebenfalls aus Bildvor¬
lagen und aus Textvorlagen verschiedener Traditionen ,, kompilierte".
Weiterhin waren Milieu und Zeitgeschmack des jeweiligen Künstlers
von Einfluß auf die äußerliche Gestaltung der Figuren, ein Phänomen,
das von anderen Themenkreisen der Krmstgeschichte her bekaimt ist.
Daraus resultierende Varianten sind auch innerhalb der arabischen
Süfi-Handschriften vorhanden und bereits erkannt worden*^.
Zusammenfassend ist also zu sagen : Wir haben es bei den besprochenen
Texten nicht mit einer lateinischen Süfi-Übersetzung zu tun. Es
handelt sich vielmehr um eine Kompilation, die astronomische und
astrologische Elemente sowohl aus der ungebrochenen antik-abend¬
ländischen wie auch aus der durch die Araber vermittelten antiken
Tradition vereinigt.
Ein Teil der Texte ist mit dem Namen des Hofastrologen Friedrichs II
in Sizilien, Michael Scotus (etwa 1175—1234), nachweislich verbunden :
Die Sternbilderbeschreibungen lauten weitgehend gleich mit denen in
seiner ,, Astronomie". Das Sternverzeichnis dagegen ist das bekannte
ptolemäische Verzeichnis aus dem Almagest in der lateinischen Version
Gebhard von Cremonas. Als Entstehungszeit des kleinen Corpus sind
die anderthalb Jahrhunderte zwischen der Abfassung der Almagest-
Übersetzung durch Gerhard von Ceemona (1175) als terminus post quem
" Siehe z. B. die Beschreibungen und Interpretationen bei Boll, Sphaera p. 90ff.; 158ff.; 244ff.; 349ff.; Abü Ma'sar, od. Dyboff, obda. p. 482ff.
*2 Hauber, Planetenkinderbilder p. 145—147; cf. auch den ausführlichen Vergleich der Sternbilderdarstellungen p. 155—199.
und der Niederschrift der ältesten dieser sechs Handschriften*» als
terminus ante quem anzusehen. In diese Periode fällt auch die Wirkungs¬
zeit des Michael Scotus. Doch ist wahrscheinlich nicht er selbst als der
Kompilator anzusehen, da es von ihm Werke gibt, die ihn unmittelbar
als Autor nennen**, während hier sein Name nicht erscheint. Eher dürfte
es sich um das Erzeugnis eines anderen Autors handeln, das unter Ver¬
wendung des Almagest und der ,, Astronomie" des Scotus zustande kam.
Sizilien als möglicher Entstehungsort der Kompilation ist umso wahr¬
scheinlicher, als eine der erhaltenen sechs Handschriften (A) noch in
Catania auf Sizilien existiert. Der Kompilator hat eine Beziehung zu
Süfi hergestellt, indem er dessen Namen als Autorität dem Sternver¬
zeichnis voranstellte; dazu hat er Süfis Epoche zugrundegelegt und die
Längen im Verzeichnis auf Süfis Wert umgerechnet. Offen bleibt die
Frage, welcher Quelle diese Angaben entnommen sind : direkt aus einem
Süfi-Text, aus der übrigen astronomischen Fach- oder Sekundärliteratur,
oder aus bio- oder bibliographischen Werken; die Möglichkeiten sind
nahezu unbegrenzt.
Hinsichtlich der Zeichmmgen ist eine arabisehe oder arabisch beein¬
flußte Vorlage unbedingt anzunehmen. Damit wäre ein drittes Element
gegeben, das die Beziehung des lateinischen Corpus zu Süfi widerspiegelt.
Die einzelnen Glieder der anzunehmenden Traditionskette sind jedoch
noch nicht lückenlos aufgewiesen.
Die Nachrichten von der lateinischen Süfi-Übersetzung hatten die
Hoffnung erweckt, hier eine parallele Textüberlieferung zu der griechisch¬
arabisch-lateinischen Almagest-Tradition zu finden, mit deren Hilfe es
möglieh wäre, gewisse terminologische und nomenklatorische Unklar¬
heiten der letzteren aufzuhellen. Die Untersuchimg der vorhandenen
und oben besprochenen sechs Handschriften erbringt jedoch nun den
Nachweis, daß eine lateinische Süfi-Übersetzung nicht existiert. Damit
entfällt zugleich ein vielversprechendes Hilfsmittel für die Almagest-
Forschung wie auch im weiteren Sinne für die Geschichte der astrono¬
mischen Nomenklatur und Terminologie.
*ä Laut Schreibervermerk 1301—1334; siehe Habtmann a.a.O. p. 29.
*• Cf. Boll, Sphaera p. 439f. mit Anm. 4.
Von Waltee B. Henning, Berkeley
Nachdem der Inhalt der Inschrift von Surkh-Kotal durch meinen im
Jahre 1960 erschienenen ArtikeP festgestellt worden war, hat die For¬
schung dank den von E. Benveniste vorgelegten Neufunden^, worunter
zwei frühere Versionen der Inschrift, bedeutende Fortschritte gemacht.
Dazu haben mehrere Gelehrte, besonders Benveniste und I. Geeshe-
VITCH», das Verständnis durch gewichtige Einzelbemerkungen gefördert.
Statt der behutsamen Vertiefung unseres Wissens sieht der Ferner¬
stehende jedoch bloß ein Bild heilloser Verwirrung. Die Schuld daran
trägt die von H. Humbach in einem Buch* und vielen späteren Artikeln
zu Tage geförderte Hypothese, nach welcher der Text der Inschrift ein
pseudo-gäthisches Gedicht zu Ehren des Gottes Mithra sei. Diese Hj^o-
these ist so abwegig, sowohl im Ganzen wie in allen Einzelheiten, daß so¬
gar eine Diskussionsbasis nicht erkennbar ist, und ich würde auf sie auch
hier nicht eingehen, wenn sie nicht M. Maybhofeb in einem in dieser
Zeitschrift veröffentlichten Artikel^ mit der iranistischen Erklärung in
Parallele gesetzt hätte, und zwar in einer Weise, die den Leser veranlas¬
sen mag, zu glauben, es lägen hier zwei gleichberechtigte, gleichwertige,
gleicherweise mögliche Interpretationen vor, zwischen denen die Wahl
freistehe. Demgegenüber muß energisch betont werden, daß die Inschrift
in einer mitteliranisehen Sprache geschrieben ist und daß die auf dem
mitteliranischen Gebiet Sachverständigen die HuMBACHsche H5^othese
eirunütig ablehnen.
Ein Umstand, der wohl geeignet wäre, dem Zweifelnden die Augen zu
öffnen, ist weder von Maybhofeb noch von einem der anderen Gelehr¬
ten, die über diesen Gegenstand geschrieben haben, zur Sprache gebracht
worden. Nach der von mir gelieferten Erklärung ist es der Hauptzweck
der Inschrift, die Erinnerung an die Erbauung eines großen Brunnens
wachzuhalten, der wegen des Versiegens des natürlichen Wasserzuflusses
nötig geworden war*. Als sich mir dies als Hauptinhalt ergab, studierte
1 The Bactrian mscription. BSOAS., xxiii, 1960, 47—55.
* Inscriptions de Bactriane, J. A., 1961, 113—152.
3 BSOAS., xxvi, 1963, 193—96.
* Die Kaniika-Inschrift von Surkh-Kotal. Ein Zeugnis des jüngeren Mithra- isnius aus Iran. 1960.
6 Das Bemühen um die Surkh-Kotal-Inschrift. ZDMO, 112, 1963, 325
bis 344.
* Ein solcher Iiüialt wird niemanden überraschen, der eine auch nur flüch¬
tige Bekarmtschaft mit den Insehriften der Kuschanzeit besitzt. Sie berich-