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Korporatismus – Torso oder Zukunftsmodell?

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Bayerisches Ärzteblatt 3/2017

75 Leitartikel

Dr. Max Kaplan, Präsident der BLÄK

Korporatismus – Torso oder Zukunftsmodell?

Dabei geht es nicht nur um die unmittelbare staatliche Einfluss- nahme, sondern auch um mittelbare Interventionen über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem Spitzenorgan der gemeinsamen Selbstverwaltung, das mittlerweile ein zentrales Steuerungsgremium im deutschen Gesundheitswesen geworden ist. Die Frage ist nicht unberechtigt, ob es sich hierbei inzwischen nicht eher um eine untergesetzliche normgebende Behörde als um ein Organ der Selbstverwaltung handelt. Damit einher geht die Gefahr, dass der G-BA sich allzu weit weg vom Versorgungsge- schehen vor Ort entfernt. Immer häufiger beauftragt der Staat den G-BA, die Versorgung bis in die Patienten-Arzt-Beziehung hinein zu steuern und Versorgungsstrukturen zu schaffen, die mehr und mehr an ökonomischen Vorgaben ausgerichtet sind. Beispiel- haft sei hier die im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz angelegte Definitionshoheit des G-BA über Anforderungen an zweitmei- nungsberechtigte Leistungserbringer und die Abgabe der Zweit- meinung genannt. Bei der Qualitätssicherung sind neben den Zuständigkeiten nach § 137a SGB V zahlreiche weitere Aufgaben zur Förderung der Qualitätsorientierung der Versorgung hinzuge- kommen, wozu auch die qualitätsorientierte Vergütung zählt.

Staatliche Interventionen

Einen vorläufigen Höhepunkt staatlicher Einflussnahme bildet das sogenannte Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, das den Hand- lungsspielraum der Körperschaften niedergelassener Ärztinnen und Ärzte massiv einengt. Mit diesem Gesetz erleben wir einen sukzessiven Wandel von der Rechtsaufsicht durch das Bundes- gesundheitsministerium (BMG) hin zu einer De-facto-Fachauf- sicht. Beispiele hierfür sind die weitgehenden Mitgestaltungsmög- lichkeiten durch die Aufsicht, kleinteilige Verfahrensvorschriften, bürokratieintensive Berichtspflichten sowie weitreichende Geneh- migungsvorbehalte und Durchgriffsrechte selbst in Detailfragen.

Schlimmer aber ist, dass sich die Bundesregierung mit dem Ge- setz von dem Erfolgsmodell „Selbstverwaltung“ distanziert. Damit gibt sie den Teilen der Politik Rückenwind, denen unsere bürger- nahe Selbstverwaltung aus rein ideologischen Gründen ein Dorn im Auge ist und die lieber heute als morgen auf Staatsmedizin und Einheitskasse umschalten wollen. Wir befürchten, dass die Kompetenzen der ärztlichen Selbstverwaltung und damit unsere eigenen Gestaltungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt werden, bis von der einst lebendigen Selbstverwaltung nur noch ein blutleerer Torso übrigbleibt. Deshalb müssen wir die gegen- wärtige Krise als Chance begreifen. Dabei sind alle gefordert: Die Organisationen der Selbstverwaltung müssen gewohnte Struktu- ren und Abläufe hinterfragen und da, wo es nötig ist, neue Wege gehen. Und die Politik ist aufgefordert, der ärztlichen Selbstver- waltung wieder die Gestaltungsspielräume zu geben, die sie für die Sicherung einer hochwertigen gesundheitlichen Versorgung der Patientinnen und Patienten benötigt.

Die korporatistische Steuerung unseres Gesundheitssystems wird immer wieder auf den Prüfstand gestellt, was per se nicht schlecht ist. Eine lebendige Selbstverwaltung muss Kritik aus- halten und sich immer wieder selbstkritisch hinterfragen.

Regelungskompetenz

Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass der Gesetzgeber aus gutem Grund auf Korporatismus gesetzt und einen großen Teil seiner Regelungskompetenz im Gesundheitswesen auf die Selbstverwaltungsorganisationen übertragen hat. Aufgrund ihrer Sachkenntnis, ihrer Nähe zur Praxis und ihrer Bindung zu ihren Mitgliedern lösen die Selbstverwaltungsorganisationen viele dif- fizile Detailregelungen einfach besser und effizienter als es der Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene könnte. Damit ist eine starke Selbstverwaltung keine Konkurrenz zum Staat. Viel- mehr entlastet und ergänzt sie ihn.

Gäbe es die ärztliche Selbstverwaltung nicht, wäre die Gefahr von regional stark unterschiedlichen Regelungen in Gesundheits- fragen nicht von der Hand zu weisen. Den Landesärztekammern (LÄK) und der Bundesärztekammer (BÄK) ist es aber zu verdan- ken, dass wir über Ländergrenzen hinweg weitgehend überein- stimmende Rechtsgrundlagen für die ärztliche Berufsausübung haben – etwa in Fragen der Qualität ärztlichen Handelns oder aber auch bei der Aufsicht über die Einhaltung beruflicher und ethischer Normen. Konkret: Die (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO) wird derzeit komplett überarbeitet. Das geschieht in en- ger Abstimmung mit den LÄK, den ärztlichen Verbänden und den Fachgesellschaften. So stellen wir sicher, dass die neuen Rege- lungen in die rechtlich verbindlichen Weiterbildungsordnungen der LÄK übernommen und die Fachärzte in ganz Deutschland auf dem gleichen hohen Niveau qualifiziert werden. Das alles ist fachlich hochkomplex. Das kann keine Behörde leisten. Freibe- ruflichkeit ist für funktionierende Selbstverwaltung unabdingbar.

An diesen Beispielen wird deutlich: Wir übernehmen Verantwor- tung – nicht nur für unsere eigenen Belange, sondern auch und gerade für das Gemeinwohl.

Kontrollbürokratie

Ungeachtet dessen werden aber die Wesensmerkmale ärztlicher Freiberuflichkeit und damit auch der ärztlichen Selbstverwaltung durch Kontrollbürokratie und durch staatliche Interventionen zu- nehmend infrage gestellt. Seit Jahren beobachten wir, dass die das Gesundheitswesen betreffenden Gesetze und Verordnungen weit davon entfernt sind, Rahmenvorgaben zu sein. Vielmehr re- geln sie die gesundheitliche Versorgung bis in kleinste adminis- trative oder neuerdings sogar medizinische Details.

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