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Anhang I, FCL.065 Buchst

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Quelle: http://curia.europa.eu/

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) 5. Juli 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 – Anhang I, FCL.065 Buchst. b – Verbot für Inhaber einer Pilo- tenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, als Pilot eines Luftfahr-

zeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig zu sein – Gültigkeit – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 15 – Berufsfreiheit – Art. 21 – Gleichbehandlung – Diskriminierung wegen des Alters – Gewerblicher Luftver-

kehr – Begriff“

In der Rechtssache C-190/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland), mit Entscheidung vom 27. Januar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 5. April 2016, in dem Verfahren

Werner Fries gegen

Lufthansa CityLine GmbH erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatte- rin) sowie der Richter E. Regan, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und S. Rodin, Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens, unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von Herrn Fries, vertreten durch Rechtsanwalt M. Mensching,

– der Lufthansa CityLine GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt C. Schalast, – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmäch-

tigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,

(2)

– der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin, W. Mölls und F. Wilman als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. März 2017

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit und hilfsweise die Auslegung von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung techni- scher Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 311, S. 1).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den Herr Werner Fries gegen die Lufthansa CityLine GmbH (im Folgenden: Lufthansa), einer in Deutschland nie- dergelassenen Fluggesellschaft, wegen der Zahlung der auf die Monate No- vember und Dezember des Jahres 2013 entfallenden Vergütung führt, die die Lufthansa Herrn Fries schulden soll.

Rechtlicher Rahmen Völkerrecht

Abkommen von Chicago

3 Das am 7. Dezember 1944 in Chicago unterzeichnete Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt (im Folgenden: Abkommen von Chicago) ist von al- len Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert worden; die Europäische Union ist allerdings selbst nicht Vertragspartei dieses Abkommens. Mit dem Ab- kommen von Chicago ist die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (Internati- onal Civil Aviation Organization, ICAO) geschaffen worden; deren Aufgabe ist nach Art. 44 dieses Abkommens, die Grundsätze und die Technik der internati- onalen Luftfahrt zu entwickeln sowie die Planung und Entwicklung des interna- tionalen Luftverkehrs zu fördern.

4 In Anhang 1 („Lizenzierung von Luftfahrtpersonal“) des Abkommens von Chi- cago, der durch den ICAO-Rat verabschiedet wurde, sind die Richtlinien und Empfehlungen zusammengefasst, die die Erteilung von Lizenzen an die Flug- besatzung (Piloten, Flugingenieure und -navigatoren), an Fluglotsen, Funker der Flugfernmeldestelle, Wartungspersonal und Flugdienstberater regeln. Ins- besondere erhält dieser Anhang die folgenden Bestimmungen:

„2.1.10.1 Ein Vertragsstaat, der eine Pilotenlizenz vergeben hat, gestattet ei- nem Inhaber dieser Lizenz, die Funktion eines verantwortlichen Piloten eines Flugzeugs, mit dem internationale gewerbliche Flüge durchgeführt werden, bis

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zum Alter von 60 Jahren wahrzunehmen, oder von 65 Jahren bei Flügen mit mehr als einem Piloten, sofern der andere Pilot weniger als 60 Jahre alt ist.

2.1.10.2 Empfehlung – Es wird empfohlen, dass ein Vertragsstaat, der Pilotenli- zenzen erteilt hat, den Lizenzinhabern gestattet, die Funktion des Kopiloten ei- nes Luftfahrzeugs, mit dem internationale gewerbliche Flüge durchgeführt wer- den, bis zum Alter von 65 Jahren wahrzunehmen.“

JAR-FCL 1

5 Die internationalen Regelungswerke betreffend Privat-, Berufs- und Verkehrs- flugzeugführer wurden von einer internationalen Institution namens „Joint Avia- tion Authorities“, an der die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, erarbeitet.

Eines dieser Regelungswerke, die Joint Aviation Requirements – Flight Crew Licensing 1 (im Folgenden: JAR-FCL 1) wurde am 15. April 2003 erlassen. Die JAR-FCL 1 wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen im Bundesanzeiger Nr. 80a vom 29. April 2003 bekannt gemacht.

6 Die JAR-FCL 1.060 bestimmt:

„Beschränkungen für Lizenzinhaber nach Vollendung des 60. Lebensjahres … a) 60–64 Jahre – Der Inhaber einer Lizenz darf nach Vollendung des 60. Le-

bensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden, es sei denn:

(1) [E]r ist Mitglied einer Flugbesatzung, die aus mehreren Piloten be- steht und

(2) die anderen Piloten haben das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet.

b) 65 Jahre – Der Inhaber einer Lizenz darf nach Vollendung des 65. Le- bensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung tätig sein.“

Unionsrecht

Verordnung (EG) Nr. 216/2008

7 Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsi- cherheit, zur Aufhebung der Richtlinie 91/670/EWG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 und der Richtlinie 2004/36/EG (ABl. 2008, L 79, S. 1) be- stimmt:

„Hauptziel dieser Verordnung ist die Schaffung und die Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Niveaus der zivilen Flugsicherheit in Europa.“

Verordnung Nr. 1178/2011

8 Die Erwägungsgründe 1 und 11 der Verordnung Nr. 1178/2011 lauten:

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„(1) Ziel der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 ist die Schaffung und die Aufrecht- erhaltung eines einheitlichen, hohen Sicherheitsniveaus der Zivilluftfahrt in Europa. Diese Verordnung sieht die zum Erreichen dieses Ziels sowie an- derer Ziele auf dem Gebiet der Sicherheit der Zivilluftfahrt notwendigen Mittel vor.

(11) Um einen reibungslosen Übergang und ein hohes einheitliches Sicher- heitsniveau der Zivilluftfahrt in der Europäischen Union zu gewährleisten, sollten die Durchführungsmaßnahmen dem Stand der Technik, einschließ- lich bewährter Praktiken, sowie dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt im Bereich der Pilotenausbildung und der flugmedizinischen Tauglichkeit des fliegenden Personals entsprechen. Dementsprechend sollten technische Anforderungen und Verwaltungsverfahren, die von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) und bis 30. Juni 2009 von den Gemeinsamen Luftfahrtbehörden („Joint Aviation Authorities“, JAA) beschlossen wurden, sowie bestehende Rechtsvorschriften zu einem spe- zifischen einzelstaatlichen Umfeld Berücksichtigung finden.“

9 Art. 3 („Erteilung von Pilotenlizenzen und Tauglichkeitszeugnissen“) der Ver- ordnung Nr. 1178/2001 bestimmt:

„Unbeschadet Artikel 7 haben Piloten von Luftfahrzeugen, auf die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben b und c und in Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 Bezug genommen wird, die in Anhang I und Anhang IV der vorlie- genden Verordnung festgelegten technischen Anforderungen und Verwaltungs- verfahren zu erfüllen.“

10 In FCL.010 („Begriffsbestimmungen“) in Anhang I der Verordnung Nr. 1178/2011 heißt es:

„Für die Zwecke dieses Teils gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

‚Gewerblicher Luftverkehr‘ bezeichnet die entgeltliche Beförderung von Flug- gästen, Fracht oder Post.

…“

11 FCL.065 („Einschränkung der Rechte von Lizenzinhabern, die 60 Jahre oder älter sind, im gewerblichen Luftverkehr“) in Anhang I der Verordnung Nr. 1178/2011 bestimmt:

„a) Altersgruppe 60–64 Jahre. Flugzeuge und Hubschrauber. Ein Inhaber ei- ner Pilotenlizenz, der das Alter von 60 Jahren erreicht hat, darf nicht als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig sein, außer:

(1) als Mitglied einer Besatzung mit mehreren Piloten und

(2) unter der Voraussetzung, dass ein solcher Inhaber der einzige Pilot in der Flugbesatzung ist, der das Alter von 60 Jahren erreicht hat.

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b) Altersgruppe ab 65 Jahren. Ein Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, darf nicht als Pilot eines Luftfahrzeugs im ge- werblichen Luftverkehr tätig sein.“

Deutsches Recht

12 § 241 („Pflichten aus dem Schuldverhältnis“) Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetz- buchs (im Folgenden: BGB) bestimmt:

„Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.“

13 § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB lautet: „Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen.“

14 § 293 („Annahmeverzug“) BGB bestimmt:

„Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt.“

15 In § 297 („Unvermögen des Schuldners“) BGB heißt es:

„Der Gläubiger kommt nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Ange- bots … außerstande ist, die Leistung zu bewirken.“

16 § 615 („Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko“) Satz 1 BGB lautet:

„Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die ver- einbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17 Herr Fries, der Kläger des Ausgangsverfahrens, war von 1986 bis zum 31. Dezember 2013 bei der Lufthansa als Flugkapitän beschäftigt. Daneben wurde er aufgrund einer Zusatzvereinbarung auch in der Ausbildung anderer Pi- loten eingesetzt.

18 Im Oktober 2013 wurde der Kläger des Ausgangsverfahrens 65 Jahre alt. Am 31. Dezember 2013 endete sein Arbeitsvertrag, da er nach dem anwendbaren Tarifvertrag die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung er- reicht hatte.

19 Die Lufthansa beschäftigte Herrn Fries nach dem 31. Oktober 2013 nicht mehr. Sie berief sich darauf, er dürfe seit diesem Datum nach FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 nicht mehr als Pilot im gewerblichen Luftverkehr tätig sein.

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20 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Herr Fries vom 31. Oktober bis 31. Dezember 2013 weiterhin über seine allgemeine Lizenz zum Führen von Verkehrsflugzeugen (ATPL) einschließlich der Musterberechtigung für das Flugzeugmuster Embraer, die Berechtigung als Type Rating Instructor (TRI) zur Ausbildung von Flugzeugführern auf dem Flugzeugmuster Embraer im Flug- zeug und im Simulator, die Berechtigung als Type Rating Examiner (TRE) zur Abnahme von Überprüfungen im Flugzeug und im Simulator zum Erhalt oder zur Verlängerung von Lizenzen auf dem Flugzeugmuster Embraer sowie die Anerkennung als Senior Examiner (SEN) zur Abnahme der Überprüfung von Type Rating Examinern (TREs) unabhängig vom Flugzeugmuster verfügte.

21 Herr Fries macht vor dem Bundesarbeitsgericht (Deutschland) geltend, die Weigerung der Lufthansa, ihn als Pilot zu beschäftigen, sei rechtswidrig, und beantragte, die Lufthansa zur Zahlung der Vergütung für die Monate November und Dezember 2013 zu verurteilen.

22 Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass der Arbeitgeber nach den nati- onalen Vorschriften in Annahmeverzug komme, wenn er im erfüllbaren Arbeits- verhältnis die ihm vom Arbeitnehmer ordnungsgemäß angebotene Arbeitsleis- tung nicht annehme. Obwohl er nicht arbeite, könne der Arbeitnehmer in die- sem Fall vom Arbeitgeber die Vergütung fordern, die er erhalten hätte, wenn der Arbeitgeber im Verzugszeitraum die Arbeitsleistung angenommen hätte.

Doch sei der Annahmeverzug des Arbeitgebers ausgeschlossen, wenn der Ar- beitnehmer außerstande sei, die Arbeitsleistung zu bewirken. Sei es dem Ar- beitnehmer unmöglich, die arbeitsvertraglich vereinbarte Leistung in Gänze o- der zum Teil zu erbringen, könne es die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitge- bers gebieten, den Arbeitnehmer mit anderen Arbeiten, für die er leistungsfähig ist, zu beschäftigen. Verletze der Arbeitgeber diese Rücksichtnahmepflicht, könne er sich schadensersatzpflichtig machen.

23 Die Lufthansa ist der Ansicht, dass sie sich für die Monate November und De- zember 2013 nicht im Annahmeverzug des Arbeitsangebots von Herrn Fries be- finde, da der Kläger des Ausgangsverfahrens gemäß FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 ab dem Alter von 65 Jahren nicht mehr als Verkehrspilot im gewerblichen Luftverkehr tätig sein dürfe, so dass er außerstande gewesen sei, die vereinbarte Leistung vom 1. November 2013 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses zu erbringen.

24 Das vorlegende Gericht äußert jedoch Zweifel an der Gültigkeit von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 im Hinblick auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und insbesondere dem in Art. 21 Abs. 1 der Charta enthaltenen Verbot der Diskri- minierung wegen des Alters und dem in Art. 15 Abs. 1 der Charta verbürgten Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszu- üben.

25 Im Übrigen könnte Herr Fries, falls FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Ver- ordnung mit der Charta im Einklang stehe, nach den nationalen Vorschriften seine Forderung als Schadensersatz geltend machen, wenn sich herausstellen sollte, dass er nach Erreichen des Alters von 65 Jahren noch Leerflüge hätte durchführen dürfen und/oder als Ausbilder und Prüfer im Flugzeug hätte tätig

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werden können. Für diese Forderung komme es auf die Auslegung des Begriffs

„gewerblicher Luftverkehr“ im Sinne von FCL.065 Buchst. b in Verbindung mit FCL.010 des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 an.

26 Unter diesen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht das Verfahren ausge- setzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in Art. 21 Abs. 1 der Charta vereinbar?

2. Ist FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 mit Art. 15 Abs. 1 der Charta, wonach jede Person das Recht hat, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben, verein- bar?

3. Falls die erste und die zweite Frage bejaht werden:

a) Fallen unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ im Sinne der FCL.065 Buchst. b bzw. der Bestimmung dieses Begriffs in FCL.010 des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 auch soge- nannte Leerflüge im Gewerbebetrieb eines Luftverkehrsunterneh- mens, bei denen weder Fluggäste noch Fracht oder Post befördert werden?

b) Fallen unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ im Sinne der FCL.065 Buchst. b bzw. der Bestimmung dieses Begriffs in FCL.010 des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 die Ausbil- dung und Abnahme von Prüfungen, bei denen der über 65-jährige Pi- lot sich als nicht fliegendes Mitglied der Crew im Cockpit des Flug- zeugs aufhält?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

27 Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 bzw. auf Art. 21 Abs. 1 der Charta gültig ist.

28 Zur Beantwortung dieser Fragen ist in einem ersten Schritt zu bestimmen, ob der Unionsgesetzgeber gegen den in Art. 21 Abs. 1 der Charta verankerten Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoßen hat, nach dem „Diskriminierun- gen insbesondere wegen … des Alters“ verboten sind, indem er Inhabern einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, verboten hat, als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Flugverkehr tätig zu sein. In einem zwei- ten Schritt ist zu prüfen, ob der Unionsgesetzgeber durch dieses Verbot hin- sichtlich der von ihm betroffenen Lizenzinhaber gegen das in Art. 15 Abs. 1 der Charta verankerte Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenom- menen Beruf auszuüben, verstoßen hat.

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Art. 21 Abs. 1 der Charta

29 Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist ein allgemeiner Grundsatz des Uni- onsrechts, der in Art. 20 der Charta niedergelegt ist. Das Diskriminierungsver- bot des Art. 21 Abs. 1 der Charta stellt eine besondere Ausprägung dieses Grundsatzes dar.

30 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt dieser allge- meine Grundsatz, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (Urteil vom 1. März 2011, Association belge des Consommateurs Test-Achats u. a., C-236/09, EU:C:2011:100, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31 Somit ist erstens zu prüfen, ob FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verord- nung Nr. 1178/2011 eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters begründet.

32 Nach dieser Bestimmung darf der Inhaber einer Pilotenlizenz, nachdem er das Alter von 65 Jahren erreicht hat, nicht als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerbli- chen Luftverkehr tätig sein.

33 FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 gewährt so dem Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, eine weniger günstige Behandlung als dem, der jünger als 65 Jahre ist.

34 Somit ist festzustellen, dass diese Bestimmung eine Ungleichbehandlung we- gen des Alters darstellt.

35 Zweitens ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung jedoch mit Art. 21 Abs. 1 der Charta im Einklang steht, da sie den in Art. 52 Abs. 1 der Charta angeführ- ten Kriterien entspricht.

36 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta jede Ein- schränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Frei- heiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßig- keit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielset- zungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten ande- rer tatsächlich entsprechen.

37 Es steht fest, dass das Verbot für Inhaber einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luft- verkehr tätig zu sein, als gesetzlich vorgesehene Einschränkung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta anzusehen ist, da sie sich aus FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 ergibt.

38 Des Weiteren achtet diese Einschränkung, wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, den Wesensgehalt des Diskriminie- rungsverbots. Sie stellt diesen Grundsatz als solchen nämlich nicht in Frage, da es nur um die spezifische Frage der Beschränkung der Pilotenaufgaben im

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Hinblick auf die Sicherstellung der Flugsicherheit geht (vgl. entsprechend Urteil vom 29. April 2015, Léger, C-528/13, EU:C:2015:288, Rn. 54).

39 Es ist jedoch weiter zu prüfen, ob diese Einschränkung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta dem Gemeinwohl dient, und wenn ja, ob sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne dieser Bestimmung wahrt.

40 Im Hinblick auf das von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 verfolgte Ziel ist anzumerken, dass diese Verordnung, wie aus ihrem Titel hervorgeht, die technischen Vorschriften und Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung Nr. 216/2008 festlegt. So wurde die Verordnung Nr. 1178/2011 erlassen, um die Bestimmungen der Verordnung Nr. 216/2008 durchzuführen.

41 Da FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 eine Durchführung der Verordnung Nr. 216/2008 darstellt, ist somit festzustellen, dass die Bestimmung, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, das- selbe Ziel wie die letztgenannte Verordnung verfolgt, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Sicherheitsniveaus der Zivilluft- fahrt in Europa, wie sowohl aus Art. 2 der Verordnung Nr. 216/2008 als auch aus den Erwägungsgründen 1 und 11 der Verordnung Nr. 1178/2011 hervor- geht.

42 Jedoch hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Flugsicherheit bei der Ausle- gung von Art. 2 Abs. 5 und von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Ra- tes vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) entschieden, dass das Ziel der Gewährleistung der Flugsicherheit einen rechtmäßigen Zweck im Sinne dieser Bestimmungen darstellt (vgl. in die- sem Sinne Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a., C-447/09, EU:C:2011:573, Rn. 58 und 69).

43 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass es sich beim Ziel der Schaf- fung und Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Sicherheitsniveaus der Zivilluftfahrt in Europa um eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung handelt.

44 Somit ist zu prüfen, ob FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011, durch den Inhabern einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, verboten wird, als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerbli- chen Luftverkehr tätig zu sein, eine verhältnismäßige Anforderung vorschreibt, d. h., ob diese Maßnahme geeignet ist, das verfolgte Ziel zu erreichen, und nicht über das hierfür Erforderliche hinausgeht.

45 Was erstens die Geeignetheit dieser Bestimmung im Hinblick auf das verfolgte Ziel angeht, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass in Be- zug auf die Flugsicherheit Maßnahmen, die auf die Vermeidung von Flugzeug- unglücken durch Kontrolle der Tauglichkeit und körperlichen Fähigkeiten der Pi- loten abzielen, damit menschliche Schwächen nicht zur Ursache derartiger Un- fälle werden, unbestreitbar Maßnahmen darstellen, die geeignet sind, die Si- cherheit des Flugverkehrs zu gewährleisten (vgl. entsprechend Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a., C-447/09, EU:C:2011:573, Rn. 58).

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46 Des Weiteren hat der Gerichtshof ausgeführt, dass es wesentlich ist, dass Verkehrspiloten über angemessene körperliche Fähigkeiten verfügen, da kör- perliche Schwächen in diesem Beruf beträchtliche Konsequenzen haben kön- nen, und festgestellt, dass diese Fähigkeiten unbestreitbar mit zunehmendem Alter abnehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a., C-447/09, EU:C:2011:573, Rn. 67).

47 So sind die Bestimmungen von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verord- nung Nr. 1178/2011, da mit ihnen ausgeschlossen werden kann, dass ein Ab- nehmen dieser körperlichen Fähigkeiten nach dem 65. Lebensjahr zur Unfallur- sache wird, geeignet, die verfolgte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung zu erreichen.

48 Allerdings sind Rechtsvorschriften nach ständiger Rechtsprechung nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht werden, es in kohärenter und sys- tematischer Weise zu erreichen; Ausnahmen von den Bestimmungen eines Gesetzes können in bestimmten Fällen dessen Kohärenz beeinträchtigen, ins- besondere wenn sie wegen ihres Umfangs zu einem Ergebnis führen, das dem mit dem Gesetz verfolgten Ziel widerspricht (Urteil vom 21. Juli 2011, Fuchs und Köhler, C-159/10 und C-160/10, EU:C:2011:508, Rn. 85 und 86).

49 Hierzu geht aus dem Wortlaut von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Ver- ordnung Nr. 1178/2011 hervor, dass die Altersgrenze von 65 Jahren auf dem Gebiet des nicht gewerblichen Luftverkehrs nicht anwendbar ist. Nach Ansicht von Herrn Fries beeinträchtigt ein solcher Ausschluss die Kohärenz dieser Vor- schrift im Hinblick auf das verfolgte Ziel, wodurch die fragliche Beschränkung unverhältnismäßig werde.

50 Indem der Unionsgesetzgeber diese Altersgrenze nur für den gewerblichen Luftverkehr festgelegt hat, hat er jedoch die Unterschiede zwischen gewerbli- chem und nicht gewerblichem Luftverkehr berücksichtigt, nämlich insbesondere die größere technische Komplexität der Luftfahrzeuge und die höhere Anzahl betroffener Personen im gewerblichen Luftverkehr. Solche Unterschiede recht- fertigen die Aufstellung unterschiedlicher Regelungen, um die Sicherheit des Flugverkehrs für die beiden Verkehrsarten zu gewährleisten.

51 Unter diesen Umständen scheint der Umstand, dass die Altersgrenze von 65 Jahren nur auf den gewerblichen Luftverkehr Anwendung findet, eher für als gegen die Verhältnismäßigkeit der betrachteten Maßnahme zu sprechen.

52 Somit stellt das Verbot für den Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftver- kehr tätig zu sein, ein geeignetes Mittel dar, um ein angemessenes Sicherheits- niveau der Zivilluftfahrt in Europa aufrechtzuerhalten.

53 Um sodann zu ermitteln, ob diese Maßnahme über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgeht und die Interessen der über 65- jährigen Inhaber von Pilotenlizenzen übermäßig beeinträchtigt, ist sie in dem Regelungskontext zu betrachten, in den sie sich einfügt, und sind sowohl die Nachteile, die sie für die Betroffenen bewirken kann, als auch die Vorteile zu

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berücksichtigen, die sie für die Gesellschaft im Allgemeinen und die diese bil- denden Individuen bedeutet (vgl. entsprechend Urteil vom 5. Juli 2012, Hörn- feldt, C-141/11, EU:C:2012:421, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtspre- chung).

54 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 zu den vom Unionsgesetzgeber aufgestellten Regeln gehört, mit denen die für das fliegende Personal in der Zi- villuftfahrt geltenden Anforderungen definiert werden, um zu gewährleisten, dass dieses Personal qualifiziert, gewissenhaft und kompetent ist, so dass es die ihm anvertrauten Aufgaben bestmöglich erfüllt, und dies mit Blick auf die Verbesserung der Flugsicherheit.

55 Da die Piloten von Luftfahrzeugen in der Kette der Akteure der Luftfahrt ein wesentliches Glied darstellen, bleibt die Kompetenz dieser Spezialisten eine der Hauptgarantien für die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Zivilluftfahrt. Vor die- sem Hintergrund ist der Erlass von Maßnahmen, mit denen gewährleistet wer- den soll, dass nur die über die erforderlichen körperlichen Fähigkeiten verfü- genden Personen Luftfahrzeuge fliegen dürfen, unerlässlich, um die Gefahr von Zwischenfällen aufgrund menschlichen Versagens auf ein Mindestmaß zu ver- ringern.

56 Unter diesen Umständen erscheint es nicht unvernünftig, dass es der Unions- gesetzgeber unter Berücksichtigung der Bedeutung menschlicher Faktoren auf dem Gebiet der Zivilluftfahrt sowie des über die Jahre fortschreitenden Verlusts der für die Ausübung des Pilotenberufs erforderlichen körperlichen Fähigkeiten für erforderlich hält, für die Tätigkeit als Pilot im gewerblichen Luftverkehr eine Altersgrenze festzulegen, um ein angemessenes Sicherheitsniveau der Zivilluft- fahrt in Europa aufrechtzuerhalten.

57 Was die Festlegung der Altersgrenze speziell auf 65 Jahre angeht, bean- standet Herr Fries diese Grenze und bringt u. a. vor, dass zum einen keine wis- senschaftlich gesicherten medizinischen Erkenntnisse eine erhöhte Gefahr im Zusammenhang mit dem Einsatz von Piloten nach Vollendung des 65. Lebens- jahrs im gewerblichen Luftverkehr belegten und dass sich zum anderen der Rückgang der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit nicht mit Voll- endung eines bestimmten Lebensalters einstelle, sondern von individuellen Faktoren, darunter der Lebensgeschichte, abhänge.

58 Diesem Vorbringen kann jedoch nicht gefolgt werden.

59 Zunächst ist nämlich darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber über ein weites Ermessen im Hinblick auf komplexe Fragen medizinischer Art verfügt wie der, ob bei Personen, die ein bestimmtes Alter überschritten haben, beson- dere körperliche Fähigkeiten, die für die Ausübung des Berufs des Verkehrspi- loten erforderlich sind, nicht vorhanden sind, und dass er bei Ungewissheiten bezüglich der Existenz oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Ge- sundheit Schutzmaßnahmen treffen kann, ohne abwarten zu müssen, bis das Vorliegen und die Schwere dieser Risiken in vollem Umfang nachgewiesen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Mai 2014, Glatzel, C-356/12, EU:C:2014:350, Rn. 64 und 65).

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60 Aufgrund der engen Verbindung zwischen der Sicherheit der Zivilluftfahrt und dem Schutz der Besatzungsmitglieder, der Fluggäste und der Bewohner der überflogenen Gebiete steht es dem Unionsgesetzgeber frei, wenn er sich für die Festlegung einer Altersgrenze wie der in der vorliegenden Rechtssache fragli- chen entscheidet, angesichts wissenschaftlicher Ungewissheiten Maßnahmen den Vorzug zu geben, bei denen er sich sicher ist, dass sie ein hohes Maß an Sicherheit bieten, sofern diese auf objektiven Tatsachen gegründet sind.

61 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Altersgrenze von 65 Jah- ren als hinreichend weit fortgeschritten betrachtet werden kann, um als End- punkt der Zulassung als Pilot im gewerblichen Luftverkehr zu dienen (vgl. ent- sprechend Urteil vom 12. Januar 2010, Petersen, C-341/08, EU:C:2010:4, Rn. 52).

62 Des Weiteren spiegelt FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 völkerrechtliche Vorschriften auf dem Gebiet der internationalen gewerblichen Luftfahrt wider, auf die der elfte Erwägungsgrund der Verordnung im Übrigen ausdrücklich Bezug nimmt und die dieselbe Altersgrenze festlegen.

63 Wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, stellen solche Vorschriften, da sie auf einer intensiven Fachdiskussion sowie auf Sach- verstand beruhen, als objektive und vernünftige Anhaltspunkte für die Entschei- dungsträger ein besonders maßgebliches Element dar, um die Verhältnismä- ßigkeit der in der vorliegenden Rechtssache fraglichen Bestimmung des Uni- onsrechts zu beurteilen.

64 Ferner ist der Unionsgesetzgeber angesichts des ihm zur Verfügung stehen- den Wertungsspielraums nicht dazu verpflichtet, statt einer Altersgrenze eine individuelle Prüfung der körperlichen und psychischen Fähigkeiten jedes Inha- bers einer Pilotenlizenz vorzusehen, der älter als 65 Jahre ist.

65 Wie der Generalanwalt u. a. in den Nrn. 60 und 61 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber insoweit entschieden, eine einzelfallbezo- gene Vorgehensweise für die Altersgruppe von 60 bis 64 Jahren mit der Alters- grenze von 65 Jahren zu kombinieren, was nach den vorstehenden Ausführun- gen eine Entscheidung darstellt, die fest in den maßgeblichen völkerrechtlichen Vorschriften verankert ist, die ihrerseits auf dem aktuellen Stand des medizini- schem Fachwissens auf diesem Gebiet beruhen.

66 Zudem ist zu betonen, dass diese Altersgrenze nicht automatisch bewirkt, dass die Betroffenen gezwungen werden, endgültig aus dem Arbeitsmarkt aus- zuscheiden. Mit ihr wird keine zwingende Regelung zur Versetzung in den Ru- hestand von Amts wegen eingeführt, und sie bringt auch nicht notwendiger- weise mit sich, dass das Arbeitsverhältnis eines Beschäftigten beendet werden müsste, weil dieser das Alter von 65 Jahren erreicht hat (vgl. entsprechend Ur- teil vom 5. Juli 2012, Hörnfeldt, C-141/11, EU:C:2012:421, Rn. 40).

67 FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 schließt nämlich die Inhaber einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht ha- ben, nicht von jeglicher Aktivität auf dem Gebiet der Luftfahrt aus, sondern ver- bietet ihnen lediglich, als Pilot im gewerblichen Luftverkehr tätig zu sein.

(13)

68 Somit ist festzustellen, dass das Verbot für Inhaber einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerbli- chen Luftverkehr tätig zu sein, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung erforderlich ist.

69 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die durch FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 eingerichtete Ungleichbehandlung aufgrund des Alters mit Art. 21 Abs. 1 der Charta im Ein- klang steht.

Art. 15 Abs. 1 der Charta.

70 Art. 15 Abs. 1 der Charta verankert das Recht jeder Person, zu arbeiten und einen frei gewählten Beruf auszuüben.

71 Vorliegend führt die Anwendung von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 zu einer Beschränkung der Berufsfreiheit der Inha- ber einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, die darin besteht, dass sie vom Datum ihres 65. Geburtstags an ihren Beruf als Pilot im gewerblichen Luftverkehr nicht mehr ausüben können.

72 Wie bereits in Rn. 36 des vorliegenden Urteils dargelegt worden ist, lässt je- doch Art. 52 Abs. 1 der Charta Einschränkungen der Ausübung der in ihr ver- ankerten Rechte zu, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Ver- hältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

73 Was insbesondere die Berufsfreiheit und die unternehmerische Freiheit betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die freie Berufsausübung, ebenso wie das Eigentumsrecht, nicht absolut gewähr- leistet wird, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen ist. Die Ausübung dieser Freiheiten kann daher Beschränkungen unter- worfen werden, sofern diese tatsächlich den dem Gemeinwohl dienenden Zie- len der Union entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck un- verhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ih- rem Wesensgehalt antastet (Urteil vom 6. September 2012, Deutsches Weintor, C-544/10, EU:C:2012:526, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74 Wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, ist das Verbot für Inhaber einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig zu sein, als gesetz- lich vorgesehen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta zu betrachten.

75 Des Weiteren tastet die betreffende Einschränkung nicht den Wesensgehalt der Berufsfreiheit selbst an, da sie die berufliche Tätigkeit der Inhaber einer Pi- lotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, lediglich bestimmten Einschränkungen unterwirft.

(14)

76 Im Hinblick auf das durch die streitige Maßnahme verfolgte Ziel geht aus den Rn. 40 bis 43 des vorliegenden Urteils hervor, dass mit FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 die Schaffung und Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Sicherheitsniveaus der Zivilluftfahrt in Europa ange- strebt wird, was eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung darstellt.

77 Was die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angeht, ergibt sich aus den Rn. 45 bis 52 des vorliegenden Urteils, dass die Maßnahme, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, geeignet ist, die dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung zu gewährleisten.

78 Des Weiteren lässt die Gesamtheit der Erwägungen in den Rn. 53 bis 68 des vorliegenden Urteils den Schluss zu, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Er- lass der Bestimmung, deren Gültigkeit in Frage gestellt wird, die Anforderungen der Flugsicherheit gegen das individuelle Recht des Inhabers einer Pilotenli- zenz, der älter als 65 Jahre ist, zu arbeiten und einen gewählten Beruf auszu- üben, in der Weise abgewogen hat, bei der nicht angenommen werden kann, dass sie außer Verhältnis zum verfolgten Ziel steht.

79 Somit ist das Verbot gemäß FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 für Inhaber einer Pilotenlizenz, die das Alter von 65 Jahren er- reicht haben, als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig zu sein, mit Art. 15 Abs. 1 der Charta vereinbar.

80 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die Prü- fung der ersten und der zweiten Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 im Hin- blick auf Art. 15 Abs. 1 bzw. Art. 21 Abs. 1 der Charta beeinträchtigen könnte.

Zur dritten Frage

81 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 dahin auszu- legen ist, dass er dem Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, verbietet, als Pilot Leer- oder Überführungsflüge im Gewerbebe- trieb eines Luftverkehrsunternehmens durchzuführen, bei denen weder Flug- gäste noch Fracht oder Post befördert werden, sowie – ohne Mitglied der Flug- besatzung zu sein – als Ausbilder und/oder Prüfer an Bord eines Luftfahrzeugs tätig zu sein.

82 Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass gemäß FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung der Inhaber einer Pilotenli- zenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, nicht als Pilot eines Luftfahr- zeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig sein darf.

83 Aus dem Wortlaut selbst dieser Bestimmung ergibt sich, dass nur die Sach- verhalte der durch diese Bestimmung vorgesehenen Einschränkung unterfallen, bei denen kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich dass der Inha- ber einer Pilotenlizenz das Alter von 65 Jahren erreicht hat, dass er als Pilot ei- nes Luftfahrzeugs tätig wird und dass dieses im gewerblichen Luftverkehr be- trieben wird.

(15)

84 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass FCL.010 des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 den Begriff „gewerblicher Luftverkehr“ ausdrücklich als die entgeltliche Beförderung von Fluggästen, Fracht oder Post definiert.

85 Bei Leer- oder Überführungsflügen handelt es sich jedoch, wie aus der Vorla- geentscheidung und dem Wortlaut der dritten Frage hervorgeht, nicht um Flüge, die der Beförderung von Fluggästen, Fracht oder Post dienen.

86 Des Weiteren steht fest, was die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Aus- bildung und Prüfung von Piloten angeht, dass sich der Inhaber einer Pilotenli- zenz, der als Ausbilder und/oder Prüfer tätig ist, zwar im Cockpit des Flugzeugs aufhält, dieses aber nicht fliegt.

87 Somit ist festzustellen, dass weder Leer- noch Überführungsflüge noch Tätig- keiten im Zusammenhang mit der Ausbildung und Prüfung von Piloten der Maßnahme gemäß FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 unterfallen.

88 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die dritte Frage zu antwor- ten, dass FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 da- hin auszulegen ist, dass er dem Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, weder verbietet, als Pilot Leer- oder Überführungsflüge im Gewerbebetrieb eines Luftverkehrsunternehmens durchzuführen, bei denen weder Fluggäste noch Fracht oder Post befördert werden, noch – ohne Mitglied der Flugbesatzung zu sein –, als Ausbilder und/oder Prüfer an Bord eines Luft- fahrzeugs tätig zu sein.

Kosten

89 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentschei- dung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Prüfung der ersten und der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verord- nung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 bzw. Art. 21 Abs. 1 der Charta beeinträchtigen könnte.

2. FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 ist dahin auszulegen, dass er dem Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, weder verbietet, als Pilot Leer- oder Überführungsflüge im Gewerbebetrieb eines Luftverkehrsunterneh- mens durchzuführen, bei denen weder Fluggäste noch Fracht oder

(16)

Post befördert werden, noch – ohne Mitglied der Flugbesatzung zu sein –, als Ausbilder und/oder Prüfer an Bord eines Luftfahrzeugs tä- tig zu sein.

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