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ie Verbindung Arzt-Seelsorger ist so alt wie beide Berufe. Öf- ters waren diese in einer Per- son vereint. Von den Ärzten, die Naturheilkunde praktizierten, ist der bekannteste der katholische Pfar- rer Sebastian Kneipp (1821 bis 1897).Bis heute aber gibt es immer wieder Pfarrer, die nach ordentlichem Medi- zinstudium im Sinne der „Schulmedi- zin“ zugleich Ärzte
sind. Albert Schweit- zer (1875 bis 1965) war in seltener Vielseitig- keit in einer Person theologischer Univer- sitätsdozent, Arzt, Or- ganist, Musikwissen- schaftler, Ethiker und Kulturphilosoph. Be- reits 1913 sah er in der Verkommenheit einer europäischen Gesell- schaft nicht die richti- gen Möglichkeiten, ein sinnvolles, wenn auch entbehrungsreiches armes Leben zu ver- wirklichen. Deshalb ging er als Arzt und
Pfarrer wie ein Pionier der Mensch- lichkeit nach Afrika.
Weniger bekannt ist ein
„Schüler“ Schweitzers: Kurt Reuber (1906 bis 1944). In Stalingrad kommt er 1943 als Truppen- und Seuchenarzt in sowjetische Gefangenschaft, die er nicht überlebt. Für seine Kameraden zeichnet er Weihnachten 1942 die
„Madonna von Stalingrad“. Diese Zeichnung drückt die christliche Sinngebung des Lebens aus, gemalt von einem, der zugleich Pfarrer, Ma- ler und Arzt war.
Wer über das Lebenswerk dieser und anderer Ärzte aus dem Pfarrhaus Genaueres wissen will, kann täglich im Lutherhaus Eisenach die Pfarrhaus- ausstellung besuchen. Zum 100. Ärz- tetag bot sie zusätzlich eine Doku- mentation „Ärztliche Menschlichkeit als Gottesdienst.“ In einem auffällig hellen Fachwerkhaus, ganz nah am Markt, beherbergt das Lutherhaus seit einem Jahr zwei neue Dauerausstellungen.
Teils mit klassischen, vor allem aber mit ganz modernen Mit- teln (zum Beispiel Multimediasäulen) wird die Prägung heu- tiger deutscher Natio- nalkultur und Gesell- schaft durch Luther verständlich gemacht.
Die zweite Ausstel- lung ist dem evangeli- schen Pfarrhaus ge- widmet und stellt ne- ben Sachthemen (zum Beispiel Kirchenasyl) berühmte Persönlich- keiten aus dem Pfarr- haus vor. Zu ihnen zählen ungefähr 80 Ärzte, die Pfarrer, vor allem aber Pfarrerskinder und im Einzelfall Pfarrfrau waren. Die Sammlung ist zwar weltweit einmalig, jedoch nicht vollständig. Deshalb wird an dieser Stelle dringend gebeten, Hinweise auf weitere bedeutende Ärzte aus dem Pfarrhaus zu geben, die in die Doku- mentation (Pfarrhausarchiv) gehören.
Hinsichtlich der sozialen Her- kunft von Ärzten dürften die Ärzte selbst den höchsten, die Pfarrer als Arztväter den zweithöchsten Anteil
stellen. Besonders wichtig aber ist: die ersten deutschen Ärztinnen kommen aus dem evangelischen Pfarrhaus. Sie waren mutig-unkonventionell, hatten Pioniergeist und revoltierten (geprägt durch eine spezifische Pfarrhaus- kultur) gegen Vorurteile, Klischees und fragwürdige Gewohnheiten. Blieb
„Deutschlands erste Doktorin“, die Pfarrfrau Dorothea Christine Erxle- ben (1715 bis 1762), noch eine Ausnah- me, so sind im 19. Jahrhundert einige deutsche und deutschschweizerische Pfarrerstöchter die ersten Akademike- rinnen als Ärztinnen unseres Zeital- ters in Mitteleuropa. Ihre Reihe be- ginnt mit der Zahnärztin Henriette Ti- burtius geb. Pagelsen verw. Hirschfeld (1834 bis 1911).
Pfarrerssöhne
Zu den großen Organisatoren des Gesundheitswesens, motiviert durch soziales Verantwortungsbewußtsein, gehört ein thüringischer Pfarrerssohn und späterer Freund Hufelands: Ernst Ludwig Heim (1747 bis 1834). Er hat am 22. Juli 1997 seinen 250. Geburts- tag. Sein Vater hatte einst dem Jungen vor der Berufswahl gesagt: „Zu einem Quacksalber schickst du dich am be- sten. Du kannst den Leuten alles weis- machen, was du willst . . .“
Abgesehen von weiteren Ärzte- gruppen, die hier zu nennen wären, sei an dieser Stelle nur noch auf die Chir- urgen und Neuropsychiater hingewie- sen. Aufgrund der besonderen Erzie- hung im Pfarrhaus ist die Zahl der letz- teren auffällig hoch. Große Wegberei- ter der modernen Chirurgie war ein Dreigestirn von Pfarrerssöhnen, die untereinander im Lehrer-Schüler- be- ziehungsweise Nachfolgeverhältnis als Professoren stehen: B. R. K. von Lan- genbeck (1810 bis 1887), Th. Billroth (1829 bis 1894) und Ernst von Berg- mann (1836 bis 1907). Von den Lei- stungen der Psychotherapeuten, die aus dem Pfarrhaus stammen, ist die Entdeckung des Autogenen Trainings durch J. H. Schultz am bekanntesten geworden.
Pfarrer Dr. Wolfgang Schenk Wissenschaftlicher Leiter des Lutherhauses Eisenach Lutherplatz 8, 99817 Eisenach
A-1548 (32) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 23, 6. Juni 1997
P O L I T I K AKTUELL
Pfarrhaus-Ausstellungen des Lutherhauses Eisenach
Arzt und Seelsorger – eine Berufsbeziehung
Zwei Dauerausstellungen im Lutherhaus in Eisenach beschäftigen sich mit dem Thema „Arzt und Pfarrer in Geschichte und Gegenwart“. Anläßlich des 100. Deutschen Ärztetages refe- rierte der wissenschaftliche Leiter des Lutherhauses, Pfarrer Dr. Wolfgang Schenk, über die Verbindung dieser beiden Berufe. Im folgenden Beitrag wird der zweite Teil seines Vortrags, der sich mit den historischen Aspekten beschäftigt, in leicht bearbeiteter Form dokumentiert.
Albert Schweitzer war Theologe, Arzt und Musiker. Foto: Archiv