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Archiv "Kassenarzt ade: Vorerst kleinere Brötchen backen" (26.09.2008)

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A2028 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008

P O L I T I K

D

ieser Geburtstag verlief besinn- lich. Vorbei die von Optimismus überschäumende Aufbruchstimmung der jungen Jahre. Jenseits der Sechzig blickt man mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Wie soll es weitergehen?

Diese Frage bewegt auch bedeu- tend Jüngere. Angesichts der misera- blen Rahmenbedingungen für Hausärz- te halten viele Kolleginnen und Kolle- gen nach anderen Tätigkeitsfeldern Ausschau, die sie ernähren könnten, oder schielen unverhohlen nach dem Ruhestand, was ganz und gar nicht

meinem Naturell entspricht. Aber die Vorstellung, sich weiter mit diesen Wi- drigkeiten und immer neuen Zumutun- gen herumschlagen zu müssen, dämpf- te die Feierlaune und versetzte mich ins Grübeln.

Wieder eine Änderung des EBM, die den Mangel auch nur mehr schlecht als recht verwalten wird, die nächste ist schon angekündigt. Ziffernlisten herauf und herunter, Ausschlüsse, Definitionen – Präambeln und Vorreden nicht zu vergessen . . . entsetzlich!

Da muss man aufpassen, nicht falschen Propheten auf den Leim zu gehen. Der AOK-Hausarztvertrag als Rettungsanker? Mir graust vor dem, was Hausarzt-Verband und Medi mit der Gesundheitskasse ausbaldowert haben. Noch ein Vertrag! Paragrafen in Hülle und Fülle, zeitraubende Vertrags- schulungen in Form auswärtiger Semi- nare und andere Scheußlichkeiten obli- gat, neue Formulare natürlich auch.

Hat noch niemand bemerkt, dass sich diese Mehrarbeit bei dem geringen Ho- norarplus ausschließlich für AOK-Versi- cherte angesichts deren geringen An- teils an der Klientel – bei mir gerade mal 20 Prozent – nicht rechnet, es sei denn, man begnügt sich mit Honoraren in der Größenordnung von Mindestlöhnen?

Ein Dasein ohne Zwänge, unbehel- ligt von Wirtschaftlichkeitsprüfungen?

Wer diesen Versprechungen glaubt, wird sich wundern. Die Prüfer sitzen nicht mehr in der KV, sonden in der AOK – keine angenehme Vorstellung.

Und was ist, wenn die AOK ihre hoch- gesteckten Sparziele nicht erreicht?

Nein, ich mag kein Handlanger einer Kasse sein, die Patienten seit eh und je das Blaue vom Himmel verspricht, ver- tragstreuen Ärzten jedoch in den Rücken fällt wie keine andere. Erst kürzlich zog ich mir den Hass eines ganzen Clans

zu, weil ich der ein wenig inkontinenten Oma unter Hinweis auf die geltenden Bestimmungen die Verordnung der ge- wünschten Slipeinlagen verweigerte.

Eine jahrzehntelange Arzt-Patienten- Beziehung zerbrach, weil eine AOK- Mitarbeiterin am Telefon die Auskunft erteilt hatte, diese stünden der Oma selbstverständlich zu, denn „die AOK bezahlt, was der Arzt verordnet“. Das geht seit Jahren so, sei es mit Kranken- betten oder Toilettensitzen für Pflege- fälle, Blutdruck- und Blutzuckermess- geräten etc. An der Fähigkeit zur Ver- tragstreue dieser Krankenkasse darf gezweifelt werden.

Wie kann Medi gleichzeitig die Wer- betrommel für den Systemausstieg rühren? Entweder bremsen oder Gas geben! Beides gleichzeitig ist, diploma- tisch formuliert, schwer verständlich.

Wahrscheinlich dient das Korbmodell lediglich als Faustpfand im standespoli- tischen Machtpoker – Ausgang unge- wiss. Mir geht das zu lange, ich habe die Nase voll.

Ich will in den mir verbleibenden Jahren meine Zeit nicht länger als bürokratischer Griffelspitzer und Man- gelverwalter vergeuden, sondern kranken Menschen helfen, und das gelingt, so reifte in mir die Gewissheit,

besser ohne EBM, Hausarztverträge und DMP.

Regelleistungsvolumina, Kopfpau- schalen und Punktwertverfall ade! In schlaflosen Nächten habe ich mich schließlich dazu durchgerungen, die Kassenzulassung zurückzugeben. Seit dem 1. Juli 2008 bin ich nur noch als Privatarzt tätig, Selbstzahler können sich zum einfachen GOÄ-Satz privat behandeln lassen.

Trotz des ausliegenden Informati- onsblatts herrschte in den vorangegan- genen Wochen großer Gesprächsbe-

darf. Ausgerechnet anspruchsvolle Pa- tienten kamen nicht selten mit altbe- kannten Sprüchen wie: „Aber meine Kasse zahlt doch gut . . . nie Probleme gehabt.“ Denjenigen, die so ihre völlige Ahnungslosigkeit dokumentieren, pfle- ge ich anhand der geltenden Pauscha- len, Budgets und Ausschlüsse vor Au- gen zu führen, wie wenig Geld für ihre Behandlung zur Verfügung steht. Da dämmert auch dem Einfältigsten, dass dieses System eine individuelle Be- handlung nicht hergibt.

Wie viele letztendlich das Angebot annehmen, sich privat behandeln zu lassen, wird im Wesentlichen davon abhängen, ob die Krankenkassen Kos- tenerstattung gewähren. Die zieren sich erwartungsgemäß. Alle Aus- stiegsbefürworter sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass ein flächendeckender Systemausstieg oh- ne Sicherstellung der Kostenerstat- tung zum Scheitern verurteilt ist. Ver- mutlich muss erst ein Patient seinen Anspruch durch sämtliche Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit pauken, und das kann dauern.

Ich habe mich darauf eingestellt, vorerst kleinere Brötchen zu backen.

Die frisch gewonnene Freiheit ist mir

das wert. I

KOMMENTAR

Wolfgang Roscher, Facharzt für Allgemeinmedizin, Karlsruhe

KASSENARZT ADE

Vorerst kleinere Brötchen backen

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