DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
III
Abbildung 1: Der extra- hierte Goldzahn mit Größenmaßstab. Die Schneidefläche ist stumpf und glatt, die Aufsetzfläche für die Stifthalterung ist von ei- nem scharfen Rand um- säumt
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Die Aspiration von Fremdkörpern in die Atem- wege bei Kindern und Erwachsenen ist keine Seltenheit. Sofern das spontane Abhusten der Corpora aliena unter ärztlicher, manueller Hilfe mißlingt, ist ein endoskopischer Notfalleingriff notwendig. Die moderne Fiberbronchoskopie hat neue erfolgversprechende Wege eröffnet.
Goldzahn in der Lunge
zwei Jahre unbemerkt
Fre= <örperextraktion aus peripheren Atemwegen
C
orpora aliena, die gele- gentlich in die Trachea oder die größeren Bron- chien aspiriert werden, können heute meist durch endoskopische Maßnahmen extrahiert werden (I, 2). Gelegent- lich gelingt es auch als Erstmaßnah- me, daß durch einen kräftigen Schlag auf den Rücken zwischen die beiden Schulterblätter in vorgebeug- ter Rumpfhaltung des Patienten der Fremdkörper ausgehustet wird.Größere Partikel werden nach Intu- bation mit dem starren Bronchoskop unter Sicht mit einer Geradeaus-Op- tik und unter Verwendung von Ex- traktionszangen oder -körben luxiert und eliminiert.
Oft handelt es sich bei den Be- troffenen um Kinder, die beim Spie- len kleinere Gegenstände in den Mund stecken, von wo sie gelegent- lich in die Atemwege gelangen. Es liegen aber auch Berichte über er- folgreiche Entfernung von Fremd- körpern bei Erwachsenen vor, die unbeabsichtigt oder im Rahmen psy- chopathologischer, manipulativer
Karlgeorg Lanser
Handlungsweisen Fremdkörper in das Atemwegssystem bekamen. So wurden Erdnüsse, Fischgräten, Nä- gel, Schrauben, Heftklammern, kleinere Geldstücke, Kugeln, Stein- chen und Sicherheitsnadeln erfolg- reich entfernt.
Die vorliegenden Berichte han- deln nahezu ausschließlich von Ex- traktionsfolgen im akuten Stadium bei bronchologischen Notfalleingrif- fen unmittelbar nach dem Ereignis (2, 3, 5). Es ist verständlich, da es sich vorwiegend um Gegenstände handelt, die entweder direkt obtu- rierend wirken oder aufgrund ihrer spitzen und scharfen Kanten zur Verletzung der Bronchialschleim- haut, Hämoptoe und permanenten Hustenstößen führen.
Kleinere Gegenstände mit glat- ter Oberfläche und einem Durch-
Medizinische Poliklinik (Leiter:
Professor Dr. med. Karlgeorg Lanser) der Philipps-Universität Marburg
messer unterhalb der Stammbron- chienlumina können bis in die Sub- segmente der Lungenlappen gelan- gen. Ihre Extraktion kann sich sehr viel schwieriger gestalten, da sie mit den größeren Extraktionsgeräten
Abbildung 2: Endoskopische Aufnahme ei- nes Goldzahnes als lichtreflektierender Gegenstand im Ostium eines Subsegment- bronchus des inferioren Lingulasegmentes A-200 (32) Dt. Ärztebl. 84, Heft 5, 28. Januar 1987
Jahren wurden weder gehäuft pul- monale Infekte noch Einschränkun- gen der respiratorischen Situation beobachtet. Somit gab es auch von seiten des behandelnden Hausarztes und der Patientin selbst keine Hin- weise, daß der verlorene Zahn in das Tracheobronchialsystem gelangt sein könnte.
Abbildung 3: a. p.
Röntgenaufnah- me der linken Thoraxhälfte. In Projektion auf den linken Hilus ist ein schattengeben- der Fremdkörper (Goldzahn) zu er- kennen
unter starrer Bronchoskopie nicht mehr erreichbar sind. Bisweilen sind sie so klein oder ungünstig gelegen, daß eine Operation notwendig wird.
Mit der Einführung von Fiber- bronchoskopen mit größeren Expe- rimentierkanälen, die die Verwen- dung von vielfältig gestalteten, steu- erbaren Extraktionszangen gestat- ten, haben sich Wege eröffnet, auch in Lokalanästhesie peripher gelege- ne Fremdkörper zu entfernen (1, 2).
Um diese Möglichkeiten aufzuzei- gen, wird im folgenden über einen Fall berichtet, der in zweierlei Hin- sicht von Interesse sein kann:
Eine 62jährige Patientin war zwei Jahre vor der Konsultation un- serer Klinik zur Versorgung mit ei- nem Goldzahninlay in zahnärzt- licher Behandlung. Beim probewei- sen Anpassen des Goldzahnes auf den Stiftaufbau rutschte der Zahn ab
Abbildung 4: In der seitlichen Röntgenaufnah- me stellt sich der rechteckige Fremdkörper in Höhe des linken Unterlappen- bronchuseingan- ges dar
und gelangte in den Rachen der Pa- tientin. Versuche der Expektoration mißlangen. Unter der Annahme, den Goldzahn verschluckt zu haben, wurden über eine längere Zeit die Exkremente nach dem Fremdkörper untersucht. Die Suche war ergebnis- los. Die Patientin berichtete, daß weder unmittelbar noch in der direk- ten zeitlichen Folge pulmonale Sym- ptome wie Husten, Auswurf oder Fremdkörpergefühl aufgetreten sei- en. In den darauffolgenden zwei
Im Rahmen einer internisti- schen Routineuntersuchung wurde zwei Jahre nach dem Ereignis eine Röntgenuntersuchung der Thorax- organe durchgeführt. Hierbei sah man links-parakardial in Projektion auf den linken Hilus einen schatten- gebenden Fremdkörper von recht- eckiger Konfiguration (Abbildung 3). In der seitlichen Aufnahme (Ab- bildung 4) projizierte er sich in die Region des linken Unterlappen- bronchus .
Dt. Ärztebl. 84, Heft 5, 28. Januar 1987 (35) A-201
Abbildung 5: Rönt- genzielaufnahme der linken Lunge.
Links ist das Fiber- endoskop mit durchgeführter Fremdkörperfaß- zange bis zum rechteckig konfigu- rierten Zahnersatz zu erkennen Dieser Befund erlaubte, das
anamnestische Ereignis des Gold- zahnverlustes mit dem aktuellen Röntgenereignis unmittelbar in Zu- sammenhang zu bringen. Während der fiberoptischen Exploration bei völlig unauffälligen morphologi- schen Bronchialverhältnissen konn- te der Fremdkörper in den Atemwe- gen der linken Lunge initial nicht entdeckt werden. Alle Lappenostien und Segmentostien waren frei ein- sehbar. Auch ein Lokalisationsver- such unter Röntgenkontrolle gelang vorerst nicht.
Erst bei Inspektion des tieferen Abschnittes des inferioren Lingula- segmentbronchus wurde ein reizlo- ser, glatter Verschluß ca. fünf Milli- meter hinter dem Abgang eines Sub- segmentbronchus entdeckt. Nach Präparation des Subsegmentbron- chus mit Hilfe eines Neodym-YAG- Lasers und Abtragung von Gewebe mit der Probenexzisionszange stellte sich der verlorene Goldzahn in der Tiefe als lichtreflektierender Gegen- stand dar (Abbildung 2).
Am folgenden Tag wurde ein Extraktionsversuch fiberendosko- pisch durchgeführt. Der Goldzahn lag mit seinem schweren Ende ent- sprechend der Schneidefläche nach distal zeigend im Subsegment einge- keilt. Das nach proximal gelegene Ende war gering ausgehöhlt und wies eine scharfe Umrandung auf.
Der Längsdurchmesser des Zahnes betrug 8 mm (Abbildung 1). Das oralwärts gelegene scharfe Ende konnte mit einer durch den Experi-
mentierkanal des Fiberbronchosko- pes vorgeschobenen Fremdkörper- faßzange , Typ Storch, gefaßt wer- den (Abbildung 5).
Erst nach mehrmaligen, vorsich- tigen Versuchen, da das Risiko einer Bronchusruptur bestand, gelang die Luxation des Zahnes in das Lumen des Segmentbronchus, und er konn- te von dort gemeinsam mit dem Fi- berbronchoskop problemlos aus den Atemwegen extrahiert werden.
Nach kurzzeitiger Blutstillung si- stierte die lokale Blutung, und die Patientin wurde am folgenden Tag beschwerdefrei entlassen. Eine rönt- genologische und endoskopische Kontrolluntersuchung zeigte regel- rechte Verhältnisse.
Diskussion
Die Fremdkörperextraktion aus den peripheren Atemwegen stellt wegen der erhöhten Blutungs- und Verletzungsgefahr ein deutlich grö- ßeres Risiko dar als die Entfernung
größerer Gegenstände aus der Tra- chea und den Stammbronchien (2, 3). Nicht immer ist ein thoraxchirur- gischer Eingriff erforderlich. Bei entsprechender technischer Ausrü- stung kann die Entfernung eines Fremdkörpers aus den mittleren und kleinen Atemwegen auch in Lokal- anästhesie mit Hilfe des Fiberbron- choskopes durchgeführt werden.
Das gilt insbesondere für die Patien- ten, bei denen aus internistischer Sicht Kontraindikationen für einen
thoraxchirurgischen Eingriff in Voll- narkose bestehen. Dieses Verfahren beinhaltet auch den organerhalten- den Aspekt. Das Risiko der starken intrabronchialen Blutung und der Bronchusruptur bis zum Bronchus- abriß setzt jedoch als conditio sine qua non das Vorhandensein einer thoraxchirurgischen Abteilung im Hause sowie eine vor dem Extrak- tionsversuch durchgeführte Abspra- che mit dem jeweiligen Operateur voraus. Das fiberendoskopische Verfahren ist bei Kindern unterhalb von sechs Jahren wegen der Vulne- rabilität der Gewebe nicht empfeh- lenswert.
Das Fallbeispiel zeigt, daß, ab- hängig von der Dolenz des Patien- ten, nicht immer entsprechende pul- monale Symptome beim Eintritt und Verbleib eines Fremdkörpers in den Atemwegen auftreten müssen. Iner- tes Material wie Gold kann zeitlos ohne größere lokale Reaktion im Bronchialsystem verbleiben, sofern nicht eine poststenotische Infektion auftritt (4).
Dieser Gesichtspunkt kann von Bedeutung sein, wenn bei einem äl- teren Patienten sowohl ein operati- ver Eingriff wie eine endoskopische Fremdkörperentfernung aus pulmo- nalen oder extrapulmonalen Grün- den nicht mehr möglich ist.
Literatur
1. Braddick, M. R.; Thomas, J. M.: Fiberoptic Bronchoscopy to Remove Inhaled Foreign Bodies. Brit. J. Dis. Chest 80 (1986) 197 2. Huzly, A.: Diagnostische und therapeutische
Bronchoskopie. Intensivbehandl. 2 (1977) 35 3. Lukomsky, G. I.: Removal of bronchial for-
eign bodies, in: „Bronchology", ed. G. I.
Lukomsky. The C. V. Mosby Company, St.
Louis - Toronto - London 111 (1979) 4. Lukomsky, G. I.; Shulutko, M. L.: Long-
ago aspirated foreign bodies, in: „Broncho- logy" , ed. G. I. Lukomsky. The C. V. Mos- by Company, St. Louis - Toronto - London 116 (1979)
5. Uteshew, N. S.: Recently aspirated foreign bodies, in: „Bronchology", ed. G. I. Lu- komsky. The C. V. Mosby Company, St.
Louis - Toronto - London 105 (1979)
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med.
Karlgeorg Lanser Medizinische Poliklinik
der Philipps-Universität Marburg Baldingerstraße
3550 Marburg/Lahn A-202 (36) Dt. Ärzten 84, Heft 5, 28. Januar 1987