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Archiv "Gendermedizin und Krankenkassen: Warum passiert nichts?" (28.03.2014)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 13

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28. März 2014 A 539

KOMMENTAR

Prof. Dr. oec. Volker E. Amelung, Daniela Chase Institut für angewandte Versorgungsforschung

E

s steht außer Frage, dass das deutsche Gesundheitssystem nur wenig vom amerikanischen System lernen kann. Allerdings nehmen die USA eine Vorreiterrolle in der Gender- medizin ein. Die getrennten Leitlinien der American Heart Association für die Prävention von kardiovaskulären Er- krankungen bei Frauen und Männern sind ein Beleg dafür.

In Deutschland hat das Thema Gen- dermedizin in letzter Zeit zwar mehr (mediale) Aufmerksamkeit erfahren.

Doch dass genderspezifische Aspekte einbezogen werden, ist noch längst kei- ne Selbstverständlichkeit in der Patien- tenversorgung – auch wenn die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag ver- deutlicht, dass sie Weichen stellen möchte: „Wir wollen die jeweiligen Be- sonderheiten berücksichtigen, die sich aus der Frauen- und Männergesund- heitsforschung insbesondere für die ge- sundheitliche Versorgung und die Erar- beitung von medizinischen Behand- lungsleitlinien ergeben“, heißt es dort.

Das Thema Gendermedizin ist prä- sent, es ist innovativ – man kann nicht dagegen sein. Warum also passiert so wenig? Warum gibt es noch keine un- terschiedlichen Coachingprogramme für Frauen und Männer mit Überge- wicht? Oder genderspezifische Ansätze für Patientinnen und Patienten mit De- pression? Eine Erklärung hierfür ist die heterogene Wahrnehmung der unter- schiedlichen Akteure.

Eine Gruppe agiert aus einem eher ideologisch-feministischen Verständnis heraus gegen die Unterversorgung von Frauen und an zweiter Stelle von Män- nern. Ihr geht es dogmatisch „um‘s Prinzip“. Eine zweite Gruppe setzt sich aus Ärztinnen und Ärzten, vor allem aber aus Public Health-Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftlern zusam-

men, die nüchtern Evidenz für eine ge- schlechtsspezifische und damit zielge- rechtere Versorgung in Studien aufzei- gen. Die dritte Gruppe stammt aus dem Versorgungsmanagement und ist über- zeugt, dass zielgruppenspezifische Ver- sorgungsprogramme nur unter der Be- achtung gendermedizinischer Aspekte überzeugen können.

Um das Thema näher zu beleuchten, befragte das Institut für angewandte Versorgungsforschung in Berlin in Zu- sammenarbeit mit Pfizer-Pharma GmbH

die Leiter der Abteilung Versorgungsma- nagement von Krankenkassen. Ziel war es herauszufinden, wie Gendermedizin von diesen wahrgenommen wird und wie das neue Themenfeld implementiert werden kann. Im August 2013 wurde ein Online-Fragebogen an 48 Versor- gungsmanager der größten Kassen ver- schickt. Mehr als die Hälfte, 57 Prozent, antworteten, was zeigt, dass das Thema für sie grundsätzlich von hohem Interes- se ist.

Etwa drei Viertel der Befragten wa- ren sich einig, dass Gendermedizin derzeit noch nicht ausreichend in der Regelversorgung berücksichtigt wird.

Ein Viertel gab an, dies nicht beurteilen zu können. Wichtig ist, welche Erwar- tungen an die Wirkung von Genderme- dizin bestehen, sofern diese Einzug in die Regelversorgung fände. Die befrag- ten Krankenkassenvorstände nannten verschiedene Punkte, doch im Vorder- grund standen Hoffnungen auf eine hochwertigere (85 Prozent) bezie- hungsweise kosteneffizientere (80 Pro- zent) Patientenversorgung.

Gleichwohl spielt das Thema kas- senintern offensichtlich noch keine große Rolle. Bei 63 Prozent der Befrag- ten werden genderspezifische Aspekte im kardiovaskulären Bereich gar nicht berücksichtigt, auch nicht in der Eva-

luation der Chronikerprogramme. Die Mehrheit der Interviewten (52 Prozent) gab an, man werde wohl Gendermedi- zin selbst in fünf Jahren immer noch als ein Randthema einstufen.

Wie könnte aber ein Thema, gegen das man nicht sein kann, Einzug in die Versorgungslandschaft finden? Die Be- fragten hatten darauf nur zwei Antwor- ten: Ärzte und Evidenz. Akzeptanz und ausreichendes Wissen seitens der Ärz- teschaft gelten als Schlüsselfaktor, aus- reichende Evidenz und die Integration in

Leitlinien als unabdingbar. Außer Verän- derungen durch die Ärzteschaft erach- ten die Krankenkassenvertreter vor al- lem Anstöße über traditionelle Selbstver- waltungsstrukturen (48 Prozent) oder durch eine unmittelbare gesetzliche Re- gelung (26 Prozent, Mehrfachnennun- gen möglich) als entscheidend. Sie prä- ferieren also einen Top-down-Ansatz.

Wer das Thema am Ende also auf- greifen wird, ist unklar – die Kranken- kassen jedenfalls fühlen sich (noch) nicht angesprochen. Viele versuchen zudem, trotz des wahrgenommenen Potenzials, das unsichere Terrain, das damit verbunden ist, lieber zu meiden.

Damit Gendermedizin die notwendige Beachtung findet, wird sie politischen Rückenwind und somit eine „Entschei- dung von oben“ benötigen. Ansonsten wird es bei einem Ansatz bleiben, den alle richtig finden und bei dem nichts passiert – so wie bei der Prävention.

Auf jeden Fall sollte man Gender- medizin möglichst frei von Ideologie in die Versorgung implementieren und damit im Sinne einer verbesserten Pa- tientenversorgung neue Herangehens- weisen ausprobieren. Evaluation muss dann zeigen, ob dies sinnvoll war.

Mitarbeit: Dr. Ivonne Mitar, Pfizer-Pharma GmbH, Dr. Sabine Oertelt-Prigione, Institute of Gender in Medicine, Universitätsklinikum Charité

GENDERMEDIZIN UND KRANKENKASSEN

Warum passiert nichts?

P O L I T I K

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