Das Haus Hemingways VARIA
FEUILLETON
Auf den Spuren Hemingways
In der Kneipe „El Flori- dita" in Havanna hängt ein gerahmtes Schwarz-Weiß- Foto. Es zeigt Fidel Castro im Drillich und Ernest Heming- way im Freizeithemd. In der Lieblingstränke des amerika- nischen Schriftstellers gön- nen die Touristen sich einen Daiquiri für fünf Dollar und berauschen sich am Roman
„Der alte Mann und das Meer", den Hemingway
und ein Jahr später für 18 500 Pesos von den Tantiemen für sein Buch „Wem die Stunde schlägt" gekauft hat. 1961, drei Monate nach dem Tod ihres Mannes, schenkte seine vierte Frau Mary das Anwe- sen Fidel Castro für den ku- banischen Staat.
Gladys Rodriguez Ferre- ro hütet den Wallfahrtsort.
„Hier ist nichts verändert worden", sagt sie und stellt ei-
stehen Gin- und Tonicfla- schen mit vergilbten Etiket- ten. Der Schreibtisch im Ar- beitszimmer wurde nie ge- nutzt. Hemingway arbeitete, vor einer weißen Wand, ste- hend, auf einer „Royal"- Schreibmaschine. Auf dem Boden, in Reichweite, steht eine leere Rotweinflasche.
Der schwere Schrank ist leer bis auf ein paar Briefe, die nie abgeschickt wurden oder die nach seinem Tod eintrafen.
Einer ist an Marlene Dietrich adressiert, deren 6 x 6-Foto unter der Glasplatte des Schreibtisches liegt. Auf ei- ner Wand des Badezimmers, neben der Waage, hat der Hausherr von 1955 bis 1960 sein Gewicht notiert: Es schwankte zwischen 190 und 240 Pfund.
Im Garten, hinter den Gräbern seiner vier Hunde, steht die „Pilar", eine 1934 in Key West gebaute Mo- toryacht. Mit diesem Schiff und Gregorio Fuentes am
Steuerrad ist Ernest Heming- way zum Arbeiten und zum Angeln aufs Meer gefahren.
Der Kapitän wohnt noch immer im Haus Pesuela 209 in Cojimar, dem Ausgangs- punkt der letzten Fluchtwel- le. „Ich", beteuert der Greis mit dem Händedruck wie ein Schraubstock, „hätte Kuba nie verlassen." Er schwärmt vom 1542 Pfund schweren Blue Marlin, den „der große Mensch" in den 50er Jahren vor Capo Blanco in Peru ge- fangen hat, als sei es gestern gewesen.
Gregorio Fuentes erin- nert sich an Daten und De- tails, als müsse er morgen wieder mit Ernest Heming- way hinaus. Nur über den le- gendären Durst seines Pa- trons mag er nicht reden. Als ihn ein Reporter zu seinem 80. Geburtstag danach fragte, brach er ihm als Antwort mit einem einzigen Faustschlag den Kiefer.
Sepp Spiegl
Gregorio Fuentes (96) war 30 Jahre Kapitän auf dem Schiff Hemingways.
1952/53 auf Kuba geschrie- ben und für den er 1954 den Literatur-Nobelpreis bekom- men hat.
Hemingways Spuren führen zu den Hügeln im Norden der Stadt: In einem neun Hektar großen Park in San Francisco de Paula, zwi- schen Hibiskus und Königs- palmen, steht das weiße Haus, das er 1939 gemietet
ne Frage, auf die sie keine Antwort erwartet: „Sieht es nicht aus, als wäre er nur mal eben ausgegangen?" Jedes der 9 000 Bücher steht an sei- nem Platz. An den Wänden hängen die Trophäen von Großwildjägern in Afrika.
Der ovale Eßzimmertisch ist für drei Personen gedeckt.
Neben Hemingways Lieb-
lingssessel im Wohnzimmer Das Wohnzimmer Hemingways Fotos (3): Sepp Spie&
A-970 (76) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13, 31. März 1995