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Archiv "Ernest Hemingway: Ein Mann der Extreme" (10.01.2000)

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A-50 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 1–2, 10. Januar 2000

V A R I A FEUILLETON

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in Mann, der sich vor rund vierzig Jahren entschlossen hat, es nicht soweit kommen zu lassen, hätte im letzten Jahr seinen hundertsten Ge- burtstag feiern können. Der Schriftsteller Ernest Heming- way ist in Hunderten von Zeitungsartikeln, Festreden und Veranstaltungen gefeiert worden. Würde er noch le- ben, dann hätte er selbst re- den, Interviews geben und Fragen beantworten müssen.

Jener Schriftsteller, der aller- dings gar nicht gerne redete, der nicht einmal zur Verlei- hung des Literaturnobelprei- ses erschien. Stattdessen ließ er in seinem Namen eine knappe Dankesrede verle- sen, in deren Manuskript es unter anderem heißt: „Ein Schriftsteller sollte das, was er zu sagen hat, nicht sagen, sondern niederschreiben.“

(Sinngemäße Übersetzung der Autorin)

Am 21. Juli 1899 wird Er- nest Miller Hemingway in Oak Park Michigan geboren.

Als Sohn eines Arztes und ei- ner Möchtegern-Opernsän- gerin wächst er zusammen mit fünf Geschwistern dort und in der Sommerresidenz der Familie am Wallon Lake auf. Früh verlässt er das El- ternhaus, um in Kansas City und Chicago den Weg über den Journalismus hin zum Schriftsteller zu nehmen.

Bis zu seinem Freitod am 2. Juli 1961 ist er zu einem der bedeutenden Schriftsteller dieses Jahrhunderts gewor- den. Einer, dessen Schreib- und Lebensstil mehr als um- stritten war, einer, den das Pu- blikum gleichzeitig liebte und hasste – und keiner weiß so recht, warum. Seine Gegner verurteilten ihn wegen seiner

brutalen Dialoge, seine Ver- ehrer liebten ihn für die oft melancholisch anmutenden Erzählpassagen, für die Sehn- sucht, die nicht nur den Prota- gonisten, sondern auch den Leser in die Tiefen seiner Seele führt.

So paradox dieser Stil war, so paradox war der Autor selbst. Als psychisch kranker Alkoholiker wird er darge- stellt, und diesem Umstand schreibt man auch seinen Selbstmord zu. Hemingway war ein Mann der Extreme, er wollte leben und töten, lieben und kämpfen – und alles am besten exzessiv. Seine Hob- bys hatten allesamt mit dem Tod zu tun. Krieg und Hoch- seefischen, Stierkampf und Großwildjagd – ein ausge- stopfter Löwe und die Hör- ner eines Kudu zieren noch heute das Hemingway-Ar- chiv in der John F. Kennedy Library in Boston.

Ein Macho also, dessen Männlichkeitswahn gar die Liebe zu sich selbst über- steigt. „Bloß keine Schwä- chen zulassen, schon gar nicht vor sich selbst“, das war das Motto, nach dem er lebte.

Hemingway, der arrogante Emporkömmling, der nicht einmal davor zurückschreck- te, sich in seinen Werken lu- stig zu machen über die Freunde, die ihm seinerzeit geholfen hatten, als Schrift- steller Fuß zu fassen.

Sherwood Anderson etwa schickt den mittellosen, aber talentierten jungen Mann 1921 nach Paris und stellt ihn unter die Obhut der amerika- nischen Schriftstellerin und Mäzenin Gertrude Stein.

Zum Dank erfährt er wenig später Hemingways gnaden- lose Kritik an seinem Werk

„Dunkles Lachen“ in Gestalt der Parodie „Die Sturmfluten des Frühlings“. Über Gertru-

de Stein, die ihm nicht nur eine Lehrmeisterin, sondern auch eine gute Freundin und die Patin seines ersten Sohnes war, macht Hemingway sich in seinem posthum erschiene- nen Erzählband „Paris ein Fest fürs Leben“ lustig. Die Geschichten bieten neben der Ansammlung von Anekdöt- chen und kleinen Witzen auf Kosten anderer Leute auch eine ungewöhnliche Darstel- lung des Pariser Künstler- flairs der 20er-Jahre, und die Lektüre lohnt sich. Dort be- richtet Hemingway auch von der lesbischen Beziehung Steins zu Alice B. Toklas.

Nicht zu vergessen F. Scott Fitzgerald, der Autor der

„Lost Generation“, von des- sen Angst vor unzulänglicher Manneskraft heute jeder in diesem Buch lesen kann.

Dank Ernest Hemingway.

Persönliche Erfahrungen

Gleiche Schmach wie den Freunden läßt er seinem Va- ter zuteil werden, den er doch so liebte, wie in den zahlrei- chen Nick-Adams-Storys be- legt ist. Als Kind kann Hem- ingway jedoch die Unfähig- keit des Vaters, sich gegen die dominante Mutter zur Wehr zu setzen, nicht verstehen. In

„Der Doktor und seine Frau“, schildert er, wie er ihn dafür am liebsten mit dem Tod bestraft hätte. Aber war- um tut er ihnen allen das an?

Jenen, die ihm so nahe stan- den und die für sein Werk und sein Leben so wichtig waren?

Vielleicht, weil er ihre Schwä- chen ebenso wenig ertragen konnte wie seine eigenen?

Immer wieder stellt er die Frage nach dem „Warum?“, indem er das, worauf er keine Antworten findet, nieder- schreibt. Dabei scheint er nicht zu bedenken, daß er ei- ne breite Angriffsfläche für die Kritik bietet, unter der er später sehr leidet.

Persönliche Erfahrungen halten dennoch immer Ein- zug in seine Werke. Heming- way, der Mann, der fünf Frau- en verschliss und nur eine da- von nicht zu seiner Ehefrau

Der amerikanische Schriftsteller

wollte leben und töten, lieben und kämpfen – und alles am besten exzessiv.

Ernest Hemingway

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machen konnte. Die Kran- kenschwester Agnes von Ku- rowsky pflegte den Kriegs- verwundeten im Lazarett in Italien. Aus dieser Affäre entsteht 1929 sein einziger Liebesroman „In einem an- deren Land“. Der Enttäu- schung über die Frau, die ihn verschmäht hat, macht er Luft, indem er sie im Roman sterben lässt. Der Tod, eine Si- tuation, die der Mensch nicht verändern kann.

Der Moment des Todes hat den Schriftsteller von je- her so fasziniert, dass er ihn am liebsten hätte zu Eis er- starren lassen. Einfach aus Angst, dass er eintritt, aber auch, um zu erforschen, war- um. Früh wird er mit dem ge- waltsamen Tod konfrontiert, eben in jenem „anderen Land“. Grund genug, um ihn in sein Schaffen einzubezie- hen. Doch hat Hemingway es sich zur Aufgabe gemacht, den Tod zu entmystifizieren, um dem menschlichen Leben einen Hauch von Ewigkeit zu verleihen. Er will die Angst vor dem Nichts, dem „Nada“, die er in der Kurzgeschichte

„Ein sauberes, gut beleuch- tetes Café“ veranschaulicht, bekämpfen.

Den entscheidenden Ein- stieg in dieses Unterfangen und den Übergang vom Kurz- geschichtenautor zum Ro- manschriftsteller unternimmt er mit seinem Roman „Fie- sta“, den er als 27-Jähriger in Paris schreibt, als er noch eng mit F. Scott Fitzgerald und Gertrude Stein befreundet ist.

Darin erzählt er von der jun- gen Pariser Gesellschaft, „Ei- ner verlorenen Generation“, wie Gertrude Stein sie abfällig nannte. Das bunte Völkchen wird bei der Stierkampf-Fiesta in Pamplona mit der elemen- taren Situation des Kampfes konfrontiert. Hemingway ver- sucht, den Kampf zu erklären und die Paradoxie des Mo- ments zwischen Leben und Tod aufzuheben. Schon in

„Fiesta“ wird deutlich, dass die Menschheit ein mickriges Völkchen darstellt, verglichen mit der ewig wiederkehren- den Natur. So setzt er Steins Kommentar ein Bibelzitat

entgegen und stellt beides dem Roman voran. Dort heißt es: „Ein Geschlecht vergehet, das andere kommt, die Erde bleibet aber ewiglich.“

Das Thema Leben und Tod, der Gegensatz der Ver- gänglichkeit des Menschen zur Ewigkeit der Erde, wird zu einem Konflikt, der sich wie ein roter Faden durch sei- ne Arbeit zieht. Die Über- windung des Todes, das Sicheingestehen von Schwä- chen und die Suche nach Selbstverwirklichung sollen studiert werden. Vorausset- zung ist, die Schwächen nicht offen zu zeigen. Oberstes Ge- bot für den Hemingway-Hel- den ist daher: „Bloß nicht nachdenken!“ Das funktio- niert bei Hemingway durch das Festhalten von Momen- ten des Nicht-Begreifens in Landschaftsbildern. Sie fun- gieren als Platzhalter für die Gefühle, die nicht erwähnt werden.

Man könnte meinen, He- mingway produziert Lücken in der Handlung, wenn er die Gedanken seines Helden hinter Bildern versteckt. Der Text wirkt dann wie ein Gemälde von Cézanne, dem Maler, mit dessen impressio- nistischer Technik Heming- way seinen Stil gerne ver- glich. Doch bald wird klar, dass die besondere Aussage der Werke Hemingways in der Symbolkraft der Natur liegt. Im Schutz der Bäume, in der Macht gewaltiger Ber- ge, in der Tiefe der Täler und der Unendlichkeit des Mee- res findet der Hemingway- Protagonist Zuflucht. Die Natur und ihre Gewalten deuten ihm seinen Weg, wenn der Autor es reg- nen und stürmen lässt, wenn die Sonne brennt und der Schnee fällt. Die Natur ist oft das Letzte, worauf sich der Mensch bei Hemingway ver- lassen kann, und oft auch das

Einzige, mit dem zu kommu- nizieren sich für ihn lohnt. Sie hebt seine Konflikte auf eine höhere, eine transzendente Ebene, eine Dimension, die der Betroffene zu erreichen versucht und die auch Ernest Hemingway beim Schreiben anstrebte.

Zweifelnde Helden

Die Gedanken und Zwei- fel des Protagonisten durch innere Monologe wiederzu- geben hätte hingegen Tragik in Hemingways Werke ge- bracht und sie nicht mehr kraftvoll wirken lassen. Lie- ber wollte er sich dem Vor- wurf stellen, banale Dialoge zu schreiben, und denen, die ihn liebten, den Hinweis ge- ben auf die Seelenlandschaft der Charaktere.

Was aber, wenn der Kon- flikt in der Begegnung mit der Natur nicht gelöst wird, son- dern ins Leere entgleitet und sich immer weiter fortträgt?

Das ist bei Hemingway oft ge- nug der Fall, denn seine Hel- den zweifeln, haben Angst.

Nick Adams kehrt aus dem Krieg an den „großen doppel- herzigen Strom“, zurück, den Fluss seiner Kindheit. Der Fluss kann ihm helfen, sein Problem zu bewältigen. Doch der Versuch, das Grauen des Krieges zu verarbeiten, wird auf später verschoben. Die Geschichte endet, doch ei- gentlich endet sie nicht. Bei Hemingway findet jeder sei- nen Frieden in der Natur nur so lange, wie er auch mit ihr allein ist. Es ist die Mensch- heit, die einen immer wieder aufmerksam macht auf die ei- genen Schwächen.

Gelingt es nicht, den Kon- flikt zu bewältigen, dann steht am Ende aller Schwächen der Tod. Der Mensch als intelli- gentes Wesen besitzt dann, gegenüber der Natur, das Privileg, ihn selbst eintreten zu lassen. Diese Freiheit hat Ernest Hemingway sich ge- nommen. Größer als die Angst vor dem Nichts war die Angst, diesen Moment nicht selbst bestimmen zu können. Anne Lederer A-51 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 1–2, 10. Januar 2000

V A R I A FEUILLETON

Ernest Hemingway: „Ein Schriftsteller sollte das, was er zu sagen hat, nicht sa- gen, sondern niederschreiben.“ Fotos: Rowohlt Verlag

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