POLITIK
das GSG habe an dessen Stelle das Primat der finanziellen Ressourcen festgeschrieben. Die Ärzte haben laut Hege ihre Zweifel, ob sich diese Vor- gabe mit den Möglichkeiten der Me- dizin und den Erwartungen der Pati- enten noch in Einklang bringen läßt.
In der politischen Diskussion werde die Rolle der Selbstverwaltung derzeit besonders betont, fuhr Hege fort. Er spielte damit auf Überlegun- gen an, den Selbstverwaltungen im Gesundheitswesen weitgehend die Verteilung des Finanzvolumens zu überantworten. Hege betonte, es sei Sache des Gesetzgebers festzulegen, was in der gesetzlichen Krankenversi- cherung bei einem begrenzten Fi- nanzrahmen notwendig und was le- diglich wünschbar ist. Die Festlegung dürfe nicht dem Arzt übertragen wer- den.
Zum Beispiel pAVK
Von allgemeinen gesundheitspo- litischen Erwägungen zum ärztlichen Handeln; bei dem Expertengespräch in München beispielhaft dargestellt an der peripheren arteriellen Ver- schlußkrankheit (pAVK). Diese ist sehr häufig. 11,4 Prozent aller Patien- ten, die einen Arzt oder eine Klinik aufsuchen, sind davon betroffen. Eine rechtzeitige, den jeweiligen Stadien entsprechende Therapie kostet rund 16 000 DM pro Patient. Eine Ampu- tation hingegen kostet, ohne Nach- sorge, rund 32 000 DM (alle Anga- ben: von der Schulenburg, Hanno- ver). Man wird solche vermeintlich exakten Zahlen nicht überbewerten dürfen, zumal die epidemiologische und gesundheitsökonomische For- schung auf diesem Gebiet in Deutsch- land noch zu wünschen übrig läßt. Im- merhin, die Zahlen lassen die Größenordnung ahnen.
Niemand, auch kein Politiker, hat bisher in Zweifel gestellt, daß Patien- ten mit pAVK, ganz gleich, wie alt sie sein mögen, oder wie kostspielig die Behandlung ist, optimal versorgt wer- den müssen — insofern ist die ökono- mische Frage einstweilen beantwor- tet. Rechtzeitige Diagnose und The- rapie sind indes nicht allein medizi- nisch oder unter dem Aspekt der Le- bensqualität, sondern auch ökono-
AKTUELL
misch gewichtig. Insofern bleibt ein Ergebnis des Münchener Experten- gremiums im Gedächtnis haften. Die Experten (Heidrich, Berlin; Klimm, Heidelberg; Theis, München; von der Schulenburg, Hannover) stimmten darin überein, daß ausgerechnet bei dieser so häufigen Krankheit der An- teil der Fehldiagnosen ungewöhnlich hoch ist. Außerdem scheinen pAVK- Patienten häufig erst reichlich spät gezielt behandelt zu werden. Viele werden wohl auch unnütz therapiert.
Das ist, auch hier gab es Übereinstim- mung, eine Frage von Fort- und Wei- terbildung.
Voraussetzung dafür, die Bemer- kung sei dem Chronisten gestattet, ist ein Konsensus über das diagnostische und therapeutische Vorgehen. Hierin waren sich die Experten allerdings nicht ganz einig, wenn auch die Emp- fehlung von Heidrich im großen und ganzen akzeptiert wurde; dieser riet zu einem gestuften Vorgehen: Falls der Patient beschwerdefrei ist — keine Screen-Untersuchung. Es sei bis heu- te nicht nachgewiesen, daß eine Be- handlung im asymptomatischen Sta- dium wirklich Sinn mache. Bei auftre- tender Symptomatik sollte der Haus- arzt eine (einfache) Doppleruntersu- chung vornehmen, bei einem patholo- gischen Befund den Patienten zum Spezialisten weitergeben. Die Weiter- und Dauerbehandlung sei wieder Sa- che des Hausarztes.Dieser entscheide bei späteren Stadien über das weitere Vorgehen — auch unter Berücksichti- gung anderer, vielleicht bedrohliche- rerer Erkrankungen.
Heidrichs Empfehlungen setzen einiges voraus: etwa, das Vorhanden- sein (und Beherrschen!) der Doppler- Technik. Oder: die Bereitschaft des Spezialisten zur Rück-Überweisung.
Schulenburg riet zu hausärztlichen Versorgungssystemen, in denen ver- schiedene spezialistische Schwer- punkte vertreten sind. Andere Exper- ten rieten ab. Einig waren sich jeden- falls alle darin, daß die Behandlung des pAVK-Patienten ein enges Zu- sammengehen von Hausarzt und Spe- zialisten (Angiologen) erfordert. Der Angiologe müsse sich dabei immer bewußt sein, so Heidrich, daß der Pa- tient „ihm nicht gehört". Ein wahres Wort; das nicht nur für die Behand- lung der pAVK gilt. NJ
Nothilfe
Unbegrenzter Einsatz
Weltweit arbeiten für die 1971 ur- sprünglich in Frankreich gegründete Hilfsorganisation „Ärzte ohne Gren- zen" jährlich etwa 2 000 Ärzte, Pfle- ger und Logistiker in 70 Ländern der Erde. „Trotz vieler Anfragen von Me- dizinstudenten können wir diese lei- der nicht für unsere Projekte vermit- teln", bedauert Britta Landfried, die im Bonner Büro der „Ärzte ohne Grenzen" für Personalplanung zu- ständig ist. Für eine Bewerbung sei ein abgeschlossenes Medizinstudium sowie Berufserfahrung erforderlich, mindestens aber ein abgeschlossenes AiP. Zudem sollten die Bewerber we- nigsten eine Fremdsprache fließend sprechen.
Bei der Auswahl neuer Mitarbei- ter legt die Organisation auch großen Wert auf die Persönlichkeit und Moti- vation der Bewerber. Denn: Normale Dienstzeiten seien eher selten, Ar- beitstage bis zu 14 Stunden in vielen Projekten keinesfalls ungewöhnlich.
Da „Ärzte ohne Grenzen" in er- ster Linie in den Regionen aktiv ist, in denen die medizinische Versorgung zusammengebrochen ist, sind Erfah- rungen mit High-Tech meist weniger notwendig. Vielmehr müssen die Ärz- te vor Ort mit einfachen Mitteln ar- beiten können und unter Umständen Improvisationstalent beweisen.
„Die internationalen Einsatz- teams mit fünf bis 15 Mitarbeitern werden in der Regel von sogenannten Koordinatoren geleitet, die bereits in mehreren Projekten von „Ärzte ohne Grenzen" tätig waren. Im Schnitt dau- ern die Ensätze sechs bis neun Mona- te. Insbesondere Chirurgen und Anästhesisten werden auch für kürze- re Zeit vermittelt. Für die Einsätze übernimmt „Ärzte ohne Grenzen"
die Reisekosten sowie die Unterbrin- gung und Verpflegung vor Ort Darü- ber hinaus zahlt die Organsation eine monatliche Aufwandsentschädigung und bietet zweiwöchige Vorberei- tungskurse an. Petra Meyer A-820 (26) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 12, 24. März 1995