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Archiv "Kongressbericht: Fortschritt in der Neurochirurgie durch kontrollierte klinische Studien" (22.12.2003)

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K

ontrollierte klinische Studien sind ausschlaggebend für die Weiter- entwicklung operativer Verfahren.

Historisch gesehen waren die Erfahrun- gen einzelner Chirurgen für die Beur- teilung und damit für die Einführung ei- ner neuen Technik ausschlaggebend.

Heute ist zu fordern, dass für ein neues Operationsverfahren seine Über- legenheit gegenüber etablierten Verfah- ren in prospektiven, kontrollierten und randomisierten Studien nachgewiesen wird. Schwerpunkt der 54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neu- rochirurgie (DGNC), die vom 25. bis 28. Mai 2003 in Saarbrücken stattfand, war es, neu eingeführte Behandlungs- konzepte aufgrund abgeschlossener Stu- dien kritisch zu beurteilen beziehungs- weise Empfehlungen für weitere noch durchzuführende Studien zu formu- lieren.

Kombinationstherapie bei Schädelbasismeningeomen

Die möglichst radikale Resektion des Tumors ist nach wie vor das primäre Ziel in der Behandlung von Meningeomen.

Die modernen Möglichkeiten der Bild- gebung mit 3-D-Rekonstruktion von Tumor und Gehirn sowie die Einbezie- hung der Daten in Navigationssysteme ermöglichen dabei eine Optimierung des operativen Zugangsweges. Die Ra- dikalität wird jedoch oft durch die Not- wendigkeit limitiert, die arterielle Ver- sorgung oder die venöse Drainage des Gehirns zu erhalten. Für die Planung und die intraoperative Strategie ist des- halb eine dreidimensionale Venendar- stellung außerordentlich hilfreich. Diese

kann sowohl als CT-, Kernspin- oder auch als konventionelle digitale Sub- traktionsangiographie erfolgen, erklärte Christian Schichor, München.

Eine große operative Herausforde- rung sind Schädelbasismeningeome, bei denen oftmals keine Radikalität ohne Verletzung von Hirnnerven und damit schweren funktionellen Beein- trächtigungen des Patienten zu errei- chen ist. Als Ziel der operativen Be- handlung formulierte Volker Seifert, Frankfurt, möglichst alle Funktionen zu erhalten, notfalls unter Belassung ei- nes Restes. Für den verbliebenen Tu- moranteil empfiehlt sich der Einsatz radiochirurgischer Behandlungsfor- men (Gamma-Knife, Lineac). Die ra- diochirurgischen Ergebnisse zeigen nach Ansicht von Klaus Hamm, Erfurt, Peter Reinacher, Aachen, Mohammad Maarouf, Köln, und Georg Papafthym- iou, Graz, dass insbesondere für kleine- re Tumorvolumina eine lokale Kontrol- le ohne große Nebenwirkungen zu er- reichen ist. Auch bei anaplastischen Meningeomformen lässt sich laut Beate Huffmann, Aachen, im bestrahlten Ge- biet in Einzelfällen eine gute Tu- morrückbildung erreichen. Wie auch nach chirurgischer Resektion muss je- doch bei der anaplastischen Variante mit Rezidiven an entfernter Stelle ge- rechnet werden. Es zeichnet sich somit ab, dass die Kombination von mi- krochirurgischer Tumorresektion und anschließender radiochirurgischer Be- handlung die schonendste Behand- lungsform für den Patienten darstellt.

Molekularzytogenetische Methoden sind zur Beurteilung der Prognose nach Menigeomresektion hilfreich, erläuterte Ralf Ketter, Homburg/Saar. Tumoren

mit einem normalen Chromosomensatz haben ein wesentlich geringeres Rezi- divrisiko als Tumoren, bei denen sich ausgeprägte hypodiploide Zellen in Kombination mit einem Verlust eines Chromosoms 22 finden. Das höchste Rezidivrisiko liegt beim Verlust des kurzen Armes des Chromosoms 1 vor, sodass diese Patienten engmaschig überwacht werden sollten.

Liquordrainagesysteme – Therapieoption beim Morbus Alzheimer?

Obwohl die ersten Shuntsysteme zur Behandlung des Hydrozephalus vor fast 50 Jahren eingeführt wurden, exi- stieren bislang keine Studien der Evi- denzklasse 1 und nur wenige der Evi- denzklasse 2, die „harte“ Daten für das Management dieses Krankheitsbildes liefern. Eine internationale Experten- runde stellte Behandlungsleitlinien vor, aus denen sich zumindest ableiten lässt, dass die Indikation zur Therapie eines chronischen kommunizierenden Hy- drozephalus am sinnvollsten durch ei- nen Liquor-Infusionstest oder eine dreitägige kontrollierte lumbale Li- quordrainage abgesichert wird.

Empfehlungen, welches der mehr als 100 am Markt verfügbaren Shuntsyste- me zu bevorzugen ist, können mittels der bisherigen Daten nicht abgegeben werden. Der Stellenwert der Systeme mit Schwerkraftventilen konnte aller- dings noch nicht berücksichtigt werden, da die entsprechenden Studien zum Teil noch nicht abgeschlossen sind.

Die Arbeitsgruppen um Ullrich Mei- er und Christian Sprung, Berlin, konn-

Kongressbericht

Fortschritt in der

Neurochirurgie durch kontrollierte klinische Studien

Karsten Schwerdtfeger Angelika Mautes Michael Kiefer Ralf Ketter Jean-Richard Moringlane Tobias Pitzen Martin Strowitzki Wolf-Ingo Steudel

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ten bereits zeigen, dass mit Schwer- kraftventilen eine der Hauptgefahren der Hydrozephaluschirurgie – nämlich die Liquorüberdrainage – suffizient ge- bannt werden kann. Vielfach werden daher diese Ventile schon als Gold- standard in der Versorgung des chroni- schen Hydrozephalus betrachtet.

Programmierbare Ventile werden weiterhin kontrovers diskutiert: Die Arbeitsgruppe um Marcus Christopher Korinth, Aachen, sah hierin eine Berei- cherung; die Arbeitsgruppe um Florian Ringle, Bonn, dagegen konnte keinen Vorteil gegenüber konventionellen Dif- ferenzialdruckventilen nachweisen.

Endoskopische Verfahren stellen – neben der Einführung der Schwerkraft- ventile – die hauptsächliche Innovation der letzten zehn Jahre dar, auch wenn die Euphorie der ersten Jahre zuneh- mend einer Ernüchterung Platz macht.

Die Zahl der Komplikationen und die Langzeiterfolge sind nahezu identisch.

Bei der Schwere der Komplikationen und der perioperativen Mortalität zeichnen sich sogar gewisse Vorteile für die Shunttherapie ab, berichtete Micha- el Kiefer, Homburg/Saar. Andererseits wird durch die endoskopische Behand- lung versucht, durch Schaffung einer künstlichen Verbindung zwischen inne- ren und äußeren Liquorräumen physio- logische Verhältnisse im Schädelinne- ren herzustellen.

Die früher gelegentlich apodiktische Festlegung auf eines der beiden Verfah- ren weicht zunehmend einer differen- zierten Betrachtungsweise. Entschei- dend ist die richtige Auswahl der Pa- tienten für das jeweilige Verfahren. So kann beispielsweise bei tumorbedingter Liquorzirkulationsstörung durch eine endoskopische Operation sowohl Ge- webe für die Histopathologie gewon- nen als auch der Hydrozephalus selbst therapiert werden, erklärten Andreas Martin Stark, Kiel, und Henry Schröder, Greifswald. Das Alter von Kindern hat einen erheblichen Einfluss auf das Er- gebnis der endoskopischen Hydroze- phalustherapie. Kinder, die jünger als ein Jahr sind, profitieren nach Angaben von Alfred Aschoff, Heidelberg, und Nikolai Hopf, Stuttgart, selten von sol- chen Eingriffen. Hier wäre eher dem Shunt der Vorzug zu geben. Die Ar- beitsgruppe um Uwe Kehler, Hamburg,

zeigte erstmals auch neue Einsatzmög- lichkeiten der Neuroendoskopie. In ausgewählten Fällen des extraventri- kulären, intrazisternalen Verschlusshy- drozephalus kann sie die Liquorpassage wieder herstellen.

In der Nachsorge der Hydrozepha- luspatienten zeichnet sich ein Umden- ken bei der postoperativen Bildgebung ab. Während man früher glaubte, dass nach Shuntimplantation immer eine signifikante Reduktion der Ventrikel- weite eintritt, zeigen die Befunde bei Verwendung moderner Schwerkraft- ventile oft unveränderte Werte. Die kli-

nische Besserung eines Patienten mit Hydrozephalus hängt demnach nicht von der Reduktion der Ventrikelweite sondern von der Normalisierung des in- traventrikulären Drucks ab. Im Zweifel können, laut Petra Klinge, Hannover, Stoffwechseluntersuchungen des Ge- hirns oder, laut Ralf-Ingo Ernestus, Köln, besondere Untersuchungstechni- ken in der Kernspintomographie die- se Frage beantworten. Telemetrische Dauerimplantate zur Hirndruckmes- sung, wie sie in Phase-1-/-2-Studien in Düsseldorf von Karl-Eduard Richard und in Heidelberg von Alfred Aschoff angewendet werden, können hier eine erhebliche Erleichterung darstellen. Sie werden noch in diesem Jahr allgemein verfügbar sein.

Einen völlig neuen Therapieansatz beim Morbus Alzheimer präsentierte Gerald Silverberg, Stanford, USA. Er wies nach, dass die Liquorproduktion bei Patienten mit Alzheimer im Ver- gleich zu einem altersentsprechenden Kontrollkollektiv deutlich reduziert ist.

Dadurch sollen sich im Gehirn toxische Stoffwechselprodukte, wie Amyloide oder Tau-Proteine ansammeln, die mit dem Fortschreiten der Erkrankung in Zusammenhang gebracht werden. In ei- ner Phase-1-Studie konnte Silverberg bei bisher 30 Patienten zeigen, dass durch die Implantation eines Shunts die

Konzentration dieser Eiweiße im Ge- hirn verringerbar ist. Als Mechanis- mus wird eine durch den Shunt indu- zierte, erhöhte Liquorproduktion dis- kutiert, die diese Stoffwechselprodukte in ein extrakranielles Kompartiment ausschwemmt. Bei den so Behandelten stabilisierte sich das Krankheitsbild, während es bei der konventionell medi- kamentös behandelten Kontrollgruppe – wie erwartet – fortschritt. Sollten sich diese Befunde durch weitere kontrol- lierte Studien erhärten lassen, eröffnet dies völlig neue Perspektiven der The- rapie des M. Alzheimer.

Ein großes Problem für die Metaana- lyse kontrollierter klinischer Studien sind die weltweit ganz unterschiedli- chen Bewertungssysteme, die den The- Abbildung 1: Röntgenaufnahme des Kopfes nach Implantation von Stimulationselektroden (Aus:

Moringlane JR et al.: Chronische Elektrostimulation des Thalamus zur Tremorbehandlung. Akt Neurol 1995; 22: 176–180. Mit freundlicher Genehmigung des Georg-Thieme-Verlags, Stuttgart).

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rapieerfolg beim Hydrocephalus mes- sen sollen, führten Joachim Krauss, Mannheim, und Petra Klinge, Hanno- ver, aus. Ansätze zu einem allgemein gültigen Bewertungsschema wurden aufgezeigt, sodass die Frage nach dem besten Shuntsystem hoffentlich bald beantwortet werden kann.

Biomechanische Grundlagen für Wirbelsäulenoperationen

Die operative Behandlung von Tumo- ren, Verletzungen aber auch degenera- tiven Erkrankungen der Wirbelsäule hat in den letzten Jahren eine wesent- liche Bereicherung durch hochent- wickelte Osteosynthesesysteme erfah- ren. Die Vielfalt der kommerziell er- hältlichen Produkte ist allerdings schon fast unüberschaubar geworden. Auch die Frage, ob eine Wirbelsäulenstabili- sierung von vorne, von hinten oder von beiden Seiten zu erfolgen hat, wird durchaus kontrovers beurteilt. Objekti- ve Orientierungshilfen zur Auswahl so- wohl des geeigneten OP-Verfahrens als auch des dann besten Stabilisierungssy- stems liefern nach Ausführungen von Tom Oxland, Vancouver/Kanada, Hans Joachim Wilke, Ulm, und Tobias Pitzen, Homburg/ Saar, neue Erkenntnisse in der Biomechanik der Wirbelsäule. Ei- nigkeit besteht darin, dass mit den heu- te zur Verfügung stehenden Verfahren alle, auch komplexe Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule erfolg- reich behandelt werden können, mein- ten Ronald Apfelbaum, Salt Lake Ci- ty/USA und Volker Sonntag, Phoe- nix/USA.

Besonderer Aufmerksamkeit, nicht nur in der Laienpresse, erfreut sich die Entwicklung der Bandscheibenprothe- sen. Auch an der Halswirbelsäule ist ei- ne Implantation allein ohne Stabilisie- rung möglich. Anlass zur Euphorie be- steht allerdings noch nicht. Volkmar Heidecke, Halle, wies darauf hin, dass Langzeitergebnisse zur Beurteilung der Effektivität und Sicherheit noch abge- wartet werden müssen.

Zunehmender Beliebtheit als Ersatz für den autologen Knochenspan aus dem Beckenkamm erfreuen sich nach Auffassung von Luca Papavero, Ham- burg, und Claudius Thomé, Mannheim

Knochenersatzstoffe oder Cages. Es zeichnet sich auch ab, dass damit ein Teil der Frühkomplikationen vermie- den werden kann.

Ermutigende Ergebnisse bei der Ver- tebroplastie (perkutane Injektion von Knochenzement in einen osteoporo- tisch gesinterten Brust- oder Lenden- wirbel) stellten Michael Bierschneider, Murnau, Michael Winking, Gießen, und Michael Stoffel, Bonn, vor. Diese Resul- tate lassen hoffen, dass bei dieser doch häufigen Manifestationsform der Osteoporose den erheblich schmerzge- plagten und oft sehr eingeschränkten Patienten einfach und rasch geholfen werden kann.

Bedeutung der Inflammation nach Schädel-Hirn-Trauma

Kernspintomographische Untersuchun- gen werden trotz des erheblichen logi- stischen Aufwandes auch bei Patienten mit Schädel-Hirn-Verletzung zuneh- mend durchgeführt. Hieraus ergeben sich neue Erkenntnisse über die Patho- physiologie des Schädel-Hirn-Traumas.

Im Vergleich zur Computertomogra- phie zeigt die Kernspintomographie weitaus mehr fokale Schädigungen. Bei Patienten mit tiefster Bewusstlosigkeit und fehlenden CT-Veränderungen, bei denen bislang eine diffuse axonale Schädigung auf zellulärem Niveau an- genommen wurde, findet man in der Kernspintomographie meistens die strategisch ungünstige Läsion, die für das Koma verantwortlich ist. Entspre- chend zeigen histopathologische Unter- suchungen bei diesen Patienten, dass außerhalb der Verletzungsbereiche kei- ne Schäden des Axongerüstes vorlie- gen, berichtete Raimund Firsching, Magdeburg.

Im Zentrum sowohl klinischer als auch experimenteller Untersuchungen nach Trauma steht die zerebrale Perfu- sion und der Stoffwechsel. Matthias Jä- ger, Leipzig, und Thomas Reithmeier, Köln, konnten zeigten, dass die Ge- websoxygenierung durch chirurgische Maßnahmen wie eine Entlastungs- kraniotomie verbessert werden kann.

Diese relativ alte chirurgische Maßnah- me erfährt ein Comeback auch in Fäl- len ohne raumfordernde traumatische

Blutung, da eine verbesserte Perfusion und Oxygenierung des Gewebes wichti- ge Voraussetzungen sind, um die schädi- gende Wirkung der nach dem Trauma einsetzenden Sekundärreaktionen zu begrenzen. Für das Ergebnis sind je- doch noch weitere Faktoren, wie das Al- ter, maßgeblich. Insbesondere junge Menschen mit schwerem Schädel-Hirn- Trauma scheinen von der Kraniektomie zu profitieren, erklärte Bodo-Christian Kern, Halle.

Bekanntlich steigt die Mortalität bei einer Schädel-Hirn-Verletzung, wenn diese in Kombination mit ande- ren Verletzungen auftritt. Verantwort- lich dafür ist nach Ansicht von Ingo Marzi, Frankfurt und Edmund Neuge- bauer, Köln, hauptsächlich eine post- traumatische Inflammationsreaktion.

Mehrere Entzündungsfaktoren wur- den zwar in einer vom Bundesministe- rium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie identifi- ziert und quantifiziert. Eindeutige In- teraktionsmechanismen sind bisher je- doch nicht bekannt. Daher bleibt es unklar, ob eine posttraumatische In- flammation eher unterdrückt oder ge- fördert werden soll.

Auch das Gehirn selbst zeigt eine lo- kale Inflammationsreaktion nach Trau- ma. Der Vergleich der im Liquor ge- messenen Entzündungsparameter mit der im CT erkennbaren Hirnverletzung spricht dafür, dass die Inflammation ei- ne Folge des bei dem Trauma erlittenen Primärschadens ist und keine Bedeu- tung für das Ausmaß des sich im Verlauf entwickelnden Sekundärschadens hat.

Karsten Schwerdtfeger (Homburg/Saar) vermutete daher, dass die Inflammation eine notwendige und eher nützliche Re- aktion ist, um nekrotisches Gewebe ab- zubauen.

Ebenso kontrovers wird auch die Rolle von Glutamat in der Pathophy- siologie des Sekundärschadens disku- tiert. Die Expertengruppe Andreas Un- terberg, Heidelberg, Nick Plesnila, München, Tihomir Obrenovitch, Brad- ford, Großbritannien, Peter Hutchin- son, Cambridge, Großbritannien, John Stover, Zürich, Schweiz, und Esther Shohami, Jerusalem, Israel, wies auf die Schwierigkeiten der Datengewinnung und -interpretation hin, die unter ande- rem auf der Problematik beruhen, dass

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Glutamat sowohl intra- als auch extra- zellulär ansteigen kann. Dies erklärt teilweise die widersprüchlichen Effek- te der Glutamatantagonisten auf die posttraumatische Ödembildung in ex- perimentellen Untersuchungen.

Trotzdem gibt es offenbar Hoffnung für die posttraumatische Regenerati- onsphase, wie Melitta Schachner, Ham- burg, anhand experimenteller Daten zeigte. Zellerkennungsmoleküle spie- len eine wichtige Rolle bei der Ausbil- dung der neuralen Kontakte während der Embryogenese. Aber auch im Er- wachsenenalter scheinen diese Mo- leküle eine bemerkenswerte Rolle bei der Regeneration und Ausbildung neu- er synaptischer Verbindungen nach Lä- sionen zu spielen. Am Beispiel des L1- Zellerkennungsmoleküls der Immun- globulinsuperfamilie konnte dies ein- drucksvoll belegt werden.

Protektive Wirkung

der Neurostimulation beim Morbus Parkinson

Die Neuromodulation beschäftigt sich mit der Beeinflussung und der Reorga- nisation der Funktion des Nervensy- stems durch elektrische Impulse, durch Applikation von Medikamenten und durch Zellregeneration an tief gelege- nen Hirngebieten, am Rückenmark und den peripheren Nerven.

Da sich die Methode der Elektrosti- mulation zur Behandlung der Bewe- gungsstörungen bewährt hat, wird in Zukunft die Zahl der operativ behan- delten Patienten zunehmen. In Deutsch- land leiden 250 000 bis 300 000 Men- schen an der Parkinsonschen Krankheit.

Den Ausführungen von Dirk Rasche, Heidelberg, zufolge zeigen Langzeiter- gebnisse der Elektrostimulation des N. subthalamicus bei Parkinson-Patien- ten, dass das Verfahren auch über viele Jahre wirksam ist. PET-Untersuchungen belegen die zentrale Rolle des N. sub- thalamicus nicht nur für die Motorik, sondern auch hinsichtlich der Koordina- tion und Stimmung, führten Jürgen Voges, Köln, und Andreas Ceballos- Baumann, München, aus. Sollten sich Hinweise bestätigen, dass die Stimula- tion eine protektive Wirkung auf dopa- minerge Neurone ausübt, wäre sicher-

lich eine großzügigere und frühere Indi- kation für diese Therapieform gegeben.

Eine neue Indikation ist der Einsatz der Neurostimulation beim Krankheits- bild der multiplen Sklerose. Hierbei werden über eine Stimulation des N.

ventralis intermedius des Thalamus die Ataxie und der Intentionstremor bei Patienten mit multipler Sklerose be- handelt, erläuterte Jörg Spiegel Hom- burg/Saar. Andreas Kupsch, Berlin, und Martin Scheihing, Heidelberg, befür- worteten die Elektrostimulation des Globus pallidus auch bei generalisierter Dystonie, vor allem bevor irreversible Wirbelsäulendeformitäten auftreten.

Die Neurostimulation hat sich auch bei der Behandlung von neuropathi- schen Schmerzen über einen längeren Zeitraum (bis zu acht Jahren) als wirk- sam erwiesen, berichtete Volker Tron- nier, Heidelberg.

Neue Therapieansätze bei malignen Gliomen

Vor dem Hintergrund der ernsten Pro- gnose bei malignen Gliomen wurden in der Vergangenheit zahlreiche Therapie- Schemata verfolgt. Aufgrund der feh- lenden Vergleichbarkeit der einzelnen Protokolle konnte kein oder zumindest nur ein zweifelhafter Wissensgewinn er- reicht werden. Deshalb wird heute die Erfassung aller Patienten mit malignen Gliomen innerhalb großer Studien an- gestrebt.

Primärbestandteil der Therapie der malignen Gliome ist die neurochirur- gische Resektion. Dabei wird eine möglichst vollständige Entfernung des Tumors angestrebt. Neuere Metho- den, wie die funktionelle Magnetreso- nanztomographie (fMRI) sowie die Neuronavigationstechnik in Kombina- tion mit fluoreszenzgestützter Resek- tion vermindern therapieassoziierte Schäden. So konnte die Arbeitsgruppe um Walter Stummer, München, in ei- ner randomisierten Phase-1-/-2-Studie nachweisen, dass unter Verwendung des im UV-Licht fluoreszierenden Porphyrins 5-ALA intraoperativ ein optimaler Kontrast zwischen normalem und Tumorgewebe möglich ist.

Trotzdem ist die kurati- ve Resektion eines malignen Glioms (WHO-Grad 3 bis 4) theoretisch ausgeschlossen.

Die Ursache liegt im biologi- schen Verhalten dieser Tu- moren, das Gegenstand um- fangreicher molekulargene- tischer Analysen ist. Hierbei hielt Matthias Simon, Bonn, Untersuchungen zur Bedeu- tung des CHK2-Gens bei der Entstehung des Gliobla- stoms sowie Margit Proe- scholdt, Regensburg, die Ex- pression von Carboanhydra- se IX und XII und Ella Kim, Hamburg, des Tumorsuppressorgens p53 für wichtig. Gegenüber Opera- tion und Strahlentherapie maligner Gliome war bisher der Stellenwert der adjuvanten Chemotherapie, gemessen an der medianen Überlebenszeit, ge- ring. Neuere Studien weisen jedoch darauf hin, dass Patienten mit be- stimmten genetischen Veränderungen von einer Chemotherapie profitieren können, meinte Ralf Ketter, Homburg.

Hierbei erhofft man sich, dass durch verbesserte molekularbiologische und molekulargenetische Klassifikations- kriterien eine adäquate Selektion von Patientengruppen für eine möglichst effektive individuelle Therapie mög- lich wird.

In einem weiteren, derzeit in einer Phase-2-Studie untersuchten Therapie- ansatz wird geprüft, ob durch eine Im- munmodulation eine Tumorkontrolle Abbildung 2: Röntgenaufnahme des Thorax mit dem Im-

pulsgenerator (Aus: Moringlane JR et al.: Chronische Elektrostimulation des Thalamus zur Tremorbehandlung.

Akt Neurol 1995; 22: 176–180. Mit freundlicher Genehmi- gung des Georg-Thieme-Verlags, Stuttgart).

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zu erreichen ist. So konnte die Arbeits- gruppe um Jürgen Schlaier, Regensburg, durch eine lokale Antisense-Strategie mit Blockade von TGF-β2 der durch die Gliomzellen verursachten, lokalen Immunsuppression entgegenwirken. In diese Richtung gehen auch Untersu- chungen von Marc Brockmann, Ham- burg-Eppendorf, der chemotaktische Effekte unterschiedlicher tumorassozi- ierter Wachstumsfaktoren untersuchte.

Seine Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass SF/HGF und TGF-αin der Gliom- progression bedeutsam sind. Ihre Hem- mung könnte in Zukunft die Basis einer Antimigrationstherapie darstellen.

Versuche zur Hemmung der Tumor- angiogenese scheinen sich zu wirkungs- vollen Therapiestrategien zu entwickeln, erklärte Nikola Schmidt, Boston, USA.

Hier konnte Marc Eric Halatsch, Göt- tingen, erste Untersuchungen vorstel- len, bei denen durch Anwendung eines EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitors (Tarce- vaTM, OSI-774) in vitro gute Erfolge in der Behandlung maligner Gliome erzielt wurden. Ebenso sind Therapieansätze Gegenstand intensiver Forschung, die in den Zellzyklus der Tumorzellen eingrei- fen oder die Hemmung der lokalen Tu- morinvasion zum Ziel haben, führte Michael Synowitz, Berlin, aus.

Clipping oder Coiling bei Aneurysmen

Ein kontrovers diskutiertes Thema war das Management intrakranieller Aneu- rysmen nach der Publikation des Inter- national Subarachnoid Aneurysm Trial (ISAT). In dieser Studie hatte sich eine leichte Überlegenheit des endovasku- lären Vorgehens gegenüber dem chirur- gischen Ausschalten von Aneurysmen gezeigt. Die vorgestellten Daten der Arbeitsgruppen um Beate Schoch, Es- sen, und Astrid Weyerbrock, Freiburg, zeigen hingegen, dass die Prognose nach aneurysmatischer Subarachnoi- dalblutung in erster Linie von den be- kannten Risikofaktoren (Schwere der initialen neurologischen Ausfälle, Aus- maß der intrakraniellen Blutung) abhängt und sich keine signifikanten Unterschiede zwischen dem endovas- kulären und dem chirurgischen Vorge- hen ergeben. Da es sich zum Teil um re-

trospektive Auswertungen handelt, wi- derlegen diese Ergebnisse die ISAT- Studie nicht, geben aber einen wertvol- len Hinweis darauf, dass die Aussagen der ISAT-Studie in weiteren prospekti- ven kontrollierten und randomisierten Studien überprüft werden sollten. Als unerkannte Rupturereignisse gelten die so genannten „warning leaks“, das heißt Episoden mit schweren, in dieser Heftigkeit nie zuvor verspürten Kopf- schmerzen, die eventuell mit Schwin- del und Erbrechen verbunden sind. Sie sind mit einem deutlich erhöhten Risi- ko für eine schwere Aneurysmablu- tung verbunden, sodass in diesen Fäl- len nach Ansicht von Jürgen Beck, Frankfurt/Main, ein chirurgischer oder endovaskulärer Handlungsbedarf be- steht.

Von besonderer Bedeutung ist das Management der Patienten in der post- interventionellen Phase. Ralf-Dirk Ro- thörl, Regensburg, konnte zeigen, dass in etwa 14 Prozent der Fälle eine durch transkranielle Dopplersonographie festgestellte Flussbeschleunigung nicht einem Gefäßspasmus, sondern einer globalen Hyperämie des Gehirns ent- spricht. Da die therapeutischen Konse- quenzen sich in beiden Fällen deutlich unterscheiden, ist eine Differenzierung

auffälliger Dopplerergebnisse durch zerebrale Blutflussmes- sungen notwendig. Ein konti- nuierliches Online-Monito- ring zerebraler Gewebsischä- mie ist hingegen in gefährde- ten Arealen am besten durch die zerebrale Mikrodialyse möglich, erklärte Asita Sarraf- zadeh, Berlin. Stefan Zausin- ger, München, wies darauf hin, dass in experimentellen Studien die Wirksamkeit ver- schiedener hypertoner/ hyper- osmolarer Lösungen getestet wurde. Die beste Begrenzung des histologisch nachweis- baren Schadens zeigte sich mit einer Infusionslösung aus 7,5-prozentigem Natriumchlo- rid und 6-prozentigem Dex- tran 70.

Bereits seit längerer Zeit werden genetische Faktoren in der Entstehung von Aneurys- men diskutiert. Es mehren sich laut den Ausführungen von Dietmar Krex, Dresden, die Zeichen für einen umschriebenen Nukleotid-Polymorphis- mus des Elastin-Gens.

Operationen in der Nähe eloquenter Hirnareale

Moderne Neuronavigationssysteme ar- beiten in der Regel auf der Basis drei- dimensionaler Kernspintomographie- (NMR-)Datensätze, die präoperativ er- hoben werden. Zusätzlich zur mor- phologischen Bildinformation können durch funktionelle NMR-Untersu- chungen Aussagen über die individuel- le Lokalisation eloquenter Hirnareale (Motorik, Sprache) gemacht werden.

Diese Daten können nun ebenfalls in die intraoperative Navigation eingele- sen werden und beeinflussen das post- operative Ergebnis. Entscheidend ist ein ausreichender Abstand zwischen Läsion und Motorareal der Zentralre- gion. Bei weniger als 5 mm ist mit dem Auftreten neurologischer Verschlech- terungen zu rechnen, erklärte René Krishnan, Frankfurt. Verlässliche Da- ten zur Lokalisation der Sprachregion sind oft nur schwer zu erhalten. Eine Verbesserung der Sprachlokalisation, Abbildung 3: Schriftproben eines Patienten vor der Be-

handlung (oben) und während der Behandlung mit Neu- rostimulation (unten) (Aus: Moringlane JR et al.: Chroni- sche Elektrostimulation des Thalamus zur Tremorbe- handlung. Akt Neurol 1995; 22: 176–180. Mit freundlicher Genehmigung des Georg-Thieme-Verlags, Stuttgart).

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ist nach den Angaben von Raimund Firsching, Magdeburg, offenbar durch den zusätzlichen Einsatz der Magnet- resonanzenzephalographie zu errei- chen. Nach Fusion mit dem NMR-Da- tensatz werden diese Informationen zur intraoperativen Navigation ge- nutzt. Keiner der mit diesem Verfah- ren operierten Patienten wies eine postoperative Sprachstörung auf. Ein Problem der intraoperativen Naviga- tion ist die so genannte „brain-shift“, die Verschiebung der intrakraniellen Strukturen während der Operation im Verhältnis zum präoperativ erhobenen Datensatz. Dies resultiert in einer er- heblichen Ungenauigkeit. Eine mögli- che Lösung stellte für Christopher Nimsky, Erlangen, die intraoperative Rereferenzierung durch erneute Bild- gebung dar. Eine weitere Methode ist die Ultraschallbildgebung. Navigati- onssysteme, die sich gänzlich auf einen durch Ultraschall generierten 3-D-Da- tensatz mit der Option beliebig wie- derholbarer intraoperativer Updates stützen, sind möglich. Christos Tranta- kis, Leipzig, und Volker Coenen, Aa- chen, wiesen darauf hin, dass anhand dieser Ultraschallbilder das Vorhan- densein von Resttumorgewebe nach Resektion eher überschätzt wird.

Der Vergleich zwischen intraope- rativer 3-D-Ultraschallmethode und intraoperativer NMR-Tomographie er- gibt, dass bei einem Viertel der Ope- rierten die Ultraschallbilder nach Re- sektion nicht eindeutig zu beurteilen sind, bei allen Übrigen war das Er- gebnis allerdings kongruent zum ent- sprechenden intraoperativen NMR-Be- fund.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Wolf-Ingo Steudel Neurochirurgische Klinik

Universitätskliniken des Saarlandes Kirrberger Straße

66421 Homburg-Saar

Internet: Die Vorträge der 54. Jahrestagung der DGNC wurden auf Video aufgezeichnet und können über das Internetportal der DGNC (www.dgnc.de) angesehen werden. Als Novum der diesjährigen Tagung wurden auch die ausgestellten Poster in das Internetarchiv aufgenommen und können von dort heruntergeladen werden. Weiterhin erfolgte eine Indexierung der Vor- träge und Poster, sodass das Tagungsarchiv gezielt nach interessierenden Krankheitsbildern durchsucht werden kann.

Jeglicher Nachweis von positiven Effekten steht aus

Es wird zu Recht auf die Problematik der Spätkomplikationen des Diabetes melli- tus Typ 1 hingewiesen. Neben den hohen Behandlungskosten erscheint es notwen- dig, auf die Prognose hinzuweisen. So verkürzt sich die Lebenserwartung eines Typ-1-Diabetikers bei Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz auf 3,5 Jahre (11). Eine Vorbeugung von diabeti- schen Spätkomplikationen ist gebunden an eine dauerhafte Normoglykämie, die auch heute nur durch einen Ersatz der beta-Zellen beziehungsweise des gesam- ten Pankreas erreichbar ist. Die Autoren zeigen eine „klinische Vision“ des Ersat- zes mittels Langerhans-Inseln oder Stammzellen auf und stellen diese der Pankreastransplantation (PTX) gleich, welche mit mehr als 16 000 Transplanta- tionen bis Ende 2001 als Standardverfah- ren gelten kann (International Pancreas Transplant Registry). Die von den Auto- ren angestrebte Reduktion des Risi- kos der Entwicklung diabetischer Spät- komplikationen und eine Verbesserung der Lebensqualität ist für die Transplan- tation eines kompletten Pankreas, im Besonderen im Rahmen der kombinier- ten Pankreas-Nierentransplantation (SPK) bei niereninsuffizientem Typ-1- Diabetes-mellitus, nachgewiesen (2, 8, 9). Des Weiteren sind für die SPK ei- ne Lebensverlängerung im Vergleich zur

Fortführung der Nierenersatztherapie und der Leichen-Nieren-Transplanta- tion nachgewiesen (14, 17, 18). Für die Inselzell- oder Stammzelltransplantation (ITX) steht bisher jeder Nachweis von positiven Effekten auf die Lebensqua- lität, die Überlebenszeit und auf diabe- tische Folgekomplikationen aus, sodass aus heutiger wissenschaftlicher Sicht der Stellenwert der ITX nicht mit derjenigen der PTX gleichgesetzt werden darf. Be- sondere Bedeutung erlangen in diesem Zusammenhang die Funktionsraten der Transplantate in beiden Verfahren. Wäh- rend nach PTX in 70 bis 80 Prozent eine Insulinfreiheit erreicht wird, kann diese Rate nur in wenigen Zentren nach ITX erreicht werden. Aktuell werden auch Raten von 23 Prozent nach ITX berichtet (1). Der Anteil an Patienten mit einer normalen Glucosetoleranz beträgt nach dem ersten Jahr 13,3 Prozent und nach dem zweiten Jahr 12,5 Prozent (5) bei der ITX. Nach SPK beträgt der Anteil an Pa- tienten mit normaler Glucosetoleranz nach 8,5 Jahren noch 60 Prozent (3). Ein positiver Einfluss der ITX auf diabeti- sche Folgeerkrankungen, wie von den Autoren impliziert, wirkt vor diesem Hintergrund spekulativ.

Im Weiteren gehen die Autoren zu Recht auf die Schwierigkeit des Eingrif- fes der PTX ein. Auch heute ist die PTX ein Verfahren mit einer erhöhten opera- tiven Morbidität im Vergleich zur alleini- gen Nierentransplantation (19). Aller- dings erscheint die von den Autoren in Aussicht gestellte ambulante Durchführ- barkeit der ITX in Hinblick auf die in jüngster Zeit beschriebenen Komplikati- onsraten für die ITX (Blutungen 6,7 bis 14,3 Prozent, partielle Pfortaderver- schlüsse 2 bis 4,4 Prozent, Transamina- senanstieg in 49 Prozent) nicht realistisch (4, 6, 15, 16). Es wird mehrfach auf die Knappheit an Pankreasspenderorganen eingegangen. Angesichts einer Wartezeit auf ein Spenderpankreas von unter ei- nem Jahr bei 175 (2002) bis 244 (2000) PTX/Jahr in Deutschland (Eurotrans- plant) erscheint die Knappheit bei wei- tem nicht so ausgeprägt wie dargestellt.

Wenn aber von einer Knappheit an Spenderpankreata gesprochen wird, so sollte auch auf die Effizienz der verschie- denen Verfahren eingegangen werden.

Während bei der PTX ein Organ pro Empfänger verwendet wird, so sind für zu dem Beitrag

Zelltherapeutische Strategien für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1

Von der Inselzelltransplantation zur Stammzelltherapie

von

Dr. rer. nat. Günter Päth Priv.-Doz. Dr. med. Jochen Seufert

in Heft 23/2003

DISKUSSION

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die ITX mehrere Organe notwendig.

Schon nach der Präparation scheiden 37,5 Prozent bis 42 Prozent der Organe von einer Verwendung zur ITX aus (12, 13). Ferner sind bei etwa der Hälfte der Patienten mehrfache ITX notwendig, um eine Insulinfreiheit zu erreichen (13, 15, 16). Eine Effektivität der erfolgreichen Verwendung von Spenderpankreata ist daher heute nur bei der PTX gegeben.

Deshalb kann die ITX bis heute nicht in Hinblick auf die Effektivität, die Erfolgs- rate und die positiven Langzeiteffekte mit der PTX verglichen werden. Der im Artikel vermittelte Eindruck, es handele sich bei der PTX und der ITX um eben- bürtige Verfahren, ist aus heutiger Sicht nicht belegt und die in Aussicht gestellte Heilbarkeit des Typ-1-Diabetes ist heute bereits durch die PTX Realität. Die Pankreastransplantation ist daher bis zu einer weiteren Verbesserung der Ergeb- nisse der Inselzelltransplantation und Nachweis ebenbürtiger, positiver Lang- zeiteffekte das zu bevorzugende Stan- dardverfahren.

Literatur bei den Verfassern

Dr. med. Christoph Wullstein Prof. Dr. med. Wolf O. Bechstein Klinik für Allgemein- und Gefäßchirurgie Johann Wolfgang Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt/Main

Schlusswort

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Inseltransplantation (ITX) und eine mögliche zukünftige Stammzelltrans- plantation noch nicht als Standardver- fahren zur Behandlung des DM Typ 1 gelten können. Es war jedoch nicht unse- re Absicht, die ITX als eine klinisch ein- geführte Therapieoption dar- oder gar der Pankreastransplantation (PTX) als gleichwertige Alternative gegenüberzu- stellen. Vielmehr war es unser Anliegen, das sich noch in der Entwicklung befind- liche neue therapeutische Verfahren der Transplantation von Insulin produzie- renden Zellen, welches unserer Meinung nach bei Verwendung von Stammzellen ein großes Zukunftspotenzial besitzt, weiter bekannt zu machen. Die klinische Überlegenheit der PTX hinsichtlich der Restitution einer endogenen Insulinpro- duktion im Vergleich zur ITX ist unbe-

stritten. Allerdings werden derzeit PTX und ITX aufgrund der Nebenwirkungen der bislang eingesetzten Immunsuppres- siva fast ausschließlich simultan mit Nie- rentransplantationen bei niereninsuffizi- enten Diabetikern im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung durchgeführt.

Für den Großteil von ansonsten gesun- den Diabetikern im Frühstadium der Erkrankung sind PTX und ITX deshalb und auch wegen der erhöhten operati- ven Morbidität zurzeit noch keine Alter- native zur Insulintherapie. Erst wenn es gelingt, annähernd nebenwirkungsfreie Immunsuppressionsprotokolle zu ent- wickeln und die operative Morbidität zu reduzieren, können diese Verfahren einer größeren Zahl von Diabetikern zur Verfügung gestellt werden. Die im Edmonton-Protokoll verwendete neue Strategie der Immunsuppression ist ein Schritt in diese Richtung und erwies sich mit einer Insulinfreiheit von etwa 80 Pro- zent der Patienten nach einem bezie- hungsweise zwei Jahren als ausgespro- chen erfolgreicher Ansatz (2–4).

Dieser Erfolg stellt die Grundlage für zukünftige stammzellbasierte Therapie- verfahren dar, welche hauptsächlich Ge- genstand unseres Beitrages waren. Auch wenn derzeit aufgrund des erst vor drei Jahren eingeführten Edmonton-Proto- kolls noch keine vergleichbaren Lang- zeitergebnisse wie bei der PTX vorlie- gen, so besteht nach unserer Ansicht hin- sichtlich des von den Kollegen angespro- chenen rein spekulativen Einflusses der ITX auf diabetische Folgeerkrankungen kein Grund anzunehmen, dass dieser hinter den Erfolgen der PTX zurückste- hen sollte. Wenngleich die von Wullstein und Bechstein aufgeführten Komplika- tionen einer ITX in die Leberpfortader eine ambulante Behandlung derzeit nicht für alle Patienten realistisch er- scheinen lassen, so ist die periinterventio- nelle Morbidität doch als geringer einzu- stufen als bei der PTX. Beide Verfahren sind aktuell einem hoch selektionierten Kollektiv vorbehalten, welches nur einen winzigen Bruchteil aller Diabetiker dar- stellt. Es ist unbestritten, dass es durch diese Beschränkung der PTX und ITX auf Diabetiker im fortgeschrittenen Sta- dium mit bereits eingetretenen Folgeer- krankungen gelingt, die Wartezeiten auf ein Spenderpankreas zu reduzieren. Für die Etablierung zelltherapeutischer Ver-

fahren auf Basis von Spenderorganen als Standardtherapie für das Gros der Dia- betiker stehen jedoch bei weitem nicht genügend Pankreata für die PTX oder ITX zur Verfügung. Dies gilt insbeson- dere dann, wenn es nicht gelingt, wie von den Kollegen dankenswerterweise erwähnt, die Notwendigkeit von Mehr- fachtransplantationen bei der ITX auf nur ein Spenderorgan pro Patient zu re- duzieren beziehungsweise die Effizienz der Inselisolierung derart zu verbessern, dass nahezu jedes Spenderorgan für die ITX verwendet werden kann. Gerade deshalb halten wir die Entwicklung zell- therapeutischer Verfahren auf der Basis von Stammzellen für eine Erfolg verspre- chende Alternative. Würden diese Ver- fahren im Idealfall doch gänzlich Unab- hängigkeit von jeglicher Organspende garantieren. Nach ersten Kostenschät- zungen würde eine stammzellbasierte Therapie des Diabetes mellitus sich auch gesundheitsökonomisch kosteneffektiv umsetzen lassen (1).

Es war nicht unser Ziel, die ITX hin- sichtlich Effektivität, Erfolgsrate und Langzeiteffekten mit der PTX zu verglei- chen, sondern die ITX als Grundlage der klinischen Umsetzung neuer stammzell- therapeutischer Verfahren darzustellen.

Wir stimmen überein, dass die PTX der- zeit durch Studien besser validiert ist und beachtliche Erfolge vorweisen kann, die

„bereits jetzt Realität sind“. Dennoch ist nach unserer Einschätzung dieses Ver- fahren aus den dargelegten Gründen nicht als Standardverfahren zur „Hei- lung“ des Diabetes mellitus Typ 1 bei der Mehrzahl der Patienten zu betrachten.

Literatur

1. Päth G, Seufert J: Current status and perspectives of stem cell therapy for the treatment of diabetes mellitus. Med Klin 2003; 98: 277–282.

2. Ryan EA, Lakey JR, Paty BW et al.: Successful islet trans- plantation: continued insulin reserve provides long-term glycemic control. Diabetes 2002; 51: 2148–2157.

3. Ryan EA, Lakey JR, Rajotte RV et al.: Clinical outcomes and insulin secretion after islet transplantation with the Edmonton protocol. Diabetes 2001; 50: 710–719.

4. Shapiro AM, Lakey JR, Ryan EA et al.: Islet transplantati- on in seven patients with type 1 diabetes mellitus using a glucocorticoid-free immunosuppressive regimen. N Engl J Med 2000; 343: 230–238.

Priv.-Doz. Dr. med. Jochen Seufert Schwerpunkt Stoffwechsel, Endokrinologie und Molekulare Medizin

Medizinische Poliklinik der Universität Würzburg Klinikstraße 6–8, 97070 Würzburg

Referenzen

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