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Archiv "Harninkontinenz im Alter" (04.10.2002)

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M

it der Zunahme des Anteils äl- terer Menschen an der Bevöl- kerung nimmt auch die Häufig- keit der Harninkontinenz zu, und über 60 Jahre alte Patienten leiden häufiger an Harninkontinenz als an kardiovas- kulären Beschwerden, Rheuma, Ar- thritis oder Bluthochdruck (14, 15, 34, 55, 73). Harninkontinenz macht befan- gen, sie bindet den Menschen an sein Heim und verhindert soziale Kontakte (35, 39, 41). Bereits vor einigen Jahren kam eine englische Studie zu dem Er- gebnis, dass Harninkontinenz bei älte- ren Menschen die Lebenserwartung reduziert. Den direkten Nachweis er- höhter Sterblichkeit infolge von Harn- inkontinenz erbrachte eine große ja- panische Studie (38).

Epidemiologie, Ätiologie

Nach neueren Untersuchungen wird eine Harninkontinenz in der Bevölke- rung bei 20 bis 36 Prozent aller über 40-Jährigen gefunden (6, 7, 28, 31, 34, 50, 54, 62, 68). In Pflegeheimen besteht

eine noch deutlich höhere Prävalenz (6, 7, 62). Hierbei hängen die ermittel- ten Werte von der Untersuchungsme- thode, der verwendeten Definition und vom Patientenalter ab.

Innerhalb der untersuchten Kollek- tive nimmt die Prävalenz der Inkonti- nenz mit dem Alter stetig zu und ist bei Frauen höher als bei Männern, was vor allem durch eine höhere Prävalenz der Stressinkontinenz erklärt wird (28). Darüber hinaus zeigen viele älte- re Patienten zwar keine Harninkonti- nenz, weisen aber bereits andere irri- tative oder obstruktive Blasensympto- me auf (28). Etwa 40 Prozent der Pati- enten in der allgemeinmedizinischen

Praxis erwähnen vorhandene Sympto- me einer Inkontinenz nicht (28, 50).

Selbst wenn Symptome einer Harn- blasendysfunktion vorgetragen wer- den, werden sie von den behandeln- den Ärzten oft nicht korrekt einge- stuft (28).

Eine Darstellung von Füsgen und Barth gibt einen Überblick über die Harninkontinenz bei beiden Ge- schlechtern in den verschiedenen Al- tersgruppen. Wie die Kurven zeigen, leiden Männer unter Harninkontinenz häufiger ab dem 50. Lebensjahr, wäh- rend bei Frauen die Häufigkeit der zu- fälligen und regelmäßigen Harninkon- tinenz schon eher ansteigt. Bei 65- Jährigen liegt die Inkontinenzquote bei beiden Geschlechtern etwa bei 30 Prozent (Grafik 1).

Eine kürzlich durchgeführte Studie des Erstautors an mehr als 200 000 Pa- tienten ergab ähnliche Befunde (28).

In Deutschland leben mehr als vier Millionen Menschen mit einer Inkon- tinenzversorgung, die den Etat der Gesetzlichen Krankenversicherung mit über zwei Milliarden DM belasten

Harninkontinenz im Alter

Mark Goepel

1

, Thomas Schwenzer

2

, Peter May

3

, Jürgen Sökeland

4

, Martin C. Michel

5

Zusammenfassung

Harninkontinenz ist ein bei alten Menschen weit verbreitetes medizinisches und soziales Problem. Es führt zu einer massiven Beein- trächtigung der Lebensqualität der Betroffe- nen und ihrer Angehörigen sowie zu volks- wirtschaftlichen Belastungen, die mit der Ver- änderung der Altersstruktur der deutschen Be- völkerung in den nächsten Jahren zunehmen wird. Die erfolgreiche Behandlung der Inkonti- nenz beim alten Menschen erfordert ein pa- thophysiologisches Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse sowie eine situationsge- rechte Diagnostik, die sich in ihrem Umfang an den sich daraus ergebenden therapeutischen Konsequenzen orientiert. Einfache Ursachen wie Harnwegsinfektionen müssen nachgewie- sen und konsequent therapiert werden. Dane- ben spielen beim alten Patienten mit Hirnlei-

stungsabbau Konditionierungsmethoden wie das Toilettentraining eine große Rolle. Ist grundsätzlich Operabilität gegeben, stehen bei Stressinkontinenz minimalinvasive opera- tive Behandlungsmethoden zur Verfügung, die auch beim alten Menschen angewendet werden können. Die Dranginkontinenz ist da- gegen eine Domäne der medikamentösen The- rapie.

Schlüsselwörter: Geriatrie, Harninkontinenz, Stressinkontinenz, Dranginkontinenz, chirurgi- sche Therapie, Blasenfunktionsstörung

Summary

Urinary Incontinence in the Elderly Urinary incontinence is a common medical and social problem in the elderly. It causes a huge

reduction of quality of life and leads to enor- mous socio-economic burden. Successful therapy of urinary incontinence in the elderly is based on pathophysiological understanding of the underlying problem and individually tailored diagnostic procedures that must be oriented at the possible therapeutic consequences. Simple causes such as urinary tract infections must be found and treated consequently. Patients with age-associated cognitive decrease must be treated by methods of behavioural condition- ing like “bladder drill”. If general operability in the elderly patient with stress urinary inconti- nence is given, minimal-invasive procedures can be used successfully. Urge-incontinence remains a domain of pharmacotherapy.

Key words: geriatrics, urinary incontinence, stress urinary incontinence, urge incontinence, surgical therapy, bladder dysfunction

1Klinik für Urologie und Kinderurologie (Chefarzt: Priv.- Doz. Dr. med. Mark Goepel), Klinikum Niederberg,Velbert

2Abteilung Gynäkologie (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Schwenzer), Städtische Krankenanstalten Dortmund

3Klinik für Urologie (Direktor: Prof. Dr. med. Peter May), Klinikum Bamberg

4Institut für Arbeitsphysiologie (Direktor: Prof. Dr. med Dr.

rer.nat. Hermann Maximilian Bolt), Universität Dortmund

5Medizinische Klinik, Abteilung für Nieren- und Hoch- druckkranke (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Philipp), Universitätsklinikum Essen

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(48). Im Verlauf der Verschiebung der Altersstruktur in den nächsten 50 Jah- ren werden bis zum Jahr 2020 etwa 25 Prozent der Gesamtbevölkerung über 60 Jahre alt sein. Hier entwickelt sich ein gravierendes soziales, medizini- sches und therapeutisches Versor- gungsproblem.

Eine Harninkontinenz kann sowohl sekundär als auch primär auftreten.

Zu den Ursachen einer sekundären Inkontinenz zählen eine reduzierte ze- rebrale Leistungsfähigkeit (6, 7, 34, 55) oder operative Eingriffe im Becken, die zu einer reduzierten Detrusorcom- pliance (Dehnfähigkeit des Blasen- muskels) und einer urethralen Dys- funktion führen können sowie eine Strahlentherapie (47, 52, 75). Bei Frau- en kann es im Zusammenhang mit ei- ner chronisch obstruktiven Lungener- krankung zu einer Stressinkontinenz kommen (30). Bei Männern sind als Ursache eine benigne Prostatahyper- plasie oder ein Prostatakarzinom und deren operative Therapie zu beden- ken (4, 9). Neurologische Erkrankun- gen wie multiple Sklerose, Erkrankun- gen und Verletzungen der Wirbelsäule sowie ein M. Parkinson führen ge- häuft zur Inkontinenz (36, 45). Als ia- trogene Ursache ist die Einnahme von den Detrusor oder den Sphinkter be- einflussenden Medikamenten anzuse- hen (46).

Systematische Untersu- chungen bei alten Menschen zeigen, dass die Harninkonti- nenz und die Harnretention auch durch Erkrankungen des Detrusor vesicae selbst ausgelöst werden können.

In Harnblasen alter Men- schen wurde eine vollständi- ge Durchsetzung der Submu- cosa sowie der Umgebung der neurovaskulären Bündel und Muskelzellen durch kol- lagene Fasern festgestellt, so- dass diese Veränderungen der Bindegewebsstruktur ei- nen Verlust der Elastizität des Detrusors auslösen kön- nen (18–21).

Der Detrusormuskel un- terliegt so einem regelrech- ten Alterungsprozess. Durch den Verlust normaler Zell- bindungen wird die mechanische Mus- kelzellkoppelung, die für die Kontrak- tion notwendig ist, gestört. Hier hat Elbadawi urodynamische Untersu- chungen von inkontinenten Personen mit ultrastrukturellen Analysen der Blase verglichen. Dabei wurden spezi- fische morphologische Befunde der Dranginkontinenz, der eingeschränk- ten Detrusorfunktion, der obstrukti- ven Uropathie, die mit oder ohne De- trusorinstabilitäten einhergeht, be- schrieben (18–21).

Der Einfluss des Alterungsprozes- ses auf den Miktionszyklus wird im Textkasten 1 erläutert.

Anatomie und Physiologie der Blasenfunktion

Die glatte Detrusormuskulatur ist dreischichtig aufgebaut, wobei sich die innere Schicht am Blasenhals direkt in die Längsmuskelschicht der Harnröh- re fortsetzt. Die mittlere Zirkulär- schicht endet am Blasenhals, die äuße- re Longitudinalschicht setzt sich eben- falls in die Harnröhre hinein fort, wo- hingegen die mittlere Schicht den Meatus urethrae internus einen nach dorsal offenen Ring umgibt. Im quer- gestreiften Sphinktermechanismus der Harnröhre unterscheidet man den eigentlichen Schließmuskel und die

umgebende Muskulatur des Becken- bodens.

Die autonome Innervation des un- teren Harntraktes erfolgt parasympa- thisch durch den N. pelvicus, der aus dem sakralen Miktionszentrum S2 – 4 entspringt sowie sympathisch durch den N. hypogastricus aus den Segmen- ten Th12 – L2. Detrusor und Harnröh- re haben eine sympathisch-parasym- pathische Doppelinnervation. Synap- sen zwischen sympathischer und para- sympathischer Innervation ermögli- chen eine Reihe von Modulationen.

Im Detrusor überwiegt die parasym- pathische Innervation und vermittelt über Muscarinrezeptoren die Blasen- entleerung, während sympathische Neurone vor allem in Trigonum, Bla- senhals und Harnröhre nachweisbar sind. Ihre Aktivierung hemmt den De- trusor über β-Adrenozeptoren und to- nisiert, durch β-Adrenozeptoren ver- mittelt, den Blasenhals und glattmusku- läre Anteile der Harnröhre. Der quer- gestreifte Sphinkter externus wird vom somatischen N. pudendus aus S2 – 4 versorgt (Grafik 2).

Im „sakralen Miktionszentrum“ S2 – 4 existieren kurze neuronale Ver- schaltungen zwischen Pudendus und Pelvicus. Die eigentliche Koordinie- rung der neuronalen Steuerung von Grafik 1

Überblick über die Harninkontinenz bei beiden Geschlech- tern in den verschiedenen Altersgruppen. Bei Männern (blau) tritt Harninkontinenz häufiger ab dem 50. Lebens- jahr auf, während bei Frauen (rot) dies bereits in jüngeren Jahren der Fall ist. Aus: Füsgen I, Barth W: Inkontinenzma- nual 1987, mit freundlicher Genehmigung: Springer-Ver- lag, Heidelberg.

Einfluss des Alterungsprozesses auf den Miktionszyklus

>Verschlechterung der Blasenentleerung

>Bildung von Restharn

>Verkürzung der Entleerungsintervalle

>Verminderte Fähigkeit, Detrusorkontraktionen zu unterdrücken

>Verminderter Blasentonus

>Verminderter Sphinkter- und Beckenbodentonus

>Verminderte Blasenkapazität

>Variabilität der Signale, die zum spinalen Miktionszentrum gesandt werden

>Verlust von Hirnzellen

>Verlust von Synapsen

>Verlangsamung der Reaktionszeit

>Abnahme der Fähigkeit, Drang auszuhalten Aus: Sökeland J: Harninkontinenz, in: D. Platt: Alters- medizin 1997, mit freundlicher Genehmigung: Schat- tauer-Verlag.

Textkasten 1

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Blasenfüllung und -entleerung erfolgt aber durch lange spinale Bahnen in der Formatio reticularis des Hirnstam- mes. Übergeordnete Zentren in Hypo- thalamus, Stammganglien und Fron- talhirn haben dabei überwiegend hemmende Funktionen.

Klassifikation der Harninkontinenz

Die Klassifikation einer Harninkonti- nenz richtet sich einem Vorschlag der International Continence Society (ICS) und unterscheidet Stressinkontinenz, Dranginkontinenz, Reflexinkontinenz und Überlaufinkontinenz.

Die Häufigkeitsverteilung der Harn- inkontinenz im Alter wird in der Gra- fik 3 dargestellt.

Diagnostik der Harninkontinenz

Die Diagnostik einer Harninkonti- nenz beim älteren Menschen richtet sich nach der Schwere der Symptoma- tik und den möglichen therapeuti- schen Konsequenzen sowie nach der gesundheitlichen Gesamtsituation des Betroffenen. Dabei sollte der Unter- suchungsgang schrittweise von nicht- invasiven zu invasiveren Untersu- chungsmethoden aufgebaut werden.

Nach nichtinvasiver Diagnostik mit klarem Ergebnis erscheint ein konser- vativer Therapieversuch (wie medika- mentöse Therapie, Beckenbodengym- nastik) gerechtfertigt, während vor der Indikationsstellung zu einem ope- rativen Eingriff in jedem Fall eine ent- sprechende endoskopische, radiologi- sche und urodynamische Abklärung erfolgen sollte.

Untersuchungsziele und ein be- währter Untersuchungsgang werden von Füsgen und Barth angegeben (Textkasten 2).

Basisdiagnostik

Bei etwa 80 Prozent der inkontinenten älteren Menschen kann zunächst auf- grund von Anamnese, Miktionsproto- koll, klinischer Untersuchung und

Restharnbestimmung nach der Mikti- on mit einer konservativen Therapie begonnen werden. Eine Therapie kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn zunächst in Kenntnis der Pathomor- phologie und -physiologie eine ein- deutige Diagnose erfolgt. Die Basis- diagnostik hat drei Ziele:

>Feststellung der Ursache der Bla- senfunktionsstörung,

>Abklärung damit verbundener Harnwegspathologien,

>Beurteilung des Patienten (geisti- ger und körperlicher Zustand, Komor- bidität, Komedikation).

Der Umfang der Untersuchung muss auf den Patienten zugeschnitten sein. Der erste Schritt ist eine Be- schreibung des Miktionsverhaltens.

Bereits aus der Anamnese können sich Hinweise auf eine ungehemmte hyper- aktive Blase oder eine subvesikale Obstruktion ergeben. Dabei ist zu be- achten, dass imperativer Harndrang kein krankheitsspezifisches Symptom darstellt.

Auch Patienten mit Stressinkonti- nenz, subvesikaler Obstruktion oder Überlaufblase beschreiben Drang- symptome. Die Nykturie ist ein weite- res häufiges aber unspezifisches Sym- ptom, das genau erfasst werden muss.

Ein Miktionsprotokoll liefert wichtige Informationen über die Trink- und Miktionsge- wohnheiten des Betroffenen in seiner häuslichen Umge- bung sowie die Phasen von Inkontinenz. Werden die ver- wendeten Windeln gewogen (so genannte Windeln-Wie- getest, pad-test), kann auch das Ausmaß der Inkontinenz quantifiziert werden. Gene- rell sollten nach Nachweis oder Ausschluss einer Harn- wegsinfektion Elektrolyte, Harnstoff und Kreatinin im Serum untersucht werden, um renale Ursachen ausschlie- ßen zu können.

Erweiterte Diagnostik

Lässt die Basisdiagnostik keine eindeutige Beurteilung der Erkrankung zu oder ist bereits ein konservativer Therapiever- such fehlgeschlagen, sollte die Dia- gnostik erweitert werden, wenn dies für den Patienten zumutbar erscheint und therapeutische Konsequenzen hat.

Während eine Basisdiagnostik even- tuell auch in häuslicher Umgebung er- folgen kann, erfordert die erweiterte Diagnostik in jedem Falle einen Pra- xisbesuch. Neben der Wiederholung der Harnanalyse (Katheterurin bei Frauen, Mittelstrahlurin bei Männern) muss der Harntrakt sonographisch be- urteilt werden. Vor allem die Rest- harnprüfung nach einer adäquaten Blasenentleerung (Verspüren eines Harndrangs) liefert wichtige Hinwei- se. Ergänzt wird die Restharnmessung durch eine vorherige Uroflowmetrie (Urinflussmessung). Eine radiologi- sche und endoskopische Beurteilung des unteren Harntraktes sowie eine gynäkologische Untersuchung bei Frauen, schließen sich gegebenenfalls an (Textkasten 2).

Eine urodynamische Untersuchung ist bei der Abklärung bei älteren, in- kontinenten Patienten immer dann notwendig, wenn aus dem Ergebnis eine therapeutische Konsequenz ab- geleitet wird, wenn eine primäre Be- Th12-L2

N. hypogastricus

N. pelvicus

N. pudendus

S2-S4 Grafik 2

Innervation des unteren Harntraktes: Der parasympa- thische Nervus pelvicus (Nucleus intermediolatera- lis, Segmente S2 – S4) und der sympathische Nervus hypogastricus (Nucleus intermediolateralis, Segmente Th12 – L2) innervieren den Harntrakt autonom. Der sympathische N. hypogastricus hemmt als Gegenspie- ler zum N. pelvicus den Detrusor über inhibitorische Rezeptoren. Gleichzeitig wird der Blasenhals und die glattmuskuläre Harnröhre über exzitatorische Rezep- toren tonisiert, sodass eine sichere Kontinenzfunktion entsteht. Aus: Sökeland J, Schulze H, Rübben H: Urolo- gie 2001, mit freundlicher Genehmigung: Thieme-Ver- lag, Stuttgart.

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handlung ohne Erfolg war oder ein entsprechender operativer Eingriff ge- plant ist.

Therapie der Harninkontinenz

Stressinkontinenz

Die Stressinkontinenz ist die Folge ei- ner Insuffizienz des Sphinktermecha- nismus am Blasenauslass. Beweisend für die Diagnose einer Stressinkonti- nenz ist der Nachweis von Urinabgang bei passiver intravesikaler Drucker- höhung durch physikalische Reize (Husten, Niesen, Bauchpresse) ohne nachweisbare Detrusoraktivität. Die Diagnose stützt sich auf den zystome- trischen Befund. Vor der Therapie sollte die Differenzialdia-

gnose möglichst exakt beur- teilt werden. Auch sollten ia- trogene Ursachen, wie zum Beispiel eine Behandlung mit α-Blockern, abgeklärt werden (46).

Beckenbodentraining, Toilettentraining

Die Beckenbodengymnastik dient der Kräftigung des Bla- senschließmuskels und der Beckenbodenmuskulatur.

Ein Nutzen von Becken- bodengymnastik als Einzel- maßnahme ist vorwiegend bei leichten Formen der Stressinkontinenz zu erwar- ten, ihr Einsatz kann bei

schwereren Formen aber die Wirk- samkeit anderer Maßnahmen er- höhen.

Eine Elektrostimulationsbehand- lung (Transanal- oder Transvaginalsti- mulation) zeigt bei Stressinkontinenz gute Erfolge, am ehesten jedoch in Kombination mit einem Beckenbo- dentraining. Neben der Beckenboden- gymnastik ist auch das Blasen- bezie- hungsweise Toilettentraining für die Inkontinenzbehandlung älterer Pati- enten wichtig. Hier wird im Sinne ei- ner Konditionierung gelernt, sich zu bestimmten Zeiten auf ein WC zu set- zen. Ein regelmäßiges Miktionstrai-

ning ist bei dementen Patienten, aber auch bei Patienten mit peripherer neu- rogener Blasendysfunktion, zum Bei- spiel bei Diabetes mellitus, wichtig.

Demente Patienten sind oft eigentlich nicht inkontinent, sondern vom Ge- hirn wird die Meldung über den Füll- zustand der Blase nicht mehr richtig wahrgenommen oder verarbeitet.

Deshalb sollte die Blasenentleerung erfolgen, bevor die maximale Spei- cherkapazität der Harnblase erreicht ist. Die Miktion in bestimmten Inter- vallen sollte daher möglichst sorgfältig eingeübt werden.

Pharmakotherapie

Bei der Stressinkontinenz älterer Pati- enten ist die medikamentöse Therapie als nachrangig einzustufen, da ihre

Wirksamkeit limitiert ist. Die Pharma- kotherapie zielt dabei auf eine Er- höhung des Harnröhrentonus und des Blasenauslasswiderstandes ab.α-Sym- pathomimetika erhöhen den Tonus der glatten Muskulatur auch von Bla- senhals und Urethra, was aber häufig durch Blutdrucksteigerung limitiert wird (17, 24, 69).

β2-adrenerge Agonisten erhöhen die Kontraktion der quergestreiften Harnröhrenmuskulatur. Östrogene beeinflussen die Urethralschleimhaut und erhöhen zusätzlich die Sensitivität der α-Rezeptoren. Daneben bewirkt die Östrogensubstitution in der Me-

nopause eine vermehrte Proliferation des Harnröhrenepithels sowie eine vermehrte venöse Kongestion in der Lamina propria der Harnröhre. Östro- gene werden oral, transdermal, paren- teral und intravaginal angewendet (69, 72).

Bei allen systemisch wirksamen Östrogengaben muss bei Frauen mit noch erhaltenem Uterus regelmäßig auch Gestagen verabreicht werden, um eine maligne Entartung der Ge- bärmutter zu verhindern.

Operative Therapie

Operationsindikationen ergeben sich auch bei älteren Menschen bei allge- meiner Operabilität und Inkompetenz des Harnröhrensphinkters oder wenn konservative Behandlungsmaßnahmen versagen.

>Vordere Kolpographie

Die vordere Kolpographie wurde als Operationstechnik zur gleichzeiti- gen Behandlung von Prolaps und In- kontinenz eingesetzt. Bei vergleichen- den Untersuchungen hat sich die Kol- pographie gegenüber der Burch-Kol- posuspension und der Operation nach Marshall, Marchetti und Krantz mit ei- ner 5-Jahres-Erfolgsrate von nur un- gefähr 20 Prozent als unzuverlässige Methode zur Therapie einer Stressin- kontinenz erwiesen.

>Depot-Injektionen

Bei älteren Patienten wurden peri- urethrale Kollageninjektionen unter- sucht. Zehn Monate postoperativ wa- ren noch 83 Prozent der Patientinnen geheilt, während die Erfolgsrate mit zunehmendem Abstand zur Maßnah- me rapide bis auf etwa 20 Prozent ab- nahm. Es traten zusätzlich De-novo- Detrusorinstabilitäten bei circa 40 Prozent der Patientinnen auf (22, 37).

>Endoskopische Blasenhalssuspen- sion

Bei älteren Patienten werden en- doskopische Blasenhalssuspensions- Operationen wegen der geringen Inva- sivität häufig angewandt. Die objekti- ven Heilungsraten sind allerdings mit circa 40 Prozent nach drei Monaten (53) nach der Stamey-Methode, und 46 Prozent objektiv geheilten nach der modifizierten Pereyra-Operation (59), begrenzt.

Grafik 3

Häufigkeitsverteilung der Harninkontinenz im Alter, aus:

Sökeland J, Schulze H, Rübben H: Urologie 2001, mit freundlicher Genehmigung: Thieme-Verlag, Stuttgart.

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>Offene Blasenhalssuspension Hilton und Mayne (32) führten eine Stamey-Operation bei 100 Frauen (26 waren über 65 Jahre alt) durch. Nach vier Jahren zeigten sich 76 Prozent der über 65-jährigen Patienten als subjek- tiv geheilt. Faszienschlingen bei intrin- sischem Sphinkterdefekt erbrachten eine subjektive Heilungsrate von 89 Prozent, 10 Prozent entwickelten eine De-novo-Detrusorinstabilität. Lang- zeit-Miktionsschwierigkeiten oder an- dere Komplikationen traten bei den Patienten nicht auf (8).

>Kolposuspension

Bei etwa 60 Prozent der älteren Pa- tientinnen kann eine Kolposuspension aufgrund des Allgemeinzustandes empfohlen werden. Mit dieser Technik wurden etwa 75 Prozent der Patientin- nen geheilt (58).

>Schlingensuspension der Harn- röhre

Das von Ulmsten beschriebene

„tension-free vaginal tape“ wird ähn- lich wie die Nadelsuspensionsplastik nach Stamey zu den minimalinvasi- ven Therapieverfahren bei weiblicher Stressinkontinenz gerechnet, sodass hier eine Anwendung auch bei älteren Patientinnen zu diskutieren ist. Auch wenn Langzeitergebnisse bei älteren Patientinnen noch nicht ausreichend vorliegen, können die von Ulmsten vorgestellten 5-Jahres-Ergebnisse mit einer Erfolgsrate von mehr als 85 Prozent Anlass sein, die Methode auch bei Inkontinenz im Alter einzusetzen (40). Aus der Bamberger Klinik wur- den unter anderem erste Ergebnis- se beim alten Menschen berichtet:

Bei 135 operierten Patienten zeigte sich nach 18-monatiger Nachuntersu- chung eine Heilungsrate von 88 Pro- zent (51, 65).

Dranginkontinenz

Zentren im Hirnstamm steuern die Harnblase (66). Dabei wirken überge- ordnete kortikale fördernde und hem- mende Impulse auf das pontine Mik- tionszentrum und lösen im geeigneten Augenblick eine willkürliche Blasen- entleerung aus. Auch die übergeordne- te Koordination zwischen Detrusor und Sphinkter wird in der Pons vermu-

tet. Altersbedingte degenerative Ver- änderungen im Gehirn können daher Funktionsstörungen der Blase verur- sachen.

Die verschiedenen am Miktionsvor- gang beteiligten Hirnareale haben summarisch eine Hemmwirkung auf den Miktionsreflex, sodass Verände- rungen zu einem Kontrolldefizit über die Harnblase und so zum Symptom einer Drang- oder Urge-Inkontinenz führen können. Urodynamisch findet man eine Detrusorhyperaktivität schon in der Füllungsphase der Blase, oft mit reduzierter Compliance. So ist die gestörte Kontrolle des Gehirns über die Harnblasenfunktion eine häufige Ursache für eine Inkontinenz in dieser Altersgruppe.

Aufgrund von zystometrischen und klinischen Befunden kann eine funk- tionelle Unterteilung der hyperakti- ven Blase erfolgen. Man unterscheidet drei Kategorien der Detrusorhyperak- tivität mit unterschiedlichen Sympto- men (23):

Typisch für den älteren Patienten mit Dranginkontinenz ist die unge- hemmt hyperaktive Blase, die durch eine gestörte Perzeption der Bla- senfüllung und fehlende willkürliche Miktionshemmung charakterisiert ist.

Der betroffene Patient verspürt erst dann starken Harndrang, wenn die Miktion bereits abläuft. In diesem Fall verläuft die Miktion koordiniert, das heißt der Beckenboden beziehungs- weise der äußere Schließmuskel ist re- laxiert.

Die phasische Detrusorinstabilität ist durch imperativen Drang bezie- hungsweise Dranginkontinenz, nor- male oder verstärkte Blasenperzepti- on und phasische Blasenkontraktio- nen gekennzeichnet. Diese treten spontan während der Blasenfüllung auf und werden durch schnelle Fül- lung oder äußere mechanische Reize ausgelöst. Die Entleerung ist koordi- niert und kann meist kurz hinausgezö- gert werden.

Die suprapontine und supraspinale Detrusorhyperreflexie tritt bei supra- sakralen Läsionen des Rückenmarks auf. Durch dauerhafte Unterbrechung pontiner Reflexbahnen kommt es zu unkoordinierten Detrusorkontraktio- nen mit Detrusor-Sphinkter-Dyssyn- Diagnostik der Harninkontinenz beim

älteren Menschen (nach Füsgen und Barth) Ziele der Klärung

>Objektivierung der Harninkontinenz und Erfassung von Faktoren, die sie verursachen oder dazu beitragen

>Differenzierung zwischen Stress-, Drang-, Überlauf- und Reflexinkontinenz

>Identifizierung jener Betroffenen, bei denen aufgrund der Ergebnisse der Basisdiagnostik eine Behandlung erfolgen sollte

>Identifizierung jener Betroffenen, die einer speziellen Diagnostik bedürfen

Untersuchungsgang

>Differenzierte Inkontinenzanamnese, gegebenenfalls mit Miktionstagebuch

>Sensibilitätsprüfung, Prüfung des Sphinktertonus

>Rektale Untersuchung

>Laboruntersuchungen mit Urinstatus, ggf. Bakteriologie

>Sonographie mit Restharnbestimmung

>Gynäkologischer Status

>Röntgenbefund

>Urodynamik

>Endoskopie

Checkliste zur Klärung der Inkontinenz (Angehörigen kann eine Checkliste vorgelegt werden, um anamnestisch die Inkontinenz zu klären)

>Ist der Betagte zeitlich und örtlich orientiert ?

>Ist die Mobilität beeinträchtigt ?

>Leidet der Inkontinente unter Schmerzen?

>Ist die geistige Reaktionsfähigkeit vorhanden?

>Kann der Betagte in seiner Umgebung genügend sehen ?

>Kann der Patient sprechen oder sich verbal ausdrücken ?

>Sind die manuellen Fähigkeiten genügend vorhanden ?

>Kann er die Toilette zur rechten Zeit erreichen?

>Sind die Toiletten tags und nachts gut erreichbar und beleuchtet?

>Braucht der Patient Hilfsmittel, und sind diese Mittel ausreichend?

>Wie sind die Trinkgewohnheiten während des Tages, am Abend, in der Nacht?

>Seit wann besteht die Inkontinenz?

>Besteht die Inkontinenz dauernd?

>Spürt der Betroffene, wenn die Blase voll ist ? Aus: Sökeland J: Harninkontinenz, in: Platt D: Alters- medizin 1997, mit freundlicher Genehmigung: Schat- tauer-Verlag.

Textkasten 2

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ergie. Diese Funktionsstörung tritt bei bis zu 70 Prozent der älteren Patienten auf. Sie ist gekennzeichnet durch eine Reflexmiktion bei normaler oder ge- ringer Blasenfüllung und ein Fehlen der willkürlichen Unterdrückung des Miktionsreflexes.

Mögliche Therapieansätze

Die Therapie der Dranginkontinenz richtet sich nach der Grundkrankheit.

Ehe therapeutische Maßnahmen ange- wendet werden, müssen Faktoren, die eine Inkontinenz fördern, identifiziert und ausgeschlossen werden. Bei In- fekten ist die Primärtherapie eine In- fektbehandlung, gegebenenfalls nach Erreger-Resistenzprüfung, notwendig.

Die Reduzierung oder das Absetzen von Inkontinenz fördernden Medika- menten (Sedativa, Hypnotika, Diureti- ka,α-Rezeptorenblocker) sollte erwo- gen werden. Auch eine Verbesserung der Situation des Patienten (Toilette in angemessener Entfernung) kann hilf- reich sein.

Die weitere Therapie umfasst Kon- tinenztrainingsprogramme, Biofeed- back und die Pharmakotherapie. Auch eine Elektrostimulation kann erwo- gen werden. Diese Maßnahmen soll- ten mit intensiver Pflege und Betreu- ung des alten Menschen verbunden sein, um körperliche und geistige Mo- bilisation zu erreichen. Bei mobilen Patienten mit ausreichender Hirnlei- stung kann ein Blasentraining durch- geführt werden, das auch beim älteren verwirrten Menschen noch eingesetzt werden kann. Dieser so genannte Bla- sendrill ist eine sehr intensive Behand- lung, die stationär erfolgen sollte (25, 26, 57). Auch ambulante Schulungen erreichen gute Resultate mit Hei- lungsraten von 44 bis 90 Prozent (57).

Trainingsprogramme sind auch in Kombination mit einer Pharmakothe- rapie hilfreich (61).

Pharmakotherapie

Die Dranginkontinenz ist eine Domä- ne der medikamentösen Behandlung.

Die am häufigsten verwandten Medi- kamente zählen zur Gruppe der Para-

sympatholytika (Muscarinrezeptor- antagonisten). Sie unterdrücken die über Muscarinrezeptoren vermittelte Kontraktion des Detrusors und er- höhen so die funktionelle Blasenkapa- zität.

Letzteres ist bedeutsam, da bei Drangsymptomatik und Dranginkon- tinenz eine verringerte funktionelle Blasenkapazität vorliegen kann. Die Medikation kann zusätzlich die Bla- senperzeption verbessern, wahr- scheinlich durch die verstärkten Affe- renzen einer vermehrt gefüllten Blase.

Insgesamt kommt es zu einem Anstieg der durchschnittlichen Miktionsvolu- mina und damit zu einer Abnahme der Miktionsfrequenz, der Drangepisoden sowie der Dranginkontinenz. Die Er- folgsaussichten für eine komplette Unterdrückung der Dranginkontinenz sind von ihrem Schweregrad vor Be- handlung sowie in geringerem Um- fang vom Alter des Patienten abhän- gig (49).

In Deutschland werden dabei vor allem die Wirkstoffe Oxybutynin (2, 74), Propiverin (43), Tolterodin (11, 13, 70) und Trospiumchlorid (27, 33, 51, 65) verabreicht. Ihre Wirksamkeit wurden in placebokontrollierten Stu- dien belegt, wobei Oxybutynin und Tolterodin am besten untersucht wur- den. Von Tolterodin steht seit kurzem eine neue Formulierung zur Verfü- gung, die eine einmal tägliche Gabe ermöglicht und eine verbesserte Wirk- samkeit und Verträglichkeit aufweist (67).

Von Oxybutynin wird ebenfalls eine neue, besser verträgliche Formulie- rung zur einmal täglichen Gabe in Kürze in den Handel kommen (12).

Durch Unterschiede in Studiendesign und untersuchten Patientenpopulatio- nen sind indirekte Vergleiche zwi- schen den Wirkstoffen schwierig (5).

Es ergibt sich der Eindruck, dass sämt- liche Präparate bei adäquater Dosie- rung ähnlich wirksam sind. Dies wird in einigen Fällen auch durch direkte Vergleichsstudien bestätigt (3, 29, 42, 44).

Emeproniumbromid hat sich in der Behandlung der Dranginkontinenz zwar als wirksam erwiesen, kann aber zu oralen oder ösophagealen Ulzera- tionen führen, weshalb diesem Wirk- stoff in einigen Ländern die Zulassung entzogen wurde (1, 40). Auch Flavoxat ist für die Behandlung der Drangin- kontinenz zugelassen, im Vergleich mit anderen Muscarinrezeptorantago- nisten oder mit Placebo wird seine Wirksamkeit aber nur als mäßig be- wertet (10, 56, 71).

Die Muscarinrezeptorantagonisten sind auch beim älteren Menschen wirksam, allerdings muss präparateab- hängig eine eventuell veränderte Pharmakokinetik (Absorption, Gewe- bespiegel, hepatische Transformation, renale Elimination) beachtet werden.

Die entsprechenden Medikamente sollten deshalb einschleichend dosiert werden (60). Für einige Präparate wurde empfohlen, dass die Dosis nur etwa 35 bis 50 Prozent der für gesunde Erwachsene üblichen Dosis betragen soll (30).

In den meisten Fällen ist bei Patien- ten mit Dranginkontinenz eine dauer- hafte Behandlung erforderlich. Die Compliance des Patienten ist aber von der Verträglichkeit der jeweiligen Präparate abhängig. Typische Neben- wirkungen der Muscarinrezeptoranta- gonisten bestehen in Mundtrockenheit, Obstipation, verminderter Schweißse- kretion mit der Gefahr des Hitzestaus und Tachykardien. Bei Glaukompati- enten sind Anticholinergika kontrain- diziert.

Außerdem muss durch die Abnah- me der Detrusorkontraktilität mit Restharnbildung gerechnet werden.

Durch unterschiedlich gestaltete Stu- Altersabhängige Ursachen

der Inkontinenz

>Dehydrierung

>Harnwegsinfektion

>Herzinsuffizienz

>Eingeschränkte Mobilität

>Zentralnervöse Störungen (apoplektischer Insult, M. Parkinson)

>Periphere Neuropathie (Diabetes mellitus)

>Verwirrung, Demenz

>Benigne Prostatahyperplasie

>Komedikation mit Nebenwirkungen am Harntrakt

Textkasten 3

(7)

dien ist ein indirekter Vergleich der Verträglichkeit zwischen den ver- schiedenen Anticholinergika schwie- rig. Direkte Vergleichsstudien haben aber konsistent gezeigt, dass Oxybuty- nin schlechter verträglich ist als Propi- verin (42), Tolterodin (29) oder Trospi- umchlorid (44). In der neuen Formu- lierung zur einmal täglichen Gabe scheint dieser Verträglichkeitsnachteil von Oxybutynin jedoch aufgehoben zu sein (3).

Darüber hinaus gilt für alle An- ticholinergika, dass eine reduzierte Nierenfunktion, ein reduziertes Kör- pergewicht oder eine Komorbidität Risikofaktoren für altersabhängige Nebenwirkungen sind. Auch Begleit- medikation wie zum Beispiel einige Antiparkinson-Mittel, Antidepressi- va, Calciumantagonisten, Anticholin- ergika oder Sedativa hemmen die De- trusorkontraktilität und können so ei- nem Harnverhalt oder einer Überlau-

finkontinenz Vorschub leisten. Die Möglichkeit einer durch Diuretika ausgelösten motorischen Drangin- kontinenz ist zu beachten.

Reflexinkontinenz

Eine Reflexinkontinenz als Entlee- rungsform der neurogenen Blase zum Beispiel nach Querschnittlähmung ist im Alter selten. Sie kann als Folge de- generativer oder metastatischer Pro- zesse mit konsekutiver Einengung des Spinalkanals auftreten. Bei der Reflexinkontinenz besteht häufig eine zusätzliche Detrusor-Sphinkter-Dys- synergie, sodass hohe intravesikale Drücke resultieren. Auch hier werden Anticholinergika einsetzt, um die Bla- senkapazität zu erhöhen, den oberen Harntrakt zu schützen und soziale Harnkontinenz zu erreichen. Die Bla- senentleerung muss dann allerdings

über einen Selbst- oder Fremdkathe- terismus erfolgen. Da dies aber bei multimorbiden, oft bettlägerigen und manuell wie zerebral eingeschränkten alten Patienten oft nicht erreichbar ist, werden auch Formen von Urindauer- ableitung eingesetzt.

Zusammenfassung

Harninkontinenz ist ein bei alten Menschen, vor allem bei Frauen, weit verbreitetes Problem, das mit einer er- heblichen Beeinträchtigung der Le- bensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen sowie mit erhebli- chen volkswirtschaftlichen Belastun- gen einhergeht. Angesichts der inzwi- schen verfügbaren Behandlungsoptio- nen ist ein therapeutischer Nihilismus bei diesem Krankheitsbild nicht mehr angebracht. Die erfolgreiche Behand- lung der Inkontinenz erfordert ein pathophysiologisches Verständnis des zugrunde liegenden Prozesse sowie eine adäquate Diagnostik, die sich in ihrem Umfang an den sich daraus ergebenden therapeutischen Konse- quenzen orientiert. Während bei der Stressinkontinenz der Schwerpunkt auf operativen Behandlungsmethoden liegt, ist die Dranginkontinenz eine Domäne der medikamentösen Thera- pie.

Manuskript eingereicht: 5. 11. 2001; revidierte Fassung angenommen: 31. 5. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2614–2624 [Heft 40]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Mark Goepel Klinikum Niederberg

Robert-Koch-Straße 2 42549 Velbert

E-Mail: goepel@klinikum-niederberg.de N. pelvicus

(parasympathisch) Proximale passive Drucktransmission Distale reaktive Drucktransmission

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Typisches Urethradruckprofil (Stressprofil) einer kontinenten Frau mit Registrierung durch Drucktransmission (Differenz zwischen den Husten induzierten Druckspitzen von Vesikaldruck [blau] und Urethraldruck [rot] in der proximalen Harnröhre). Über den Kurven zeigen Schemata die physiologische Drucktransmissionsursache. Aus: Hampel C, Hohenfellner M, Melchior S, Thüroff JW: Sling procedures in the therapy of female stress incontinence. Urologe A 2001; 40:

274-280, mit freundlicher Genehmigung: Springer-Verlag, Heidelberg.

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