A 170 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 112|
Heft 5|
30. Januar 2015ÖFFENTLICHER RETTUNGSDIENST
Streit um Scheinselbstständigkeit
Was haben Kurierfahrer, Subunternehmer auf dem Bau und Notärzte gemein?
Die Deutsche Rentenversicherung geht davon aus, dass viele nur scheinselbstständig sind. Verantwortliche im Rettungsdienst sorgen sich um die Folgen.
W
er als Notarzt im Einsatz- fahrzeug unterwegs ist oder im Rettungshubschrauber, weiß nie exakt, was ihn am Ziel erwartet.Das gehört zur Arbeit dazu. Doch es häufen sich Hinweise, dass zu den üblichen Unwägbarkeiten bei Ret- tungseinsätzen neue hinzukommen.
„Uns erreichen immer mehr An- fragen von Honorarärzten, deren Verträge man in feste Arbeitsverträ- ge umwandeln will“, erläutert Dr.
med. Nicolai Schäfer (siehe auch Interview). Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Honorarärzte ergänzt: „Ursache dafür sind Akti- vitäten der Deutschen Rentenversi- cherung (DRV). Sie stuft nach Be- triebsprüfungen in Kliniken auch Notärzte, die dort auf Honorarbasis im Rettungsdienst arbeiten, als scheinselbstständig ein. Damit gilt die volle Versicherungspflicht in der Sozialversicherung, also in der Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung.“
Seit vielen Jahren übernehmen Notärztinnen und Notärzte Schich- ten im Rettungsdienst, als Selbst- ständige. Die meisten sind im
Krankenhaus angestellt und verdie- nen sich so etwas dazu. Die stren- gere Einhaltung des Arbeitszeitge- setzes in den Kliniken und die Möglichkeit, dort auch in Teilzeit zu arbeiten, machen die Nebentä- tigkeit attraktiv. Der Rettungsdienst wird lokal sehr unterschiedlich organisiert. Aber eines ist gleich:
Krankenhäuser, die diese Aufgabe übernommen haben, dafür bereits viele Honorarärzte einsetzen und nicht allein festangestellte Fachärz- te aus dem Haus, müssen der Ren- tenversicherung immer häufiger Rechenschaft über den Status der Freien ablegen. Das gilt auch für Träger wie die Feuerwehr, die häu- fig mit einem Pool aus selbstständi- gen Notärzten arbeiten.
Ausbeutungsschutz . . .
Dr. med. Achim Grün* vermutet, dass der Kontrollprozess eher un- freiwillig in Gang kam. Der Ärztli- che Leiter eines Rettungsdienstes findet es sinnvoll, dass die DRV ausbeuterische Arbeitsverhältnisse aufdecken und Arbeitgeber zurZahlung von Sozialversicherungs- beiträgen für ihre Beschäftigten verpflichten will. „Doch von schein- selbstständigen Hilfsarbeitern auf dem Bau über Kurierfahrer ist die DRV nun bei Ärzten gelandet, die sich doch gar nicht der Steuerzah- lung oder der Versicherungspflicht entziehen – bei den Kollegen im Rettungsdienst“, sagt Grün. Dazu kommt, dass es mehr Honorarärzte als früher gibt und deshalb mehr Arbeitsverhältnisse in Kliniken ge- prüft werden.
Das bisherige System habe für große Flexibilität gesorgt, finden viele. Nun müssen zahlreiche Ver- träge geändert werden. Nur wie?
Nebenberuflich anstellen lassen wollen sich die meisten Retter nicht, weil das arbeitsrechtlich kompliziert ist. Auch in finanzieller Hinsicht gibt es viele Fragen.
. . . mit erheblichen Folgen
Scheinselbstständig oder selbst- ständig? In dieser Frage kann es um viel Geld gehen, vor allem für die Träger. Für viele hauptberufliche Klinikärzte, die nur nebenher im Rettungsdienst arbeiten, fallen kei- ne weiteren Kranken- und Pflege- versicherungsbeiträge mehr an.Stuft die DRV sie aber als ange- stellt ein, muss der Rettungsdienst Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen, bestimmte Umlagen und möglicherweise Rentenversiche- rungsbeiträge. Das alles kann rück- wirkend für bis zu vier Jahre vom Rettungsdienstträger eingefordert werden, und zwar Arbeitgeber- wie Arbeitnehmeranteile. Die Folge:
„Wir bekommen Probleme, obwohl wir in diesem Bereich eigentlich keinen Mangel an Ärzten haben“, so ein Koordinator, der anonym
bleiben will.
▄
Sabine Rieser
Foto: mauritius images
Schneller Einsatz - das ist die Aufga-
be von Notärzten.
Zurzeit setzen sich viele zusätzlich da-
für ein, dass sich ihre Einsatzbedin-
gungen nicht ver- schlechtern.
*Name geändert