A 22 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 1–2|
10. Januar 2011BIOETHIK 2011
Suche nach Verbündeten
Regelungen von der Pränatalzeit bis zum Sterben:
Erwartet werden eine gesetzliche Regelung der PID und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Sterbehilfe.
V
on bioethischen Entscheidun- gen geprägt sein wird voraus- sichtlich das Jahr 2011. Zunächst sogar noch als ein Schnellschuss kurz vor dem letzten Weihnachts- fest avisiert, steht in diesem Jahr die Abstimmung über die Zulas-sung der Präimplantationsdiagnos- tik (PID) an. Vermutlich im Früh- sommer wird im Parlament frakti- onsübergreifend entschieden wer- den, ob eine genetische Untersu- chung von Embryonen vor dem Einsetzen in den Mutterleib in Deutschland erlaubt sein soll.
Es werden drei Gesetzentwürfe zur Debatte stehen, deren Initiato- ren noch Verbündete suchen: Zwei davon zielen auf eine eingeschränk- te Zulassung ab, einer auf ein Ver- bot der PID. Die PID-Befürworter im Bundestag konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Antrag ei- nigen. Interessanterweise wollen dabei Politiker von Union und FDP die „engen Grenzen“ noch am wei- testen fassen. So streben der Staats- sekretär im Wirtschaftsministerium, Peter Hintze (CDU), und die ge- sundheitspolitische Sprecherin der FDP, Ulrike Flach, gemeinsam mit der SPD-Politikerin Carola Rei-
mann eine Änderung des Embryo- nenschutzgesetzes an. Durch diese soll die PID künftig bei allen Paa- ren zugelassen werden, die Träger einer Erbkrankheit sind. Interdis- ziplinäre Ethikkommissionen sol- len jeden Fall einzeln prüfen.
Für Abgeordnete um die Grünen- Politikerin Priska Hinz und den SPD-Ethikexperten René Röspel geht dieser Entwurf jedoch zu weit.
Sie wollen die PID nur zur Verhin- derung von Fehl- und Totgeburten beziehungsweise Spätabtreibungen eingesetzt wissen. Explizit wollen sie eine Testung auf spätmanifestie- rende Erbkrankheiten ausschließen.
Im parlamentarischen Verfahren wird es jedoch im Frühjahr vermut- lich auf eine Abstimmung zwischen der weiter gefassten Zulassung und einem konsequenten Verbot hinaus- laufen. Einen solchen Antrag berei- ten sechs Abgeordnete aus allen im Bundestag vertretenen Parteien vor.
Federführend agieren Andrea Nah- les, SPD, Johannes Singhammer, CSU, Birgitt Bender von den Grü- nen, Kathrin Vogler aus der Fraktion der Linken sowie Pascal Kober, FDP.
Eingehen in die gesellschaftspo- litische Diskussion wird ferner eine
Stellungnahme der Bundesärzte- kammer (BÄK) zum Thema PID, die im Frühjahr erwartet wird. Auch der Deutsche Ethikrat hat eine Ar- beitsgruppe gebildet und will seine Position Anfang März vorstellen.
Nach Verbündeten gesucht wird auch in Bezug auf die Sterbehilfe.
Der Bundesgerichtshof hatte im Juni 2010 entschieden, dass der Abbruch lebenserhaltender Maßnah - men künftig nicht mehr strafbar sei, wenn ein Patient dies vorher ver- fügt habe. Der Patientenwille sei in jedem Fall verbindlich, gleichgül- tig, ob er schriftlich niedergelegt, mündlich geäußert oder durch non- verbales Verhalten zum Ausdruck gebracht werde. Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe, hatte das Urteil begrüßt: „Es stimmt mit den Grund- sätzen der Bundesärztekammer zur Sterbegleitung überein.“ Hoppe kün- digte an, dass die Bundesärztekammer eine Änderung der (Muster-)Berufs- ordnung plant, um das Berufsrecht an die neue Gesetzeslage anzupas- sen (dazu Meldung in diesem Heft).
Ein weiteres Urteil zur Sterbehil- fe wird in Kürze vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für Menschen- rechte erwartet. Geklagt hatte ein Witwer, dessen Frau vom Bundes- institut für Arzneimittel und Medi- zinprodukte im Jahr 2004 der Er- werb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels untersagt wor- den war. Im März 2005 hatte die vom Hals abwärts gelähmte Frau mit Hilfe des Vereins Dignitas in der Schweiz ihrem Leben ein Ende gesetzt. Nachdem auch das Bundes- verfassungsgericht die Klage des Witwers, der weiterhin versucht hatte, die Entscheidung des Bun- desinstituts anzufechten, abgewie- sen hat, will er jetzt vom EuGH entscheiden lassen, ob Deutschland mit dem Verbot des Betäubungsmit- telerwerbs gegen den „Schutz des Privat- und Familienlebens“ versto- ßen habe. Der fehlende Respekt der Behörden vor dem Privatleben habe den Beschwerdeführer zu jener letzten Reise in die Schweiz veran- lasst, obwohl sie lieber zu Hause
gestorben wäre. ■
Gisela Klinkhammer Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Foto: dpa
Abgeordnete stel- len ihre Entwürfe vor. In allen Fraktio- nen finden Informa- tionsveranstaltun- gen zur PID statt.