• Keine Ergebnisse gefunden

FORUM-10-2011

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "FORUM-10-2011"

Copied!
36
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Mit den offiziellen Rundschreiben und Bekanntmachungen der

Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns

Klarer BlicK auf die Versorgung

analysen der KVB liefern interessante ergebnisse

10 |11

KVB foruM

interView: lauterbach plädiert für riesenreform

aBrechnung: KVB-Mitglieder nutzen erweiterten service

allgeMeinMedizin: Koordinierungsstelle fördert weiterbildung

(2)

editorial 2

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir Ärzte und Psychotherapeuten sind es ja schon gewohnt, dass uns der Schwarze Peter zugeschoben wird. Aktuell treiben manche Politiker und Krankenkassenfunktionäre dieses Spiel allerdings eindeutig zu weit. Da veröff entlicht der AOK-Bundesverband eine äußerst fragwürdige Studie und schlussfolgert daraus, niedergelassene Ärzte wären zu wenig für ihre Kassenpatienten da (Seite 20). Gleichzeitig werden aus dem Bundesgesundheitsminis- terium Überlegungen laut, Ärzte bei zu langen Wartezeiten mit empfi ndlichen Honorarabzü- gen zu bestrafen. Diese Diff amierung der niedergelassenen Ärzte geht aber doch völlig an der Versorgungsrealität vorbei.

Tatsächlich stecken wir Ärzte und Psychotherapeuten in einer ethischen Falle: Den Patien- ten wird suggeriert, sie hätten einen Anspruch auf Vollversorgung – ein Anspruch, den wir nur allzu gern erfüllen würden. Längst bestimmen aber doch Rationierung und Budgetierung das Gesundheitswesen. Tagtäglich müssen wir in unseren Praxen einen Spagat zwischen dem Wunsch nach einer optimalen Behandlung und der Wirklichkeit begrenzter Ressourcen vollführen.

Dass unser Gesundheitswesen dennoch nach wie vor weltweit einen exzellenten Ruf ge- nießt und die Patienten gerade in Bayern ambulant sehr gut und umfassend versorgt wer- den, ist zu einem großen Teil Ihrem Engagement zu verdanken, liebe Kolleginnen und Kolle- gen. Als Vorstand der KVB arbeiten wir permanent daran, Sie zu unterstützen und bürokra- tische Hürden abzubauen. Ein Beispiel dafür fi nden Sie in dieser Ausgabe im Bericht über mehr Mitgliederservice bei der Abrechnung (Seite 18). Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen getreu unserem Motto: „Gut ist, was für die Praxen gut ist.“

Ihr KVB-Vorstand

Dr. Krombholz

Vorsitzender des Vorstands

Dr. Schmelz

1. Stellv. Vorsitzender des Vorstands

Dr. Enger

2. Stellv. Vorsitzende des Vorstands

(3)

3 aKtuelles in Kürze

wichtiges für die Praxis

VerschoBen zahl des Monats

zitat des Monats

leitfaden für MedizinProduKte

In einer aktuellen, zweiten Auflage liegt nun der Leitfaden „Die Medi- zinprodukte-Betreiberverordnung in der Praxis“ vor, den das Kompetenz- zentrum Qualitätssicherung der KVB zusammengestellt hat. Sowohl die erstmalige Inbetriebnahme als auch der weitere Betrieb von Medizinpro- dukten umfasst eine Vielzahl von Pflichten. Beispieltexte und Hinwei- se unterstützen den Leser, die orga- nisatorischen Maßnahmen bei der Anwendung von Medizinprodukten in seiner Praxis einzuführen oder zu vervollständigen.

Checklisten und zahlreiche Mustervorlagen sollen die tägliche Arbeit er- leichtern. Der Leitfaden ist ausschließlich als Online-Version erhältlich und kann unter www.kvb.de in der Rubrik Praxis/Praxisführung/Hygiene und Medizinprodukte heruntergeladen werden.

„Der Vorschlag zu gesetzlichen Sanktionen und Honorarkürzungen kam von anderen – ich habe diesen Vorschlag stets abgelehnt! Denn wir glauben nicht, dass man mit Strafaktionen das Wartezeitenpro- blem löst.“

So äußerte sich Bundesgesund- heitsminister Daniel Bahr in

der Ärzte Zeitung zu einer angeblichen Gesetzesänderung.

150

gesetzliche Kran- kenkassen könn- te es ab 2012 nur noch geben, so die Prognose des Branchendienstes dfg. Im Herbst 2010 waren es noch 160 GKV- Kassen.

Im Rahmen des geplanten GKV- Versorgungsstrukturgesetzes war mit der Änderung des Paragra- phen 116b des Fünften Sozialge- setzbuchs (SGB V) die Einführung einer neuen Versorgungsebene, der Ambulanten Spezialärztlichen Versorgung, vorgesehen. Die ge- planten Regelungen wurden von den niedergelassenen Ärzten viel- fach stark kritisiert – so auch von den Vorständen der Mitglieds- KVen der Freien Allianz der Län- der-KVen (FALK). Daher begrüßen die FALK-KVen das Votum des Bundesrats, das Thema unabhän- gig vom aktuellen Gesetzgebungs- verfahren zu einem späteren Zeit- punkt anzugehen. Ein entsprechen- der Entschließungsantrag der Län- der Niedersachsen und Rheinland- Pfalz wurde in einer Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bun- desrats am 14. September 2011 einstimmig angenommen.

Ärztebewertung im Internet

wie kann man sich vor ungerechtfertigter Kritik schützen?

Inzwischen haben neben der AOK und der Barmer GEK auch weitere Krankenkassen Portale zur Ärz- tebewertung gestartet. Dabei ist zu beachten, dass diese Portale primär aus zwei Quellen – der

„Weissen Liste“ der Bertelsmann Stiftung und der

„Arzt-Auskunft“ der Stiftung Gesundheit – ge- speist werden. Wer einmal in einem der vielen Portale negativ beurteilt wird, muss damit rech- nen, auch in anderen Portalen, die aus derselben Datenquelle gespeist werden, mit einer negativen Bewertung zu erscheinen. Man kann sich sowohl bei der „Weissen Liste“ als auch der „Arzt-Aus- kunft“ aktiv austragen lassen, um dann nicht mehr beziehungsweise ohne irgendwelche Bewertungen in den entsprechenden Internetauftritten zu er- scheinen. Dafür reicht ein kurzes Schreiben mit Name und Anschrift per Fax an 0 52 41 / 81 68 11 80 (Bertelsmann-Stiftung) beziehungsweise an 0 40 / 8 09 08 75 55 (Stiftung Gesundheit). Wäh- rend man sich bei der „Arzt-Auskunft“ ganz aus der Datenbank entfernen lassen kann, ist es bei der „Weissen Liste“ lediglich möglich, die Bewer- tungsfunktion zu deaktivieren. Man hat als Arzt allerdings die Möglichkeit, diese Entscheidung ent- sprechend bei der „Weissen Liste“ zu kommentie- ren.

Redaktion

(4)

inhaltsVerzeichnis 4

21 Besser ein Licht anzünden, als über die Dunkelheit klagen

Die Koordinierungsstelle zur Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin hat an- spruchsvolle Aufgaben. Leiterin Dr. Dagmar Schneider ist den- noch unverzagt

22 „Die KV soll für ihre Mitglie- der da sein“

Im Interview erklärt Dr. Ernst Engelmayr, der Vorsitzende des

„Beratenden Fachausschusses Hausärzte“, die Ziele des Gremi- ums

16 Fragwürdige Befragung Die Krankenkassen werfen Ärz- ten in einer Medienkampagne vor, sie wären zu wenig für ihre Versicherten da

17 Wird die Medizin weiblicher, kooperativer und kommuni- kativer?

Auf dem 10. Europäischen Ge- sundheitskongress lädt Dr. Ilka Enger die KVB-Mitglieder zum Symposium „Weibliche Medizin“

ein

KVB intern

18 Mehr Mitgliederservice bei der Abrechnung

Zukünftig sind Korrekturen in der Quartalsabrechnung leichter möglich. Die KVB geht außerdem aktiv auf die Praxen zu, sobald sie Auffälligkeiten bemerkt titeltheMa

6 Mythos Überversorgung:

Wie ist die Lage wirklich?

Den Diskussionen zu Ärzteman- gel und Überversorgung fehlt es oft an einer validen Datenbasis.

In einer aufwendigen Analyse ha- ben nun die Statistikexperten der KVB herausgefunden, wie sehr die Bandbreite der Tätigkeiten im haus- und fachärztlichen Bereich variiert

gesundheitsPolitiK 12 „Wir brauchen die Riesen- reform aus einem Guss“

Der Gesundheitspolitiker Profes- sor Dr. Dr. Karl Lauterbach nahm auch beim Schlagabtausch mit Dr. Ilka Enger kein Blatt vor den Mund. In Berlin diskutierten beide über den richtigen Weg für das deutsche Gesundheitswesen

Ohne exaktes Zahlenmaterial sind zur Versor- gungssituation keine profunden Aussagen möglich

Landesärzte- kammer, Kranken- hausgesellschaft, Hausärzteverband und KVB wollen zusammen die All- gemeinmedizin im Freistaat stärken Mehr als 70 Pro-

zent aller Praxen wurden letztes Quartal wegen Auffälligkeiten in der Abrechnung vorab kontaktiert

21

6 18

(5)

5 inhaltsVerzeichnis

KurzMeldungen

32 „Neue Rezepte zum gegen- seitigen Nutzen“

32 „Woche für Seelische Ge- sundheit“

33 leserBriefe

33 iMPressuM

34 KVB serVicenuMMern Qualität

28 Hygienemanagement:

Achtung bei Punktionen Gerade bei Gelenkpunktionen und -injektionen sind Hygiene- maßnahmen in der Arztpraxis sorgfältig zu beachten

Patientenorientierung 30 Das Herz des anderen

Norbert Beyer lebt seit 2008 mit einem transplantierten Herz. In einer Selbsthilfeorganisation gibt er seine Erfahrungen an andere Organempfänger weiter 24 Politisches Oktoberfest

Zahlreiche Vertreter des Gesund- heitswesens, Vertragspartner und Journalisten nutzten die an- genehme Atmosphäre zum fach- lichen Austausch

aus der Praxis

25 Herbstzeit – Grippezeit Die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) geben Auskunft über Standard- und Indikationsimpfungen gegen In- fluenza

recht interessant

26 Aktuelle Rechtsprechung von A bis Z

Die Rechtsabteilung der KVB stellt in einem Überblick wichtige Urteile zur vertragsärztlichen Tätigkeit zusammen

Die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zur Influenzaimp- fung liegen vor

Für Norbert Beyer war ein neues Herz die letzte Chance. Nach seiner Genesung engagiert er sich in einer Selbst- hilfegruppe für Transplantations- patienten

25

Zündende Ideen sind gefragt in einem Workshop, in dem die Partner der Selbsthilfe Kooperations- modelle für den Praxisalltag ent- werfen

30 32

(6)

titeltheMa 6

Versorgungssituation im haus- ärztlichen Bereich

Jedes Quartal stellt die KVB in einer Reihe von Statistiken für jede Fach- gruppe die zentralen Eckdaten der Abrechnung und Honorierung be- reit. Für den hausärztlichen Bereich ist dort etwa für das erste Quartal 2009 dargestellt, dass der Honorar- umsatz je Behandlungsfall (kurz Fallwert) 62 Euro beträgt und dass die durchschnittliche Fallzahl jedes Hausarztes bei 850 Behandlungs- fällen liegt. Nun ist klar, dass es sich hierbei um Durchschnittswerte handelt. Hinter ihnen verbergen

sich eine Reihe von Unterschieden, die weitgehend unbekannt und bis- lang auch unbeachtet sind. Ein Blick auf die Verteilung der Fallwerte und Fallzahlen bei Hausärzten in Abbil- dung 1 verdeutlicht, welche enor- men Spannweiten hier allein im hausärztlichen Bereich vorliegen.

Abbildung 1 zeigt, dass die rund 9.100 Hausärzte in Bayern sich of- fenbar in ihrer Leistungserbringung ganz erheblich voneinander unter- scheiden. Als Folge dieser Verschie- denartigkeit ergeben sich die weit streuenden Fallzahlen und Fallwerte (Die in der Abbildung vorgenom-

mene Unterscheidung der Haus- ärzte in typische und untypische Hausärzte ist an dieser Stelle noch ohne Bedeutung. Die Unterschied- lichkeit der hausärztlichen Fallwerte und Fallzahlen wird durch alle Punk- te (Ärzte) gemeinsam dargestellt).

Dabei stellt sich unmittelbar die Frage, ob etwa Ärzte mit weniger als 200 Behandlungsfällen im Quar- tal und einem Fallwert von über 200 Euro tatsächlich hausärztlich tätig sein können oder ob sie nicht ein ganz anderes Tätigkeitsspekt- rum ausüben.

Ausgehend von dieser Fragestel- lung führten wir Analysen des Ab- rechnungs- und Verordnungsver- haltens der Hausärzte durch und haben dabei geeignete Parameter gesucht, welche die typische haus- ärztliche Versorgung beschreiben.

Ziel war es, innerhalb der Haus- ärzteschaft diejenigen Ärzten zu identifizieren, die sich in einer typi- schen Weise an der hausärztlichen Versorgung beteiligen („typische Hausärzte“), und jene Ärzte zu er- kennen, die nur formal (gewisser- maßen „zulassungstechnisch“) der hausärztlichen Versorgung zuge- schrieben werden, obwohl sie ganz überwiegend fachärztliche oder psychotherapeutische Leistungen erbringen („untypische Hausärzte“).

Krankenkassen und Politiker verweisen immer wieder auf eine Überversorgung und eine zu hohe Ärztezahl und vergleichen dabei unreflektiert Zahlen, ohne den Zusammenhang zu beachten. Aktuelle Analysen der KVB gehen dagegen der Frage nach einer flächendeckenden und dem Bedarf entsprechenden Versor- gung differenzierter auf den Grund. Mit welchen Kriterien lässt sich also das Leistungsgeschehen am besten beschreiben und wie lässt sich die tatsächliche Versorgung in Bayern abbilden?

wer sinnvolle arztgruppen- vergleiche anstellen will, sollte nicht äpfel mit Birnen vergleichen.

Mythos üBerVersorgung:

wie ist die lage wirKlich?

(7)

7 titeltheMa

typische hausärzte

Bis heute fehlt es an einer klaren Defi nition der typischen hausärzt- lichen Tätigkeit. Ist das Leistungs- spektrum eines typischen Haus- arztes bereits ausreichend durch die hausärztlichen EBM-Leistungen beschrieben oder müssen weitere Parameter herangezogen werden, die auch den Tätigkeitsumfang oder die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln umfassen?

Nach unseren Analysen reicht eine Abgrenzung der hausärztlichen Tä- tigkeit allein anhand der abgerech- neten Leistungspositionen nicht aus. Wichtige zusätzliche Merkmale fi nden sich in den folgenden Be- reichen:

1. Charakter der Inanspruch- nahme

Deckt ein Hausarzt die hausärztli- che Versorgung ab oder nicht? Ein erstes Kriterium hierfür ist bereits die Feststellung, in welchem Um- fang seine Patienten noch einen weiteren Hausarzt aufsuchen. Ist dieser Patientenanteil auff ällig hoch (weit über einer normalen Pendlerquote usw.), so zeigt dies unmittelbar an, dass die eigentliche hausärztliche Tätigkeit bei diesem Arzt nicht im Vordergrund steht und die Patienten die hausärztliche Versorgung daher bei anderen Ärz- ten in Anspruch nehmen.

2. Leistungsspektrum

Auch wenn die Leistungen allein noch nicht aussagekräftig sind (ver- gleiche oben), sind sie natürlich ein wichtiger Indikator. Dabei zeigt sich, dass nicht nur die Leistungsbreite, sondern vor allem die Relation der Leistungen zueinander sehr bedeut- sam ist. Typisch für die hausärztli- che Abrechnung ist ein relativ hoher Umsatzanteil der Grundpauschalen.

Dominieren hingegen andere Leis-

Kriterien zur identifi kation der typischen hausärztlichen Versorgung

„Typische Hausärzte“ erfüllen alle fünf Muss-Kriterien und mindes- tens zwei der Kann-Kriterien in einem Quartal:

Muss-Kriterien, die ein Arzt alle erfüllen muss, um als „typischer Hausarzt“ identifi ziert zu werden:

„ mehr als 200 Fälle

„ zehn oder mehr Hausbesuche

„ ein GKV-Praxisumsatz von mehr als 30.000 Euro

„ alle Mindestkriterien bei vier defi nierten Arzneimittelgruppen werden erfüllt*

„ Verordnungskosten je Patient betragen mindestens 33 Prozent des Mittelwerts bei Hausärzten

Kann-Kriterien, von denen ein Arzt mindestens zwei von fünf er- füllen muss, um als „typischer Hausarzt“ identifi ziert zu werden:

„ geringerer Fallwert (ohne Leistungen zu Unzeiten) als 90 Euro

„ die Versichertenpauschale macht mindestens 30 Prozent des Gesamtumsatzes aus

„ mindestens ein Fall mit Lungenfunktionsdiagnostik

„ höchstens 30 Prozent der Patienten suchten im gleichen Quartal noch einen zweiten Hausarzt auf

„ mindestens 40 Prozent der Patienten wurden auch im Vorquartal behandelt

*Folgende vier Arzneimittelgruppen wurden identifi ziert: Antidiabetika (AA10), Diuretika (AC03), Beta-Adrenozeptor-Antagonisten (Betablocker) (AC07), Mittel mit Wirkung auf das Renin-Angio- tensin-System (AC09). Erforderlich ist, dass die Ärzte einen Teil ihrer Patienten mit den aufge- führten Arzneimittelgruppen versorgen. Das Verordnungsvolumen je Arzt soll mindestens ein Fünftel des mittleren Anteils aller Hausärzte betragen.

0 400 800 1.200 1.600 2.000 2.400

Verteilung der Fallwerte (ohne Leistungen zur Unzeit) in Abhängigkeit von der Fallzahl je Arzt für typische und untypische Hausärzte (Allgemeinärzte und hausärztlich tätige Internisten) im Quartal 1/2009. Jeder Punkt sym- bolisiert einen Arzt.

Quelle: KVB Abbildung 1

Fallwert in Euro

Fallzahl je Arzt 50

100 150 200 250 300

0

Typische Hausärzte Unypische Hausärzte

0 400 800 1.200 1.600 2.000 2.400

(8)

titeltheMa 8

tungen, so liegt regelmäßig eine fachärztliche oder psychotherapeu- tische Leistungsausprägung vor oder der Arzt ist in besonderem Ausmaß spezialisiert (zum Beispiel Schmerztherapie). Hinsichtlich der Leistungsbreite ist die Definition einer geringen Anzahl hausärztli- cher „Tracer-Leistungen“ bedeut- sam. So hat sich gezeigt, dass be- reits der Nachweis einer geringen Zahl von Hausbesuchen und die Vorhaltung bestimmter Untersu- chungsmethoden ausreicht, um recht trennscharf zwischen typi- schen und untypischen Hausärzten unterscheiden zu können.

3. Versorgungsbeitrag

Von den etwa acht Millionen Versi- cherten, die in einem Quartal ver- tragsärztliche Leistungen in An- spruch nehmen, suchen knapp sie- ben Millionen einen Hausarzt auf.

Der Hausarzt ist damit die typische erste Anlaufstelle bei fast allen akuten Erkrankungen und natürlich auch bei der Versorgung von chro- nisch Kranken. Rein rechnerisch kommen so auf einen Hausarzt et- wa 850 Patienten, um dem Versor- gungsauftrag gerecht zu werden.

Ein Hausarzt, dessen Anzahl an

Patienten weit unter diesem Durch- schnitt liegt (Gleiches gilt für seinen Praxisumsatz), übt die skizzierte Anlaufstellenfunktion offenbar nicht aus. Werden nur sehr wenige oder ganz bestimmte Patienten behan- delt, spricht vieles für eine Spezia- lisierung des Arztes und für eine eher hausarztuntypische Versor- gung.

4. Arzneimittelversorgung und Versorgung von chronisch Kranken

Auch die Analyse des Verordnungs- verhaltens gibt Aufschluss über die hausärztliche Tätigkeit. Ein Haus- arzt deckt typischerweise die nöti- gen Medikamentenverordnungen seiner Patienten ab. Insbesondere die Versorgung der Chroniker er- fordert dabei regelmäßig die Ver- ordnung bestimmter Arzneimittel.

Ärzte, die überhaupt keine Medika- mente verordnen (immerhin sind dies fast 100 Hausärzte) oder die bestimmte Arzneimittel nur in ei- nem äußerst geringen Umfang ver- ordnen, haben ganz offenbar ein deutlich unterschiedliches und sehr spezielles Patienten- beziehungs- weise Behandlungsspektrum, wel- ches sich deutlich von demjenigen

der typischen Hausärzte unter- scheidet.

aufwendige Methodik

Da es nicht ein einzelnes Merkmal gibt, anhand dessen sich eine typi- sche hausärztliche Tätigkeit deut- lich abgrenzen lässt, wurden in die weiteren Analysen die verschiede- nen oben skizzierten Kriterien zur Beschreibung der hausärztlichen Tätigkeit im Gesamten herangezo- gen. Bei der Auswahl und Operati- onalisierung der einzelnen Kriterien war die Verfügbarkeit eines objek- tiven Datenmaterials ausschlagge- bend, mit dessen Hilfe die jeweili- gen Messungen erfolgen konnten.

Schließlich wurden aus der Vielzahl untersuchter Parameter jene aus- gewählt, die ausreichen, um genü- gend präzise und zugleich hand- habbar zwischen einem typischen und einem untypischen Hausarzt unterscheiden zu können. Dabei wurden für jedes Kriterium Schwel- lenwerte definiert, unterhalb oder oberhalb derer die Abgrenzung eines typisch hausärztlichen Ver- sorgungsprofils erfolgt.

Im Kasten auf Seite 7 ist das Ergeb- nis dieses methodischen Vorgehens Kumulative dar-

stellung der um- satzanteile nach

der reihenfolge des eBM (vom ersten bis zum letzten eBM- Kapitel): die Kur- ven zeigen den aufsummierten umsatzanteil, den die ärzte bis zu dem jeweili- gen eBM-Kapitel (untere achse) erzielt haben.

1.1 1.2 1.3 – 1.6 1.7 1.8 2 3 4 – 27 30 31 32 33 – 34 35 ab 36

Leistungsspektrum der typischen Hausärzte im Vergleich zu Hausärzten, deren Fallwert mehr als 90 Euro beträgt.

Abgebildet ist der Honorarumsatzanteil je EBM-Kapitel kumuliert auf 100 Prozent.

Quelle: KVB Abbildung 2

Honorarumsatzanteil in Prozent

Kapitel des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) 10 %

20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

0

Typische Hausärzte Unypische Hausärzte

(9)

9 titeltheMa zusammengefasst. Insgesamt wur-

den Schwellenwerte von zehn Kri- terien gefunden, anhand derer sich eine typische hausärztliche Tätig- keit gut abgrenzen lässt. Dabei ist es nicht notwendig, dass ein Arzt alle zehn Kriterien gleichzeitig er- füllt. Vielmehr handelt es sich nur bei fünf Kriterien um echte „Aus- schlusskriterien“ (Muss-Kriterien), die im Sinne einer typisch hausärzt- lichen Tätigkeit unbedingt erfüllt sein müssen. Bei den fünf weiteren Kriterien reicht es aus, wenn min- destens zwei davon erfüllt sind, da- mit eine Zuordnung als typischer Hausarzt erfolgt (Kann-Kriterien).

Um welche zwei Kriterien es sich handelt, ist unerheblich. Folgende Beispiele verdeutlichen die Vorge- hensweise:

Beispiel 1 „Typischer Hausarzt“:

Ein Arzt erfüllt alle Muss-Kriterien, der Fallwert beträgt 100 Euro und es wurden keine Leistungen der Lungendiagnostik erbracht. Die weiteren Kann-Kriterien sind je- doch erfüllt.

Beispiel 2 „Untypischer Haus- arzt“: Ein Arzt erfüllt alle Muss- Kriterien bis auf die Anzahl der Hausbesuche (es wurden beispiels- weise keine Hausbesuche erbracht).

Auf die Kann-Kriterien kommt es in diesem Fall gar nicht mehr an.

Beispiel 3 „Untypischer Haus- arzt“: Ein Arzt erfüllt alle Muss- Kriterien, der Fallwert beträgt 150 Euro, die Versichertenpauschale beträgt zehn Prozent des Gesamt- umsatzes, 40 Prozent der Patienten suchen einen weiteren Hausarzt im Quartal auf, die Lungenfunktions- diagnostik wurde nicht erbracht.

Damit ist nur eines von fünf Kann- Kriterien erfüllt.

ergebnisse

Jedes einzelne der zehn Kriterien hat eine filternde Wirkung. So gibt

es zum Beispiel unter den 9.101 analysierten Hausärzten (unter- suchte Datenmenge aus dem ers- ten Quartal 2009) insgesamt 359 Ärzte, die weniger als 200 Fälle auf- weisen. Das Kriterium „Ärzte mit geringerem Fallwert (ohne Leistun- gen zu Unzeiten) als 90 Euro“ wird von weit über 8.000 Hausärzten erfüllt, lediglich 331 Ärzte weisen einen untypischen, höheren Fall- wert auf.

Abbildung 2 versucht nun zu ver- deutlichen, wie sich das Leistungs- profil der Ärzte unterscheidet, nach- dem sie hinsichtlich der jeweiligen Kriterien als typische oder untypi- sche Hausärzte identifiziert wurden.

Exemplarisch wurden hier die Haus- ärzte nur anhand eines einzigen Kriteriums, nämlich eines Fallwer- tes von über 90 Euro, differenziert.

Für beide Gruppen werden ihre Um- satzanteile an den einzelnen Kapi- teln des EBM dargestellt. Dabei zeigt sich vor allem im hausärztli- chen EBM-Kapitel 3 ein markanter und hochsignifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Während die Gruppe der typischen Hausärzte (Fallwert unter 90 Euro) über 60 Prozent ihres Gesamtum- satzes mit diesen Leistungen er- reicht, liegt dieser Wert bei der Gruppe der untypischen Hausärzte (Fallwert über 90 Euro) bei lediglich etwa 30 Prozent. Dagegen erzielt diese Gruppe zusätzliche relevante Umsatzanteile eher in den fachärzt- lichen EBM-Kapiteln oder im Bereich der Psychotherapie. Es zeigt sich also, dass das Kriterium „Fallwert“

prinzipiell sehr gut geeignet ist, um

Ärzte mit einer typisch hausärztli- chen Ausrichtung von eher untypi- schen Hausärzte zu unterscheiden.

Da es sich hier um ein Kann-Krite- rium handelt, hängt es aber zusätz- lich von der Auswertung der übrigen Kriterien ab, ob schließlich ein Arzt als typischer Hausarzt identifiziert wird oder nicht.

Nach Anwendung aller Muss- und Kann-Kriterien ergibt sich, dass ins- gesamt 1.604 Ärzte als hausärzt- lich untypisch identifiziert werden.

Das entspricht einem Anteil von 18 Prozent. Damit verbleiben ledig- lich etwa 7.500 Ärzte, die tatsäch- lich die hausärztliche Versorgung in Bayern bewältigen. Die hausärzt- liche Versorgungssituation muss angesichts dieser Zahlen grundle- gend neu bewertet werden.

Betrachtet man schließlich die ein- gangs beschriebene weite Streuung der hausärztlichen Fallwerte und Fallzahlen (Abbildung 1), so zeigen die Analyseergebnisse, dass diese auf die Unterschiede zwischen typi- schen und untypischen Hausärzten

richtig nach- gerechnet:

lediglich 7.500 ärzte bewältigen die hausärztliche Versorgung in Bayern.

datenquellen

Die vorliegenden Analysen basieren auf den Abrechnungs- und Ver- ordnungsdaten des ersten Quartals 2009. Die Abrechnungsdaten stammen aus dem Strategischen Informationssystem (SIS) der KVB.

Die Verordnungsdaten entsprechen den Rezeptdaten der GKV-Ver- sicherten aus den Apothekenrechenzentren.

(10)

titeltheMa 10

zurückzuführen ist. Die beiden so identifi zierten Untergruppen inner- halb der Hausärzte unterscheiden sich erheblich in ihren Abrech- nungsdaten. Die durchschnittliche Fallzahl je Arzt der typischen Haus- ärzte beträgt 915 im Gegensatz zu den untypischen mit 438 Fällen.

Auch der Quartalsumsatz je Arzt verdeutlicht den Unterschied: zirka 56.000 Euro bei typischen Haus- ärzten und 28.000 Euro bei unty- pischen Hausärzten. Der durch- schnittliche Fallwert bezogen auf alle Hausärzte beträgt 61 Euro und entspricht etwa dem Durchschnitts- fallwert der typischen Hausärzte.

Bei den untypischen Hausärzten liegt er jedoch bei etwa 65 Euro.

Betrachtet man jene untypischen Hausärzte mit geringen Fallzahlen und einem hohen Fallwert (in der Regel sind dies psychotherapeu- tisch tätige Ärzte), dann liegt der durchschnittliche Fallwert bei 228 Euro. Untypische Hausärzte mit einem geringen Beitrag zur Versor- gung (niedrige Fallzahlen kleiner 200 und Fallwert unterhalb 90 Euro) erzielen im Durchschnitt einen Fall- wert von 54 Euro.

Versorgungssituation im fach- ärztlichen Bereich

Die Identifi kation leistungshomo- gener Untergruppen innerhalb ein- zelner Facharztgruppen gestaltet sich komplexer als bei den Haus- ärzten aufgrund der Vielzahl der bereits in ihrer Grundausrichtung verschiedenartigen Fachgruppen.

Parameter, die das Leistungsspek- trum oder die Kriterien der Sub- gruppenbildung einer Fachgruppe

beschreiben, sind nicht ohne Wei- teres auf andere Fachgruppen über- tragbar. Eine umfangreiche Analyse der fachärztlichen Gruppen fi ndet zur Zeit statt, sodass an dieser Stelle nur die Methodik vorgestellt werden kann.

Am Anfang der Analyse steht die Bestandsaufnahme der Versor- gungssituation. Abbildung 3 und 4 machen deutlich, welche Bandbrei- te an Spezialisierungen beispiels- weise in der augenärztlichen oder frauenärztlichen Fachgruppe zu er- warten ist. Das Ausmaß der Hetero- genität überrascht nicht, vielmehr unterstreicht es die Notwendigkeit, stabile Strukturen zu identifi zieren und gegebenenfalls ihre Wirksam- keit auf die Honorarverteilung zu bewerten. Erkennbar sind verschie- dene Schwerpunkte, die sich zum Beispiel über die hohe Fallzahl cha- rakterisieren (wie etwa der Schwer- punkt Zytologie bei Frauenärzten) oder über hohe Fallwerte bei nied- rigen bis mittleren Fallzahlen (spe-

zialisierte Kataraktoperateure bei den Augenärzten). Erkennbar sind aber auch Ärzte mit sehr geringen Fallzahlen und geringen Fallwerten, die off ensichtlich unterdurchschnitt- lich an der Versorgung teilnehmen.

Wichtige Parameter zur Beschrei- bung der Versorgungssituation sind die Grundzahlen der Statistiken.

Tabelle 1 stellt die zentralen Kenn- zahlen der beiden Beispielfach- gruppen dar. Allein die Unterschei- dung in konservativ und operierend tätige Ärzte (das heißt ohne bezie- hungsweise mit erbrachten Leis- tungen der EBM-Kapitel 31.2 und/

oder 36.2) liefert bereits ein diff e- renzierteres Bild.

Im zweiten Schritt der Analyse werden die Spezialisierungen un- tersucht. So gewinnt man einen Einblick in die Struktur der Versor- gung einer Fachgruppe. Diese aus- diff erenzierte Darstellung des Leis- tungsspektrums erlaubt eine erste Bestimmung typischer Subgruppen.

Anschließend wird bewertet, ob sich die neu gebildeten Subgrup- pen auch tatsächlich ausreichend unterscheiden und ob die gewähl- ten Kriterien über mehrere Quar- tale hinweg zu analogen, also sta- bilen Ergebnissen führen. Wie das Beispiel der Augenärzte zeigt, kann die Unterscheidung in konservativ

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500

Der Fallwert in Abhängigkeit von der Fallzahl je Arzt für Augenärzte

Quelle: KVB Abbildung 3

Fallwert in Euro

Fallzahl je Arzt 200

400 600 800 1.000

0

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500

(11)

11 titeltheMa und operierend tätige Ärzte verfei-

nert werden. Die operierenden Au- genärzte werden wiederum unter- teilt in Ärzte mit kleinen und weni- gen Operationen, Ärzte mit mittle- ren Operationen und Ärzte mit gro- ßen Operationen mit einem hohen Anteil an Katarakt-Operationen.

Bei der Identifi kation der fachärzt- lichen Subgruppen spielt neben der Zusammensetzung der Leistungen oder den typischen Fallzahlprofi len auch das Verordnungsverhalten eine Rolle. Anhand typischer Ver- ordnungen kann der Versorgungs-

grad oder die Spezialisierung ge- nauer erfasst werden. Die aktuell stattfi ndenden Analysen berück- sichtigen folglich auch die Verord- nungssituation. Die Ergebnisse un- terstützen zudem die Validierung der Kriterien zu den Gruppenbil- dungen.

ausblick

Die Unterscheidung der Ärzte in der hausärztlichen Versorgung nach typischen und untypischen Haus- ärzten ist mit den vorliegenden Kri- terien möglich. Für die fachärztli-

chen Gruppen werden durch lau- fende Analysen ebenfalls Kriterien identifi ziert, die eine Unterteilung in Subgruppen abhängig von der Spezialisierung und dem Versor- gungsumfang erlauben.

Die Konsequenzen der Bildung ver- sorgungshomogener Subgruppen in einzelnen Fachgruppen sind viel- fältig. In erster Linie gilt es, den Ver- sorgungsgrad in der Bedarfsplanung in Bayern realistisch zu betrachten.

Zugleich off enbart die Identifi kation so grundlegender Leistungsunter- schiede innerhalb einer Fachgruppe ein Problem der Durchschnittsbe- trachtung, beispielsweise in der Prü- fungsvereinbarung. Der bisherige Vergleich der Wirtschaftlichkeit bei den Verordnungen berücksichtigt das inhomogene Versorgungs- und folglich auch Verordnungsverhalten einzelner Ärzte nicht ausreichend.

In der Analyse der typischen haus- ärztlichen Versorgung wurde zum ersten Mal ein dafür notwendiges Typisierungsprofi l erstellt. Die Er- gebnisse zeigen, dass ein erhebli- cher Teil der Hausärzte an der haus- ärztlichen Versorgung de facto nicht oder nur unwesentlich betei- ligt ist, was wiederum direkte Kon- sequenzen für die Beurteilung der Bedarfsdeckung und -planung hat.

Für eine regionale Honorargestal- tung, wie sie in der laufenden Ge- setzesreform diskutiert wird, soll- ten die hier gewonnenen Erkennt- nisse berücksichtigt werden. Eben- so hat die Defi nition des typischen oder des spezialisierten Arztes mit seinem charakteristischen Leis- tungsportfolio direkte Auswirkung auf eine EBM-Reform. Die bisherige Sicht auf die ärztliche Tätigkeit und ihre Bewertung bei Honorar- oder Bedarfsplanungsthemen steht an- gesichts der neuen Erkenntnisse grundlegend auf dem Prüfstand.

Dr. Roman Gerlach, Dr. Martin Tauscher (beide KVB) Kennzahlen der Statistik für Augenärzte und Frauenärzte, Quartal 1/2009

Augenärzte Frauenärzte

konservativ operierend konservativ operierend

Anzahl der Ärzte 223 579 883 625

Fallwert

in Euro Median 26 32 48 58

Mittelwert 26 78 52 62

Standard-

abweichung 5 139 32 26

Fallzahl

je Arzt Median 1.190 1.480 840 900

Mittelwert 1.220 1.520 1.130 1.140

Standard-

abweichung 570 670 2.470 1.320

Umsatz je Arzt in Tausend Euro

Median 31 57 42 53

Mittelwert 32 84 45 59

Standard-

abweichung 15 85 35 30

Quelle: KVB Tabelle 1

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500

Der Fallwert in Abhängigkeit von der Fallzahl je Arzt für Gynäkologen

Quelle: KVB Abbildung 4

Fallwert in Euro

Fallzahl je Arzt 100

200 300 400 500

0

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500

(12)

gesundheitsPolitiK 12

I

n der eher nüchternen Atmo- sphäre eines Besprechungsrau- mes im Jakob-Kaiser-Haus ka- men die beiden Diskutanten schnell auf ihre unterschiedlichen Stand- punkte zu sprechen, fanden aber erstaunlicherweise auch einige Ge- meinsamkeiten.

Enger: Herr Lauterbach, nach ei- nem Praktikum im Krankenhaus vor vielen Jahren habe ich gewusst: Ja, das ist das Richtige für mich, das möchte ich machen. Mein Ziel war nie die Wissenschaft, obwohl ich ja auch an einer Uni-Klinik tätig war. Aber ich wollte immer in die Patientenversorgung. Wie war Ihr Einstieg?

Lauterbach: Ich war immer sehr wissenschaftlich interessiert, schon als Schüler. Die Medizin bietet die Möglichkeit, etwas Nützliches zu machen, wo man den Menschen unmittelbar hilft, aber gleichzeitig auch wissenschaftlich arbeiten kann. Mir hat immer beides Spaß gemacht. Das war damals in den achtziger Jahren eine richtige Auf- bruchstimmung: eine sehr gute Zeit, um Medizin zu studieren.

Enger: Und warum haben Sie sich dann entschlossen, von den Patien- ten abzurücken?

Lauterbach: Ich habe damals im Rahmen meiner wissenschaftlichen Tätigkeit den Schwerpunkt auf vorbeugende Medizin gelegt. Nach dem Studium habe ich mich der Epidemiologie zugewandt, später dann Gesundheitsökonomie stu- diert. Danach war ich bereits so spezialisiert, dass das mit einer ehrbaren praktischen Tätigkeit ne- benher nicht vereinbar gewesen wäre. Ich wollte nicht klinischer Amateur sein, der 80 Prozent Wis- senschaft macht und 20 Prozent schlechte Medizin. Darum habe ich das aufgegeben. Aber ich lese trotz- dem noch immer jeden Tag medi- zinische Fachliteratur, bilde mich fort. Den theoretischen Teil einer internistischen Prüfung würde ich wohl auch heute noch auf Anhieb bestehen – aber die Praxis fehlt.

Das könnte ich heute keinem Pati- enten mehr zumuten. Aber ich bin immer noch fasziniert von der Me- dizin. Sie ist mein Hobby geworden.

Enger: Das unterscheidet Sie von meinen niedergelassenen Kollegin- nen und Kollegen, die mit ihrer ärzt- lichen oder psychotherapeutischen Tätigkeit den Lebensunterhalt ihrer Praxen und Familien erwirtschaf- ten müssen. Glauben Sie, dass in Deutschland die Ärzte zu viel ver- dienen?

Lauterbach: Nein. Das Durch- schnittseinkommen der deutschen Ärzteschaft bewegt sich im Korri- dor dessen, was ich für vernünftig halte. Ich plädiere nicht für eine Senkung der Einkünfte. Ich bin so- gar der Meinung, dass bestimmte Arztgruppen zu wenig verdienen.

Dazu zählen zum Beispiel Haus- ärzte, Kinderärzte, zum Teil auch Psychotherapeuten, Ärzte, die in Problemregionen arbeiten, auch Fachärzte, die zum Beispiel in länd- lichen Gebieten arbeiten, die also auch mit hohen Arbeitszeiten nicht das erwirtschaften, was woanders möglich wäre. Die Einkünfte sind nicht gerecht verteilt, aber das Durchschnittseinkommen würde ich nicht als zu hoch betrachten.

Enger: Oh, das sind ja ganz neue Töne von Ihnen. Kürzlich haben Sie sogar von einem Ärztemangel gesprochen, den Sie früher noch negiert haben.

Lauterbach: Wir haben eine Fehl- verteilung in der Ärzteschaft. Wir haben Über-, Unter- und Fehlver- sorgung von Haus- und Fachärz- ten nebeneinander. Wir haben eine sehr ungleiche Einkommensvertei- lung. Und wir haben zusätzlich mittelfristig das Problem des de- mographischen Wandels, sodass wir dann deutlich zu wenig Haus-

Der Mediziner und SPD-Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Dr. Karl Lauter- bach ist seit vielen Jahren eine feste Größe in der gesundheitspolitischen Debatte in Deutschland. KVB-Vorstand Dr. Ilka Enger traf den Politiker, dessen Marken- zeichen die rote Fliege am Hemdkragen ist, in Berlin. Die beiden Mediziner lieferten sich einen Schlagabtausch über Medizin im Allgemeinen und Gesund- heitspolitik im Speziellen. KVB FORUM war dabei.

„wir Brauchen die riesen-

reforM aus eineM guss”

(13)

13 gesundheitsPolitiK ärzte haben – und zwar fast unab-

hängig vom heutigen Verteilungs- problem. Wir müssen die Zahl der Medizinstudenten um mindestens 3.000 pro Jahr erhöhen. Denn bei der Verweiblichung des Berufs und bei der damit einhergehenden Inanspruchnahme von Teilzeitbe- schäftigungen werden wir mittel- fristig in einen Ärztemangel geraten.

Enger: Also ich glaube nicht, dass uns das letztendlich viel nützt. Denn das Hauptproblem ist doch, dass der medizinische Nachwuchs nicht in Deutschland bleibt, sondern sich ins Ausland absetzt oder in medi- zinfernere Bereiche wie zum Bei- spiel die Gesundheitsökonomie wechselt, weil er die finanzielle Si- cherheit vermisst. Sie dürfen den Ärztemangel nicht nur darauf schie- ben, dass die Medizin weiblicher wird. Ich denke, auch Frauen sind durchaus in der Lage, eine Praxis zu führen, wenn die Praxistätigkeit finanzielle Sicherheit bietet. Eine Niederlassung bedeutet ein hohes persönliches finanzielles Risiko. Die- sem Risiko muss eine gewisse Per- spektive und eine relative finanzi- elle Sicherheit entgegenstehen, da- mit man das Risiko überhaupt tra- gen kann. Dies geht unseren Stu- denten ab. Auch die Furcht vor Re- gressen hält zum Beispiel viele da- von ab, sich überhaupt in eigener Praxis niederzulassen.

Lauterbach: In allen Industrielän- dern ist es so – und nicht nur beim Arztberuf, auch bei Physikerinnen, Mathematikerinnen, Juristinnen –, dass Frauen wegen der Vereinbar- keit von Familie und Beruf häufiger nach einigen Jahren Vollzeittätig- keit in eine Teilzeittätigkeit wech- seln. Ich halte das übrigens auch nicht für beklagenswert, sondern davon profitiert die Gesellschaft in der Summe. Und nachdem der An- teil an Frauen im Medizinstudium sehr stark ansteigt, muss ich dafür kompensatorisch mehr Studentin-

nen und Studenten zulassen. Es ist doch so: Wir könnten das Ein- kommen der Ärzte verfünffachen und würden trotzdem noch fest- stellen, dass mehr Ärztinnen Teil- zeit arbeiten als Ärzte. Wenn Sie es so darstellen, als würden die Frauen nur deshalb aus dem Beruf früher aussteigen, weil sie Angst vor Arzneimittelregressen und Sorge vor einer Praxispleite haben – ich glaube, das ist zu kurz ge- sprungen …

Enger: Stopp, stopp! Erstens habe ich vom ärztlichen Nachwuchs ge- sprochen – nicht nur vom weibli- chen ärztlichen Nachwuchs. Und zweitens habe ich über finanzielle Sicherheit und nicht nur über Geld geredet.

Lauterbach: Niemand wird bestrei- ten, dass es finanzielle Sicherheit geben muss. Aber wenn wir jetzt den Fehler machen, das Nach- wuchsproblem auf die Beseitigung der Arzneimittelregresse und der Erhöhung der Honorare zu veren- gen, verlieren wir viel Zeit. Wir müs- sen auch die Zahl der Medizinstu- denten erhöhen.

Enger: Damit lösen wir aber nicht das akute Problem, das in Bayern

dr. ilka enger im gespräch mit Professor dr. dr.

Karl lauterbach, dessen ansich- ten gerade bei niedergelasse- nen ärzten und Psychotherapeu- ten teilweise umstritten sind.

in zwei bis drei Jahren auf uns zu- kommt: Immer mehr Kollegen sind über 60 Jahre alt und überlegen jetzt, aufzuhören. Daran ist auch die zunehmende Bürokratie im Praxisalltag schuld.

Lauterbach: Also ich habe zum Beispiel die jetzt in der Diskussion befindliche Kodierrichtlinie kriti- siert. Die Art der Kodierung, die vorgesehen ist, ist für eine einfa- che Praxis zu kompliziert. Denn man muss unterscheiden zwischen einer DRG-Kodierung im Kranken- haus und der Kodierung in einer Praxis. Wenn ich eine große Ope- ration durchführe, die sechs, sie- ben Tausend Euro kostet, müssen die Kodieranforderungen höhere sein, als wenn ich einen Praxisbe- such abwickle, bei dem es darum geht, einen Bluthochdruck einzu- stellen. Und die Kodierrichtlinien scheinen mir für die Praxis ein Overkill zu sein. Daher trete ich für eine Entbürokratisierung in die- sem Bereich ein. Aber: Es bringt nichts, jetzt darüber zu philoso- phieren, wie das alles so gekom- men ist. Ich könnte jetzt ausfüh- ren, dass ein großer Teil der Büro- kratie im System in der Praxis von der Selbstverwaltung kommt – und zwar durch das Misstrauen der

(14)

gesundheitsPolitiK 14

Krankenkassen, der Kassenärztli- chen Vereinigungen und der Fach- verbände. Das ist meine persönli- che Meinung. Aber das spielt kei- ne Rolle hier, denn wir können das ja politisch lösen, indem wir etwas Einfacheres machen. Da hätte ich auch entsprechende Vorschläge … Enger: Zum Beispiel?

Lauterbach: Ich persönlich trage schon seit Jahren vor, dass wir ein System brauchen, das mehr As- pekte einer Kostenerstattung ent- hält und in dem in Euro und nicht mehr in Punktwerten oder EBM- Werten abgerechnet wird. Das System muss einfacher und trans- parenter sein. Ein solches System halte ich aus drei Gründen für wich- tig. Erstens: Es muss für Ärzte wie für Patienten mehr Transparenz hergestellt werden, was welcher Eingriff, welche Behandlung ge- kostet hat. Zweitens: Die Abrech- nung muss kontrollierbar sein für alle Beteiligten. Und Drittens: Es kann nicht angehen, dass sich ein kompliziertes, als ungerecht emp- fundenes Verhandlungsgebilde zur

Abrechnung in der Selbstverwal- tung entwickelt, das von den Ärz- ten und den Patienten abgelehnt wird und für das wir als Politiker ständig den Kopf hinhalten sollen.

Wieso eigentlich? Wieso nicht ein simples System, das auch Grund- züge einer GOÄ für alle enthält?

Enger: Ich bin ganz fasziniert.

Denn das Gesundheitskonto, das wir gerade in Bayern entwickeln, geht genau in diese Richtung. Und was halten Sie von der Budgetie- rung? Denn dem Kostenerstat- tungsmodell wird ja immer unter- stellt, es würde eine Kostenexplo- sion verursachen. Und auch an die Vorkasse-Diskussion kann ich mich gut erinnern.

Lauterbach: Ein Vorkasse-System halte ich für ungerecht. Denn wir wissen ganz genau, dass gewisse Patienten, wenn sie Vorkasse leis- ten müssen, nicht mehr zum Arzt gehen. Auch die internationale Studienlage zeigt: Ältere Men- schen mit geringem Einkommen gehen nicht mehr zum Arzt, wenn Vorkasse geleistet werden muss.

Darum bin ich gegen Vorkasse.

Enger: Vollkommen richtig. Aber leider wurde die Kostenerstattung ja oft mit Vorkasse in einen Topf geworfen.

Lauterbach: Aber nicht von mir!

Die SPD tritt schon seit Jahren da- für ein, dass wir ein GOÄ-ähnli- ches Honorarsystem für alle ent- wickeln. Das muss dann aber für gesetzlich und für privat Versi- cherte gelten. Es kann keine zwei Systeme nebeneinander geben. In einer Bürgerversicherung brau- chen wir ein simples und unbüro- kratisches Honorarsystem für alle.

Und ein solches System muss so entwickelt werden, dass der Ärz- teschaft insgesamt kein Honorar verloren geht. Es darf nicht zu ei- ner Art Honorarkürzung durch die

Hintertür kommen. Das heißt also:

Die Einkommensausfälle, die es für Privatversicherte gibt, wenn das neue System nicht identisch ist mit der GOÄ der Privatversi- cherten, müssen kompensiert werden durch Mehrzahlungen für gesetzlich Versicherte. Das Sys- tem darf der Ärzteschaft im Gan- zen kein Geld entziehen und die Abrechnung muss einfacher, trans- parenter und für alle gleich sein.

Davon haben die Patienten etwas, weil die verhasste Form der Zwei- Klassen-Medizin, zum Beispiel die schnellere Terminvergabe für Pri- vatpatienten, wegfällt. Und davon haben die Ärzte etwas, insbeson- dere weil alles viel weniger büro- kratisch ist und man dann auch auf einen großen Teil der Budgets verzichten könnte.

Enger: Das hören die Kollegen in den Praxen sicher gerne. Denn die Budgets setzen uns ja alle unter permanenten Druck. Bisher ist das Argument der Politik doch im- mer: Ohne Budgetierung würde es zu starken Mengenausweitungen kommen und die Kosten würden explodieren. Wie sehen Sie das?

Lauterbach: Ich halte ein starres Budget, so wie wir es jetzt haben, für falsch. Es ist nicht vermittel- bar, dass ab einem bestimmten Punkt die Leistung nicht mehr ver- gütet wird. Und ich halte auch die Art und Weise der jetzigen Pau- schalierung für falsch. Denn das jetzige System belohnt den faulen Arzt, der die Pauschale abkassiert, aber möglichst wenig macht. Für einen Ökonomen wie mich ist das kein intelligentes System. Ein bes- seres System muss mit der Ärzte- schaft gemeinsam entwickelt wer- den. Darum bin ich auch ständig in Gesprächen mit den Praktikern.

Die Honorarordnung muss grund- überholt werden. Die Grundinten- tion ist ein simples System mit ei- ner Art Kostenerstattung ohne Professor dr. dr.

Karl lauterbach ist seit 2005 Mitglied des deutschen Bun-

destags und dort Mitglied im ausschuss für gesundheit.

(15)

15 gesundheitsPolitiK Vorkasse für alle: mit einer Euro-

Abrechnung und mit einer Form der Mengenbegrenzung, die aber keine strengen Budgets mehr vor- sieht. In diese Richtung denken wir in der SPD, aber es wäre unse- riös, jetzt mehr ins Detail zu gehen.

Enger: Ein anderes Thema, das uns niedergelassenen Ärzten auf den Nägeln brennt, ist die Ambulante Spezialärztliche Versorgung. Die müsste ja eigentlich Ihren Vorstel- lungen entsprechen. Denn ich ha- be mal von Ihnen gehört: Jeder Pa- tient, der es nötig hat, sollte seinen Spezialisten, seinen Professor se- hen können.

Lauterbach: Ich würde es jetzt nicht unbedingt am Professor fest- machen. Aber was wir in Deutsch- land sehen können, ist, dass ein großer Teil der Privatversicherten in den Uni-Kliniken ambulant ver- sorgt wird. Im Gegensatz dazu gibt es schwer kranke gesetzlich Versi- cherte, die im gesamten Verlauf ihrer Patientenkarriere nie einen Top-Spezialisten sehen. Nicht je- der Fall braucht einen Top-Spezia- listen. Aber es muss für jeden schweren Fall zumindest möglich sein – egal, wie er versichert ist – irgendwann einmal einen Termin bei einem Top-Spezialisten zu be- kommen. Und dieser Zugang ist in Deutschland zu wenig durchlässig.

Da hängt zu viel vom Glück ab. Der gebildete gesetzlich Versicherte kann oft noch seine Kontakte und seine Artikulationsfähigkeit einset- zen, um im System klarzukommen.

Aber bei anderen hängt es wirk- lich allein vom Geschick des Haus- arztes ab und von dessen Zugang zum System.

Enger: Aber was halten Sie denn nun vom neuen Paragraphen 116 b, wie er im GKV-Versorgungsstruk- turgesetz vorgesehen ist?

Lauterbach: Ich halte die neue

116b-Regel ehrlich gesagt für schlechter als die alte 116b-Regel.

Denn diese war eine konservative Regel, dank der die Möglichkeit er- öffnet wurde, bei sehr seltenen und schweren Erkrankungen für eine ambulante Versorgung einen Spezialisten in der Klinik aufzusu- chen. Das war medizinisch gut de- finiert durch die Selbstverwaltung.

Die Politik hatte damit nichts zu tun, denn wir haben die Erkran- kungen nicht ausgesucht. Das war eine Ergänzung des bestehenden Angebots. Jetzt ist es komplizier- ter. Denn jetzt wird plötzlich auch innerhalb der ambulanten Ärzte- schaft zwischen Ärzten, die diese spezialärztliche Versorgung anbie- ten können, und solchen, die es nicht können, unterschieden. Und die Kriterien dafür, wer das darf und wer nicht, scheinen mir nicht klar zu sein.

Enger: Ich würde mir für die Zu- kunft unseres Gesundheitswesens eine Mischung aus dem Schweizer und dem französischen Modell wünschen. Was mir bei den Fran- zosen gut gefällt, ist, dass die nach- schauen, was sie tun. Politiker wie Sie sagen immer, Präventionsme- dizin sei wichtig. Ich denke, dass in Deutschland sehr viel Präventi- onsmedizin gemacht wird, aber ohne nachzuschauen, was wirklich dabei herauskommt. Am Schweizer Modell halte ich für nachahmens- wert, dass die Leute einen Beitrag in ihre Krankenkasse zahlen, der nicht abhängig ist von ihrem Ein- kommen, und dass man dann ver- sucht, diesen Beitrag sozial abzu- federn. Was würden Sie tun, falls Sie in einigen Jahren Bundesge- sundheitsminister werden sollten?

Lauterbach: Das ist eine rein hy- pothetische Frage. Die SPD hat ei- ne Menge guter Leute, die eine solche Position bekleiden könn- ten. Aber grundsätzlich gilt: Wir brauchen diesmal eine Riesenre-

form aus einem Guss. Wir brauchen eine Neuordnung der Finanzierung, die zukunftsfest ist und endlich der Tatsache Rechnung trägt, dass wir die demographische Alterung im bestehenden System nicht be- zahlen können. Der demographi- sche Wandel in unserer Gesell- schaft wird sich in den nächsten fünfzehn Jahren so stark beschleu- nigen, dass dies das jetzige Finan- zierungssystem nicht trägt. Des- halb ist es notwendig, das Verhält- nis von privater und gesetzlicher Krankenversicherung neu im Sin- ne einer Bürgerversicherung zu ordnen. Wir brauchen auch drin- gend Maßnahmen, um die Gesund- heitsberufe attraktiver machen, und zwar sowohl in der Pflege als auch im ärztlichen Bereich. Und in der Bevölkerung müssen wir die Vorbeugemedizin deutlich stärken.

Denn das ist der wichtigste Schritt gegen die Pflegebedürftigkeit. Vie- le Probleme sind liegen geblieben.

Schon in der großen Koalition ging es am Ende nur noch langsam vor- an, weil wir uns mit der Union nicht mehr einigen konnten. Und unter Schwarz-Gelb hat es meiner Mei- nung nach einen Stillstand gege- ben. Denn wir hatten in der großen Koalition mehr Einigkeit als jetzt zwischen Schwarz-Gelb, insbe- sondere zwischen FDP und CSU, herrscht. In der Gesundheitspoli- tik ist ein gefährlicher Stillstand eingetreten, ein Reformstau – und das, obwohl die Probleme immer größer werden. Die nächste Legis- laturperiode wird für unser Gesund- heitssystem eine ganz entschei- dende werden.

Redaktion

(16)

gesundheitsPolitiK 16

B

essere Zeiten kommen nicht von selbst“ – unter diesem Motto hatte der AOK-Bun- desverband im September ausge- wählte Journalisten zu einem Pres- seseminar eingeladen. Dabei sorg- te eine Umfrage zu Wartezeiten bei Ärzten, vorgestellt vom neuen Vor- standsvorsitzenden des AOK-Bun- desverbands, Jürgen Graalmann, für reichlich Aufregung. Die Zu- sammenfassung der Umfrage un- ter dem Titel „Budgetvorgaben, Ar- beitsbelastung und Praxisöffnungs- zeiten am Quartalsende“ ist zu fin- den auf der Internetseite der AOK und lohnt einen genaueren Blick (http://www.aok-bv.de/presse/

veranstaltungen/2011/index_

06491.html).

repräsentative Befragung?

Lediglich 172 Fachärzte und 150

„APIs“ – also „Allgemeinärzte, Praktische Ärzte und Internisten“, sprich Hausärzte – wurden bun- desweit befragt. Das sind rund 0,2 Prozent der über 137.000 Vertrags- ärzte in Deutschland. Ob man hier

noch von einer „repräsentativen Be- fragung“ sprechen kann, ist fraglich.

So hat beispielsweise aus Bremen ein Facharzt, aber kein einziger Hausarzt an der Befragung teilge- nommen. Sachsen-Anhalt ist nur mit je einem Haus- und Facharzt vertreten. Und während überdurch- schnittlich viele Frauenärzte an der Befragung teilgenommen ha- ben, waren die Neurologen mit nur zwei Teilnehmern stark unterdurch- schnittlich vertreten.

Interessantes Detail am Rande: Von den befragten Haus- und Fachärz- ten gaben etwa zwei Drittel an, ei- nen Privatpatientenanteil von über zehn Prozent zu haben. Doch trotz dieses recht großen Privatpatien- tenanteils sagen rund 90 Prozent der Befragten, dass Budgetvorga- ben die Arzt-Patienten-Beziehung belasten – ein Ergebnis, das durch- aus auch berichtenswert gewesen wäre.

einsatz für Patienten

Für das meiste Aufsehen sorgten jedoch die Aussagen, wonach sich Ärzte nicht genug Zeit für Kassen- patienten nehmen. Am mangeln- den Engagement kann das aller- dings nicht liegen: Denn laut Stu- die arbeiten niedergelassene Ärz- te ausgesprochen viel, etwa ein Sechstel von ihnen sogar über 70 Stunden pro Woche. Eine klassi- sche 40-Stunden-Woche haben hingegen gerade einmal fünf Pro- zent der Hausärzte und neun Pro- zent der Fachärzte.

Danach gefragt, auf welche Tätig- keiten sich diese Wochenarbeits- zeit wie verteilt, gaben die Befrag- ten an, rund 55 Prozent ihrer Zeit für vertragsärztliche Leistungen für Kassenpatienten aufzuwenden.

Und das scheint AOK-Chef Graal- mann zu wenig zu sein. Wollte man allerdings auf die von Graalmann geforderten 51 Stunden Wochen- arbeitszeit allein für GKV-Versi- cherte kommen, müssten die Ärz- te, entsprechend ihrer realisti- schen Einschätzung des Zeitbe- darfs der übrigen ärztlichen Tätig- keiten, künftig mindestens 80 Stunden pro Woche arbeiten. Doch so weit, dies zu fordern, wollte der neue Chef des AOK-Bundesver- bands dann doch nicht gehen.

Kritik des KVB-Vorstands In einer Presseinformation übte der Vorstand der KVB deutliche Kritik an der Studie und den Schlüssen, die der Chef des AOK- Bundesverbands daraus gezogen hat: „Zum Glück wissen die Pati- enten richtig einzuschätzen, dass es die Haus- und Fachärzte sind, die sie gut medizinisch betreuen – und nicht die Funktionäre selbst ernannter ‚Gesundheitskassen’.

Wir fordern Herrn Graalmann auf, seine unsäglichen Behauptungen umgehend richtig zu stellen und sich bei der Ärzteschaft zu ent- schuldigen.“

Martin Eulitz (KVB)

Für Schlagzeilen sorgte im September eine Umfrage im Auftrag des AOK-Bun- desverbands. Tenor war, dass zu lange Wartezeiten auf Arzttermine vor allem darauf zurückzuführen seien, dass insbesondere Fachärzte zu wenig für GKV- Versicherte da seien. Was steckt dahinter?

die ergebnisse einer fünfminüti-

gen online-Be- fragung, an der lediglich knapp über 300 ärzte teilnahmen, war für den aoK- Bundesverband anlass, die war- tezeiten in deut- schen Praxen zu kritisieren.

fragwürdige Befragung

(17)

17 gesundheitsPolitiK

A

ufbruch in der Gesundheits- wirtschaft: Konsequent pro Patient“ lautet das Motto des 10. Europäischen Gesundheits- kongresses München, der am 13.

und 14. Oktober im Hotel Hilton München Park stattfindet. Die ge- planten Gesetzesentwürfe in die- sem Jahr bieten ausreichend Stoff für spannende Diskussionen und Vorträge: Versorgungsgesetz, Pfle- gegesetz und Patientenrechtege- setz zielen gemeinsam auf eine ver- besserte medizinische Versorgung in Deutschland ab.

Die weibliche Sicht der niederge- lassenen Praxen wird auf dem Kon- gress durch die zweite stellvertre- tende Vorstandsvorsitzende der KVB, Dr. Ilka Enger, in einem eige- nen Symposium beleuchtet. Am Freitagnachmittag diskutiert sie ge- meinsam mit Alois Stöger, dem ös- terreichischen Bundesminister für Gesundheit, und Georg Heßbrügge von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank sowie Dr. Kerstin Blasch- ke vom Freien Verband Deutscher Zahnärzte über Job-Perspektiven, Arbeitszeitmodelle und Niederlas- sungsoptionen für Ärztinnen.

Stöger wird auf die Situation der österreichischen Ärztinnen einge- hen, während Heßbrügge zum Thema „Wirtschaftliche Selbst- ständigkeit und Work-Life-Balance“

referiert. Neben aktuellen Zahlen und Analysen aus Bayern wird En- ger auch Handlungsoptionen auf- zeigen, die den „niederlassungs- willigen“ Frauen den Einstieg in die Freiberuflichkeit erleichtern sollen. Stichwort in diesem Zu- sammenhang ist die Entbürokrati- sierung, die sich der Vorstand der KVB mit Beginn seiner Amtsperio- de auf die Fahnen geschrieben hat. Neben den aktuellen Maßnah- men der KVB geht Enger insbe- sondere auf ihre persönlichen Er- fahrungen, die sie mit ihrer eige- nen Praxis in den letzten Jahren gesammelt hat, ein.

KVB-Vorstand nutzt Kongress für politische Botschaften Auch der Vorstandsvorsitzende der KVB, Dr. Wolfgang Krombholz, und sein erster Stellvertreter, Dr.

Pedro Schmelz, sind mit Vorträ- gen und Diskussionsrunden auf dem Kongress vertreten. Kromb- holz wird in seinen Impulsrefera- ten den Fragen nachgehen, ob das Versorgungsgesetz „mehr Ärzte aufs Land schafft“ und wie die Qualitätssicherung in der haus- ärztlichen Versorgung weiterent- wickelt werden soll. Schmelz dis- kutiert im Panel „Flächendeckung aber wie? Was Telemedizin und mobile Versorgung leisten kön- nen“ mit den gesundheitspoliti-

schen Sprechern des bayerischen Landtags und referiert in einem weiteren Part zum Thema Notfall- versorgung.

Friederike Kalle (KVB)

Welche Job-Perspektiven bieten sich für Freiberufler und Angestellte an? Was leisten Arbeits- zeitmodelle und Niederlassungsoptionen? Und was ist bei der Praxisübernahme und -finan- zierung zu beachten? Diese Fragen stehen unter anderem im Mittelpunkt eines Symposiums

„Weibliche Medizin“ auf dem Europäischen Gesundheitskongress in München, zu dem alle KVB-Mitglieder herzlich eingeladen sind.

wird die Medizin weiBlicher, KooPe- ratiVer und KoMMuniKatiVer?

anmelden und mitdiskutieren!

Das Symposium im Rahmen des 10. Europäischen Gesundheitskongress München mit Dr. Ilka Enger findet am Freitag, 14. Oktober, von 13.30 bis 15.30 Uhr im Hotel Hilton München Park, Am Tucherpark 7, statt. Alle Mitglieder der KVB sind herzlich eingeladen. Der Eintritt zum Symposium ist für sie frei.

Anmeldung: Per Fax an 0 89 / 54 82 34 43 oder per E-Mail an info@gesundheitskongress.de.

Stichwort: Symposium „Weibliche Medizin“.

Weitere Informationen zum Kongress und das aktuelle Programm finden Sie unter

www.gesundheitskongress.de.

(18)

KVB intern 18

A

usgangspunkt war die un- befriedigende Situation, dass gegen die sachlich- rechnerische Richtigstellung in je- dem Quartal eine große Menge an Widersprüchen einging und die Pra- xen für die korrekte Durchführung der streng am Einheitlichen Bewer- tungsmaßstab (EBM) ausgerichteten Abrechnung eine Vielzahl von Fall- stricken beachten müssen. Seit 1. Juli ist der neue Abrechnungs- prozess im Echtbetrieb und liefert bereits erste positive Ergebnisse.

Herr Eck, was wird für die KVB- Mitglieder bei der Quartalsab- rechnung komfortabler?

Wir haben das bisherige Vorgehen genau durchleuchtet und sozusagen einmal auf den Kopf gestellt: Lag es bisher in der alleinigen Verantwor- tung der Praxen, die oft hoch kom- plizierten Abrechnungsbestimmun- gen zu beachten, gehen wir zukünf- tig aktiv auf unsere Mitglieder zu, sobald wir Abrechnungsauffälligkei- ten bemerken. Sie haben dann die Chance, zeitnah ihre Abrechnung zu korrigieren, ohne schon formal Widerspruch einlegen zu müssen.

Für welchen Zeitraum gilt das?

Innerhalb der ersten vier Wochen nach Abgabe der Abrechnung kön-

Für den Vorstand der KVB steht eine mitgliederorientierte Ausrichtung der Organisation an vorderster Stelle. Einer der wichtigsten Bereiche ist dabei die Abrechnung. Nach einer Klausurtagung des Vorstands im Februar erhielt die Verwaltung den Auftrag, das Abrechnungsprozedere neu aufzusetzen und die Bedürfnisse der Praxen stärker ins Zentrum zu rücken. Der Leiter des zuständigen Kompetenzzentrums, Georg Eck, erklärt im Interview, wie das gelingen soll.

georg eck arbei- tet seit 1980 bei der KVB. als lei-

ter des Kompe- tenzzentrums abrechnung war er maßgeblich an der neuaus-

richtung des abrechnungs- service beteiligt.

durch mehr Beratung sollen den Praxen künftig viele widersprüche erspart werden.

Mehr MitgliederserVice

Bei der aBrechnung

(19)

19 KVB intern nen wir Korrekturwünsche noch für

die laufende Abrechnung berück- sichtigen. Nach diesem Zeitpunkt können Korrekturanträge bis einen Monat nach Zustellung des Hono- rarbescheids gestellt werden, die wir in die folgenden Abrechnungen mit einbeziehen.

Machen die Praxen schon Ge- brauch davon?

Und wie! Allein für das Quartal 2/2011, in dem die Regelung erst- mals gültig war, haben wir etwa 2.400 Korrekturwünsche unbüro- kratisch in die laufende Abrech- nung einarbeiten können.

Kamen die Mitglieder alle von sich aus auf die KVB zu?

Nein, wir haben zwischen Anfang

Juli und Mitte August 12.900 Praxen von uns aus kontaktiert, um mit ihnen Auffälligkeiten in ihrer Ab- rechnung zu besprechen, das ent- spricht etwa 70 Prozent aller ab- rechnenden Praxen überhaupt.

Meistens geschah das telefonisch, ansonsten über Fax oder E-Mail.

Das klingt nach einer längeren Vorbereitungszeit sowohl inhalt- licher als auch organisatorischer Art.

In der Tat mussten wir zuerst eine ganze Reihe von Voraussetzungen schaffen, um einerseits schnell, andererseits rechtlich und sachlich einwandfrei agieren zu können.

Wichtigste Prämisse war sicher die Anpassung der Abrechnungsbe- stimmungen durch die Vertreter- versammlung am 2. April 2011.

Dem vorangegangen waren Vorun- tersuchungen und die Skizzierung von verschiedenen Szenarien als Entscheidungsvorlage für den Vor- stand. Unmittelbar nach der Vertre- terversammlung startete eine Pilot- und Testphase für das Quartal 1/2011, in der wir mit 4.500 Pra- xen Kontakt aufgenommen haben.

Es ist selbstverständlich, dass so etwas nur gemeinsam mit allen anderen Organisationseinheiten der KVB zu leisten ist.

Sie sprechen von Auffälligkeiten in der Abrechnung. Was kann man sich darunter vorstellen?

Wir haben zuerst sogenannte Auf- greifkriterien definiert, nach denen wir die Abrechnungen durchforsten.

Dies betrifft beispielsweise fehler- haft angesetzte Praxisgebühren,

„ Fehlende Angaben beziehungsweise falscher Ansatz von Leistungen

Beispiele:

„ fehlender beziehungsweise falscher OPS- Code, ICD-10-Code etc.

„ falsche Leistungen, unter anderem Zahlen- dreher, fehlende Hauptleistung, fachfremde Leistungen, fehlerhafte Zuordnung von Post- OP-Leistungen (Operateur beziehungsweise Überweiser), Leistung nicht in den EBM- Bestimmungen enthalten

„ Falsche Scheinart (Scheinuntergruppe) Beispiele:

„ Leistungen wurden versehentlich „ambulant“

statt „stationär“ abgerechnet

„ Originalschein statt Notfallschein angelegt etc.

„ Falscher Ansatz von Patientendaten Beispiel:

„ fehlerhaftes Geburtsdatum, Geschlecht etc.

(relevant bei Prüfung der Altersgrenze)

„ Genehmigungs-/Qualifikationsvorausset- zungen sind wider Erwarten gegeben:

Beispiel:

„ Nachweis der Praxis liegt vor und kann umgehend zugefaxt oder vorgelegt werden

„ Falsche Kennzeichnung Beispiele:

„ LANR-Kennzeichnung

„ BSNR-/NBSNR-Kennzeichnung

„ Fehlerhaft abgerechnete Sachkosten

„ Fehlerhaft angesetzte Praxisgebühr Beispiel:

„ Scheinarten, auf denen in der Regel keine Praxisgebühr erhoben wird

„ Fehlender Behandlungsausweis eines Besonderen Kostenträgers

Bei anruf Korrektur

Im Folgenden haben wir Ihnen die möglichen Korrektursachverhalte, bei denen die KVB entsprechend den Durchführungsrichtlinien aktiv wird, zusammengestellt.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

• Integration internationaler Dimensionen (= Internationalisierung) ist eine der Querschnittsaufgaben in einer hochschulweiten Strategie. • Internationalisierung erfolgt in

primär für regionale KMUs und erst sekundär für internationale Unternehmen und ausländische Hochschulen. Promotionsprogramme mit ausländischen Hochschulen bieten Perspektiven

gegründet 1737, 24.100 Studierende, 431 Professuren, 13 Fakultäten Seit 2003 in der Trägerschaft einer Stiftung Öffentlichen Rechts. • Schwerpunkt auf Forschung

Impulsbeitrag Handlungsfeld Beratung & Unterstützung Abschlusskonferenz HRK-Audit Internationalisierung

 Jede Hochschule wird eine umfassende Internationalisierungs- strategie benötigen, die die Transnationalität der Hochschule als Ganzes zum Ziel hat?. Internationale Strategie

Zweig unternahm viele Reisen um die ganze Welt, sein Lebensmittelpunkt blieb aber lange Zeit seine Geburtsstadt Wien, später zog er nach Salzburg. Im Nationalsozialismus wurden

Stefan Zweig war sehr gut vernetzt und hat sich auch selbst aktiv darum bemüht, dass seine Werke übersetzt wurden4. Außerdem schrieb er oft über historische Ereignisse

73 Und ich der ich dies Lied dir singe 74 Bin wohl dem treuen Knaben gleich, 75 Vertrau mir Vöglein, denn ich bringe 76 Dich noch auf einen grünen Zweig?. Das Gedicht „Auf einen