ARZNEIMITTELÜBERWACHUNG
Ein Schritt nach vorn
Die Europäische Union will die Arzneimittelüberwachung verbessern.
Ärzte und Patienten sollen von 2013 an über das Internet Zugriff auf umfassende und unabhängige Informationen bekommen.
E
nde September 2004 kündig- te das Pharmaunternehmen MSD-Sharp & Dohme an, das Schmerzmittel Vioxx® vom Markt zu nehmen, nachdem sich heraus- gestellt hatte, dass Patienten nach Einnahme des Medikaments ein er- höhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse aufwiesen. Der Fall des Antirheumatikums zeigte erneut, wie wichtig die strenge Überwa- chung eines Arzneimittels nach des- sen Markteinführung ist, um uner- wünschten Arzneimittelwirkungen auf die Spur zu kommen, die bei der klinischen Prüfung eines Produkts nicht aufgetreten sind.Neben Angehörigen von Ge- sundheitsberufen sollen sich künf- tig auch die Bürger der Europä - ischen Union (EU) intensiver an der Arzneimittelüberwachung be- teiligen, indem sie vermutete un - erwünschte Wirkungen an ihre na- tionale Arzneimittelüberwachungs- behörde senden. Das Europäische Parlament (EP) hat kürzlich ent- sprechende Vorschriften verabschie - det. Die Zustimmung durch den
Ministerrat ist reine Formsache. Da - mit können die Regelungen Mitte 2012 in Kraft treten.
Zu den Neuerungen gehört, dass die Arzneimittelhersteller alle Infor- mationen über in der EU oder in Drittstaaten zugelassene Arzneimit- tel an die zentrale Datenbank Eudra- vigilance bei der Europäischen Arz- neimittelbehörde in London senden.
Die Datenbank soll mit den nationa- len Arzneimittelportalen in den EU- Mitgliedstaaten verlinkt werden. Die Industrie begrüßte die Änderung:
„Das ermöglicht bessere und frühere Analysen und vereinfacht den Auf- wand bei den Firmen, aber auch den Behörden“, sagte Dr. rer. nat. Elisa- beth Storz vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa).
Die Pflicht zur Meldung betrifft künftig auch Reaktionen, die bei Medikationsfehlern oder im off - label use aufgetreten sind. Die Pharmafirmen müssen überdies re- gelmäßig aktualisierte Berichte über die Unbedenklichkeit ihrer Arznei- mittel liefern. Storz geht davon aus, dass das Meldevolumen deutlich Noch nur für Heil-
berufe: Die Meldefor- mulare über uner- wünschte Arzneimit- telwirkungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Me-
dizinprodukte fragen detaillierte medizini-
sche Angaben ab.
Künftig sollen aber auch die Bürger Ne- benwirkungen melden
können.
größer wird. „Durch eine höhere Zahl von Fallberichten wird die Su- che nach der Nadel im Heuhaufen allerdings nicht einfacher werden“, kritisierte die Arzneimittelsicher- heitsexpertin des vfa.
Das sieht die Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ähnlich. Dennoch begrüßte deren Vorsitzender, Prof. Dr. med.
Wolf-Dieter Ludwig, grundsätzlich die geforderte neue Transparenz.
Denn Ärzte, Apotheker und ande - re Heilberufe sollen ebenso wie Patienten künftig über ein öffent- lich zugängliches Webportal In - formationen über einzelne Arz - neimittel in allen Landessprachen der EU abrufen können. Das gilt für Beipackzettel und Fachinfor- mationen ebenso wie für Hinwei - se auf vermutete Nebenwirkungen und Risikomanagementpläne. Die Packungs beilagen von neu zugelas- senen Arzneimitteln oder von Prä- paraten mit einem speziellen biolo- gischen Wirkstoff sollen ein schwar - zes Symbol sowie den Hinweis ent- halten: „Dieses Produkt untersteht einer zusätzlichen Überwachung.“
Die Errichtung einer europä - ischen Datenbank mit umfassenden und unabhängigen Informationen ist nach Meinung des Gesundheits- experten der CDU-Fraktion im EP, Dr. med. Peter Liese, sehr viel bes- ser geeignet, bestehende Informa - tionsdefizite zu beseitigen, als der Vorschlag von Exkommissar Gün- ter Verheugen, das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arznei- mittel zu lockern.
Als „absolute Fehlentscheidung“
bezeichnete es der AkdÄ-Vorsitzen- de Ludwig hingegen, dass die Bei- packzettel nun nicht, wie ursprüng- lich vorgesehen, um einen Kasten ergänzt werden sollen, der Nutzen und Risiken eines Arzneimittels übersichtlich zusammenfasst (drug facts box). „Das wäre ein echter Schritt nach vorne gewesen“, be- tonte Ludwig. Allerdings ist das Thema noch nicht endgültig vom Tisch. Denn die drug facts box soll nach den derzeitigen Plänen über die Richtlinie zur Information über verschreibungspflichtige Arz- neimittel eingeführt werden. ■ Petra Spielberg
P O L I T I K
A 1842 Deutsches Ärzteblatt