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GESTEN DER TRAUER Zum Verhältnis von Politik und Tod

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GESTEN DER TRAUER

Zum Verhältnis von Politik und Tod

Kollektives Trauern – Symbole in der deutschen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik: 3

Inszenierung der Trauer – Staatsbegräbnisse in den USA zwischen militärischer Ehrerweisung und öffentlichen Gedenken: 29

Die Sepuralkultur in der DDR und ihr räumlicher Ausdruck – Eine Annäherung an das Krematorium des Erfurtuter Hauptfriedhofs: 40

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KOLLEKTIVES TRAUERN

Symbole in der deutschen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik Hannah Wellpott

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Trauer ist fundamentaler Bestandteil unserer Kultur. Sie findet sowohl in individuel- len als auch kollektiven Gesten Ausdruck. Auf staatlicher Ebene sind Symbole dabei von wesentlicher Bedeutung – zur Reflektion ebenso wie zur Repräsentation.

Dieser Beitrag beschreibt verschiedene Praktiken, besucht zentrale Orte und beob- achtet wichtige Akteur:innen. Zunächst bietet die Dokumentation einer explorativen und assoziativen Recherche einen Überblick über unterschiedliche Ausdrucksfor- men kollektiver Trauer sowie ihre historischen und organisatorischen Hintergründe.

Es folgt ein zusammenfassender Vergleich und eigene Gedanken zur Kritik an der Geschichtspolitik und dem Wandel der Erinnerungskultur.

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Nach dem Tod wichtiger oder vieler Personen kann eine Staatstrauer angeordnet werden, die meist für drei Tage gilt. Als Ausdruck dessen wird vom Bundesinnenmi- nisterium die >Trauerbeflaggung angeordnet. Dazu werden vor den Dienstgebäuden aller Bundesbehörden sowohl die Deutschland- als auch die Europaflagge auf halb- mast gesetzt. Dies geschah beispielsweise als Reaktion auf die Terroranschläge in Paris oder nach dem Absturz der Germanwings-Maschine 2015.

Staatstrauer kann auch nach dem Tod bedeutender Persönlichkeiten von Staatsrang vom Bundespräsidenten im Einvernehmen mit der Bundesregierung angeordnet werden. Mit >Trauerstaatsakten oder Staatsbegräbnissen wird diesen Personen die letzte Ehre erteilt. Dies wurde beispielsweise Politikern wie Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, Willy Brandt oder Johannes Rau zuteil.

Staatsakte und Trauerbeflaggung sind die einzigen Formen staatlicher Trauer in Deutschland. Eine kollektive Staatstrauer, bei der das öffentliche Leben vollständig zum Erliegen kommt, Veranstaltungen abgesagt und Läden geschlossen werden, gibt es in der Bundesrepublik nicht. Grund dafür ist zum einen die föderale Struktur, andererseits aber auch das in Deutschland vorherrschende Selbstverständnis eines demokratischen Rechtsstaats.

STAATSTRAUER

> staatlich angeordnete allgemeine Trauer

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Diese beiden Formen staatlichen Zeremoniells werden nur selten angeordnet. Sie sind Ausdruck höchster Würdigung durch die Bundesrepublik Deutschland einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die sich hervorragend um das deutsche Volk verdient gemacht hat. Die Verdienste einer Person können auf politischem, kultu- rellem, wissenschaftlichem oder sozialem Gebiet liegen. Rechtsgrundlage ist die

„Anordnung von Staatsbegräbnissen und Staatsakten“ von 1966 und obliegt dem Bundespräsidenten. Die Kosten werden grundsätzlich vom Bund getragen.

Ein Staatsbegräbnis kann folgende Elemente enthalten: öffentliche Aufbahrung und Trauerdefilee, große Totenwache (bestehend aus acht oder sechs Personen), kirch- liche Trauerfeier, evtl. mit weltlichem Nachruf im Anschluss an die Liturgie, Trauer- geleit, militärisches Abschiedszeremoniell mit Ehrenformation, Beisetzung, Trauer- empfang. Das erste Ehrenbegräbnis der BRD fand 1954 für Bundestagspräsident a.

D. Hermann Ehlers statt, das letzte 1997 für Bundestagspräsident a. D. Kai Uwe von Hassel.

Bei Trauerstaatsakten wird in Anwesenheit der höchsten Repräsentant:innen der Verfassungsorgane des Bundes, von Hinterbliebenen, Bekannten sowie führenden Persönlichkeiten aus Politik, Religion, Wirtschaft und Kultur die Verdienste der oder des Verstorbenen gewürdigt. Ein Trauerstaatsakt umfasst die von Musikstücken um- rahmte Traueransprache, Gedenkreden und die Nationalhymne. Als weitere Form der Ehrung kann zudem eine >Trauerbeflaggung vorgenommen werden. Der ers- te Trauerstaatsakt der BRD fand 1954 für Bundesverfassungsgerichtspräsident a. D.

Hermann Höpker-Aschoff statt, der letzter 2018 für Bundestagspräsident a. D. Phil- ipp Jenninger.

TRAUERSTAATSAKTE und STAATSBEGRÄBNISSE

> von einer Staatsregierung verfügte feierliche Beisetzung als Ehrung einer ver- storbenen Persönlichkeit

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Trauerbeflaggung vor Schloss Bellevue (links) und dem Reichstag (rechts), Berlin. –8–

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Eine Trauerbeflaggung wird von den Innenminister:innen des Bundes oder der Län- der angeordnet. In Form der Halbmastbeflaggung werden dabei die Flaggen an öf- fentlichen Gebäuden nicht oben am Fahnenmast, sondern etwas oberhalb der Mitte des Mastes postiert. Die Flaggen werden zunächst voll gehisst und unmittelbar an- schließend auf halbmast gesetzt (Abschnitt V. Abs. 4 des Beflaggungserlasses). Um- gekehrt erfolgt die Abnahme so, dass die Flagge zunächst auch wieder ganz nach oben gezogen und erst dann abgenommen wird. Ist das Flaggen auf halbmast nicht möglich, so ist an der Flagge >Trauerflor anzubringen und die Flagge oben am Mast zu flaggen.

Trauerbeflaggung wird beim Tod wichtiger Staatspersonen, zur Erinnerung an Katas- trophen, Unfälle und Gewalttaten sowie an >Gedenktagen, wie dem Tag des Ge- denkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27.1.) sowie am >Volkstrauertag angeordnet.

Die Flagge der Einheit auf dem Platz der Republik in Berlin bleibt ständig gehisst und wird bei Dunkelheit angestrahlt. Im Gegensatz zu den Flaggen auf den Türmen des Reichstagsgebäudes wird sie bei Trauerbeflaggung auch nicht auf halbmast gesetzt oder mit Trauerflor versehen. Der Flagge der Einheit und dem 28,5 Meter hohen Flaggenmast kommt ein besonderer Symbolcharakter zu, auch wenn es sich nicht um ein Denkmal im Sinne des Berliner Denkmalschutzgesetzes handelt.

Der Ursprung der Halbmastbeflaggung liegt in den Seeschlachten mit Segelschiffen.

Es war nicht nur die Flagge des besiegten Schiffes, die niedergeholt wurde, sondern auch zuerst das oberste Segel. Der Feind hatte zudem später seine eigene Flagge halb einzuholen und an ihre Stelle wurde die Fahne des Siegers, zum sichtbaren Zeichen für alle, gesetzt. Aus diesem Ritual entstand dann später die Sitte, eine Flag- ge als Zeichen des Respekts vor höhergestellten Persönlichkeiten einzuholen. Auch grüßten sich Schiffe untereinander durch Senken (Dippen) der Flagge. Der ursprüng- liche Zweck, dadurch den Platz für eine andere Fahne freizumachen, geriet in Ver- gessenheit. Heute ist die Halbmastbeflaggung ein Zeichen der Achtung gegenüber Toten.

TRAUERBEFLAGGUNG

> Beflaggung zum Zeichen der [Staats]trauer

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Ein Trauerflor ist ein schwarzer Stoff zum Ausdruck offizieller Anteilnahme in einem Todesfall. Es kann ein langes textiles Band, eine Schleife oder eine Armbinde sein.

Als kleine Schleife an der Kleidung getragen, bringt der Trauerflor Mitgefühl, eigene Betroffenheit und Respekt zum Ausdruck. Er wird meistens von Personen getragen, die nicht mit dem verstorbenen Menschen verwandt sind, z.B. bei Mannschaftssport- arten. Bis in die 1970er Jahre war es in Deutschland für Männer in der Trauerzeit (sechs Wochen oder ein Jahr) üblich, bei nicht schwarzer Oberbekleidung am linken Ärmel ein etwa handbreites Stück Trauerflor anzubringen. Für Frauen war schwarze Oberbekleidung und eventuell eine Kopfbedeckung üblich.

Des Weiteren werden Trauerflore in Form von schwarzen Schleifen auch an Einsatz- fahrzeugen von Katastrophenschutz, Feuerwehr und Hilfsorganisationen angebracht.

Dies insbesondere nachdem Einsatzkräfte im Einsatz tödlich verunglückt sind.

Auch Flaggen werden mit einem Trauerflor versehen, sofern sie nicht auf halbmast gesetzt werden können. In diesen Fällen handelt es sich um schwarze längliche Tex- tilbänder, die symbolhaft für den Fall von Tränen stehen.

Trauerflore sind auch an Kränzen bei Beerdigungen zu finden. Sie sind oft mit einer gewebten oder aufgedruckten Inschrift versehen wie „Zum letzten Gruß“ oder „In Trauer, dein(e) …“. Bei offiziellen Kranzniederlegungen durch Politiker:innen, z.B.

an >Gedenkstätten, ist es üblich, dass der Kranz von anderen Personen herbeigetra- gen wird oder bereits an der vorgesehenen Stelle liegt. Die nach Protokoll beauf- tragte Person ordnet dann nur noch symbolisch die Trauerflore.

TRAUERFLOR

> schwarzes Band [aus feinem, florartigem Gewebe], das als Zeichen der Trauer am Ärmel, in einem Knopfloch, um den Hut getragen oder an eine Fahne geknüpft

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Jährliche Kranzniederlegung durch Repräsentant:in- nen der Bundesregierung im Ehrenhof des Bendler- block am 20. Juli, dem Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler, 2009 bis 2018.

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Gedenkstätten sind Erinnerungsorte mit starkem Bezug zu wichtigen – positiv oder negativ eingestuften – historischen Ereignissen oder Personen. Sie bestehen manch- mal nur aus einer Gedenktafel, häufig stehen sie in Verbindung mit Denk- oder Mahnmalen und sind an Museen angeschlossen. Viele Gedenkstätten in Deutsch- land finden sich an Orten mit Bezug zum Nationalsozialismus, wie etwa in ehemali- gen Konzentrationslagern; sie erinnern an Opfer, manchmal auch an die Täter:innen des NS-Regimes. Aber auch für das Erinnern an Opfer der Sowjetischen Besatzungs- zone und der DDR-Diktatur hat sich der Begriff eingebürgert.

An vielen dieser Orte wird eine intensive pädagogische Arbeit, vor allem mit Jugend- lichen gepflegt. Neben den großen und bekannten staatlichen Gedenkstätten (in Trägerschaft der Länder und teilweise unterstützt von der Bundesregierung) sind in Deutschland auch viele Gedenkorte in bürgerschaftlicher Initiative entstanden, die sich an der Aufgabe des Erinnerns, Gedenkens und Ermahnens beteiligen.

GEDENKSTÄTTEN

> zum Gedenken an jemanden oder etwas eingerichtete, angelegte Stätte

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Die Neue Wache an der Straße Unter den Linden in Berlin ist seit 1993 die Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewalt- herrschaft. In ihrer wechselvollen Geschichte seit 1818 war die Neue Wache – als Königswache, Gedächtnisstätte, Ehrenmal, Mahnmal und Zentrale Gedenkstätte - Ort von Zeremoniellen. Nach dem Fall der Mauer beschloss die Bundesregierung, die Neue Wache in Berlin-Mitte - ein klassizistisches Bauwerk von Karl Friedrich Schinkel aus dem 19. Jahrhundert - zur „Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland“ zu erklären. Die Einweihung erfolgte nach ihrer Restaurierung am 14. November 1993. Seitdem wird hier jedes Jahr am >Volkstrauertag (2. Sonntag vor dem 1. Advent) der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. In einem schlichten Zeremoniell werden durch den Bundespräsidenten und die Repräsen- tant:innen der anderen Verfassungsorgane des Bundes Kränze niedergelegt.

NEUE WACHE BERLIN

> Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft

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Jährliche Kranzniederlegung durch die Repräsen- tant:innen der fünf Verfassungsorgane am Volks- trauertag in der Neuen Wache Berlin, 2012 bis 2020.

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Der Volkstrauertag hat eine lange und bewegte Vergangenheit. Seit 1924 veranstal- tet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (VDK) jährlich die zentrale Gedenkfeier. Ziel des Volkstrauertages war zunächst die Wahrung und Pflege des Gedenkens an die Millionen von Kriegstoten des Ersten Weltkrieges. Die vorüber- gehende Ablösung durch den „Heldengedenktag“ in den Jahren 1934 bis 1945, der jährlich im März stattfand, vermochte an der ursprünglichen Sinngebung des Volks- trauertages nur wenig zu ändern. Anfang der 1950er Jahre wurde er in der damaligen Bundesrepublik erneut eingeführt. Er wird seitdem als besonderer Gedenktag für die Opfer beider Weltkriege und der Gewaltherrschaft alljährlich wieder im November begangen. Der VDK als Träger zahlreicher Veranstaltungen wird hierbei von Bund und Ländern unterstützt. So hat beispielsweise der Präsident des Deutschen Bun- destages die Schirmherrschaft für die zentrale Gedenkfeier des VDK im Plenarsaal des Deutschen Bundestages übernommen. Am Volkstrauertag werden bundesweit die obersten Bundesbehörden und ihre Geschäftsbereiche sowie die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht von Bundesbehör- den unterstehen, halbmast beflaggt (>Trauerbeflaggung).

VOLKSTRAUERTAG

> nationaler Trauertag (am vorletzten Sonntag vor dem 1. Advent) zum Gedenken an die Gefallenen beider Weltkriege und die Opfer des Nationalsozialismus

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Offizielle Gedenk- und Feiertage gehören zu den Symbolen, durch die sich ein Staat öffentlich darstellt. Durch sie werden kollektiv erlebte Schlüsselereignisse oder -er- fahrungen als für die Gegenwart bedeutsam und erinnerungswürdig hervorgehoben.

In der gemeinsamen Erinnerung werden an konkreten historischen Erfahrungen die Grundwerte, welche die Staats- und Verfassungsordnung fundieren, anschaulich und erlebbar. Damit tragen Gedenk- und Feiertage auch zur Konsensbildung und Identifi- kation mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bei. Das Grundgesetz enthält keine ausdrücklichen Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes für das Feier- tagsrecht. Für den Schutz einzelner Feiertage sind die Länder zuständig. Eine Aus- nahme aufgrund seiner Stellung als Staatssymbol ist der nationale Feiertag: Der „Tag der Deutschen Einheit“ am 3. Oktober ist kraft Natur der Sache durch Bundesrecht im Einigungsvertrag geregelt. Zwei Gedenktage wurden wegen ihrer besonderen Be- deutung durch Proklamationen des Bundespräsidenten eingeführt: Der 27. Januar als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ und der 17. Juni als

„Nationaler Gedenktag des deutschen Volkes“. Weitere Gedenktage, die bei der Re- präsentation des Staates eine wichtige Rolle spielen, sind der 20. Juni, der Gedenk- tag für die Opfer von Flucht und Vertreibung, der 20. Juli, an dem des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und der Opfer gedacht wird, und der >Volkstrauertag.

GEDENKTAGE

> Jahrestag zum Gedenken an jemanden oder etwas

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links: Aktion „Lichtfenster“, initiiert vom Bundespräsidenten, 2021.

oben: Gedenken an die Opfer der Pariser Terroranschläge, 2015.

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Eine Schweigeminute wird meist kurze Zeit nach Unglücksfällen, Gewalttaten oder Terroranschlägen abgehalten. Meist findet sie zur selben Uhrzeit statt und wird von Glockenläuten begleitet. Auch beim Tod von bedeutenden Persönlichkeiten kann eine Schweigeminute im Parlament, in Vereinen oder Verbänden abgehalten wer- den. Sie dient als öffentliche Bekundung der Trauer und des Mitgefühls für die Opfer und Hinterbliebenen. Als Gedenkritual kann eine Schweigeminute auch den Cha- rakter einer Demonstration haben, insbesondere im Falle des Gedenkens an die Op- fer von Gewaltverbrechen.

Um die Einhaltung einer Schweigeminute wird meist von hohen Politiker:innen oder Verbandsvertreter:innen gebeten. Das während der Schweigeminute innehaltende öffentliche Leben soll den Einschnitt symbolisieren, den der Unglücks- beziehungs- weise Todesfall hervorgerufen hat.

Entstanden ist das Ritual nach dem Ersten Weltkrieg. Die erste offizielle Schweige- minute soll in Frankreich am 11. November 1919 aus Anlass des ersten Jahrestages des Waffenstillstands von Compiègne zum Gedenken der Kriegstoten stattgefunden haben.

SCHWEIGEMINUTE

> kurzes gemeinsames Schweigen als Ausdruck des Gedenkens

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will ein Zeichen des gemeinsamen Ge- denkens setzen und symbolisch Licht in diese dunkle Zeit bringen. Der Bundes- präsident ruft zur Aktion #lichtfenster auf und stellt vom 22. Januar 2021 an abends gut sichtbar ein Licht in ein Fenster von Schloss Bellevue. Damit erinnert er an die vielen Toten der Corona-Pandemie und an diejenigen, die in diesen Wochen um ihr Leben kämpfen. Er setzt ein Zeichen der Anteilnahme und Solidarität mit allen An- gehörigen.

„Wir stellen ein Licht ins Fenster. Ein Licht der Trauer, ein Licht der Anteilnahme, ein Licht des Mitgefühls. Für zu viele Menschen in unserem Land sind diese Corona-Wo- chen schrecklich dunkle Wochen. Viel zu viele müssen um Angehörige trauern. Viel zu viele kämpfen auf den Intensivstationen und in den Pflegeheimen um ihr Überle- ben. Viel zu viele müssen um geliebte Menschen bangen.Diese Dunkelheit ist nicht abstrakt, nicht irgendwo weit entfernt. Sie trifft unsere Verwandten und Freunde, unsere Kollegen und Nachbarn, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger – jeden Tag.

Wir stellen ein Licht ins Fenster, weil wir wissen: Überall in unserem Land leiden Menschen. Wir trauern mit den Angehörigen. Wir wünschen den Kranken schnelle Genesung. Mit unseren ‚Lichtfenstern‘ rufen wir einander zu: Die Toten der Corona- Pandemie sind für uns keine bloße Statistik. Auch wenn wir ihre Namen, ihre Fami- lien nicht kennen – wir wissen: Jede Zahl steht für einen geliebten Menschen, der uns unendlich fehlt. Deutschland stellt ein Licht ins Fenster, weil jedes ‚Lichtfenster‘

uns miteinander verbindet. Unser Licht spendet Wärme, unser Licht zeigt Mitgefühl in einer dunklen Zeit. Stellen wir also ein Licht ins Fenster – und geben wir acht auf- einander.“ (Bundespräsident Steinmeier)

LICHTFENSTER

> Aktion des Bundespräsidenten zum staatlichen Gedenken an die Corona-Toten in Deutschland

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TRAUERN, GEDENKEN, MAHNEN

Häufig werden diese Begriffe synonym verwendet, sie unterscheiden sich jedoch wesentlich in Ausdruck und Funktion. Kollektive Trauer ist eine emotionale Reaktion auf ein Ereignis, das den Tod eines oder vieler Menschen zur Folge hatte. Häufig steht dies im Zusammenhang mit einem Anschlag auf die Grundwerte einer Gesell- schaft, sodass sich nicht nur die unmittelbar Betroffenen angegriffen fühlen. Mit dem Aufstellen von Kerzen an einem Tatort oder dem Innehalten während einer Schwei- geminute, drücken Menschen ihre Betroffenheit und Anteilnahme genauso wie ihre Solidarität aus. Dies findet meist kurz nach dem Vorfall und spontan organisiert statt.

Staatstrauer ist die institutionalisierte Form dessen. Sie spiegelt die offizielle Haltung der Regierung zu solch einem Ereignis wider und ist damit wichtiger Teil der politi- schen Kommunikation. Tatsächlich betroffen ist davon jedoch niemand, da sie sich in Deutschland nur auf symbolischer Ebene abspielt und nicht in den Alltag der Bür- ger:innen eingreift. Trauerstaatsakte und Staatsbegräbnisse, zu denen ebenfalls eine Staatstrauer angeordnet werden kann, dienen der Ehrung einzelner Persönlichkeiten und Anerkennung ihrer Lebensleistungen. Die an dem Zeremoniell teilnehmenden Personen zeigen dabei meist eher ihre offizielle Einstellung als individuelle Betrof- fenheit.

Das gilt ebenso für das Abhalten von protokollarischen Veranstaltungen an Gedenk- tagen und -stätten, die grundsätzlich länger zurückliegenden Ereignissen gewidmet sind. Alle deutschen Gedenktage stehen im Zusammenhang mit dem Tod unschul- diger Menschen. Es wird der Opfer gedacht und vor einer Wiederholung gemahnt.

Dabei wird den Opfern das Gedenken, den Tätern das Mahnen zugeschrieben. So unterschiedliche Ursprünge und Wirkungen die genannten Formen der Erinnerung auch haben, ist ihnen doch der Symbolcharakter und eine zeitliche Perspektive ge- mein.

Es „entstehen Erinnerungsräume durch jene partielle Ausleuchtung von Vergangenheit, wie sie ein Individuum oder eine Gruppe zur Konstruktion von Sinn, zur Fundierung ihrer Identität, zur Orientierung ihres Lebens, zur Motivierung ihres Handelns brauchen. Solche, an einen individuellen oder kollektiven Träger gebundene Erinnerung ist grundsätzlich perspekti- visch angelegt; von einer bestimmten Gegenwart aus wird ein Ausschnitt der Vergangenheit auf eine Weise beleuchtet, daß er einen Zukunftshori- zont freigibt.“ (Assmann 2005: 408)

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DAS BEWOHNTE FUNKTIONSGEDÄCHTNIS

Metaphorik, Schrift, Bild, Körper, Orte sind, Aleida Assmann zu Folge, Medien des kulturellen Gedächtnisses. Dieses differenziert sie weitergehend zwischen unbe- wohntem Speichergedächtnis und bewohntem Funktionsgedächtnis. Das Speicher- gedächtnis konserviert Historisches, in Akten und Archiven genauso wie in Bildern und Denkmälern und stellt dies zur potenziellen Verfügung bereit. Das Funktionsge- dächtnis wird hingegen durch die gelebte Erinnerungskultur, in Riten, Jubiläen und Gedenktage aktiv präsentgehalten. Erst dadurch wird die kollektive Aneignung von Geschichte und das gemeinsame Erinnern möglich. (Assmann 2005: 409)

„Als ein verbindlicher Gegenstand des Lernens und Deutens ist [das Funk- tionsgedächtnis] darauf angelegt, an die nächste Generation weitergege- ben zu werden; ferner wird es in einer auf Wiederholung gegründeten rituellen Kommemoration befestigt, was durch entsprechende Zeiten und Kalenderdaten abgestützt wird.“ (Assmann 2005: 409)

Damit ist das Funktionsgedächtnis die Basis für die Erinnerungskultur und Ge- schichtspolitik. Die verwendeten Symbole geben Auskunft über die Vergangenheit ebenso wie die Gegenwart. Sie dienen der Reflektion ebenso wie der Repräsenta- tion. Und sie transportieren in verschlüsselter Form sowohl ein Fremd- als auch ein Eigenbild. Diese Symbole decodieren zu können bedarf historischer Kenntnis, ist aber auch grundlegend für die Teilhabe an der Gesellschaft, denn:

„Als Zeichen dienen sie zur Veranschaulichung und öffentlichen Dar- stellung eines Staates. Über diese Repräsentationsfunktion hinaus kommt ihnen die Aufgabe zu, als Sinnbilder die grundlegenden Traditionen und Werte eines Staatswesens zu verdeutlichen und zu vermitteln. In enger Verbindung mit dem Angebot von Deutungsmustern steht die Integrati- onsfunktion von Staatssymbolen, die zur Herausbildung einer kollektiven Identität und zur Identifikation mit dem politischen System beitragen kön- nen. Staatssymbole sind „geronnene Werte“ der politischen Kultur. Die Einstellungen ihnen gegenüber spiegeln die Bindung der Bevölkerung an die politische Gemeinschaft wider.“ (Bovermann 2013)

Die Identifikation mit bestimmten Personen und die Befürwortung ihrer Handlungen genauso wie die Abgrenzung von anderen Gruppen und die Verurteilung ihrer Taten bilden das gesellschaftliche Selbstverständnis. Gleichzeitig dient Vergangenheits- bzw. Geschichtspolitik auch der Legitimierung von Macht und Ansprüchen.

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DIE TOPOI DER TRAUER

Im Ausland gilt die deutsche Erinnerungskultur gemeinhin als vorbildlich, insbe- sondere im Umgang mit dem Holocaust. Im innerdeutschen Diskurs wird sie je- doch zuweilen stark kritisiert. Martin Sabrow sieht ein zu enges Geflecht aus Ge- schichtswissenschaft, -politik und -kultur und warnt vor zu viel staatlichem Einfluss auf die Forschung. Max Czollek fordert ein Ende des „Gedächtnistheaters“, in dem die kollektive Inszenierung der Schuldigkeit nur über die feste Rollenzuschreibung für Jüdinnen und Juden funktioniere. Und Norbert Frei beklagt allgemein eine Ritu- alisierung und Perfektionierung von Gedenkveranstaltungen genauso wie eine Kom- merzialisierung und Banalisierung von Gedenkorten.

Betrachtet man beispielsweise die Bilder der jährlichen Kranzniederlegungen am 20. Juli oder am Volkstrauertag, lässt sich der Eindruck von Gleichförmigkeit und Austauschbarkeit nicht vermeiden. Dabei ist zu bedenken, dass Bilder für die Er- innerungskultur nicht nur als Speichermedien, sondern im visuellen Zeitalter auch zur Vermittlung des Erinnerns selbst, eine zentrale Rolle spielen. Es entstehen eigene Bildtypologien, die sich wiederum in das kulturelle Gedächtnis einschreiben.

Während in den Reden des Bundespräsidenten bereits eine Aktualisierung und Aus- weitung des Gedenkens stattfindet, wird dies in den Symbolen noch nicht sichtbar.

Seit einigen Jahren wird am Volkstrauertag offiziell auch der im Ausland getöteten Soldat:innen gedacht, 2020 erwähnte Steinmeier zudem erstmals explizit die Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus. Wie überzeugend dies durch die nach wie vor stark von nationalen und militärischen Zeichen gepräg- te Symbolsprache ausgedrückt wird, die ihren Ursprung größtenteils im Gedenken nach dem Ersten Weltkrieg hat, ist fraglich. Dabei könnte die Symbolsprache ein entscheidender Ansatzpunkt sein, um den Wandel in der Erinnerungskultur auch sichtbar zu machen.

„[Riten, Jubiläen und Gedenktage] bieten Anlässe nicht nur zur Wiederho- lung des Erinnerns über die Zeit hinweg, sondern auch zur Aktualisierung des Erinnerten, weil sich die Voraussetzungen dafür mit dem zeitlichen Wandel ja erheblich verschieben.“ (Assmann 2020: 227)

Mehr noch: der zeitliche Wandel bietet nicht nur Anlass, sondern bringt auch die Notwendigkeit der kritischen Reflexion sowie Anpassung an die Gegebenheiten der Gegenwart mit sich. Dies wird bedingt zum einen durch neue Geschehnisse, die eine neue Form des Gedenkens erfordern, zum anderen durch eine sich permanent verändernde Gesellschaft.

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Das es neuer Rituale und Zeichen bedarf, zeigt beispielsweise die Diskussion um das Gedenken an den Anschlag auf dem Breitscheidplatz 2017. Assmann weist da- rauf hin, dass zu einem Mahnmal immer auch kulturelle Praktiken gehören und macht deutlich, wie wichtig die Sichtbarkeit der Opfer dabei ist.

Ein anderes Beispiel ist der aktuelle Umgang mit den Toten der Corona-Pandemie.

Die vom Bundespräsidenten initiierte Aktion „Lichtfenster“ ist gewissermaßen die dezentrale und coronakonforme Variante einer Gedenkveranstaltung und der Ver- such einer verbindenden Geste in Zeiten der Isolation.

Darüber hinaus ist es heute wichtiger denn je die „bestehende Erinnerungskultur so zu erweitern, dass die Geschichten, Erfahrungen und Vergangenheiten in diesem Land vielfältiger werden. Und das bedeutet nicht zuletzt, dass auch die Erfahrung von Migration als Teil unserer gemeinsamen Geschichte gesammelt, gewürdigt, er- zählt wird“ (Assmann 2020: 232). Es bedarf nicht nur einer integrativen, sondern einer radikal vielfältigen Erinnerungskultur. Dies bezieht sich auf staatliche Symbole wie auf die didaktische Vermittlung gleichermaßen, denn auch die Geschichtsver- mittlung steht vor wachsenden Herausforderungen: das allmähliche Verschwinden der Zeitzeug:innen, die zunehmende kulturelle Diversität unter Jugendlichen und die verstärkte Trennung zwischen Erinnerung (Empathie) und Erkenntnis (Wissen).

Vor diesem Hintergrund ist Mirjam Wenzels Beobachtung zu hervorzuheben: Er- innerung ist nur als persönliche Praxis wirksam.

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LITERATUR

Assmann, Aleida 2020. Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention. C.H.Beck:

München.

Assmann, Aleida 2005. Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnis- ses. C.H.Beck: München.

Assmann, Aleida 2017. „Jeder hätte an ihrer Stelle stehen können“ Aleida Assmann über die Erin- nerung an die Opfer vom Breitscheidplatz. Deutschlandfunk Kultur, 19.12.2017.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/aleida-assmann-ueber-die-erinnerung-an-die-opfer- vom.1013.de.html?dram:article_id=406460 (letzter Zugriff 05.02.2021)

Bovermann, Rainer 2013. Staatssymbole. In: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörter- buch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Springer VS: Heidelberg.

Czollek, Max 2018. Desintegriert euch. Carl Hanser: München.

Frei, Norbert 2021. Der Nationalsozialismus im Gedächtnis der Deutschen, 1945 bis heute. Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung Identität & Erbe, 12.01.2021.

Sabrow, Martin 2018. Die Krise der Erinnerungskultur. In: Merkur 835, 03.12.2018. https://www.

merkur-zeitschrift.de/2018/12/03/die-krise-der-erinnerungskultur/ (letzter Zugriff 05.02.2021) Wenzel, Mirjam 2021. Jüdische Gegenwart – Kritik an der deutschen Gedenkkultur. Vortrag im Rahmen der Bauhaus-Gastprofessur, 20.01.2021.

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QUELLEN

S. 5/6: Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Trauerstaatsakte. URL: https://www.protokoll-in- land.de/Webs/PI/DE/staatsakte/trauerstaatsakte/trauerstaatsakte-node.html (05.02.2021)

Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Staatsbegräbnisse und Trauerstaatsakte. URL: https://

www.protokoll-inland.de/Webs/PI/DE/staatsakte/trauerstaatsakte/staatsbegraebnisse/staatsbegraeb- nisse-und-trauerstaatsakte-node.html (05.02.2021).

S. 7/8: Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Arten der Beflaggung. URL: https://www.

protokoll-inland.de/Webs/PI/DE/beflaggung/arten-der-beflaggung/arten-der-beflaggung-node.html (05.02.2021)

S. 9/10: Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Arten der Beflagung. URL: https://www.

protokoll-inland.de/Webs/PI/DE/beflaggung/arten-der-beflaggung/arten-der-beflaggung-node.html (05.02.2021).

https://de.wikipedia.org/wiki/Trauerbeflaggung https://de.wikipedia.org/wiki/Trauerflor

S. 11/12: Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Nationale Gedenkfeiertage. URL: https://

www.protokoll-inland.de/Webs/PI/DE/nationale-gedenk-feiertage/20Juli/20-juli-node.html (05.02.2021).

S. 13/14: https://de.wikipedia.org/wiki/Gedenkst%C3%A4tte

Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Die Neue Wache in Berlin. URL: https://www.proto- koll-inland.de/Webs/PI/DE/staatliche-symbole/neue-wache/neue-wache-node.html (05.02.2021).

S. 15/16: Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Volkstrauertag. URL: https://www.proto- koll-inland.de/Webs/PI/DE/nationale-gedenk-feiertage/volkstrauertag/volkstrauertag-node.html (05.02.2021).

S. 17/18: Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Volkstrauertag. URL: https://www.proto- koll-inland.de/Webs/PI/DE/nationale-gedenk-feiertage/volkstrauertag/volkstrauertag-node.html (04.02.2021).

Protokoll Inland der Bundesregierung o.J.. Allgemeines. URL: https://www.protokoll-inland.de/

Webs/PI/DE/nationale-gedenk-feiertage/allgemeines/allgemeines-node.html (05.02.2021).

S. 19/20: Schäfer, Norbert 2021. Kirchen unterstützen die Aktion #lichtfenster des Bundespräsi- denten. URL: https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/panorama/2021/01/23/kirchen-un- terstuetzen-die-aktion-lichtfenster-des-bundespraesidenten/ (05.02.2021).

Toyka-Seid, Christiane o.J.. Schweigeminute. URL: https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/

grosses-lexikon/s/schweigeminute (05.02.2021).

S. 21/20: https://de.wikipedia.org/wiki/Schweigeminute

Bundespräsidialamt 2021. Bundespräsident Steinmeier ruft auf zur Aktion #lichtfenster und lädt ein zum staatlichen Gedenken an die Corona-Toten in Deutschland . https://www.bun- despraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/01/210122-Aufruf-Lichtfenster.html (05.02.2021).

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INSZENIERUNG der TRAUER

Staatsbegräbnisse in den USA zwischen militärischer Ehrerweisung und öffentlichen Gedenken

Bastian Kniza

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In einer kurzen, fragmentarischen Auseinandersetzung soll das Spannungsfeld von Individualität der Trauer und dem öffentlichen und stark medialisierten Kontext von Staatstrauer betrachtet werden. Es findet eine Annäherung an das Thema kollekti- ven Gedenkens in den Vereinigten Staaten statt. Die Beerdigung von Präsidenten im 20. Jahrhundert ist hierbei stark von Inszenierungen und militärischer Ehrerbietung durchzogen. Referenzen finden sich nicht nur in dem vielbeachteten Staatstrauerakt für den im Amt getöteten John F. Kennedy. Auch die zurückliegenden Trauerakte für George H.W. Bush 2018, Gerald Ford 2007 und Ronald Reagan 2004 finden wie- derholt Erwähnung.

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Die Beerdigung von (ehemaligen) Präsidenten in den Vereinigten Staaten ist eine stark durchchoreografierte Massenveranstaltung. Den Begriff der Trauer darauf anzu- wenden fällt schwer, wird diese doch in Deutschland diese häufig als Ausdruck per- sönlicher, individueller Akte gesehen. Zwar kennt auch Deutschland den Staatsakt als Trauerveranstaltung für ehemalige Staatslenker:innen, doch sind diese in ihrem Umfang der Veranstaltungen in den USA kaum vergleichbar (siehe Abschnitt Trauer- staatsakte und Staatsbegräbnisse). Das öffentliche Begräbnis als Ehrung für Präsi- denten hat in den USA lange Tradition: Der Tod Benjamin Franklins 1790 war das erste Staatsbegräbnis im weiteren Sinne. Andere Quellen sehen den Tod Abraham Lincolns als Beginn oder die erste Aufgebahrung eines Präsidenten im Capitol Buil- ding mit dem Tod von Henry Clay 1852.

Das Begräbnis beruht dabei auf der ausdrücklichen Einwilligung der Familien. Mit dem öffentlichen Interesse begründet, werden auch die Begräbnisse zu öffentli- chen Veranstaltungen – Familien trauern öffentlich. Die Verweigerung ist möglich:

Als letzter Präsident hat Richard Nixon 1994 auf ein Staatsbegräbnis verzichtet. Er wählte einen kleineren Rahmen, ohne jedoch komplett auf eine Öffentlichkeit zu verzichten (Faulkner o.J.).

Die First Families werden in das Blickfeld der Trauer gerückt. Es waren die Bilder der Präsidentengattinnen Nancy Reagan oder Jackie Kennedy an den Särgen ihrer Ehe- männer die eine große Medialisierung erfahren haben. Die Beerdigung Kennedys beschreibt der Journalist David Bianculli im Jahr 2013 als heilenden Moment für die Vereinigten Staaten – die öffentliche Trauer der Familie wurde zu einer Situation der Einigkeit (Bianculli 2013). Sie half Amerikaner:innen über die Ungewissheit sowie die eigene Trauer hinwegzukommen. 93 Prozent der amerikanischen Haushalte mit Fernsehanschluss sahen den Staatsakt (ebd.).

Wenngleich das Staatsbegräbnis nach dem Attentat auf John F. Kennedy eine Aus- nahmesitutation darstellte, wiederholen sich Darstellung der Trauer: Den Abschied Nancy Reagens von ihrem Ehemann sah 2004 ebenfalls ein Millionenpublikum (ebd.).

TRAUER UND ÖFFENTLICHKEIT

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Abb. 1+2: Jacqueline Kennedy (oben) sowie –32–

Nancy Reagan: Öffentliche Trauer.

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Die Feierlichkeiten sind direkt mit dem District of Columbia als zentraler Ort der US- amerikanischen Demokratie verbunden: 11 Präsidenten ließen sich in der Rotunde des Capitol Building aufgefahren, unter anderem Gerald Ford und Ronald Reagan Anfang der 2000er-Jahre. Die Tradition setzte sich insbesondere unter den Präsiden- ten des 20. Jahrhunderts durch. Die anschließende Andacht findet in der National Cathedral statt (Congressional Research Service 2018). Auch die starke Präsenz der amerikanischen Nationalflagge ist eine der bildstärksten Konstanten. Der Sarg ist in diese eingehüllt, Straßen mit den Flaggen gesäumt, die ‚Farben der Demokratie‘

durch die US-Luftwaffe in den Himmel gezeichnet.

Neben diesen Elementen von Religion und Demokratie sind es letztlich insbesonde- re militärische Symboliken, Praktiken sowie Tradition die während der Veranstaltung aufgegriffen werden. Die konkrete Planung der Trauerveranstaltungen obliegt dem Military District of Washington. Konzeptionell werden die Planungen zwar durch den Präsidenten, meist schon vor dessen eigentlichen Amtseinführung getroffen (ebd.) Die Nutzung militärischer Ehrerbietung wurde bei den öffentlichen Veran- staltungen bisher jedoch nicht tiefergehend hinterfragt. Ansinnen ist die nationale Ehrung der Präsident:innen. Sie ist in dem Sinne für die Präsidenten reserviert und heben sich nochmal von Ehrungen anderer politischer oder militärischer Persönlich- keiten ab. Die militärische Ehrerbietung zielen letztendlich nicht auf direkte militä- rische Leistungen ab, auch wenn der Präsident Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist.

Elemente des Militärs sollen vielmehr auch zivilen Personen zugänglich werden, um deren Verdienste für den Staat zu ehren.

DEMOKRATIE UND MILITÄRISCHE EHRERBIETUNG

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Abb. 3: Aufgebarter Sarg von John F. Kennedy in der Rotunde des Capitol Building.

Abb. 4+5: State Funeral für Gerald Ford 2007: Sarg im Kapitol (oben rechts). Sowie Eherweisung durch Streitkräfte sowie Geistliche für Georg H.W. Bush 2018 (unten).

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Unmittelbare Funktionen übernehmen während der Trauerveranstaltung hochran- gige Militärs sowie uniformierte Soldat:innen. Uniformierte Mitglieder von Mari- ne, Luftwaffe, Landstreitkräften sowie des Küstenschutzes sind so jederzeit präsent.

Neun Soldat:innen tragen den Sarg. Die verschiedenen Teile der Streitkräfte sollen einen zeremoniellen Rahmen schaffen und die Beständigkeit des Schutzauftrags im Staat symbolisieren (JTF–NCR o.J.). Dies galt insbesondere bei im Amt verstorbenen Präsidenten.

Der kommandierende General im District of Columbia [kurz: JTF–NCR] eskortiert die nächsten Angehörigen. Bereits zum Zeitpunkt der offiziellen Bekanntgabe nimmt er diese Funktion ein. Wenngleich die Funktion einen stark repräsentativen Charak- ter trägt, beruht diese auf der Verbindung von Fürsorge des Staates für die Angehöri- gen sowie der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung (ebd.).

Zu diesen militärischen Funktionen kommen weitergehend ein Überflug der Luft- waffe hinzu sowie 21 Salutschüsse und das Abfeuern von Gewehrsalven über dem Grab. Die beiden letzteren Formen militärischer Ehrerweisung sind Bezüge auf his- torische Schlachten. Sie dienten als Mittel die Unterbrechung von Kampfhandlungen zu signalisieren. (ebd.)

FORMEN MILITÄRISCHER EHRERBIETUNG

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Abb. 6+7: Mitglieder der US-Streitkräfte wäh- rend des Staatsbegräbnis für Georg H.W. Bush im Capitol Building und der National Cathedral (unten).

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Eines der eindrücklichsten historischen übernommenen Motive ist das Überbringen des Sargs vom Capitol zur National Cathedral. Der Sarg ist dabei – wie bei der gesamten Zeremonie – in die amerikanische Nationalflagge gehüllt. Der Caisson Platoon des 3rd Infantry Regiment der U.S. Army (The Old Guard) transportiert den Sarg während des Hauptbegräbniszuges in Washington, D.C.. Diesem vorgespannt sind sechs gleichfarbig Pferde. Der Zug wird von den neun Sargträger:innen zu Fuß begleitet. (JTF–NCR o.J.)

Eine besondere Bedeutung kommt dem Caparisoned horse zu: Dieses wird hinter dem Zug geführt. In den Steigbügeln des leeren Sattels befinden sich ein umgedreh- tes Paar Stiefel. Sie symbolisieren, dass der Soldat, in dem Fall der Präsident und Oberbefehlshaber, nie wieder reiten wird.

Übernahm dieser Zug bzw. der Caisson-Wagen früher auch den Transport zu der letzten Ruhestätte im Heimatstaat des US-Präsidenten, fährt das historische Gespann heute über die mehrspurigen Straßen Washington – gefolgt von Aufgeboten des Mi- litärs. Das Gespann legt nochmal die große Historik offen: Letztlich soll mit den Staatsbegräbnissen der US-Präsidenten vor allem Gefühle der Sicherheit sowie dem Fortbestehen der Demokratie – mit ihren Symbolen der Stars and Stripes oder dem Capitol Building – hergestellt werden. Die gilt insbesondere bei unerwarteten Toden in bewegten Zeiten, wie dem Tod Theodor Roosevelts während des Zweiten Welt- kriegs oder dem Attentat auf John F. Kennedy. Spätestens im 20. Jahrhundert wurde das Staatsbegräbnis zu einem wichtigen Element eines amerikanischer Selbstver- ständnis und dem Glauben in die Standhaftigkeit der Demokratie.

Das Staatsbegräbnis von John F. Kennedy war gleichzeitig eines der größten Ereig- nisse der aufkommenden Medien- und Informationsgesellschaft, die fortan durch das Fernsehen geprägt werden sollte. Gerade hier sind es jedoch die persönlichen Gesten die im Gedächtnis der Zuschauer:innen bleiben.

HISTORISCHE SYMBOLIK

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Abb. 8+9: Trauerzug durch Washington D.C. für Theodor Roosevelt 1945 (unten) sowie Ro- nald Reagan 2004.

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Bianculli, David 2013. How Live TV Helped America Mourn The Loss Of JFK. URL: https://www.npr.

org/2013/11/22/246721071/how-live-tv-helped-america-mourn-the-loss-of-jfk?t=1612514700472 (05.02.2020).

Congressional Research Service (Hg.) 2018. Presidential State Funerals: Past Practices and Security Considerations. URL: https://www.everycrsreport.com/reports/IN11003.html (05.02.2020).

JOINT FORCE HEADQUARTERS NATIONAL CAPITAL REGION [JTF-NCR] o.J.. Military honors for former presidents. URL: https://www.usstatefuneral.mdw.army.mil/sf/honors (05.02.2020).

LITERATUR

Abb. 1: John F. Kennedy Presidental Library and Museum (Hg.) o.J.. Ohne Titel. URL: https://www.

jfklibrary.org/archives/about-archival-collections (05.02.2021).

Abb. 2: Ronald Reagan Presidential Library (Hg.) 2004. Nancy Regan saying her last goodbye to her husband President Ronald Reagan in 2004. URL: https://losangeleslifeandstyle.com/?p=1956 (05.02.2021).

Abb. 3: Architect of the Capitol (Hg.) o.J.. John F. Kennedy lying in state November 24-25, 1963.

URL: https://www.aoc.gov/what-we-do/programs-ceremonies/lying-in-state-honor (05.02.2021).

Abb. 4: Thalman, Hugh 2007. Lying in State, President Gerald R. Ford, United States Capitol Rotun- da.URL: https://americanhistory.si.edu/news/ford.htm (05.02.2021).

Abb. 5: Vucci, Evan 2018. The flag-draped casket of former President George H.W. Bush is car- ried by a military honor guard during a State Funeral at the National Cathedral. URL: https://

wtop.com/media-galleries/2018/12/photos-remembering-george-hw-bush-at-national-cathedral/

(05.02.2021).

Abb. 6: Schaff, Erin 2018. The public viewing for former President George Bush in the Capitol Rotunda on Tuesday. URL: https://www.nytimes.com/2018/12/04/us/politics/george-bush-funeral- unity.html (05.02.2021).

Abb. 7: JOINT FORCE HEADQUARTERS NATIONAL CAPITAL REGION [JTF-NCR] (Hg.) o.J.. Ohne Titel. URL: https://www.usstatefuneral.mdw.army.mil (05.02.2021).

Abb. 8: U.S. National Archives 1945. The funeral procession of President Franklin D. Roose- velt in April 1945. URL: https://www.funeralhelpcenter.com/us-presidential-funeral-traditions/

(05.02.2021).

Abb. 9: Suban, Mark o.J.. Members of a joint honor guard escort the caisson bearing former Pre- sident Ronald Reagan‘s flag-draped casket during his funeral procession here June 9. URL: https://

commons.wikimedia.org/wiki/File:Ronald_Reagan_casket_on_caisson_during_funeral_proces- sion.jpg (05.02.2021)

ABBILDUNGEN

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DIE SEPULKRALKULTUR IN DER DDR UND IHR RÄUMLICHER AUSDRUCK Eine Annäherung an das Krematorium des Erfurtuter Hauptfriedhofs

Carolin Schmidt

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Die ehemalige DDR erfuhr die Feuerbestattung durch eine starke Förderung aus ideologischen Gründen bestärkt durch die Ablehnung der Kirche. Dies zeigen allein schon die Zahlen der Kremierungen: Zwischen 1960 und 1980 erhöhten sich die Feuerbestattungen um 50 % auf 140.000 Menschen pro Jahr. (Hübner 2013: 27-28) Im Jahr 1960 gründete sich das Institut für Kommunalwirtschaft in Dresden, wel- ches das Ziel verfolgte, die Sepulkralkultur für eine sozialistische Gesellschaft zu transformieren. Dies drückte sich beispielsweise in der Zuweisung der Friedhöfe als öffentliche Räume oder der Bemühung um eine einheitliche Grabgestaltung aus.

(Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal 2002: 171-183)

Ebenso wurde der Aufbau eines dichten Netzes an Krematorien angestrebt. Alle 50 km sollte ein Krematorium entstehen, in Städten mit mehr als 20.000 Einwohner:in- nen sogar je 30km. Die Realität stellte sich jedoch anders dar, von den vielen geplan- ten Instandsetzungen und Neubauvorhaben wurden nur wenige umgesetzt. Die ein- zigen beiden neugebauten Krematorien befinden sich in Erfurt und Schmalkalden.

Meist werden die bereits bestehenden Krematorien weiter genutzt trotz schlechter baulicher und sicherlich auch technischer Zustände. (Hübner 2013: 27-28)

Um einen Überblick der Krematorien in der DDR zu erlangen, werden die nach Be- zirk gegliederten Bände der Architekturführer der DDR auf die Erwähnung von Kre- matorien hin untersucht. Diese sind alle beim VEB Verlag für Bauwesen erschienen unter der Herausgeber:innenschaft der Bauakademie der DDR (Institut für Städtebau und Architektur), Bund der Architekten der DDR und dem Institut für Denkmalpfle- ge in der DDR zwischen 1974 und 1991 erschienen. Die Erarbeitung der Inhalte auf Bezirksebene erfolgte durch lokale Verantwortliche. In der Regel werden hier die Objekte stichpunkthaft erwähnt und erläutert, wichtige Gebäude werden mit Abbildungen dargestellt. Die Analyse zeigt, dass sowohl Bestandgebäude als auch Neubauten verzeichnet sind. Insgesamt werden 11 Krematorien erwähnt, teils mit ausführlicherer Beschreibung und Bebilderung, wie beispielsweise die Neubauten in Erfurt und Schmalkalden. Ein Krematorium wird als in Planung befindlich ange- führt. Des Weiteren werden 9 Trauerhallen genannt, welche alle zu DDR-Zeit errich- tet wurden. Wie die Verbindung von Architektur und Sepulkralkultur ausgesehen hat lässt sich mit dieser Analyse nicht beantworten. Die Objekte, die aufgezeigt werden, erfahren jedoch eine Würdigung, da in den Architekturführern nur eine Auswahl an Objekten angeführt wird. Wenn auch die Mehrheit der geplanten Krematorien nicht umgesetzt wurden, werden die Bestandsgebäude weitergenutzt und nicht er- setzt. Die Vermutung liegt nahe, dass der technische Aufwand von Krematorien im Vergleich zu Trauerhallen relativ hoch war und sich im Preis der Baukosten nieder- schlug, weshalb diese deutlich öfter errichtet wurden.

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Der räumliche Ausdruck der von der DDR forcierten Sepulkralkultur zeigt sich in den Neubauten der Krematorien. Anhand der Baubeschreibung des Krematoriums auf dem Erfurter Hauptfriedhof sollen diese Bestrebungen einmal beleuchtet werden.

Baubeschreibung

Das Krematorium liegt auf dem Erfurter Hauptfriedhof in der Nähe des Hauptein- gangs und wurde 1973 bis 1976 nach den Entwürfen des ungarischen Architekten Janos Szabo errichtet. Das Gebäudeensembles ist rückseitig zur Straße gelegen und zeigt nach Nord/ Nordwest, der Haupteingang bzw. die Repräsentationsseite richtet sich nach Süd/Südost und ist der Friedhofsanlage zugewandt. Das Bauwerk ist in die von West nach Ost verlaufende Hanglage integriert und steht fast am höchsten Punkt des großen Friedhofgeländes, welches in südliche Richtung hangabwärts ver- läuft. Dabei fügt es sich in die bestehende topografische Lage ein, so erscheint es bei fußläufiger Erkundung zunächst zwischen zahlreichen Bäumen hervorzutreten, womit das Bauwerk geschickt in die Grünanlage des Parkfriedhofs eingebettet ist.

Vor der südlichen Schauseite erstreckt sich ein Vorplatz aus großen Betonplatten in schwarz-weißem Raster. An den Seiten finden sich jeweils Sitzgelegenheiten, sowie einzelne Bronzestatuen aus DDR-Zeit. Das Ensemble zeichnet sich durch eine sehr klare und schlichte architektonische Formensprache aus und wirkt durch die weiße Farbigkeit der Fassaden, eine einladende Freitreppe und den großen Vorplatz erha- ben und modern.

Der Gebäudekomplex besteht aus mehreren zusammenhängenden Baukörpern, welche sich in vordere, dreigeschossige und exponierte als auch in rückgelagerte, flachere Teile gliedern lassen.

Die Ansicht des vorderen Baukörpers ist durch Versprünge gekennzeichnet, womit in der Erscheinung zwei Kuben entstehen. In diesem Gebäudeteil befinden sich zwei große Trauerhallen. Die Fassadengestaltung der Frontseite ist horizontal geprägt mit dreiteiliger Zonierung: Einem Sockelgeschoss, einer raumhohen Fensterzone sowie einer großen auf Stützen stehenden fensterlosen Zone.

Die weiß verputzten Kuben gehen durch eine raumeinnehmende Freitreppe eine Verbindung miteinander ein, während die etwas asymmetrisch vor den beiden Ku- ben platzierte Freitreppe der Fassade die gleichförmige Strenge nimmt. Die Treppe führt zunächst auf eine großzügige Terrasse, von der sich einerseits der Blick über das Tal eröffnet und andererseits der Gebäudeeingang zwischen den Kuben liegt.

Mittig zwischen den beiden Baukörpern befindet sich über der Eingangstür in der obersten Etage ein Fenster, welches durch seine Position etwas eingekeilt wirkt. Die Ein- bzw. Ausgänge sitzen rechts und links unter der Treppenanlage, wobei der linke Eingang durch drei Treppenhohe Betonwandelemente verdeckt wird. Der rechte

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–43– Abb. 2: Luftbild des Krematoriums vom Juni 2006 Abb. 1: Das Krematorium in den 1980er Jahren

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Abb. 4: Seitenansicht Krematium 2021 –44–

Abb. 3: Ansicht Krematorium 2021

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Eingang befindet sich im rechten Winkel zur Gebäudefront an der Treppe und ist in einem Betonrahmen gefasst.

Die rechte vordere Gebäudekante wird durch drei terassenförmige Stufen, die bis knapp unter die Terrasse und mit hochwachsenden Gräsern bepflanzt sind, in ihrer Klarheit aufgebrochen. Linkerhand der Freitreppe befindet sich ein großmaßstäbli- ches bronzenes Wandrelief in abstrakter, wellenförmiger Gestaltung von Günter Rei- chert mit dem Titel „Das Leben“ (Wieler 2001: 159). Die Gestaltungselemente der bepflanzten Stufen als auch das Relief erden das sonst mit der Treppenlinie empor- ragende Gebäude scheinbar. Auf Höhe der Terrasse befindet sich eine in den Kubus zurückversetzte regelmäßige Stützenreihung, die relativ unscheinbar bleibt. Hinter dieser befindet sich eine Glasfront, die sich über die gesamte Länge der Frontseite bis auf die Seiten zieht.

An der Seite des hinteren Gebäudeteils erscheint ein weiterer Gebäudezugang. Vor diesem befindet sich eine kleine Gartenanlage im japanischen Stil. In diesem hin- teren Gebäudeteil sind zum einen die Verbrennungsöfen und zwei kleinere Trauer- hallen als auch die Verwaltung untergebracht. Auf der Gebäuderückseite befindet sich die zweckmäßige Erschließung für den Betrieb des Krematoriums. Der hintere Gebäudekomplex kann als architektonisch zurückhaltend beschrieben werden.

Der Innenraum konnte aufgrund von Trauerfeiern leider nicht besichtigt werden.

Die Sanierungsmaßnahmen von 2007 bis 2010 betrafen sowohl den Innenraum als auch die Gebäudehülle selbst (Landeshauptstadt Erfurt o.J.). Die Eingriffe können anhand der Abbildung aus den 1980er Jahren verglichen werden.

Dabei wurde in der Erscheinung der Frontseite des Gebäudeensembles stark inter- veniert. Ursprünglich wurde das Gebäude mit zwei großen Freitreppen jeweils an den Außenseiten erschlossen, sodass mittig im Erdgeschoss ein weiterer Eingang saß.

Über diesem war das Bronzerelief mittig angebracht. Die heute fast mittig sitzen- de Treppe, nimmt jedoch das bauzeitliche Motiv wieder auf. Die Betonwände für die heutige Erschließung des Erdgeschosses, wie auch das terrassenförmige Stufen- element auch der rechten Gebäudekante sind Teil der Sanierungsmaßnahmen. Das Raster des Vorplatzes wurde ebenso erneuert, dabei lassen sich jedoch kaum Unter- schiede zum vorherigen bemerken.

Bei der Sanierung des Baukörpers selbst wurde die Gebäudekubatur selbst erhalten.

Das kubische Attikageschoss bestand ursprünglich aus vertikalen, unverputzten Plat- tenelementen mit einem den oberen Abschluss umlaufenden Ring. Der vordere Teil mit den Treppenanalgen wurde dagegen maßgeblich verändert. Die zentrale Trep- penanlage fügt sich dabei jedoch in das Gebäude ein, ohne fremd zu wirken. Die Betonwände der neuen Erschließung erscheinen allerdings durch ihre grobe Mate- rialität und deren Wetter bedingte Verunreinigung im Gegensatz zu der schlichten

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Kubatur und heute weißen Fassade wenig eingliedernd und eher unpassend.

Aussagen über den Sanierungsstand Innen können leider abermals nicht getroffen werden.

Die Gebäudegestaltung hinsichtlich der Funktion als Krematorium und Ort der Trauer im Kontext der Sepulkralkultur der DDR erfolgt über eine schlichte, abstrakte nahezu klinische Formgestaltung. Anklänge an religiöse Motive lassen sich hingegen nicht finden. Die großzügige Treppenanalge strahlt eine gewisse aufwärtsstrebende Dyna- mik aus. Dennoch bleibt dem Bauwerk mit der horizontalen Ausrichtung eine ge- wisse Ruhe und Unaufgeregtheit erhalten, wobei es durch den Verpsrung der Kuben keineswegs monumental wirkt. Die beiden gegensätzlichen Charakteristika Ruhe und Bewegung könnten als Methapher für das Leben gedeutet werden. Schließlich wirkt das Ensemble weltlich und modern und gilt nicht zuletzt als ein besonders ge- lungenes Bauwerk der neuen Moderne in der DDR (Hübner 2013: 27-28).

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LITERATUR

Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal 2002. Vom Reichsausschuss zur Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal : Kolloquium am 8. und 9. November 1996 / veranst. vom Zentralinstitut für Sepulkralkultur, Kassel. Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. [Red.: Barbara Leisner ; Wolfgang Neumann]. Kassel: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal.

Hübner, U. 2013. Kunst und Architektur der deutschen Feuerbestattungsanlagen im historischen Kontext. Unter besonderer Berücksichtigung der Krematorien in Sachsen. Dresden. Verfügbar unter:

https://d-nb.info/1068153806/34.

Landeshauptstadt Erfurt o.J. Bestattungswesen: Feierhallen. Verfügbar unter: https://www.erfurt.de/

ef/de/erleben/sehenswertes/friedhoefe/bestattungswesen/108161.html.

Wieler, U. Hrsg. 2001. Architekturführer Thüringen: vom Bauhaus bis zum Jahr 2000. 2. verb. u.

korr. Aufl. Weimar: Bauhaus-Universität, Universitätsverlag.

ABBILDUNGEN

Abb. 1: Untere Denkmalschutzbehörde Thüringen o.J.

Abb. 2: Google Earth 2006.

Abb. 3: Eigene Aufnahme 2021.

Abb. 4: Eigene Aufnahme 2021.

Referenzen

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