Management, Marketing und Informationssysteme Organisationale Routinen und Informationssysteme
26. November 2014 Leonhard Dobusch
Diskussion der Vorablektüre
Edmondson et al. (2001): Disrupted Routines: Team Learning and New Technology Implementation...
Gruppe 1:
§ Welche Rolle spielt die Größe eines Unternehmens dabei neue Innovationen und damit Routinen einzuführen?
§ Welche Abteilungen sind für die Entstehung/Änderung von Routinen verantwortlich? Management oder Fachabteilungen?
Gruppe 2:
§ Wann(Bedingungen, Gegebenheiten) führen neue
Technologien zu neuen Routinen und wann(Bedingungen, Gegebenheiten) nicht?
§ Wie unterscheidet man zwischen Routinen und Prozessen?
Diskussion der Vorablektüre
Feldman/Pentland (2003): Reconceptualizing Organi-
zational Routines as a Source of Flexibility and Change:
Gruppe 3:
§ Wie schwierig ist das ändern von Routinen in der Praxis?
Welche Barrieren gibt es?
§ Welche Vor- und Nachteile haben bisherige Erfahrungen beim Aneignen von neuen Routinen?
Gruppe 4:
§ Was ist der Unterschied zwischen ostensiven und performativen Routinen?
§ Inwieweit kann der performative Aspekt ausgedehnt werden und ggf. unterteilt werden in notwendige Anpassungen und rebellische Anpassungen?
Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
Routinen und Organisationen
Klassischer Routinebegriff Taylors
§ Ausgangspunkt: Taylors Bewegungsstudien („Scientific Management“)
§ Routinen als individueller, wiederholter Regelvollzug
§ Basis für arbeitsteilige Produktivitätsgewinne
§ Problem: Demotivation, Sinnverlust, Inflexibilität
§ Drei Elemente (nach Geiger/Koch 2008)
(1) ein (genau) bestimmbares, auslösendes Ereignis (Stimulus) (2) der Vollzug eines konkreten Handlungsmusters (Response) (3) die ständige Wiederholung des Routinevollzugs
>> Stabilität, Repetition, Verlässlichkeit als zentrale
Merkmale von Routinen
Routinen als Könnerschaft (Geiger/Koch 2008)
Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
§ Ausgangspunkt: Polanyis Konzept von „tacit knowledge“
§ Personal Knowledge: individuelle Könnerschaft in das Handeln von Personen eingewoben
§ Schwer zu kodifizieren („tacit“)
§ Problem: Erwerb nur durch Übung- und Imitationsverhalten
§ Verhältnis zum klassischen Routinebegriff:
§ Außergewöhnliche Leistungen als Routinen
§ Nicht-Explizierbarkeit der Könnerschaft
§ Aber: weiterhin individuell-habitueller Routinebegriff
>> Bedeutung des Kontexts als organisationaler Aspekt
Evulotionsökonomischer Routinebegriff
§ Ausgangspunkt: Routinen als zentrale Bausteine („Gene“) von Organisationen
§ Beharrungstendenzen und Rigiditäten
§ Grund für Selektion auf Populationsebene
§ Drei Arten von Routinen nach Nelson/Winter (1992)
(1) Operationale Routinen: kurzfristig, operationale Leistungen (2) Routinen: Budgetierung, Investitionsentscheidungen
(3) Veränderungsroutinen: Reorganisationsroutinen
>> erstmals Wandel mittels Routinen, in revolutionären
Phasen („punctuated equilibrium“)
Routinen als Grund für Stabilität und Wandel
Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
§ Ausgangspunkt: Aufgabe der Trennung zwischen stabilen und verändernden Routinen
§ Routinen als „mikrofundierte soziale Praktik“ (Geiger/Koch 2008)
§ Zwei analytisch getrennte Aspekte jeder Routinen nach Feldman/Pentland (2003)
(1) Ostensive: übergreifender, strukturelle Aspekte von Routinen (2) Performative: Vollzug von Routinen, Anwendung im
konkreten Einzelfall
>> Flexibilität und Wandel als Wesensmerkmal
organisationaler Routinen
Exkurs zum Konzept der Performativität
§ Butler (1990/2003):
„Zunächst einmal darf Performativität nicht als ein vereinzelter oder absichtsvoller ‚Akt’ verstanden werden, sondern als die ständig wiederholende Praxis, durch die der Diskurs die
Wirkungen erzeugt, die er benennt.“
§ Ortmann (2004): „Vorgriff, der von der Nachträglichkeit seiner Einlösung zehrt“
§ Tendenz zu Selbstbestätigung, Selbstwiderlegung und Drift
§ Beispiel für performative Akte in Organisationen:
§ „Hiermit eröffne ich die Sitzung“
§ Legitimationsfassaden, die „effizient“ Effizienz simulieren
Zum Verhältnis von Praktiken und Routinen
Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
§ Reckwitz (2003): Praktiken im Spannungsfeld zwischen
„Routinisiertheit einerseits, der Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheiten andererseits“
§ Routinen als „Einheit von Handeln, Lernen und Innovation“ (Geiger/Koch 2008: 700)
§ Routinen als Basiseinheit aller organisationalen Phänomene
§ Anschlussfähig an Konzepte wie dynamic capability, bricolage, etc.
>> Jede Routine ist eine Praktik und jede Praktik stützt
sich auf Routinen
Bedeutungwandel des Routine-Begriffs
Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
SOZIALE PRAKTIK
Tabelle 1: Gegenüberstellung der einzelnen Entwicklungsstufen des Routine-verständnisses
Entwicklungs-
stufen 1. Entwicklungs- stufe „klassische Routine“
1. Entwicklungs- stufe Routine als Könnerschaft
3. Entwicklungs- stufe Routine als kollektive Fähigkeit
4. Entwicklungs- stufe Routine als soziale Praktik Gegenstand Ex-ante definierte
Handlungsvollzüge Außergewöhn- liche (individuelle) Handlungs- ergebnisse
Gedächtnis/Gene/
Basismuster einer Organisation
Kollektive, komplexe Handlungs- vollzüge Zentrales
Erklärungsziel Gleichförmiges, erwartbares Verhalten, Ratio- nalisierung durch Routine
Außergewöhn- liche individuelle Leistungen
Organisatio- nale Evolution/
Kompetenz
Organisationale Handlungsverläufe
Kausalschema Immer wenn a, erfolgt b und führt zu c.
Immer wenn erfolgreiches c eintritt, wird b vermutet, Stimulus unbedeutend
Immer wenn c eintritt, wird b vermutet, Stimulus unbedeutend
Keine
Kausalzurechnung
Formalisierung Vollständig und
notwendig Unmöglich z.T. möglich Formalität nicht
thematisiert Dimension Formale Struktur,
explizit Informell, implizit Struktur und
Prozess Prozess
Veränderung Undynamisch Nur z.T., da Skill Makrodynamik und
Mikroveränderung Reine
Mikrodynamik Reflexionsgrad Vollständig
durchdrungen Keine Reflexion Umfasst reflektierte als auch unreflek- tierte Elemente
Umfasst reflektierte als auch unreflek- tierte Elemente
Die Gegenüberstellung verdeutlicht zugleich, dass hinter den einzelnen Konzeptionen der Routine auch unterschiedliche theoretische Desiderate stehen. Dadurch, dass Routinen im Sinne von sozialen Praktiken auf die informellen, tatsächlichen und emergenten Hand- lungsvollzüge in Organisationen abstellen, wird der Anspruch erhoben, das reale organi- sationale Geschehen in seiner komplexen sozialen Einbettung abzubilden. Damit wird das Routinekonzept jedoch zweifelsohne stark aufgeladen: es steht nicht mehr nur für das Formale, sondern auch das Informale, es steht nicht nur für Erwartbarkeit und Stabilität (Struktur), sondern insbesondere für Unerwartbares und Veränderung (Prozess).
In diesem Sinne unterläuft eine solche Vorstellung von Routine jedoch eine Reihe von zentralen Unterscheidungen, die konstitutiv für ein betriebswirtschaftliches Verständnis von Organisationen sind:
Aus: Geiger/Koch (2008, S. 703)
Routinen und (Informations-)Technologien
Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
§ Technologie als Nexus aus „task, technique, knowledge, and tools“ (Orlikowski 1992: 399)
§ Körperlichkeit und Materialität als Eigenschaft jeder Routine
§ Z.B. Habitus, Kommunikationswerkzeuge, etc.
§ Informationsystemforschung: Fokus auf „Tool“-Aspekte (inter-)organisationaler Routinen
IT und Organisation: Klassische Perspektiven
§ Drei klassische Forschungsstränge (Orlikowski 1992)
§ Technologischer Determinismus: Auswirkungen von Technologien auf Organisationen
§ Strategische Wahl: Kontingenz bei Entscheidungen über Technologieeinsatz
§ Technologie als Auslöser für Wandel: Kontingenz bei organisationaler Reaktion auf technologischen Wandel
>> Schwanken zwischen voluntaristischen und
deterministischen Positionen
Dualität von Struktur (Giddens 1984)
Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
Struktur Handlung
Überwachen, Kontrollieren und Steuern des Handelns
(reflexive monitoring) Handlungsrationalisierung Handlungsmotivation
unerkannte Handlungs- bedingungen
unbeabsichtigte Handlungsfolgen
Dualität von Technologie: Beispiele
§ Der Segelschiff-Effekt: Innovationssprünge am Ende von Technologielebenszyklen
§ User-Innovation: Appropriation und Mashup jenseits von Designer-Intentionen
§ Emanzipations-Unterdrückungs-Paradox
§ Internet als Emanzipative Technologie: Zugang, Verbreitung, Verteilung, Ubiquität
§ Internet als Unterdrückungsinstrument: Überwachung, Zensur, Kontrolle, Ubiquität
Hausarbeitsthemen?
Prof. Dr. Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin
Gruppen á 3-4 Personen:
Was könnte eine Hausarbeit zum Thema untersuchen?
§ Titel
§ Fragestellung
§ Fall
Literatur
§ Geiger, D./Koch, J. (2008): Von der individuellen Routine zur organisatonalen Praktik: Ein neues Paradigma für die Organisationsforschung? In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf), 60, 693-712
§ Giddens, A. (1984): The Constitution of Society: Outline of a Theory of Structuration. Cambridge: Polity Press.
§ Nelson, R./Winter, S. (1982): Nelson, R.R./Winter:G. (1982): An Evolutionary Theory of Economic Change. Cambridge, MA: Belknap Press.
§ Ortmann, G. (2004): Als Ob: Fiktionen und Organisationen. Wiesbaden: VS- Verlag für Sozialwissenschaften.
§ Reckwitz, A. (2003): Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken: Eine sozialtheoretische Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie, 43 (4), 282-301