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Archiv "1981: Hundert Jahre deutsche soziale Krankenversicherung — auch fünfzig Jahre Kassenarztrecht" (12.11.1981)

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100 Jahre Kaiserliche Botschaft

Der Bestand des Kassenarztrechts war insbesondere in der ersten Nachkriegsphase keineswegs unge- fährdet — im Gegenteil! Es hat, ins- besondere bei den Besatzungs- mächten (in erster Linie bei der ame- rikanischen Militärregierung) nicht an starken Tendenzen gefehlt — zum Teil auch unter Hinweis auf mit dem System nicht einverstandene Ärzte — das ganze Kassenarztrecht als eine

„unerwünschte Monopolbildung"

durch die Dekartellisierungsbehör- den beseitigen zu lassen und wieder zum Ausgangspunkt der Entwick-

lung zurückzukehren: dem einseiti- gen Angebot der Krankenkassen an Ärzte, Verträge zu angebotenen Be- dingungen abzuschließen.

Daß sich die Masse der Krankenver- sicherungsträger damals solchen Schritten, ja Versuchungen und da- mit einer Rückkehr zu den Verhält- nissen von vor 1913 widersetzt hat, soll bei dieser Rückschau gebüh- rend unterstrichen werden. Im ge- genseitigen, meist stillschweigen- dem Einvernehmen wurde das Kas- senarztrecht zuerst auf der Bezirks- ebene, nach Bildung der neuen Län- der und Aufhebung einschränken- der Bestimmungen der Militärregie- rung dann auf Landes-, danach auf Zonenebene und dann auch interzo- nal praktiziert.

Vielfach wird es heute fast als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, daß es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelang, nicht nur die

von diesem hinterlassenen Trüm- mer, sondern auch das Kassenarzt- recht wiederaufzubauen, seine Or- gane und Funktionen den Erforder- nissen anzupassen. Wer in alten Ärz- teblättern und seinen eigenen Erin- nerungen „kramt", wird aber zu der Erkenntnis gelangen, daß dies im Wesentlichen einer ganz ungewöhn- lichen und nachhaltigen Anspan- nung der Kräfte sowohl hervorra- gender Persönlichkeiten aus den Reihen der deutschen Ärzte, als auch ebensolcher Vertreter aus den Reihen der Vertragspartner zu ver- danken ist.

In ihren wieder- und neugegründe- ten Organisationen konnte die Ärz- teschaft dabei für die Bildung von Vorständen und Geschäftsführun- gen usw. sowohl auf Personen zu- rückgreifen, die in den zwanziger Jahren reiche berufspolitische Er- fahrungen, z. B. im Deutschen Ärzte- vereinsbund oder im Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) gesammelt hatten, als auch auf eine Reihe jüngerer Angehöriger der

„Frontgeneration", die bereit waren, ihre Kräfte für alle einzusetzen.

Nach der Ablösung der „Zigaretten-"

und der „Butterwährung" durch die Währungsreform im Jahre 1948 erwies sich schnell, daß mit dem noch vorhandenen Instrumentarium des seit 1931 geltenden Vergütungs- abkommens den Notwendigkeiten nicht Rechnung getragen werden konnte. Steigende Preise und diesen nachfolgende Lohnerhöhungen lie-

ßen die kassenärztliche Gesamtver- gütung bereits ständig an Wert ver- lieren; dazu trat dann noch eine fast gleichzeitige erhebliche Steigerung des Bedarfs an ärztlichen Lei- stungen.

Diese beiden Entwicklungen führten dazu, daß der auf den einzelnen Kas- senarzt entfallende, sowieso an Wert verlierende Anteil an der Gesamtver- gütung noch laufend weiter ge- schmälert wurde und nach Abzug der Praxiskosten damit immer weni- ger Einkommen verblieb.

I> Diese Entwicklung der damaligen Zeit ist sicher die wesentliche Ursa- che dafür, daß bis heute ein Kopf- pauschale als Berechnungsart für die Gesamtvergütung im Mißkredit ist, obwohl z. B. im Gesetz über Kas- senarztrecht von 1955 seine neue Definition bzw. Beschreibung das Kopfpauschale an die erforderlichen ärztlichen Leistungen bindet, und für den Vertragsabschluß die ange- messene Vergütung der ärztlichen Leistungen der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Kran- kenkassen gesetzlich ausdrücklich gleichgeordnet ist.

Ludwig Sievers (Präsident der Ärzte- kammer Niedersachsen und Vorsit- zender des Nordwestdeutschen Ärz- tekammerverbandes) gelang als Er- stem bereits vor der Währungsre- form der Durchbruch durch die

„Schallmauer" der Vorschriften des Vergütungsabkommens von 1931/32 mit der Vereinbarung eines Zuschla- ges in Höhe von 2 Prozent zum Kopf- pauschale als Ausgleich für den (ge- gen Schluß des Krieges verordne- ten) Wegfall der Aussteuerung und später mit der Vereinbarung des

„DM-Schiedsgerichtes". Als einer der stellvertretenden Vorsitzenden des Beratungsausschusses der Ar- beitsgemeinschaft oder Westdeut- schen Ärztekammern, seit Oktober 1948 als Vorsitzender der Arbeitsge- meinschaft der Landesstellen der KVen der britischen und amerikani- schen Zone, später des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und danach der KBV verfolgte der hochbegabte Or- ganisator mit dem naturgegebenen Instinkt für das Wesentliche mit bei- spielloser Zähigkeit seine Ziele. 1>

1981:

Hundert Jahre deutsche

soziale Krankenversicherung — auch fünfzig Jahre

Kassenarztrecht

Rolf Schlögell

Fortsetzung von Heft 45/1981, Seite 2139 ff., und Schluß

2196 Heft 46 vom 12. November 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Ludwig Sievers, Friedrich Thieding und Karl Haedenkamp waren die we- sentlichen Motoren für das Zustan- dekommen von Honorarverhandlun- gen für die sogenannte "Bizone"*).

Haedenkamp, einer der ehemaligen Generalsekretäre des Verbandes der Ärzte Deutschlands und neben Dr.

Reichert einer der wesentlichen In- itiatoren und Unterhändler für die Regelung von 1931, vereinte reiche berufspolitische Erfahrung mit reak- tionssicherem Instinkt. Sein Referat auf dem außerordentlichen Deut- schen Ärztetag 1952 in Bonn ist aus der neuerenGeschichte des Kassen- arztrechts kaum wegzudenken. Die Vollendung seiner Bemühungen um das Gesetz über Kassenarztrecht hat er nicht mehr erleben dürfen; er starb im Juni 1955.

Die Honorarverhandlungen für die Bi-, später auch die Trizone (also vor der Konstituierung der Bundesrepu- blik Deutschland) mußten nach Lage der Dinge schwierig sein; sie stellten physisch und psychisch hohe Anfor- derungen an die Teilnehmer. Aus der Reihe der Vertreter der Kranken- kassen sind besonders Namen wie die des früh verstorbenen Düssel- dorfer Bürgermeisters Georg Glock, der Herren Umrath, Strakeljahn, Ge- orge, Dr. Hilbert und Biel, Dr. Alex- ander, Dr. Estenfeld, Tervooren, Pa- scheid, aber auch viele andere mit diesen Verhandlungen verbunden.

Verhandlungsgegenstand waren in erster Linie Forderungen auf pro- zentuale Zuschläge zu den Gesamt- vergütungen je Mitglied, daneben auch Einzelprobleme, wie z. B. ein Zuschlag zur Gesamtvergütung in- folge Steigans der Benzinpreise (1949!).

Nach einer längeren, aber letztlich nicht erfolgreichen zweiten überzo- nalen Verhandlungsrunde deutete sich das Ende der (in Konsequenz des Reichsvergütungsabkommens von 1938) zentral geführten Hono- rarverhandlungen an. Der um seine Vermittlung angegangene damalige Bundesarbeitsminister (vorher Di- rektor der Verwaltung für Arbeit der sogenannten "Trizone"**) Anten Storch versuchte, durch zentrale Gespräche als guter Makler die fest-

gefahrenen Verhandlungen noch einmal in Gang zu bringen - schei- terte aber ebenfalls. Diese Zäsur be- deutete den Beginn der Verlagerung der Verhandlungen über die weitere Vertragsgestaltung, insbesondere die Honorarhöhe auf die Ebene der KVen bzw. deren Untergliederun- gen.

Schmerzhaftes Ringen um die Grundlagen gemeinsamen Wirkens

Für Prof. D. Dr. Hans Neuffer, eine Persönlichkeit, in deren Ausstrah- lung sich jeder Arzt aus Berufung immer wiederfinden und wiederer- kennen konnte und kann, führten übrigens die Vorgänge beim Schei- tern der letzten zentralen Honorar- verhandlungen 1949 zu dem Ent- schluß, seine Tätigkeit auf die gro- ßen Aufgaben, die auf ihn im Ärzte- kammerbereich warteten, zu kon- zentrieren. Bei Dr. Friedrich Thie- ding führte der gleiche Vorgang zu dem Entschluß, gemeinsam mit Gleichgesinnten (so z. B. Haeden- kamp) den Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) als

"Schutz und Schirm" für KVen und Kammern wiederzugründen. ..,. Daß hieraus eine Zeitlang Kompe- tenzschwierigkeiten erwuchsen und einige Jahre hindurch harte inner- ärztliche Auseinandersetzungen, die u. a. mit den Begriffen "Zwangsmit- gliedschaft", "Zwangsschlichtung"

und "vertragsloser Zustand" um-

schrieben werden können, das Bild nach innen (aber auch nach außen) beherrschten, soll der historischen Vollständigkeit halber angeführt werden. ln der Rückschau wirkt bei- des wie Teile eines schmerzhaften Ringens um das Finden einer ge- meinsamen Form und um Grundla- gen für gemeinsames Wirken; viel- leicht wiederholt sich solches Rin- gen sogar von Zeit zu Zeit mit der fortschreitenden Entwicklung der allgemeinen Gegebenheiten.

Heute weitgehend in Vergessenheit geraten, aber als in seinen Auswir- kungen wichtig, erwies sich das im Juni 1949 vom Wirtschaftsrat des

Spektrum der Woche :'Aufsätze ·Notizen 100 Jahre Kaiserliche Botschaft

Vereinigten Wirtschaftsgebietes er- lassene Gesetz über die Regelung der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten, Dentisten und Kranken- kassen. Mit ihm sollte der in der RVO verankerte Reichsausschuß für Ärz- te und Krankenkassen mit allen dort beschriebenen, umfassenden Be- fugnissen im Vereinigten Wirt- schaftsgebietes wieder in Funktion gesetzt werden.

Nach der Weigerung der alliierten Kontrollkommission, diesem Gesetz kurz vor der Bildung der ersten Or- gane der Bundesrepublik zuzustim- men, kam die erste neugewählte Bundesregierung zu der Auffas- sung, daß die dem ehemaligen Reichsausschuß in der RVO erteilten Ermächtigungen mit den Vorschrif- ten des Grundgesetzes nicht mehr vereinbar seien.

Dies wiederum war Anlaß dazu, daß das Bundesarbeitsministerium im Oktober 1951 den Entwurf eines Ge- setzes über die Regelung der Bezie- hungen zwischen Ärzten und Kran- kenkassen vorlegte, der (wegen weitgehender Forderungen der Krankenhäuser auf Einschaltung in die ambulante kassenärztliche Ver- sorgung als Institution) erst ein Jahr später von der Bundesregierung dem Parlament zugeleitet wurde.

Damit wardann das Gesetzgebungs- verfahren für das Gesetz über Kas- senarztrecht auf den Weg gebracht, das 1955 mit dem bekannten Ergeb- nis endete.

An dieser Stelle müssen der Einsatz und das ganz besondere Verdienst von Dr. Arnold Hess um das GKAR hervorgehoben und gewürdigt wer- den. Seine Gedankenklarheit, sein exquisites juristisches Fachwissen, seine Überzeugungstreue und seine Sachlichkeit werden in vielen Vor- schriften des Gesetzes selbst, aber

•) Die bis 1949 unter amerikanischerund bri- tischer Militärregierung stehenden Gebie- te unter Ausschluß der französischen Zone.

.. ) Die bis zur Gründung der Bundesrepublik bestehenden drei westlichen Besatzungs- zonen.

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 46 vom 12. November 1981 2197

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

100 Jahre Kaiserliche Botschaft

auch in den meisten Folge-Verord- nungen (z. B. dem Bundesmantel- vertrag) widergespiegelt.

Eine wesentliche Neuerung des Kas- senarztgesetzes von 1955 betraf die Errechnung der kassenärztlichen Gesamtvergütung. Das Monopol des aus Ausgaben der Vergangenheit er- rechneten Kopfpauschales wurde aufgelöst zugunsten eines „aktuali- sierten" Kopfpauschales, das auf in einem vereinbarten Zeitraum ausge- führten ärztlichen Leistungen basie- ren soll; ferner wurden Fallpauscha- le, Einzelleistungserrechnung oder Mischsysteme zugelassen. Es wurde ein nahtloses System von Verträgen gebildet, das vom Bundesmantelver- trag über den Landesmantelvertrag bis zum Gesamtvertrag zwischen einzelnen Kassen und der zuständi- gen KV reicht. Für den Fall, daß sich Krankenkassen und Ärzte über den Inhalt eines Vertrages ganz oder in Teilen nicht einigen konnten, wurde die Festsetzung des Vertragsinhal- tes dem Schiedsamt übertragen. (Es kann nicht Zweck eines Rückblicks sein, alle Einzelheiten wiederzuge- ben; sie dürften im übrigen bekannt sein.)

Die Rückblende auf die damaligen Beratungen im Bundestag und sei- nen Ausschüssen läßt Namen, wie die von Frau Dr. Viktoria Steinbiss (Bielefeld), Dr. Richard Hammer (Darmstadt), Dr. Siegfried Bärsch (Bremen/Köln), Dr. Willy Reichstein (München) und Dr. Siegfried Mör- chel (Salzgitter-Lebenstedt) in der Erinnerung wach werden — ärztliche Bundestagsabgeordnete, die — un- abhängig von ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Fraktionen — alles ta- ten, dem für richtig erkannten Ziel der Sicherung einer möglichst quali- fizierten ambulanten ärztlichen Be- treuung unter Anpassung, Abrun- dung und grundgesetzkonformer Gestaltung der Grundsätze des Kas- senarztrechts aus dem Jahre 1931 zur parlamentarischen Annahme zu verhelfen. Hierbei, wie bei vielem an- deren später, darf die wirkungsvolle Koordinierungsarbeit des kürzlich verstorbenen Peter Mandt als Leiter des Bonner Büros der Ärzteschaft nicht unerwähnt bleiben.

2198 Heft 46 vom 12. November 1981

Diese Periode deutschen Kassen- arztrechts läßt in der Rückschau (au- ßer bereits genannten) viele weitere Namen lebendig werden; Friedrich Thieding, Hans Neuffer, Konrad Bihl, Friedrich Völlinger, Berthold Rode- wald, Hanns Dieck, Friedrich Voges, August Haller, Hermann Zwecker, als Vertreter der jüngeren Ärzte (im- mer wieder für die Integration der noch im Krankenhaus tätigen Ärzte in die KVen eintretend) Herbert Britz; die Reihe wird später mit Ger- hard König, Ferdinand Hinrichs und Hans Kadow fortgesetzt und noch viele andere folgen; diese Namen sollen hier ausdrücklich als pars pro toto stehen.

Ein erster Schritt

zum Einzelleistungshonorar Die beschriebene Verlagerung der Vertragsverhandlungen auf die Lan- des- und Bezirksebene hat 1951 den Anlaß zu einem besonderen Be- schluß der Arbeitsgemeinschaft der Landesstellen der KVen geboten, heute fast vergessen, obwohl er den ersten Schritt zur grundsätzlichen Verteilung der Gesamtvergütung nach den ärztlichen Einzelleistun- gen darstellt: Es ist die Empfehlung, die KVen sollten künftig die Gesamt- vergütungen auf der Grundlage der Mindestsätze der damaligen PREU- GO (Preußische Gebührenordnung, in der Fassung von 1924!) je Kasse gesondert verteilen, um den soge- nannten „inneren Wert" des gezahl- ten Kopfpauschales, d. h. seinen Wert gemessen am Gebührenwert der ärztlichen Leistungen, beurtei- len zu können.

Bei der Durchführung der Empfeh- lung ergab sich, daß die nominelle Höhe eines Kopfpauschales in DM häufig nur wenig für die Höhe der Vergütung der ärztlichen Leistun- gen nach den Gebührensätzen der PREUGO bedeutete. Die sich so bei der Honorarverteilung ergebenden Prozentsätze waren 1952 ebenso mit Anlaß zur ersten Anhebung der Min- destsätze der PREUGO seit 1924 (!), wie später zur zweiten Anpassung 1957 und zum Erlaß der Gebühren- ordnung Ärzte (GOÄ) 1965.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hinweise auf heute so geläufige Be- griffe wie Familienquotienten, Be- sonderheiten der Morbiditätsstruk- tur usw. ergaben sich ebenso, wie die Notwendigkeit, wegen der vielen neuen ärztlichen Verrichtungen so- genannte „Analoge Bewertungen"

aufzustellen. Einige Zeit machte die Kassenärztliche Bundesvereinigung dies in eigener Regie in Form von Empfehlungen; später kam es zur Konstituierung eines gemeinsamen Ausschusses mit den Verbänden der RVO-Kassen (Orts-, Betriebs-, In- nungs- und Landkranken-, bzw.

Landwirtschaftliche Kranken- kassen).

In diesem Ausschuß und seinem Nachfolger, der die Anwendung und Auslegung der Gebührenordnung für die Vertragspartner ab 1972 re- gelte, erkennt man (wenn man von der erweiterten Besetzung und den völlig anderen Vorschriften über die Beschlußfassung absieht) unschwer den Bewertungsausschuß des Kran-

kenversicheru ngs-Kostendämp- fungsgesetzes (KVKG) 1977 wieder.

Ganz deutlich war und ist die Selbst- verwaltung hier (wieder einmal) der Gesetzgebung (und zwar auf einem besseren Wege) vorangegangen.

Bereits wenige Jahre nach der Ver- abschiedung des Gesetzes über Kassenarztrecht (1955) begannen Bestrebungen zu seiner Änderung.

Der Versuch z. B. der sogenannten

„Blanckschen Reform" 1959/1960 ist den Älteren sicher noch in lebhafter Erinnerung, sei es wegen des spek- takulären Eingreifens des damaligen Bundeskanzlers Dr. Adenauer in die Geschehnisse durch Gespräche mit Vertretern der ärztlichen Organisa- tionen, sei es wegen der „Begleit- musik" (wie z. B. der später aus- drücklich bedauerten Bedrohung des KBV-Vorsitzenden Dr. Voges mit Zuchthaus).

Änderungsversuche unterschiedli- cher Art und Zielsetzung können (müssen) seitdem verstärkt ab dem Beginn der siebziger Jahre regi- striert werden. Den mit Recht im Rahmen der gegliederten Kranken- versicherung dezentralen Regelun- gen des Gesetzes über Kassenarzt-

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

100 Jahre Kaiserliche Botschaft

recht wurden und werden zentrale mehr oder weniger verbindliche

"Rahmenempfehlungen" nach und nach sowohl für die "Bedarfsdek- kung" an Kassenärzten, wie für die Regelung der Gesamtverträge über die Höhe der Gesamtvergütung u. a.

m. entgegengesetzt. Krankenversi- cherungskostendämpfungsgesetz, Konzertierte Aktion, einnahmeorien- tierte Ausgabenpolitik, Finanzaus- gleich, Höchstbeträge verschiede- ner Art - sie seien hier ebenso als Beispiele, als Stichworte und zur Charakterisierung der Tendenzen in der jüngsten Zeitspanne der 50 Jah- re Kassenarztrecht verzeichnet, wie der Entwurf der Allgemeinen Be- stimmungen zu einer neuen Gebüh- renordnung nach der Bundesärzte- ordnung.

Aktuelle Einsichten aus der Geschichte des Kassenarztrechtes

Wer erinnert sich wohl heute- ange- sichts der in manchen Kreisen üb- lich gewordenen herabsetzenden Kritik (und der damit verbundenen vorwurfsvollen Worte und Gesten) an der Höhe der Umsätze oder Ein- kommen aus kassenärztlicher Tätig- keit - noch daran, daß anfangs der fünfziger Jahre im Bundestag ein Antrag zur Beschlußfassung vorlag, der bezweckte, im Hinblick auf die unzureichende Honorarhöhe die Umsätze der Kassenärzte aus Tätig- keit für die Anspruchsberechtigten der Krankenversicherung von der Einkommensteuer freizustellen?!

Wenn dieser Antrag auch in der Ab- stimmung nicht durchkam, so stellte er doch ein bedeutungsvolles Signal dar. Kann man nicht von ihm ausge- hend eine gewisse Verbindungslinie zu den 1955 beschlossenen libera- len Vorschriften über die Errech- nung der Gesamtvergütung nach ei- nem leistungsbezogenen Kopfpau- schale, einem Fallpauschale nach Einzelleistungen oder nach einem Mischsystem ziehen?

ln der Rückschau werden aber auch Ähnlichkeiten zwischen aktuellen Ereignissen und einigen politischen

Handlungen und Entscheidungen in der Zeit von vor etwas mehr als fünf- zig Jahren deutlich.

Damals mußte man z. B. aus finan- ziellen und arbeitsmarktpolitischen Gründen die Arbeitslosenversiche- rung zu Lasten der Krankenversi- cherung stützen- heute (nimmt man das KVKG von 1977 und den KVEG- Entwurf von 1981 zusammen) mußte zuerst die Rentenversicherung und danach die Arbeitslosenversiche- rung, beide wiederum zu Lasten der Krankenversicherung, gestützt werden.

~ Der Ruf nach einer Begrenzung, ja einer Senkung der Honorare der Kassenärzte und der Begrenzung, ja Einschränkung der Ausgaben der Krankenkassen auch in anderen Sektoren klingt heute ähnlich, wie vor wenig mehr als fünfzig Jahren.

Dies macht deutlich, wie sehr auch für das Kasseilarztrecht, seine Rege- lungen und deren Funktion, die seit 1931 im Interesse der Menschen, der Patienten den vertraglichen Frieden zwischen Krankenkassen und Kas- senärzten bewirkt haben (an den sich fast alle als eine Selbstverständ- lichkeit gewöhnt haben), das Wort Goethes gilt: "Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen."

Auch die Grundsätze des den Si- cherstellungsauftrag für die ambu- lante ärztliche Versorgung und die freiberufliche Tätigkeit des Arztes in der sozialen Krankenversicherung sichernden Kassenarztrechts müs- sen von jeder Ärzte-Generation neu .. erworben", d. h. bewußt in ihrem Wert für die Allgemeinheit und die Ärzte erkannt und gegebenenfalls immer wieder aufs neue verteidigt werden.

Der Rückblick von 1981 zeigt in den einhundert Jahren Entwicklung der sozialen Krankenversicherung seit Erlaß des ersten deutschen Kran- kenversicherungsgesetzes fünfzig Jahre Ringen der Ärzte um die Aner- kennung ihrer Selbstverwaltung und um die gleichberechtigte Zusam- menarbeit zwischen Krankenkassen und Kassenärzten in einer gemein-

2200 Heft 46 vom 12. November 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

samen Selbstverwaltung und weite- re 50 Jahre Bestehen der Grundsät- ze des Kassenarztrecht in Deutsch- land und der Bundesrepublik.

~ Alle, die Verantwortung für die zukünftige Entwicklung als Träger eines Mandats und einer Aufgabe haben, sollten sich bei dieser Gele- genheit ganz besonders dessen be- wußt werden, daß es zur Erfüllung des Wunsches auf immer erneuerten Besitz des Erbes "Kassenarztrecht"

-vielleicht mehr, denn jemals in der Vergangenheit - der gemeinsamen, der solidarischen Bemühungen aller Ärzte, aller ärztlichen Organisatiq- nen und Gruppierungen bedarf, wenn nicht auf Dauer unwieder- bringlicher Schaden eintreten soll.

Aus der Geschichte - besonders auchaus der des Kassenarztrechts- Einsichten zu gewinnen und aus ih- nen zu lernen, ist ein Gebot nicht nur der Vernunft, sondern auch ei- nes der Glaubwürdigkeit der Ärzte- schaft in ihrem Bekenntnis

C> zur Freiheit des Patienten und zur

wohlverstandenen Freiheit in der ärztlichen Berufstätigkeit als deren Spiegelbild,

C> zur Selbstverantwortung und zur

Selbstverwaltung als Gegenstück zur staatlichen Allmacht,

C> zur verantwortungsbewußten

Selbstbeschränkung im Interesse des (kassen)ärztlichen Rat und Hilfe suchenden Menschen!

Bedenken wir immer, daß (nach ei- nem Ausspruch der Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach) der größte Feind der Freiheit der zufriedene Sklave ist- und handeln wir dement- sprechend. Dann kann uns um die nächsten Jubiläumsjahre für das Kassenarztrecht nicht bange sein.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Rolf Schlögell Akazienweg 6

5000 Köln 40 (Widdersdorf)

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