• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gibt es Psychopathen?: Persönlichkeitsstörungen in Klinik und Praxis" (19.06.1980)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gibt es Psychopathen?: Persönlichkeitsstörungen in Klinik und Praxis" (19.06.1980)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Zur ort. ung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Zwar hat das Verständnis für psy- chisch Kranke zugenommen, seeli- sche Faktoren bei der Entstehung und Ausgestaltung von Krankheiten werden mehr berücksichtigt, und auch ungewöhnlichen psychischen Reaktionen seines Patienten weiß der Arzt heute besser zu begegnen.

Wenn aber der Umgang mit einem Patienten wegen dessen Eigenhei- ten und Verhaltensweisen, die im- mer wieder zutage treten und die Behandlung stören, allzu schwierig wird, wenn der Arzt auch auf längere Sicht die Kooperationsbereitschaft des Patienten vermißt und trotz sei- ner intensiven ärztlich-persönlichen Bemühungen mit ihm nicht zurecht- kommt, wenn der Arzt aus diesen Gründen enttäuscht oder verärgert ist, kommt der Gedanke auf: ein Psy- chopath. Patienten, die immer wie- der psychosomatisch dekompensie- ren, die in ängstlicher Sorge um die Gesundheit den Arzt mit immer neu- en funktionellen Beschwerden kon- frontieren (hypochondrische Per- sönlichkeiten), die in zudringlicher Weise den Arzt Übergebühr persön- lich in Anspruch nehmen (hysteri- sche Persönlichkeiten) oder stets laut und aggressiv auftreten (hyper- thyme oder querulatorische Persön- lichkeiten), strapazieren besonders den Arzt in der Sprechstunde.

Aber auch in der Alltagspsycholo- gie werden diese Menschen allzu leicht Psychopathen genannt. Damit versucht man, die entstandenen Schwierigkeiten als unabänderlich

abzutun, die Mißerfolge trotz allen Bemühens als unvermeidlich anzu- sehen, mit der eigenen Enttäu- schung fertig zu werden und weitere Ansprüche des anderen abzuweh- ren. Zugleich aber beinhaltet „Psy- chopath" eine moralische oder zu- mindest soziale Abwertung dieses Menschen.

Das aber war mit dem psychiatri- schen Begriff psychopathische Per- sönlichkeit ursprünglich nicht ge- meint. Er beinhaltete die Feststel- lung, daß es Störungen in der Per- sönlichkeitsstruktur (im Charakter) gebe, die wahrscheinlich anlagebe- dingt und daher wertfrei zu betrach- ten seien. So definierte Schneider psychopathische Persönlichkeiten als Menschen, „die an ihrer Abnor- mität leiden oder an deren Abnor- mität die Gesellschaft leidet". Aller- dings verbirgt sich hinter „Abnor- mität" eine gewisse Wertung, auch wenn betont wurde, es sei keine Wertnorm, sondern eine Durch- schnittsnorm gemeint. Abnorme Persönlichkeit ist deshalb kaum ein besserer Begriff als psychopathi- sche Persönlichkeit. Diese und an- dere Formulierungen sind im Laufe der Zeit jeweils in den Sog des Ab- weh rens und Abwertens (pejorativer Begriffswandel) geraten, was wie- derum auf den emotionalen und zwi- schenmenschlichen Aspekt der Pro- blematik hinweist.

Kaum ein anderes Gebiet der Psych- iatrie ist so schwer zu durchdringen wie dieses, zumal die Psychopathie-

Die traditionelle Auffassung der sogenannten Psychopa- thie als eines anlagebedingten und unabänderlichen Charak- termangels ist überholt. Per- sönlichkeitsstörungen entste- hen auf Grund genetischer, hirnorganischer und psycho- reaktiver Bedingungen. Per- sönlichkeitsstörung ist keine Krankheitsdiagnose, sondern eine diagnostische Dimension bei verschiedenen psychi- schen Krankheiten, insbeson- dere bei Neurosen. Persön- lichkeitsstörungen (Charak- terneurosen) zeigen auf län- gere Sicht günstigere Ver- laufstendenzen als bisher an- genommen wurde. Hieraus er- geben sich Überlegungen zur Psychotherapie.

lehre mit den neueren Entwicklun- gen der Psychiatrie nicht Schritt hal- ten konnte. Das traditionelle Psy- chopathiekonzept ist überholt. Neue Definitionsversuche und insbeson- dere Erkenntnisse zur Ätiologie er- möglichen heute eine bessere Orientierung.

Diese geht zunächst von der normal- psychologischen Erkenntnis aus, daß im Rahmen der individuellen Ausprägung der Persönlichkeit be- stimmte Merkmale wie Erlebniswei- sen und Verhaltensmuster relativ konstant (habituell) sind und blei- ben. Wenn solche Merkmale stark ausgeprägt sind und im Persönlich- keitsbild dominieren, wenn sie zu Beeinträchtigungen des Selbsterle- bens und/oder der zwischenmensch- lichen Beziehungen führen, spricht man von Persönlichkeitsstörungen.

Bei den Persönlichkeitsstörungen handelt es sich also um besondere Akzentuierungen ubiquitärer psychi- scher Merkmale (der Begriff „akzen- tuierte Persönlichkeit" hat sich aller- dings nicht durchsetzen können).

Hieraus folgt auch, daß die Übergän- ge von „gesunden" oder „norma- len" Persönlichkeitsstrukturen zu Persönlichkeitsstörungen fließend sein müssen.

Gibt es Psychopathen?

Persönlichkeitsstörungen in Klinik und Praxis

Rainer Tölle

Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik (Direktor: Professor Dr. med. Rainer Tölle) der Universität Münster,

Abteilung: Klinik für Psychiatrie

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 25 vom 19. Juni 1980 1629

(2)

Aktuelle Medizin Psychopathie

Der Begriff Persönlichkeitsstörung wird heute anstelle der älteren Be- zeichnungen bevorzugt, da er — wie noch zu zeigen ist — in Diagnostik und Therapie weiterführt.

Zur Ätiologie

Die erwähnte Auffassung, Persön- lichkeitsstörungen (Psychopathien) seien anlagebedingt, wurde insbe- sondere von deutschen Psychiatern in den zwanziger und dreißiger Jah- ren vertreten, aber nicht zweifelsfrei belegt; sie hat sich daher nicht allge- mein durchsetzen können.

Heute wissen wir, daß die Entste- hungsbedingungen komplexer Art sind.

Neuere Familienuntersuchungen, insbesondere Zwillings- und Adop- tiv-Studien, lassen erkennen, daß wohl mit einem Anlagefaktor zu rechnen ist, daß aber Persönlich- keitsstörungen nicht allein gene- tisch erklärt werden können.

Mit den verbesserten Methoden der Hirndiagnostik wurde gezeigt, daß bei einem Teil der Betroffenen leich- tere Hirnschäden —zumeist perinatal erworben (minimale zerebrale Dys- funktion) — mitbeteiligt sind (Schul- singer 1972).

Und drittens hat die psychodynami- sche Erforschung von Persönlich- keitsstörungen ergeben, daß in ho- hem Maße psychosoziale Faktoren, wiederum insbesondere während der Kindheit, die Entwicklung der Persönlichkeit prägen und an der Entstehung von Persönlichkeitsstö- rungen beteiligt sind.

Hierfür ein Beispiel: Eine 28jährige Frau war bereits mehrere Male in einen psychophysischen Versagens- zustand mit depressiver Verstim- mung und psychosomatischen Stö- rungen geraten, jeweils nachdem sie sich in Anforderungssituationen nicht behaupten, sich gegenüber anderen nicht durchsetzen konnte und ihre Ziele und Belange beinahe wehrlos aufgab. Nach einem erfolg- reich abgeschlossenen Studium ver-

sagte sie nun in der praktischen Be- rufsausübung und kam wiederum in psychiatrische Behandlung.

Die biographische Anamnese ergab:

die überfürsorgliche und überängst- liche Mutter hatte dem Kind so kon- sequent alle Probleme abgenom- men und alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt, daß sich Eigen- ständigkeit und Tatkraft kaum ent- wickeln konnten. Die Patientin er- lebte das Verhalten ihrer Mutter zu- gleich als Entlastung und als Entmu- tigung, entsprechend ambivalent war ihre Einstellung zur Mutter, und dementsprechend gestalteten sich später die Beziehungen zu anderen Menschen: sie forderte deren Hilfs- bereitschaft heraus und fühlte sich gerade dieser Abhängigkeit wegen insuffizient. Wenn sie sich bemühte, selbständig vorzugehen, gerieten diese Bestrebungen in Konflikt mit der Angst, hierdurch die Mutter oder spätere andere Beziehungsperso- nen in ihrer Hilfsbereitschaft zu be- einträchtigen, sie zu kränken und ih- re Zuwendung zu verlieren. Charak- teristisch für diese Reaktionen wa- ren Erfahrungen in der Kindheit:

zum Beispiel hatte die Mutter ihr ver- boten, bei Streitigkeiten mit anderen Kindern zurückzuschlagen; nachher aber sagte die Mutter zu ihr: Du warst eigentlich im Recht. In sol- chen Situationen habe sie sich dann selbst geschlagen, eine Verhaltens- weise, die sich später in masochisti- schen Reaktionen im weiteren Sinne des Wortes wiederholten. — Diagno- se: asthenische Persönlichkeitsent- wicklung.

Persönlichkeitsstörungen können also auf mehrere Ursachen zurück- gehen, die bei manchen Patienten nebeneinander nachzuweisen sind.

Es handelt sich um eine multikondi- tionale Ätiologie wie bei anderen psychischen Störungen und Krank- heiten auch.

Abgrenzung und Diagnose

Die skizzierte Entwicklung einer as- thenischen Persönlichkeitsstruktur läßt an die Entstehung von Neuro- sen denken. Tatsächlich bestehen

zwischen Persönlichkeitsstörungen und Neurosen enge Beziehungen.

Bei Patienten mit Angst-, Zwangs- und ähnlichen Neurosen ist oft eine Persönlichkeitsstörung zu erken- nen, und zwar schon vor der Mani- festation der neurotischen Sympto- matik.

Außer diesen sogenannten Sym- ptomneurosen gibt es Charakter- neurosen, die sich nicht oder die meiste Zeit nicht in einer klinischen Symptomatik äußern, sondern in be- stimmten Erlebnis- und Verhaltens- weisen. Hier entsteht die Frage, ob nicht Charakterneurose und Per- sönlichkeitsstörung (Psychopathie) letztlich das gleiche bedeuten. Hin- sichtlich der Konzeption besteht ein Unterschied darin, daß Persönlich- keitsstörung ein beschreibender, Charakterneurose aber ein psycho- dynamisch-genetischer Begriff ist.

Klinisch gesehen sind aber die glei- chen Patienten gemeint, wenn man von depressiver, anankastischer oder hysterischer Persönlichkeits- störung (Psychopathie) spricht be- ziehungsweise von depressiver, an- ankastischer oder hysterischer Cha- rakterneurose (Mester und Tölle 1980).

So wenig wie zwischen „normaler"

Persönlichkeitsstruktur und Persön- lichkeitsstörung scharf getrennt werden kann, sind auch die Grenzen zwischen „gesunder" und neuroti- scher Konfliktverarbeitung fließend.

Im Übergangsgebiet stehen leichte und diskrete Persönlichkeitsstörun- gen beziehungsweise neurotische Entwicklungen, die ohne fremde Hil- fe ertragen oder auch überwunden werden, so daß die Betroffenen nie zum Arzt kommen.

Andere Persönlichkeitsstörungen, zum Beispiel die sogenannten hy- perthymen und zyklothymen Tempe- ramente, stehen hingegen den affek- tiven Psychosen (depressiv-mani- schen Psychosen) nahe, vermutlich handelt es sich um Randformen die- ser Krankheit.

Entsprechendes gilt für die Bezie- hungen zwischen querulativer Per-

1630 Heft 25 vom 19. Juni 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

sönlichkeitsstörung sowie paranoi- der Charakterneurose und schizo- phrenen Psychosen.

Diagnostisch ist aber zu beachten, daß leichtere Manifestationen dieser Psychosen und auch deren Folgen (Residualzustände) von Persönlich- keitsstörungen unterschieden wer- den müssen, wenn die Behandlung zielgerichtet sein soll. Die Differenti- aldiagnose ist allerdings oft selbst für den Facharzt sehr schwierig.

Das gilt auch für die Unterscheidung von zerebralbedingten Persönlich- keitsveränderungen (im Rahmen ei- nes hirnorganischen Psychosyn- droms bei traumatischen, raumfor- dernden, infektiösen und anderen Hirnkrankheiten) und den hier be- sprochenen Persönlichkeitsstörun- gen.

Zusammenfassend ergibt sich also, daß die Persönlichkeitsstörungen den bekannten großen Krankheits- gruppen der Psychiatrie nahestehen und ihnen mindestens zum Teil zu- zuordnen sind:

..,.. einige den sogenannten endoge- nen Psychosen

..,.. andere den Hirnkrankheiten, ..,.. der größte Teil den Neurosen, nämlich die anankastischen, depres- siven, hysterischen und schizoiden Persönlichkeitsstörungen, die den vier klassischen und gleichnamigen Charakterneurosen entsprechen, weiterhin die sensitiven (Kuiper 1958, Tölle 1980) und vermutlich auch die asthenischen Strukturen (siehe vorstehend).

..,.. Von den geläufigen Typen der Persönlichkeitsstörung (Psychopa- thie) bleiben jedoch einige übrig: die haltschwachen und sogenannten gemütsarmen Psychopathien, die zusammenfassend als Soziopathien oder dissoziale Persönlichkeitsstö- rungen bezeichnet werden, über de- ren Ätiologie am wenigsten bekannt ist.

Hiermit entsteht die Frage, ob Psy- chopathie im herkömmlichen Sinne

aufgelöst und ob auch der Begriff Persönlichkeitsstörung entbehrlich sei. Die erste Frage ist zu bejahen, die zweite jedoch nicht. Persönlich- keitsstörung ist zwar an sich keine Krankheit (auch wenn diese Störun- gen so erheblich sein können, daß sie "Krankheitswert" erhalten), wohl aber eine sehr wichtige diagnosti- sche Dimension: Persönlichkeitsstö- rungen, die Entstehungsbedingung verschiedener psychischer Krank- heiten sein können, die sozusagen den Boden für die Entwicklung psy- chischen Krankseins bilden, müssen in der Behandlung, insbesondere der Psychotherapie, sorgfältig be- achtet werden, um dem jeweiligen Menschen mit seinen Schwierigkei- ten, aber auch Chancen therapeu- tisch gerecht zu werden.

Das gilt um so mehr für die Men- schen, die wegen der Persönlich- keitsstörung selbst, wegen ihres in- neren Leidenszustandes und ihrer sozialen Konflikte, therapeutische Hilfe suchen.

Hieraus folgt auch, daß Psychopa- thie oder Persönlichkeitsstörung nicht eine Diagnose sein kann, son- dern daß den hier erörterten mehrdi- mensionalen Gegebenheiten ent- sprechend, mehrgliedrige und dabei konkrete Diagnosen zu stellen sind:

zum Beispiel Erschöpfungssyndrom infolge Mehrfachbelastung bei as- thenischer Persönlichkeitsstruktur oder Suizidversuch in der Selbst- wertkrise einer sensitiven Persön- lichkeit.

Solche Diagnosen sind zwar lang, aber anschaulich und informativ.

Auch in anderen medizinischen Dis- ziplinen werden heute ausführliche- re diagnostische Formulierungen bevorzugt.

Die im Titel gestellte Frage ist so zu beantworten: Es gibt zwar nicht die Psychopathie im herkömmlichen, abstrakten Sinne, wohl aber Persön- lichkeitsstörungen, die anschaulich zu beschreiben, in ihrer Bedeutung für das Kranksein zu diagnostizieren und therapeutisch zu berücksichti- gen sind.

Aktuelle Medizin Psychopathie

Verlauf und Prognose

Wenn auch Persönlichkeitsstörun- gen habituell sind und mit bemer- kenswerter Konstanz den Lebens- lauf durchziehen, so sind doch Be- finden und Leistung des Betroffenen in starkem Maße von seinen Lebens- umständen abhängig. Wenn sich die Lebensverhältnisse konsolidieren, kann die Persönlichkeitsstörung zu- rücktreten.

Es ist ein Vorurteil anzunehmen, das Leben dieser Menschen sei generell durch Versagen, Konflikte und Kranksein gekennzeichnet.

Systematische Untersuchungen (Tölle 1966) ergaben, daß dieser un- günstige Ablauf nur bei 33,9 Prozent zu verzeichnen ist, bei 31 ,3 Prozent aber ausgesprochen günstige Ver- läufe mit ausreichender Lebensbe- wältigung und bei 34,8 Prozent eine zumindest kompromißhafte Anpas- sung an die gegebenen Verhältnis- se, ein relatives Wohlbefinden und eine partielle Leistungsfähigkeit trotz aller Schwierigkeiten erreicht werden.

Behandlung

Aus der Feststellung genetischer oder hirnorganischer Entstehungs- faktoren kann, ebensowenig wie bei psychischen oder somatischen Krankheiten überhaupt, eine thera- peutische Resignation gefolgert werden. Die Behandlung von Per- sönlichkeitsstörungen setzt auf der Seite der genannten psychodynami- schen und psychosozialen Faktoren an.

Psychotherapeutisch sind einerseits die psychedynamischen Verfahren zur Bearbeitung von Konflikten indi- ziert, andererseits stützendes Vorge- hen. Seide Möglichkeiten sind im ärztlich-psychotherapeutischen Ge- spräch (Mauz 1960) und in der füh- renden und stützenden Psychothe- rapie (Kind 1972) zusammengefaßt.

Auch übende und entspannende Verfahren wie Verhaltenstherapie und autogenes Training können hilf-

reich sein. C>

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 25 vom 19. Juni 1980 1631

(4)

Entzündliche und

stoffwechselbedingte rheumatische Erkrankungen

Bericht über Thema I des IV. Interdisziplinären Forums

„Fortschritt und Fortbildung in der Medizin"

der Bundesärztekammer vom 23. bis 26. Januar 1980 in Köln*)

Hartwig Mathies

Tagesordnungspunkt I des IV. Interdisziplinären Forums der Bundes- ärztekammer, vom 23. bis 26. Januar 1980 in Köln, galt dem Thema

„Entzündliche und stoffwechselbedingte rheumatische Erkrankun- gen". In der Diskussion der neun Referate wurde vor allem herausge- arbeitet, welche diagnostischen und therapeutischen Methoden sind obsolet, welche alten Verfahren sind zu Unrecht vergessen, weiche Fehler werden erfahrungsgemäß gemacht und über welche praxisre- levanten neuen Entwicklungen muß der niedergelassene Arzt infor- miert werden.

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

KONGRESS-BERICHT

Pathologie und Biochemie

Von pathologischer Seite (H G.

Fassbender, Mainz), wurde auf neuere Erkenntnisse darüber hinge- wiesen, daß bei chronischer Polyar- thritis der pathologische Vorgang im Gelenk nicht durch ein ungewöhnli- ches Granulationsgewebe und Ver- narbung, sondern durch („tu- morähnliche") Wucherungen unrei- fer Bindegewebszellen mit enzyma- tisch induzierter Gewebszerstörung charakterisiert ist.

Interessant sind auch die neueren Forschungsergebnisse über die ex- traartikulären, nichtentzündlichen Knochenprozesse bei der Arthritis psoriatica (Fassbender), die durch Proteoglykanverlust mit Freilegung der Knochenmatrix, dann Neubil- dung von Osteoid und Remodellie- rung der Knochendefekte durch neuen Bindegewebsknochen und Umbau in lamellären Knochen mit überschüssigen Strukturen („Protu- beranzen") charakterisiert sind.

Biochemische Forschungen (H.

Greiling, Aachen) haben gezeigt, daß bei der Arthrose, hervorgerufen durch lysosomale Enzyme vorwie- gend aus den Chondrozyten und neutralen Proteoglykanasen sowie durch eine fehlgesteuerte Proteo- glykan- und Kollagen-Biosynthese, eine abnorme Struktur der Proteo- glykane des Knorpels in Erschei- nung tritt, die dann nicht mehr zur Aggregatbildung mit Hyaluronat ge- eignet sind. — Bei der chronischen Polyarthritis erfolgt die Knorpelzer- störung durch lysosomale Enzyme aus den Granulozyten vom extrazel- lulären Raum her. Diese lysosoma- len Enzyme oder auch Superoxidra- dikale vermindern gleichzeitig den Polymerisationsgrad der Hyalurona- te und damit die Viskoelastizität der Gelenkflüssigkeit, der bei der Regu- lation für biologische Aktivitäten

*) Der Berichtsband über das IV. Interdiszi- plinäre Forum der Bundesärztekammer, in dem die Referate und Diskussionen im Wortlaut veröffentlicht werden, erscheint voraussichtlich Ende Juni im Deutschen Ärzte-Verlag.

Psychopathie

Zwar dürfen die Therapieziele nicht zu hoch gesteckt werden, eine Um- strukturierung der Persönlichkeit ist kaum je erreichbar. Wohl aber kön- nen im ärztlichen Gespräch in der Sprechstunde, auch wenn die ver- fügbare Zeit begrenzt ist, die aktuel- len Probleme bearbeitet und die Ein- sicht in das eigene Verhalten sowie das Verstehen der Reaktion der Um- welt verbessert werden. Besonders der Hausarzt, der den Patienten, sei- ne Lebenssituation und seine Be- zugspersonen oft schon seit länge- rer Zeit kennt, kann mit dieser soge- nannten kleinen Psychotherapie er- reichen, daß der Patient entlastet wird und einen neuen Ansatz zur Bewältigung seiner Schwierigkeiten findet.

Literatur

Kind, H.: Die allgemeine Psychotherapie des Nervenarztes, in: Psychiatrie der Gegenwart, 2. Aufl., Band 11/1, Berlin/Heidelberg/New York:

Springer 1972 — Kuiper, P. C.: Verständliche Zusammenhänge bei der Entwicklung des sensitiven Charakters, Arch. Psychiat. Neurol.

196 (1958) 590-610 — Mauz, F.: Das ärztliche Gespräch, Therapiewoche (1960) 311-316 — Mester, H., Tölle, R.: Neurosen, Berlin/Heidel- berg/New York: Springer 1980 — Schulsinger, F.: Psychopathy: Heredity and Environment, in: Roff, M. et al. (Edit.): Life History Research in Psychopathology, Vol. II Minneapolis: Univ.

press. 1972 — Töne, R.: Katamnestische Unter- suchungen zur Biographie abnormer Persön- lichkeiten, Berlin/Heidelberg/New York: Sprin- ger 1966 — Tölle, R.: Persönlichkeitsstörungen (sogenannte Psychopathien) — biographisch gesehen, in: Schimmelpennig, G. (Hrsg.):

Psychiatrische Verlaufsforschung, Bern: Hu- ber 1980

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Rainer Tölle Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik der Westfälischen Wilhelms-Universität

Roxeler Straße 131 4400 Münster

1632 Heft 25 vom 19. Juni 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

KLEVE. Nachdem die für Ende März geplante Jahreshauptver- sammlung wegen Corona ab- gesagt werden musste, holt der Clever Ruder Club diese am 26. Neben den klassischen

kis als Umbildung von ki scheitert daran, daß in diesem Fall auch andere wortscbließende k{i) zu kis hätten werden mUssen. Übrigens bleiben für den, der dieses ki-s anders

nimmt, daß es sie zerbricht oder zerschmettert. Gar nicht einleuchtend aber ist es, wenn auch ürmibhib plnvamänab sich auf das „rötliche Roß". beziehen soll. Oij)enbebo's

Es wurde auch schon bemerkt, daß die Zink-hexacyanometallate(III) auch in einer anderen als der kubischen Modifikation existieren [1, 6].. Jedoch gelang es bisher nicht, die

In der "alpha" wurden eine Vielzahl von Arbeiten über die Geschichte der Mathematik veröffentlicht.. Die im folgenden chronologisch aufgelisteten, mathematikhistorischen

Als Reaktion auf die lebhaften Diskussionen nach den Statements, in denen das Begriffspaar "Didaktische Reduktion" immer wieder auftauchte und zahlreiche Hinweise

Dies bedeutet, dass wir in den nächsten Jahren nicht nur mit neuen Symbolen konfrontiert werden, sondern auch mit neu formulierten Gefahren- und

Wenn heute die deutsche Polarforschung wieder zu größeren Unternehmungen aufbricht und mit dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven endlich auch über ein eigenes