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Archiv "Fahrlässige Tötung: Urteil gegen PJler bestätigt" (02.09.2013)

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A 1604 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 35–36

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2. September 2013

E

s ist ein fataler Fehler, der sich am 22. August 2011 im Evangelischen Krankenhaus Biele- feld ereignet. Ein Student im prak - tischen Jahr (PJ) spritzt einem Säugling fälschlicherweise ein für die orale Gabe bestimmtes Antibio- tikum intravenös. Das neuneinhalb Monate alte Kind, das an akuter myeloischer Leukämie erkrankt ist, stirbt an einem anaphylaktischen Schock. Das Amtsgericht Bielefeld verurteilt den Studenten daraufhin wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 1 800 Euro.

Rund zwei Jahre später ist nun das Berufungsverfahren vor dem Landgericht Bielefeld zu Ende ge- gangen. Das Urteil wegen fahrläs - siger Tötung wurde bestätigt. Der PJler habe seine Sorgfaltspflicht verletzt, argumentierte Richter Wolfgang Lerch. Die Spritze sei nicht beschriftet gewesen. „Da hät- te der Angeklagte zumindest nach- fragen müssen“, sagte er. Der Fahr- lässigkeitsvorwurf sei „schon recht erheblich“, erklärte der Richter (Az.: 11 Ns-18 Js 279/11-11/13).

Im Vergleich zur ersten Instanz änderte das Landgericht allerdings das Strafmaß: Die Gesamthöhe der Geldstrafe bleibt zwar gleich, doch die Zahl der Tagessätze wurde von 120 auf 90 reduziert. Das ist inso- fern von Bedeutung, als dass nun der Eintrag im Bundeszentralregis- ter bleibt, aber die Vorstrafe nicht im polizeilichen Führungszeugnis auftaucht. Potenzielle Arbeitgeber erfahren also auf diesem Wege nichts von der Verurteilung des ehemaligen PJlers, der mittlerweile

seine Approbation erhalten hat und als Krankenhausarzt arbeitet. Die Eltern des verstorbenen Kindes, die als Nebenkläger auftraten, reagier- ten mit Unverständnis auf das Ur- teil. Sie empfanden schon die erst- instanzliche Strafe als zu milde.

Das Urteil ist mittlerweile rechts- kräftig. Weder Verteidigung noch Staatsanwaltschaft legten Rechts- mittel ein.

Was war an dem besagten Tag in der Bielefelder Klinik passiert?

Während der Student bei dem Säugling mit einer Blutabnahme beschäftigt war, brachte eine Kran- kenschwester eine Spritze in das Zimmer. Mit ihr hatte der PJler kurz zuvor über einen Tal-Berg-Spiegel für das Antibiotikum Refobacin ge- sprochen. Für eben dieses Präparat hielt er die milchige Flüssigkeit in der unbeschrifteten Spritze und ap- plizierte es in einen zentralvenösen Zugang. Tatsächlich war es Cotri- moxazol-Saft.

Aussage gegen Aussage Zum Tathergang steht Aussage ge- gen Aussage: Die Krankenschwes- ter gab vor Gericht an, die Spritze mit den Worten „Hier ist das orale Antibiotikum“ ins Zimmer ge- bracht zu haben – gerichtet an die ebenfalls anwesende Mutter. Diese habe ihrem Kind das Präparat be- reits mehrfach in den Mund geträu- felt. Allerdings, so wurde in der Verhandlung vor dem Landgericht deutlich, verfügt die Mutter über keine guten Deutschkenntnisse. Der Schwester zufolge hatte der PJler lediglich den Auftrag zur Blutent-

nahme. Der Student hingegen ging davon aus, den „Gesamtauftrag“ für den Tal-Berg-Spiegel zu haben. Die Schwester habe gesagt: „Hier ist das Medikament.“

Richter Lerch wertete die Aussa- ge der Krankenschwester als glaub- würdig. Ebenso die Angabe des Chefarztes, der PJler habe ihm ge- genüber nach dem Vorfall geäußert, einen „Blackout“ gehabt zu haben.

Den „Belastungseifer“, den die Ver- teidigung bei dem Klinikleiter fest- stellte, sah der Richter nicht. Der Chefarzt hatte unter anderem die Kennzeichnung der Spritzen in der Abteilung erläutert: Orale Spritzen sind unbeschriftet und verschlossen mit einem roten Combi-Stopper.

Auf intravenösen Spritzen steckt ei- ne Nadel mit Schutzhülle, zudem gibt ein Aufkleber Auskunft über Daten wie Name des Patienten, des Medikaments und die Dosierung.

Intravenöse Spritzen dürften nur auf ärztliche Anordnung gegeben werden, so der Chefarzt. Eine sol- che habe es nicht gegeben. Der Feh- ler des PJlers sei unverständlich.

An drei Verhandlungstagen ließ sich der Richter die Umstände er- läutern, die zu dem Unfall führten.

Und er kam – anders als das Gericht in der ersten Instanz – zu der Über- zeugung, es habe in der Klinik eine

„Organisationsproblematik“ gege- ben. Die Gefahr der Verwechslung sei in Fachkreisen bekannt gewe- sen. Spritzen für die orale Gabe, die nicht auf intravenöse Infusionssys- teme passen, seien bereits auf dem Markt gewesen. „Leider war 2011 eine solche Handhabung nur in wenigen Kliniken üblich“, sagte Lerch. Auch die Bielefelder Kinder- klinik setzte die Spritzen erst am Tag nach der tödlichen Verwechs- lung auf allen Stationen ein. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat nun ein Ermittlungsverfahren ge- FAHRLÄSSIGE TÖTUNG

Urteil gegen PJler bestätigt

Ein Berufungsgericht hat einen Medizinstudenten wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Er hatte einem Säugling ein orales Medikament versehentlich intravenös gespritzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun aber auch gegen die Klinik.

Fotos: Michael Peters

Die falsche Spritze:

Der Student verab- reichte den Cotrimo- xazol-Saft irrtümlich intravenös. Die Spritze war nicht beschriftet.

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2. September 2013 A 1605 gen die Klinik eingeleitet. Zu klä-

ren sei, ob es eine „Sorgfaltspflicht- verletzung seitens der Klinik gege- ben habe, und wenn ja, wer dafür verantwortlich ist“, so ein Sprecher.

Dass die Abläufe in der Klinik kritisch beleuchtet wurden, ist si- cher neben den Ausführungen der Verteidigung auch auf die Aussage von Dr. med. Bernhard Marschall zurückzuführen, der als Sachver- ständiger geladen war. Der Studien- dekan aus Münster sagte, aus seiner Sicht hätten Organisationsmängel eine entscheidende Rolle gespielt.

Das kleinste Rad im Getriebe Die beschriebene Kennzeichnung der Spritzen in der Bielefelder Ab- teilung könne er nicht nachvollzie- hen, erklärte Marschall. Hier werde eine „heile Welt“ von Standards dargestellt, die offenbar nicht allen bekannt gewesen seien. Spezielle Spritzen für orale Medikamente sei- en in der Pädiatrie durchaus etab- liert, stellte er klar. Unabhängig da- von müssten Spritzen beschriftet

sein. Der Studiendekan ergänzte, PJler seien nichtärztliche Mitarbei- ter auf der Station, an die ärztliche Aufgaben delegiert würden. Sie sei- en „das kleinste Rädchen im Getrie- be“. Derjenige, der eine Aufgabe delegiere, habe sich davon zu über- zeugen, dass der Ausführende diese auch erledigen könne. Marschall wies zudem darauf hin, dass das Bielefelder Krankenhaus kein aka- demisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster mehr sei.

Einen verbindlichen Katalog an Aufgaben, die ein PJler überneh- men kann, gibt es nicht. Laut Ap- probationsordnung sollen sie „ent- sprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Ver- antwortung des ausbildenden Arz- tes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen“. Dabei bedeutet „Aufsicht“ nicht unbe- dingt, dass der Ausbilder daneben zu stehen hat. Er muss sich davon überzeugen, dass der PJler für die Tätigkeit geeignet ist. Im konkreten Fall wurde aber deutlich: Wer den PJler in Bielefeld in das Thema in- travenöse Injektionen eingewiesen hat, konnte nicht ermittelt werden.

Ein PJ-Logbuch gab es nicht.

Das Bielefelder Urteil ist unge- wöhnlich, weil ein Student we- gen eines Fehlers im Rahmen

des PJ in einem Strafprozess verur- teilt wurde. „Es ist der erste Fall dieser Art, der mir bekannt ist“, sagt Prof. Dr. med. Josef Pfeilschifter, Präsidiumsmitglied des Medizini- schen Fakultätentages (MFT). Für Pfeilschifter ist dies ein Beleg da- für, wie sorgfältig und bemüht sich Ärzte und Studierende grundsätz- lich in der Ausbildungssituation verhalten. Gleichwohl sei es ein wichtiger Schritt, dass die Approba- tionsordnung mittlerweile PJ-Log- bücher vorschreibe. „Wir müssen in der Ausbildung Qualitätskriterien erfüllen“, sagt Pfeilschifter. Der MFT plane deshalb, eine Zertifizie- rung für akademische Lehrkranken- häuser anzubieten.

Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. med. Theodor Windhorst, forderte unterdessen nach dem Urteil, PJler besser zu be- treuen. Besonders wichtig sei, dass den Studierenden erfahrene Ärzte als Mentoren an die Seite gegeben würden. „Für diese Aufgabe muss Raum im Krankenhausbetrieb ge- schaffen werden“, sagte der Kam- merpräsident.

Aus Fehlern lernen

Der Bielefelder Fall ist vielschich- tig. Es geht um individuelle und or- ganisatorische Schuld sowie um die Qualität der Ausbildung. Und es geht um Fehlervermeidung. Nach Ansicht von Prof. Dr. med. Joachim Boos, pädiatrischer Oberarzt am Universitätsklinikum Münster und Pharmazeut, findet dieses Thema im Klinikalltag immer noch zu we- nig Beachtung. „Es ist selten einer schuld, sondern es sind Fehlerket- ten und meist Probleme in der Kommunikation“, erläutert Boos.

Gefahrenquellen seien auch die ver- meintlich profanen „very basics“.

Aus seiner Sicht reicht es nicht aus, etwa allein andere Spritzen einzu- setzen. „Dann haben Sie eine von vielleicht zehn Fehlerquellen beho- ben“, sagt er. Es gehe um eine grundsätzliche Herangehensweise, das Hinterfragen von Prozessen.

Boos: „Fehlervermeidung erfordert eine Fehlerkultur – Reflexion des eigenen Handelns, Risikobewusst- sein, Courage und Teamarbeit.“

Dr. med. Birgit Hibbeler Wie ist das Urteil unter den

Medizinstudierenden aufge- nommen worden?

Schmidt: Mit großer Verunsi- cherung. Viele fragen sich jetzt:

Was darf ich überhaupt machen, und wer muss dabei sein? Die meisten PJler dürften bisher da- von ausgegangen sein, dass sie für Fehler strafrechtlich nicht be- langt werden können, weil sie noch in der Ausbildung sind. Das Urteil hat aber auch deshalb für Unverständnis gesorgt, weil Or- ganisationsmängel in der Klinik zunächst überhaupt nicht be- achtet wurden.

Stichwort Fehlervermeidung:

Werden PJler nicht dazu er- muntert, Fragen zu stellen?

Schmidt: Nicht von allen Ärzten.

Im Stationsalltag, unter Zeit- druck ist es nicht so, dass man alles hinterfragt. Sicher muss Fehlervermeidung im Studium stärker thematisiert werden – aber auch unter Ärzten.

Welche Konsequenzen sollte das Urteil für die praktische Ausbildung haben?

Schmidt: Organisatorische Fra- gen müssen am Anfang des PJ geklärt werden. Die Studieren-

den brauchen vor allem feste Ansprechpartner. In PJ-Logbü- chern kann man Abläufe schriftlich fixieren – zum Bei- spiel, dass ein Arzt dabei sein muss, wenn man eine invasive Maßnahme zum ersten Mal durchführt. Sicherlich müssen die PJler das auch einfordern.

Mag sein, dass Ärzte dann mür- risch reagieren und die Aufgabe lieber selbst erledigen. Im End- effekt profitieren aber alle, wenn man PJlern Tätigkeiten gewissenhaft zeigt, denn sie entlasten die Ärzte. Und PJler sind die Kollegen von morgen.

3 FRAGEN AN . . .

Martin Schmidt, Bundeskoordinator für medizinische Ausbil- dung, Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd)

So wäre der Fehler nicht passiert:

Spritzen für den ora- len Gebrauch (links) haben einen anderen Konus als normale (rechts). Sie passen nicht auf intravenöse Infusionssysteme.

P O L I T I K

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